Kritik | Mauerfall-Show am Brandenburger Tor - Die Mauer ist weg, der Zaun ist da

So 10.11.19 | 08:54 Uhr | Von Mark Perdoni
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09.11.2019, Berlin: Die Gruppe Banda Internationale spielt das Vorprogramm bei der Feier anlässlich der Festivalwoche "30 Jahre Friedliche Revolution - Mauerfall" am Brandenburger Tor (Quelle: Annette Riedl/dpa)
Video: rbb|24 | 09.11.2019 | Bild: dpa/Annette Riedl

Zugezogene, Touristen, Berliner und Menschen aus der ehemaligen DDR: Sie alle wollen die große Show zum 30. Mauerfall-Jubiläum sehen. Doch nicht alle werden reingelassen, "aus Sicherheitsgründen". Gänsehautmomente finden derweil abseits der Bühne statt. Von Mark Perdoni

Die ersten authentischen Eindrücke vom 9. November 1989 bekommen die Besucher bereits, bevor sie das Festgelände am Brandenburger Tor überhaupt betreten. Hunderte Menschen schieben sich eng aneinander gedrückt Richtung Eingang an der Ebertstraße. "Hört auf zu mauern!", ruft ein Mann mit sarkastischem Unterton den Sicherheitsmitarbeitern entgegen. "Das schaue ich mir lieber zu Hause im Fernsehen an", brummt eine ältere Frau und dreht enttäuscht um.

Mit diesem großen Andrang bei der Mauerfall-Jubiläumsparty am Samstagabend hatten die Veranstalter offenbar nicht gerechnet, nach eigenen Angaben sollen es weit mehr als 100.000 Menschen sein. Bereits am späten Nachmittag werden auf Anordnung der Bundespolizei am S-Bahnhof Brandenburger Tor die Ein- und Ausgänge Wilhelmstraße und Pariser Platz geschlossen, später gibt es an den oberen Eingangstoren zum Festgelände an der Ebertstraße kein Durchkommen mehr. "Zu 100 Prozent gefüllt", so die Ansage aus den Polizei-Lautsprechern. Es wird geraten, sich in Richtung "Großer Stern" zu begeben, wo ein Einlass noch möglich ist. Der ist viele hundert Meter weit entfernt.

Zaungäste beim Mauerfall-Jubiläum

Also müssen Tausende zunächst einen langen Umweg durch den dunklen Tiergarten laufen, an dessen Ende sie vor Zäunen steckenbleiben, die sie von der Straße des 17. Juni trennen. Und so kommt es zu Szenen, die am 30. Jahrestag des Mauerfalls symbolträchtiger nicht sein könnten - und unweigerlich an die in den vergangenen Tagen inflationär gebrauchten Archivaufnahmen von den überlaufenen Grenzübergangen zwischen dem damaligen Ost- und West-Berlin erinnern: Waghalsig klettern Menschen  über die Zäune an den Rändern des Tiergartens, darunter auch welche in weit fortgeschrittenem Alter. Viele lachen ob der skurrilen Situation, andere sind ängstlich oder sichtlich genervt.

Auch auf der Straße des 17. Juni kommen die Besucher zunächst nur schwer voran, Sicherheitskräfte an Schleusen tasten stichprobenartig ab. Und weiter vorne ist wieder alles abgesperrt: "aus Sicherheitsgründen", wie es heißt, dürfen zunächst keine weiteren Besucher mehr nach vorne zum Brandenburger Tor. Erst am späten Abend werden nach und nach weitere Gäste nach vorne gelassen.

Menschen steigen am Abend des 9. November 2019 über einen Zaun am Berliner Tiergarten (Quelle: rbb/Vanessa Klüber)
Besucher klettern über die Zäune zur Straße des 17. Juni | Bild: rbb/Vanessa Klüber

Bei kühlen Temperaturen um vier Grad wird ihnen ein sportliches Programm geboten. Auf zwei großen Bühnen - durch einen leuchtenden Erdball getrennt, der teils mit historischen Bildern bestrahlt wird - wechseln sich politische Botschaften mit musikalischen Einlagen ab: Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) erinnert daran, wie wertvoll unsere Freiheit ist, nachdem Dirk Michaelis die Wendehymne "Als ich fortging" ins Mikro haucht. Der Chemnitzer Trettmann rappt von "Stolpersteinen", Daniel Barenboim lässt seine Berliner Staatskapelle alle vier Sätze von Beethovens Fünfter präsentieren, Westbam ist mit Technoklassikern aus Loveparade-Zeiten dabei und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnt vor "neuen Mauern in der Gesellschaft".

