Wahlen in Berlin und Brandenburg - Linke suchen verzweifelt nach Erklärung für Debakel bei den Wahlen

Di 11.06.24 | 14:50 Uhr
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Symbolbild: Ein herabgerissenes Wahlplakat der Partei "Die Linke" steht auf der Straße. (Quelle: dpa/Schmidt)
Video: rbb24 Abendschau | 10.06.2024 | Boris Hermel | Bild: dpa/Schmidt

Bei den Wahlen in Brandenburg und Berlin hat Die Linke zum Teil massiv an Stimmen eingebüßt. Viele frühere Wähler sind dem Wagenknecht-Bündnis gefolgt. Nun üben sich Linken-Mitglieder in Selbstkritik - und Ratlosigkeit.

Während die Vertreter der AfD als Wahlgewinner in Feierlaune sind, zählt die Linke neben SPD und Grünen zu den großen Verlierern. Selbst in ihrer einstigen Hochburg Frankfurt (Oder), mit dem Oberbürgermeister René Wilke im Amt, ist die Partei in der Gunst der Wählenden abgestürzt.

Bei der Wahl der Stadtverordnetenversammlung verlor sie an Zuspruch und landet mit 15,8 Prozent (sieben Prozentpunkte weniger als noch 2019) hinter AfD (28,6 Prozent) und CDU (22,9 Prozent) auf Platz drei.

Linke in Frankfurt: Wir müssen weg vom Horrorszenario

Die Kreisvorsitzende in Frankfurt (Oder), Anja Kreisel, sucht nach Erklärungen für das Debakel. Die Spaltung der Partei und die Gründung des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) seien nur ein Aspekt von vielen, sagt die 44-Jährige.

"Wovon wir einfach wegmüssen, ist immer dieses Horrorszenario aufzuzeigen, 'wenn dies und das nicht passiert, werden wir alle in Armut leben'". Vielmehr müsse die Partei bestimmmte Lösungen anbieten und diese dann deutlich hervorstellen. "Und dann muss gesagt werden: Kommt mit uns, kämpft mit uns oder seid laut."

Aufbau von unten mit neuen Gesichtern?

Dass die Linke die Menschen nur noch schwer erreicht, kann auch Fritz Viertel unterschreiben. Der Gemeindevertreter in Schöneiche (Oder-Spree) arbeitet im Potsdamer Landtag. Der 31-Jährige spricht von einem "niederschmetternden Ergebnis". Dennoch müsse die Partei wieder erste Adresse für die vielen sozial Benachteiligten werden.

Einer sterbenden Partei gehöre er aber nicht an. "Wir haben in den vergangenen Monaten bei uns vor Ort einen regelrechten kleinen Masseneintritt erlebt, mit einer ganzen Reihe von neuen, auch jüngeren Leuten, die Mitglied geworden sind", sagt Viertel. "Die haben unseren Wahlkampf getragen, teilweise für uns kandidiert und Bock darauf, die Linke von unten zu erneuern."

Kommen und Gehen der Mitglieder

Diesen glauben teilen längst nicht alle. Auf eine Erneuerung will Tobias Thieme jedenfalls nicht mehr warten. Er hat der Linken den Rücken gekehrt und will jetzt mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht die neue Kümmerer-Partei werden. Der 33-Jährige ist am Sonntag in die Gemeindevertretung Grünheide und in den Kreistag eingezogen. "Für mich ist es noch einmal der gute Versuch, endlich wieder pragmatische Politik für den Bürger zu machen, ohne persönliche Interessen in den Vordergrund zu stellen", sagt Thieme.

Als Konsequenz aus der Wahl zieht auch Frankfurts Oberbürgermeister René Wilke in Erwägung, seine Partei zu verlassen: "Meine Ambivalenz mit Blick auf der Partei ist ja allgemein bekannt. Vor Ort habe ich viele Leute, mit denen ich sehr gut arbeite. Aber spätestens auf der Bundesebene ist die Linke keine wirkliche politische Heimat", sagte Wilke dem rbb am Montag. Seine Entscheidung über einen möglichen Parteiaustritt soll in den kommen Wochen fallen.

Für Anja Kreisel und Fritz Viertel ist es hingegen keine Alternative, die Linke zu verlassen. Sie wollen im September in den Landtag einziehen.

