FAQ | BVG-Tarifkonflikt - Warnstreik, unbefristeter Streik, Schlichtung: Was bedeutet das?
Noch hat der nächste BVG-Warnstreik nicht stattgefunden und schon ist von einem unbefristeten Streik die Rede. Nun könnte eine Schlichtung helfen, doch viele Fragen sind offen. Eine Übersicht für alle, die im BVG-Tarifkonflikt nicht mehr durchblicken.
Worum geht es im Konflikt zwischen BVG und Verdi?
Beim aktuellen Tarifstreit geht es um die Gehälter von rund 16.000 Beschäftigten der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Die Gewerkschaft Verdi fordert 750 Euro mehr pro Monat für alle Mitarbeiter, zusätzliche Zulagen für den Fahrdienst und die Schichtarbeit sowie ein 13. Monatsgehalt.
Die BVG hatte zuletzt 13,6 Prozent mehr Lohn für alle Mitarbeiter und 17,2 Prozent für Fahrerinnen und Fahrer in zwei Jahren angeboten. Die BVG nennt die Forderungen von Verdi "unfinanzierbar". Für die Gewerkschaft hingegen ist das Angebot der Arbeitgeber "völlig unzureichend", so Verdi-Verhandlungsführer Jeremy Arndt.
Warum sind BVG-Beschäftigte nicht Teil der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst?
Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) gilt nicht für Arbeitnehmer im Nahverkehr. Für sie gelten in jedem Bundesland gesonderte Tarifverträge, die zwischen der Gewerkschaft Verdi und den kommunalen Arbeitgeberverbänden abgeschlossen werden. In einigen Bundesländern wie Baden-Württemberg, Hessen oder Nordrhein-Westfalen sind Entgelte und Arbeitszeiten jedoch an den TVöD gekoppelt.
Für Berlin bedeutet das: Die Tarifverhandlungen bei der BVG laufen zwar parallel zu denen im öffentlichen Dienst, haben in der Sache aber wenig damit zu tun – Ablauf und Ergebnis müssen also nicht ähnlich sein.
Tarifvertrag ist nicht gleich Tarifvertrag
Bei der BVG gelten gleich zwei Tarifverträge. Der sogenannte "Manteltarifvertrag" regelt Arbeitsbedingungen wie Arbeits- und Pausenzeiten sowie den Urlaubsanspruch und ist laut BVG langfristig ausgerichtet – der geltende Vertrag läuft Ende 2025 aus.
Bei dem aktuellen Streit zwischen BVG und Verdi geht es neben einzelnen Punkten des Manteltarifvertrags vor allem um den sogenannten Entgelttarifvertrag. Dieser gilt für einen kürzeren Zeitraum und regelt die Gehälter. Der bisherige Tarifvertrag wurde im Herbst 2021 beschlossen – mit drei jährlichen Gehaltserhöhungen (Januar 2022, Januar 2023 und im Januar 2024).
Wann dürfen BVG-Beschäftigte streiken?
Das Grundgesetz garantiert die Streikfreiheit. Legale Streiks müssen in Deutschland von einer Gewerkschaft getragen werden. Man muss kein Gewerkschaftsmitglied sein, um sich an einem Streik zu beteiligen. Streiks sind nur erlaubt, um Ziele zu erreichen, die in einem Tarifvertrag geregelt werden können. Ein "wilder Streik" ohne Gewerkschaftsaufruf ist unzulässig. Auch politische Streiks – wie sie beispielsweise in Frankreich immer wieder stattfinden – sind hierzulande verboten. Arbeitnehmer dürfen ihre Arbeit also nicht niederlegen, um sich für ein politisches Anliegen einzusetzen oder gegen die Regierung zu protestieren.
Außerdem gilt: Ein Streik darf nur nach Ablauf der sogenannten Friedenspflicht beginnen. Während der Laufzeit eines geltenden Tarifvertrags darf eine Gewerkschaft zu keinem Streik aufrufen. Erst nach Ablauf des alten Tarifvertrags und nach Beginn der Tarifverhandlungen zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft sind Streiks erlaubt.
Warnstreik, Erzwingungsstreik, unbefristeter Streik – was ist das?
Während Arbeitgeber und Gewerkschaft über einen neuen Tarifvertrag verhandeln, können Warnstreiks stattfinden, die meistens eine kurze und befristete Niederlegung der Arbeit bedeuten. Gewerkschaften rufen dazu auf, um Druck auf die Arbeitgeber für ein gutes Angebot auszuüben. Seit Jahresbeginn gab es bei der BVG mehrere Warnstreiks, der nächste soll schon an diesem Mittwoch beginnen.
Ein Erzwingungsstreik oder unbefristeter Streik ist das letzte Mittel und sozusagen die schärfste Waffe einer Gewerkschaft in einem Tarifkonflikt mit der Arbeitgeberseite. Davor gibt es in der Regel während der Tarifverhandlungen einen oder mehrere Warnstreiks. Wenn eine der Tarifparteien die Verhandlungen für gescheitert erklärt und gegebenenfalls auch eine Schlichtung nichts bringt, hat die Gewerkschaft noch die Option eines unbefristeten Streiks.