Besucher der Feier am Brandenburger Tor zum 30. Mauerfall-Jubiläum (Quelle: rbb / M. Perdoni)
Barbara (76) aus Schönebeck (Sachsen-Anhalt) war schon mehrfach zu besonderen Anlässen am Brandenburger Tor. | Bild: rbb / M. Perdoni

Würdige Atmosphäre

Von diesen ist im Publikum an diesem Abend nichts zu spüren. Und so ist es auch nicht das dramaturgisch etwas überladene Bühnenprogramm, das für eine deutlich gewissenhaftere Atmosphäre sorgt, als bei Fanmeilen-artigen Veranstaltungen wie dieser vor dem Brandenburger Tor üblich. Es sind die einzelnen Geschichten der Besucher, denen man - ohne sie alle zu kennen - anmerkt, dieses historische Ereignis Mauerfall aufrichtig würdigen zu wollen.

"Ich war Silvester '89 hier am Brandenburger Tor, beim 20. Mauerfall-Jubiläum, und jetzt wollte ich unbedingt auch wieder hier sein", erzählt Barbara aus Schönebeck (Elbe). Für die 76-Jährige sei der Mauerfall auch noch aus heutiger Sicht "eine wunderbare Sache, auch wenn meiner Meinung nach wirtschaftlich ein paar Fehler gemacht wurden."  

Besucher der Feier am Brandenburger Tor zum 30. Mauerfall-Jubiläum (Quelle: rbb / M. Perdoni)
Zusammen dank Wiedervereinigung: Kilian und Marie-Helene. | Bild: rbb / M. Perdoni

"Ohne den Mauerfall nie kennengerlent"

Andreas (41) aus Frankfurt am Main verbindet die Geschichte des Lebensgefährten seiner Mutter mit dem Mauerfall. "Er ist aus dem Osten geflohen". Die deutsche Wiedervereinigung sei so eine Wiedervereinigung seiner Familie gewesen. Sabine (46) erzählt ihren Kindern davon, wie sie kurz nach dem Mauerfall heimlich ein paar Brocken aus der Mauer geschlagen habe.

Aber nicht nur Menschen, die den Mauerfall miterlebt haben, sind zum Brandenburger Tor gekommen. Der 20-jährige Kilian aus Berlin-Charlottenburg steht mit seiner Freundin Marie-Helene unter den 100.000 wehenden Stoffstreifen, die teils mit Wünschen und Hoffnungen von Berlinern beschrieben sind. "Meine Eltern kommen aus Trebbin", sagt die 19-Jährige. "Ohne den Mauerfall hätte ich Kilian bestimmt nie kennengelernt."

Mauerspalten voll Rosen, Erinnerungen auf Stoff

Beitrag von Mark Perdoni

18 Kommentare

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  1. 18.

    Man könnte zum Beispiel bei künftigen Veranstaltungen auf der Straße des 17. Juni die Bühne an die Rabinstraße oder bei ganz großen Events an den Großen Stern stellen. Das wäre zwar für die Veranstalter weniger prestigeträchtig, aber erstens wäre das Tor dann weiterhin zugänglich (das Symbol der Deutschen Einheit ständig für irgendwelche Kommerzveranstaltungen zu sperren, ist eh sehr fragwürdig), und zweitens wäre die idiotische Situation beseitigt, dass die für die Besucher am besten erreichbaren Eingänge direkt an der Bühne und nicht im hinteren Bereich der Veranstaltung liegen.

  2. 17.

    Ach so? Da haben wir uns dann in der Nacht wohl getäuscht?
    Einfach mal Youtube bemühen und schauen, was da in der Nacht vom 9ten zum 10ten November am Brandenburger Tor los war ;-))
    https://www.youtube.com/watch?v=rMFSy1Dg8WM

  3. 16.

    Hallo Renate,
    also wenn sie mit "ein zweites Duisburg" die Loveparade meinen, frage ich mich wie nur die LoveParade's davor in Berlin mit teilweise 500.000 Menschen ohne Absperrungen nur so gut lief?
    Ihr Vergleich eingegrenzte Wege mit einer Straße wo es in fast allen Himmelsrichtungen freie Wege in/aus einen Park gibt, ist in meinen Augen etwas fragwürdig.

  4. 15.

    Hallo Herr Boris Krügel,

    am 09.11.1989 konntest du unmöglich durch das Brandenburger Tor gehen denn dieses war immer noch geschlossen und die Mauer war immer noch davor...

  5. 14.

    Ja, was schlagen Sie denn vor? Durch das Tor durchgehen, ok, dann kann es aber keine Bühne geben. Wenn 100.000 Menschen vor Ort sind, dann muss doch auch für Sicherheit gesorgt werden. Keiner will doch einzweites Duisburg erleben. Die Gegebenheiten vor Ort am Brandenburger Tor sind nun mal so, wie sie sind und ein paar hundert Menschen sind nicht das gleiche Sicherheitsproblem wie Zigtausende.

  6. 13.