Neue Konkurrenz durch ehemalige Mitstreiter

Katerstimmung herrschte am Montag auch im "Kieztreff Lebensnetz" in Berlin-Hohenschönhausen nach der Europawahl. Nirgends haben mehr Menschen das Bündnis Sahra Wagenknecht gewählt als an der Anna-Ebermann-Straße. Die Linke liegt dort nur noch bei 5,7 Prozent, stürzt erdrutschartig um 17,9 Punkte ab, das BSW schafft aus dem Stand 26,4 Prozent.

Dafür, warum die Menschen in Scharen von den Linken zu Sahra Wagenknecht übergelaufen sind, hat Robert Schneider eine Erklärung. Er war bis Ende vergangenen Jahres noch Co-Vorsitzender der Linken in Lichtenberg und ist jetzt Aufbauhelfer des BSW.

"Man konzentriert sich auf die Innenstadtbezirke und die großen Probleme, die hier vorhanden sind, wie beispielsweise soziale Infrastruktur, Ärzteversorgung, die Anbindung S-Bahnverkehr. Das alles ist hier die letzten Jahre nicht angegangen worden. Da war die Linke in Regierungsverantwortung. Das nehmen die Leute natürlich wahr, und es macht sich auf dem Wahlzettel bemerkbar."

Der Analyse seines ehemaligen Partei-Kollegen schließt sich auch Maximilian Schirmer an. Er ist Landeschef der Linken in Berlin und räumt ein: "Wir haben die Menschen dort nicht adressiert, die Anliegen nicht ernst genug genommen, sind nicht vor Ort gewesen und konnten uns wahrscheinlich auch nicht genug um die Probleme der Leute kümmern."

BSW will inhaltliche Lücken schließen

Dass das Wagenknecht-Bündnis bewusst ihre ehemalige Partei zerlegt, bestreitet hingegen Alexander King, der Landesauftrage der neuen Partei. "Wir sind hier jetzt nicht auf einem Rachefeldzug gegen die Linke oder so. Wir wollen eine politische Lücke schließen und das gelingt uns offensichtlich auch, weil viele der Meinung sind, dass bestimmte Positionen bisher im politischen Spektrum nicht abgebildet waren." Gemeint sind laut King damit unter anderem der Widerstand gegen weitere Aufrüstung im Ukraine-Krieg.

Für die Lichtenberger Linke ist der Durchmarsch des BSW ein Schlag ins Kontor. Die Bezirkschefin und Jugendstadträtin Camilla Schuler sucht beinahe verzweifelt nach Rezepten dagegen. "Die Linke und ich sind tatsächlich hier jeden Tag vor Ort", sagt Schuler. "Wir sind im Bezirk da, für die Menschen ansprechbar und finden Lösungen. Zu meinem Ressort gehört auch das Thema Kinderarmut. Wir bieten hier konkret Lösungen an, und das müssen wir viel deutlicher nach vorne stellen."

Die Linke in Existenznot

Laut dem Umfrage-Institut "Infratest dimap" haben bundesweit 470.000 ehemalige Linken-Anhänger diesmal BSW gewählt [tagesschau.de]. Viel tiefer, so der Lichtenberger Linken-Abgeordnete Sebastian Schlüsselburg, kann seine Partei kaum sinken. "Wenn es uns nicht gelingt, bis zur Bundestagswahl wieder den Mehrwert für die Menschen vor Ort hier in den Kiezen deutlich zu machen, dann steht die Existenzfrage, und dann wird sie wahrscheinlich auch negativ beantwortet. Da sind wir aber noch nicht, wir haben die Chance, es noch zu schaffen, aber so schwer war es noch nie."

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, Abendschau, 10.06.2024, 19:30 Uhr

Mit Material von Michael Lietz und Boris Hermel

15 Kommentare

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  1. 15.

    Blödsinn, sorry. Das BSW ist weder links, noch pazifistisch. Den Beweis konnte man gestern im Bundestag erleben.

    "Schäbig" trifft das Verhalten des BSW und der rechtsextremen AfD ziemlich genau.

  2. 14.

