30. Jahrestag - Zehntausende feiern Mauerfall-Jubiläum am Brandenburger Tor
Vor 30 Jahren fiel die Berliner Mauer. Um an diese Zeitenwende zu erinnern, kamen am Samstagabend Zehntausende ans Brandenburger Tor. Es gab Musik von Dirk Michaelis bis Trettmann und ein Feuerwerk. Doch es war auch einen Moment lang still.
Zehntausende haben am Samstagabend am Brandenburger Tor in Berlin eine Bühnenshow zum 30. Jahrestag des Mauerfalls verfolgt. Die Veranstaltung war der Höhepunkt der Festivalwoche zum Mauerfall in der Hauptstadt.
Bei der mehr als zweistündigen Show traten Musiker wie Anna Loos, Trettmann, Die Zöllner und Dirk Michaelis auf, der sein Lied "Als ich fortging" am Piano sang, das 1989 als "Wendehmyne" bekannt wurde. Die Staatskapelle Berlin unter der Leitung von Daniel Barenboim spielte Beethovens "Schicksalssinfonie", das Rapduo Zugezogen Maskulin setzte mit seiner Bühnenshow samt viel Kunstnebel einen Kontrapunkt. Mit einem Feuerwerk endete das Programm. Die After-Show bestritt Techno-DJ und Elektromusiker Westbam.
Mehrere Eingänge zum Festgelände geschlossen
Der Andrang war sehr groß. Laut Polizei hatten sich bereits zu Beginn des Programms Zehntausende auf dem Festgelände, der Straße des 17. Juni, versammelt. Die Zahl der Gäste war nach Veranstalterangaben jedoch aus Sicherheitsgründen auf 100.000 beschränkt. Die Polizei sagte rbb|24 am Sonntagmorgen, dass mehr als 100.000 zu der Feier gekommen seien.
Wegen des großen Andrangs wurden laut Polizei mehrere Eingänge zum Festgelände zeitweise geschlossen, obwohl auf dem Gelände selbst noch Platz war: die Zugänge an der Ebertstraße und an der Seite zum Reichstagsgebäude. Auch an der S-Bahn-Station Brandenburger Tor gab es Einschränkungen. Auf Anordnung der Bundespolizei seien wegen zu großen Andrangs die Ein- und Ausgänge Wilhelmstraße und Pariser Platz geschlossen worden, sagte ein S-Bahn-Sprecher rbb|24.
Stille legte sich über den Platz, als die einstige DDR-Oppositionelle Marianne Birthler sprach. Sie erinnerte an die Menschen, deren Leben durch die SED-Diktatur zerstört wurde oder die starben. Aber auch sie schlug einen Bogen zum Heute: "Wer Menschen in Schutz nimmt, die
ausgegrenzt, gehasst und gedemütigt werden, der hat verstanden, was wir mit den Kerzen in unseren Händen ausdrücken wollten." Wer sich heute für Klimaschutz einsetze und gegen weltweites Unrecht, Hass und Ausgrenzung seine Stimme erhebe, stehe in der Tradition der "89er", sagte Birthler.
"Neue Mauern" einreißen
Zur Eröffnung der Show appellierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an die Deutschen, seit 1989 neu entstandene Mauern in der Gesellschaft wieder einzureißen. Die Berliner Mauer sei weg. Aber in Deutschland seien "neue Mauern entstanden, Mauern aus Frust, Mauern aus Wut und Hass, Mauern der Sprachlosigkeit und der Entfremdung." Jeder Mensch im Land könne dazu beitragen, sie wieder einzureißen. "Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen ausgegrenzt und angegriffen werden", dass die Demokratie verhöhnt werde, so der Bundespräsident.
Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), rief dazu auf, die Werte des Friedens, der Freiheit und der Demokratie zu verteidigen. Man müsse damit "Populisten, die Hass und Hetze verbreiten", entgegen treten. Müller erinnerte zugleich an die Opfer der SED-Diktatur und die Menschen in der früheren DDR, die für ihre Freiheit gekämpft haben. Die friedliche Revolution sei eine unglaubliche Leistung gewesen, die großen Mut erfordert habe.
Während der Show schwebte über den Köpfen der Zuschauer auf der Straße des 17. Juni die 150 Meter lange Kunstinstallation "Visions in Motion": Auf rund 100.000 bunte Stoffstreifen hatten Berliner ihre Wünsche und Hoffnungen geschrieben. Die Kunstinstallation war abends beleuchtet und von weitem zu sehen, genau wie die Bühne mit mehreren Großleinwänden, auf denen die Zuschauer das Geschehen verfolgen konnten.