    Viel schlimmer, als dass nicht Jeder, der es wollten die Darbietungen der (bis auf Barenboim und seine Kapelle) eher drittklassigen Künstler verfolgen konnte, finde ich es, dass ausgerechnet zur Feier des Mauerfalls das Brandenburger Tor (mal wieder) geschlossen war. Geschichtsvergessener geht es nicht mehr.

  7. 12.

    Die Mauer ist immer noch in den Köpfen vorhanden.
    Solange man über dieses Thema darüber redet, wird sie auch nicht verschwinden.
    Eine Bundeskanzlerin aus den vereinigt neuen Bundesländern hatte genug Zeit, die Wiedervereinigung zu vollenden.
    Aber sie hat die Sorgen ihrer eigenen Landsleute nicht vernommen.

    Warum die Leute jetzt wie in den Bildern oben nun unbedingt über die Zäune klettern müssen, ist allerdings unbegreiflich.
    Das grenzt ja schon an Massenhysterie.

  8. 11.

    ich wundere mich schon etwas. Jeder in Berlin weiß doch dass Veranstaltungen am Brandenburger Tor , egal ob Fußball,silvester oder was auch immer, so voll sind , dass die Eingänge vorn nicht angeblich sondern aus Sicherheitsgründen frühzeitig geschlossen werden. Das ist seit vielen Jahren so.

  9. 10.

    ..genauso sehe ich es auch.. weil wir es eben auch 1989 so erlebt haben... Aber die Bilder sind nicht nur im Kopf.. haben alles mitgenommen. Diese Erinnerungen nimmt uns Niemand mehr..

  10. 9.

    Muss dem Schreiber leider Recht geben. Da meine Frau und ich 1989 in West-Berlin lebten und diese Tage alle live miterleben durften, sind wir extra aus Trier (Flughafen Luxemburg) für diese Zwei Tage nach Berlin geflogen.. Die Proben am Vorabend haben wir noch sehen können.. Die Feierlichkeiten gestern leider nicht.. Ebertstraße war schon zu... Schade

  11. 8.

    Ich muss das RBB24-Team hier echt in Schutz nehmen.
    Egal was man sich zum Thema in Presse, Funk und Fernsehen angesehen/ angehört hat, es ist stets von Ost/West und ehemaliger DDR die Rede. Vor Allem auch wegen der Geschichten derer, die die Maueröffnung erlebt haben oder ihre Fluchtgeschichten erzählen. Das ist Realität und nichts Negatives. Negativ wird etwas ggf. erst durch Interpretstion. Wer sich nach 30 Jahren noch negativ berührt fühlt bei diesen Geschichten oder gar als Mensch 2.Klasse, muss m.E. an sich und seiner Wahrnehmung arbeiten.

  12. 7.

    Ich war am 9ten 11ten 89 am Brandenburger Tor. Damals hatte ich keine Probleme unter dem Tor hindurch zu gehen. Gestern war es schlicht unmöglich. Ich habe nichts gegen die Party, doch am Tag der Maueröffnung das symbolträchtige Tor zu schliessen... da sollte zukünftig ein anderes Veranstaltungs-Konzept her.

  13. 6.

    Erst denken, dann schreiben. Ihr Kommentar... Was wollen Sie damit ausdrücken. Hat keinen Bezug auf meinen Kommentar.

    Ich wollte nur damit ausdrücken, daß er mir vollkommen egal ist. Der rbb hätte sich diesen Artikel sparen können.

  14. 5.

    und : wie recht sie haben

    auf Reisen hören wir auch HEUTE noch, wenn wir sagen : wir kommen aus Berlin
    gleich die Frage : Ost oder West--ich sage dann immer SÜD ( ja gibt es denn das auch ? )
    ABER : die Medien eingeschlossen rbb-- nach 30 Jahren immer noch--------
    nennt doch einfach die Bundesländer ------ABER nicht ALT und NEU-- BITTE
    allen Bundesbürgern einen schönen Restsonntag

  15. 4.

    Wo liegt beim Autor eigentlich der Unterschied zwischen „ehemaliger DDR“ und „DDR“? Stilistisch mangelhaft und zudem unsinnig. Die DDR existiert einfach nicht mehr, insofern ist „ehemalig“ einfach nur überflüssig und zudem irreführend.

  16. 3.

    ,,Zugezogene, Touristen, Berliner und Menschen aus der ehemaligen DDR"
    Warum nicht einfach nur ,,Menschen aus allen Regionen Deutschlands"? Solange vom DDR Bürger und Ost/ West die Rede ist, wird es kein vereinigtes Deutschland geben. Liebes RBB Team bitte hört auf damit.

  17. 2.

    Boah, Leute wie sie haben aber auch immer was zu meckern. Niemand zwingt sie das zu lesen, oder gar da hinzugehen.

  18. 1.

    Ich war arbeiten... zum Glück.
    Was will mir der Artikel eigentlich sagen?

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