    Das würde ich anders interpretieren. Sahra w. ist einfach einer konsequent, linken (pazifistischen, internationalistischen) Einstellung treu geblieben, ohne die Empathie für die eigene Bevölkerung zu verlieren. Sie spricht einfach vielen (ostdeutschen) aus der Seele. Mit Nachdruck und Ehrlichkeit, wie es sich viele eben nicht trauen.
    Sicher könnten wir ihr Dickköpfigkeit u.ä. vorwerfen, andere nennen das eben standhaft bleiben.
    Jetzt darf sie eben nur nicht denselben Fehler begehen, wie die Grünen und sich zu sehr der sogenannten Mitte anbiedern. Zum Schluss frage ich mich nämlich, wozu grün wählen, wenn die doch Wissing und Lindner folgen oder wozu bsw wählen, wenn die dann doch lieber mit der cdu Politik machen wollen.
    Die Grünen haben viele Stimmen verloren, weil sie zwar mit Greta und mit Umweltschutz posen aber dann Mechanismen folgen, wegen denen Sie gewählt wurden, um diese zu überwinden.

  3. 13.

    >"Der fatalste Fehler war dann, Wagenknecht gehen zu lassen und mit ihr wichtige Köpfe der Linken."
    Nein, das war kein Fehler. Das war eine Neusortierung. Frau Wagenknecht hat mit ihren populistischen Parolen innerhalb der Linken Fraktion immer ihr Eigenleben gehabt. Sie war nie Teil der linken Meinung. Sie ist sie als One-Woman-Show.
    Dass man in der heutigen Zeit mit Putin auf Kuschelkurs gehen sollte, bringt selbst die Linke auf die Palme. Ein Aggressor und Gebiets-Größenwahninniger hat nichts mit linker Weltanschauung zu tun.
    Wenn eine Partei mal an die 5% Hürde gerät, hat nichts mit Bedeutungslosigkeit zu tun. Siehe FDP.

  4. 12.

    Also wenn die Linke das immer noch nicht verstanden hat, hier ein paar Tips:
    1. Die ´Aufnahmebereitschaft´ der Bevölkerung in euren ehemaligen Wahlbezirken ist erschöpft.
    2. Viele hätten sich mehr kritische Opposition während Corona gewünscht.
    3. Eine konsequentere Haltung zum Frieden und ein paar anderen Einstellungen...!

    Bei mir und der letzten Wahl, hatte die Linken und die Grünen beim der Wahlomat eine 95% Übereinstimmung.
    Jetzt würde ich erstmal laaaange Zeit keine Grünen wählen.
    So, ich hoffe, ich konnte helfen. ;)

  5. 11.

    Die Linke fährt mit Vollgas in die Bedeutungslosigkeit. Kein Gefühl für die Probleme und Sorgen der Bevölkerung. Der fatalste Fehler war dann, Wagenknecht gehen zu lassen und mit ihr wichtige Köpfe der Linken. Welche Zugkraft dahinter steckt, wenn man ein offenes Ohr für die Bevölkerung hat, haben wir gerade erlebt. Die heutigen Köpfe der Linken sind von sich selbst verblendet, leben in ihrer eigenen Welt und jammern nun, daß sie keiner mehr gewählt hat.

  6. 10.

    Also es mag ja durchaus sein, dass Wagenknecht die volkswirtschaftlich vollkommen falschen Lösungen für die Probleme unserer Zeit hat, aber sie spricht zumindest die Probleme und Sorgen der Bevölkerung an und das beschert ihr den Erfolg, den die Rest-Linke halt nicht mehr hat. Wer sich um Themen kümmert, die seine Wähler nicht interessieren oder sogar beunruhigen, macht sich überflüssig und das hat Wagenknecht versucht zu korrigieren, ist aber am Starrsinn der Linken gescheitert. Ich habe Zweifel, ob das BSW tatsächlich dauerhaft zweistellige Ergebnisse erreichen kann, aber ich denke schon, dass es sich konstant über 5% etabliert. Es gibt genügend Wähler, die eine linke Politik wollen, ohne deswegen Faulheit oder Projekte in der ganzen Welt zu finanzieren. Die alte Arbeiterbewegung entstand nicht mit dem Ziel des Müßiggangs, sondern mit dem Ziel fairer Löhne, Arbeits- und Lebensbedingungen und das auch im Alter und bei Krankheit.

  7. 9.

    Vielleicht suchen die großen Wahlverlierer einfach mal in ihrer (Real-) Politik nach der Ursache ihres Wahldebakels.

  8. 8.

    "Zudem nehme ich die Linke nicht wahr, wenn es um die Lösung von Alltagsproblem geht, wie die illegale Migration, oder Steuerentlastungen für die arbeitende Bevölkerung oder ein Klimaschutz der auch für den kleinen Mann finanziell tragbar ist."