Die Gewerkschaft Verdi lässt ihre Mitglieder vor einem solchen Streik in einer Urabstimmung entscheiden, dies ist jedoch gesetzlich nicht vorgeschrieben. Damit die BVG unbefristet bestreikt wird, müssen mehr als 75 Prozent der Verdi-Mitglieder, die sich an der Abstimmung beteiligen, für den Streik stimmen.
Welche Gewerkschaften spielen bei der BVG eine Rolle?
Die mit Abstand größte Gewerkschaft der BVG-Beschäftigten ist Verdi. Die genaue Zahl der Verdi-Mitglieder unter den BVG-Beschäftigten wollte ein Verdi-Sprecher auf Anfrage nicht nennen. Verdi ist auch Verhandlungspartei für die Arbeitnehmerseite in den nun gescheiterten Tarifverhandlungen. Eine kleinere Rolle spielen die Gewerkschaft Verwaltung und Verkehr (GVV) und die Nahverkehrsgewerkschaft (NahVG).
Wie hoch ist das Streikgeld beim BVG-Streik?
Wer sich an einem Streik beteiligt, bekommt während des Streiks keinen Lohn. Gewerkschaftsmitglieder, die sich am Streik beteiligen, erhalten jedoch pro Streiktag eine finanzielle Unterstützung. Die Höhe des Streikgeldes hängt unter anderem vom Mitgliedsbeitrag und der Mitgliedsdauer ab. Laut einem Verdi-Sprecher wird das Streikgeld mithilfe einer komplizierten Formel berechnet. Das Geld erreiche "nicht ganz" die Höhe des üblichen Lohnentgelts. Bei einem unbefristeten Streik werde das Streikgeld auch unbefristet bezahlt, so der Sprecher.
Nicht-Gewerkschaftsmitglieder hingegen gehen bei einem Streik leer aus.
Wann ist eine Schlichtung sinnvoll?
Wenn Tarifverhandlungen zu keinem Ergebnis führen, kann ein unbefristeter Streik noch mithilfe eines Schlichtungsverfahrens verhindert werden. Dabei wird ein unabhängiger Dritter (Schlichter) eingesetzt. Eine Schlichtung ist freiwillig und beide Tarifparteien müssen zustimmen. In manchen Tarifverträgen ist sie vorab geregelt – bei der BVG ist das nicht der Fall. Während der Schlichtung gilt Friedenspflicht und es darf nicht gestreikt werden.
Wie läuft eine Schlichtung ab?
Die Schlichter werden von beiden Parteien gemeinsam bestimmt. Oft handelt es sich um erfahrene Persönlichkeiten wie Arbeitsrechtsexperten oder Politiker. Gebildet wird in der Regel eine Schlichtungskommission mit mehreren Vertretern beider Seiten und zwei unparteiischen Schlichtern. Bei einem Patt hat der vorsitzende Schlichter eine entscheidende Stimme.
Ein genaues Schlichtungsverfahren müssten BVG und Verdi noch gemeinsam beschließen – im Gegensatz zum öffentlichen Dienst haben Arbeitgeber und Gewerkschaft keine entsprechende Vereinbarung. Im Regelfall würde die Kommission eine nicht bindende Einigungsempfehlung erarbeiten. Dafür hat sie meistens nur wenige Tage. Anschließend prüfen Arbeitgeber und Gewerkschaft die Empfehlung und setzen ihre Verhandlungen fort. Wenn diese zu keinem Ergebnis führen, gelten die Tarifverhandlungen als endgültig gescheitert. Ein unbefristeter Streik ist dann wieder möglich.
Warum sind unbefristete Streiks so selten?
Bei den Arbeitskämpfen in Deutschland kommt meistens das Mittel des Warnstreiks zum Einsatz. Ein unbefristeter Erzwingungsstreik findet nur in Ausnahmefällen statt. "Nicht selten bringt schon allein die glaubhafte Androhung eines Erzwingungsstreiks wieder Bewegung in stockende Verhandlungen", hieß es in einem Report des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2022. Oft signalisierten Arbeitgeber nach einer Urabstimmung doch noch Verhandlungsbereitschaft, so der Report.
Bei der BVG ist der letzte Erzwingungsstreik einige Jahre her: 2008 rief Verdi die Mitarbeiter der BVG zu einem unbefristeten Streik auf. Rund sechs Wochen innerhalb drei Monaten wurde der öffentliche Nahverkehr in der Hauptstadt lahmgelegt. Am Ende kam es zu einem Tarifvertrag, der weit unter den Forderungen von Verdi lag: Die Gewerkschaft hatte zwölf Prozent mehr Lohn gefordert, die Beschäftigten bekamen weniger als fünf Prozent.