Mauerspalten voll Rosen, Erinnerungen auf Stoff
Rosen im Mauerspalt
Vor der Show am Brandenburger Tor fanden in Berlin weitere Veranstaltungen zum Mauerfall-Jubiläum statt. Bei einer zentralen Gedenkfeier auf dem früheren Todesstreifen an der Bernauer Straße wurde am Vormittag der Maueropfer gedacht. Mehrere Hundert Menschen nahmen teil, auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kamen. Zur Erinnerung an den Mut der DDR-Opposition im Herbst 1989 wurden Kerzen angezündet - Symbole des gewaltlosen Widerstands in der DDR. In einen Spalt der Mauer wurden zudem zahlreiche Rosen gesteckt.
Osteuropäische Staatspräsidenten zu Gast
Auch ausländische Gäste wie die Staatspräsidenten der Slowakei, Polens, Tschechiens und Ungarns, Zeitzeugen und Schüler nahmen an den Feierlichkeiten in der zentralen Mauer-Gedenkstätte teil. Bundespräsident Steinmeier dankte den Menschen in diesen Ländern für ihren Beitrag zur Wiedervereinigung. Ohne deren Mut und Freiheitswillen wäre etwa die deutsche Einheit nicht möglich gewesen, sagte er.
Bundeskanzlerin Merkel rief bei einer Andacht in der Kapelle der Versöhnung an der Bernauer Straße dazu auf, Hass, Rassismus und Antisemitismus entschlossen entgegenzutreten. Der Tag sei ein Schicksalstag für die Deutschen und vereine mit den Novemberpogromen von 1938 und dem Fall der Mauer 1989 die "fürchterlichsten und glücklichsten Momente in der deutschen Geschichte", so Merkel. Zugleich forderte die Kanzlerin die Menschen auf, sich nicht entmutigen zu lassen. "Keine Mauer, die Menschen ausgrenzt und Freiheit begrenzt, ist so hoch oder so breit, dass sie nicht doch durchbrochen werden kann."
Symbolische Mauer durchs Olympiastadion
Auch der Berliner Fußballverein Hertha BSC zollte am Samstag dem Mauerfall-Jubiläum vor 30 Jahren Tribut: Vor dem Bundesliga-Spiel gegen RB Leipzig am Nachmittag hatte der Verein mit seinen Fans die Vergangenheit aufleben lassen. Auf der Mittellinie im Olympiastadion baute der Verein symbolisch den einstigen Grenzwall nach. Vor der Kurve der Hauptstadt-Fans war eine weitere kleine Mauer aufgebaut.
Kurz vor dem Anpfiff wurden die Bauwerke dann eingerissen. Zudem liefen auf den Leinwänden historische Bilder, über Lautsprecher knatterte ein Trabi-Motor durch das Berliner Olympiastadion. Dazu trugen die Berliner in der Partie ein Sondertrikot mit einem Berliner Bären anstatt Werbung.
"Erzähle deine Geschichte"
Der rbb hat zum 30. Jahrestag des Mauerfalls am 9. November ein Projekt gestartet, bei dem Bürgerinnen und Bürger berichten konnten, was sie seitdem erlebt haben - mit dem Titel "Erzähle deine Geschichte - vom Mauerfall bis heute". Zum Auftakt am Samstag gab es im Sony-Center am Potsdamer Platz auch Talkrunden und Live-Musik.
Bis zum 3. Oktober 2020, dem 30. Jahrestag der Wiedervereinigung, ist das Erzählmobil, ein rollendes Mini-Studio, dafür in Berlin und Brandenburg unterwegs. Die Interviews sind auf www.rbb-deine-geschichte.de zu sehen.
Veranstaltungen an sieben historischen Orte
Bereits seit dem 4. November, dem 30. Jahrestag der größten Demonstration im Wendeherbst auf dem Alexanderplatz, war in der Hauptstadt gefeiert worden. An sieben Orten in Berlin wurde in der Festwoche besonders an die Ereignisse erinnert, die zum Mauerfall führten. Am Alexanderplatz, der Gethsemanekirche, am Brandenburger Tor, dem Kurfürstendamm, der ehemaligen Stasizentrale in der Ruschestraße, der East Side Gallery und dem Humboldt-Forum waren etwa nach Einbruch der Dunkelheit Videoprojektionen zu sehen. Die "sprechenden Fassaden" erzählten ortsspezifische Geschichten mit historischen Filmaufnahmen.
Bernauer Straße als Symbol der Teilung
Mit dem 9. November 1989 ging die deutsche Teilung nach rund 40 Jahren zu Ende, die Berliner Mauer selbst hatte mehr als 28 Jahre Bestand. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen starben an der etwa 160 Kilometer langen Mauer in der Hauptstadt mindestens 140 Menschen durch das DDR-Grenzregime.
Die Bernauer Straße gilt als Symbol der deutschen Teilung. Als die Mauer 1961 hochgezogen wurde, lag die Häuserfront der Straße im Osten, der Bürgersteig im Westen.
Sendung: Inforadio, 09.11.2019, 10 Uhr