    Mal von der "illegalen" Migration abgesehen, sind das Schwerpunktthemen der Linken. Warum Sie das nicht wahrnehmen, kann ich nur vermuten. Will ich aber nicht.

    Aus meiner Sicht nimmt man Die Linke inhaltlich kaum bis gar nicht wahr. Einzige, was mir da einfällt, wären das Thema Mieten (hier in Berlin). Hauptsächlich ist sie mit sich selbst und ihrem Abwärtstrend beschäftigt. Maßgeblich herbeigeführt durch die AfD (neue Ossi-Verateherpartei und die Partei der Unzufriedenen); den Gnadenstöß ohne Gnade hat ihr wohl Frau Wagenknecht beigefügt.

    Ich find's schade, es fehlt diesem Land damit eine linke und soziale Partei.

  9. 7.

    Also ich sehe beim BSW in den nächsten Jahren ein tolles Strohfeuer und kann allen demokratischen Parteien nach den nächsten Landtagswahlen nur empfehlen Koalitionsverhandlungen mit dem BSW aufzunehmen. Dann wird sich zeigen, ob diese Partei in den täglichen Aufgaben kompromissbereit ist oder Sarahs Ego überwiegt. Dem Wolkenkuckucksheim in der sozialen Marktwirtschaft oder im Ukrainekrieg folgen die Menschen gerne. Die Realität ist eine ganz andere.
    Die Linkspartei ist ihren antikapitalistischen Parolen und Karola Rakete gründlich auf die Nase gefallen. Kümmererpartei war die PDS in den 90ern.

  10. 6.

    Was ich in meinem privaten Umfeld mitbekomme ist, das nicht wenige diese Partei aus historischen Hintergrund nicht wählen und weniger wofür- oder gegen sie sind. Eine simple Namensänderung scheint vielen nicht gereicht zu haben. Wagenknecht schafft einen Neustart mit einer Neugründung. Wie sehr sie das politisch linke Spektrum wirklich ansprechen möchte, wird sich zeigen. Ich habe da ein wenig meine Zweifel. Ist aber nur ein derzeitiger Eindruck.

  11. 5.

    Die BSW-Wähler wollen linke Wirtschaftspolitik, aber konservative Migrations- und Identitätspolitik. Die Linke bietet das nicht, ganz einfach.

  12. 4.

    Sie meinen wohl eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen?

    Zudem nehme ich die Linke nicht wahr, wenn es um die Lösung von Alltagsproblem geht, wie die illegale Migration, oder Steuerentlastungen für die arbeitende Bevölkerung oder ein Klimaschutz der auch für den kleinen Mann finanziell tragbar ist. Und genau hier bekommt sie ihre Quittung!

  13. 3.

    Offensichtlich haben Sie von ihren Standpunkt aus nur wenig von "die Linke" gesehen, aber so sicherlich ungewollt ein Problem der Partei beschrieben, nämlich das der öffentlichen Wahrnehmung, wo solche Themen wie die Sie aufzählten andere des Parteiprogramms verdrängt haben...

  14. 2.

    Also zunächst einmal sind Menschen mit antifaschistischer Gesinnung keineswegs eine Randgruppe, sondern die Mehrheit. Das Volksbegehren zur Enteignung hat auch eine Mehrheit in dieser Stadt bekommen(und gehört endlich umgesetzt!), was maßgeblich von der Linken mitgetragen wurde. Gendern ist eine Tätigkeit, die man/frau/diverse mach kann oder nicht. Die letzte Generation...strittig. Der Rest ihres Kommentars ist leider nicht ganz verständlich. Korrekt ist, wie Herr Schirmer das (leider erst jetzt) erkannt hat, es ist nicht genug getan geworden. Das BSW hat eine wesentlich bessere Kampagne gefahren. Diese Abspaltung hätte jedoch mit allen Mitteln verhindert werden müssen und können, es kommt eben doch darauf an, was man inhaltlich sagt und nicht wie oder welches Wort. Schade für eine linke Bewegung. Den Klassenfeind freuts.

  15. 1.

    Die „Link:innen“ haben sich um extreme Randgruppen (Gendern, Antifa, Enteignungen, Letzte Generation) bemüht. Die gibt es nicht so viel. Und sie kennen nicht das Belohnungsmodell und dessen Wichtigkeit, damit nicht alle gleich Arm sind. Und sie haben keine „Schiedsrichterausbildung“ um die (Zuteil)Funktion, wer bekommt was, auszufüllen.

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