Insgesamt 139 Menschen aus Berlin und Brandenburg bewerben sich fürs Europaparlament - acht von ihnen sitzen dort bereits. Ska Keller und Martin Schirdewan sind Spitzenkandidaten bei großen Parteien, Martin Sonneborn und Yanis Varoufakis bei kleinen.
Auf dem fast einen Meter langen Stimmzettel bei der Europawahl tummeln sich 80 Kandidatinnen und Kandidaten aus der Region. Wenn am Sonntag, 26. Mai, das neue Europaparlament und 96 deutsche Abgeordnete gewählt werden, stehen allein auf den Stimmzetteln 65 Berlinerinnen und Berliner sowie 15 Brandenburgerinnen und Brandenburger. Insgesamt kommen 139 der insgesamt 1.293 deutschen Bewerber aus der Region.
Mit Ska Keller (Grüne) und Martin Schirdewan (Linke) sind gleich zwei von ihnen die Spitzenkandidaten bei einer der großen Parteien, die sicher ins Europaparlament einziehen werden. Beide sitzen bereits in Straßburg und Brüssel.
Plastikmüll, Sommerzeit, Kohlenstoffdioxid: EU-Themen bewegen zunehmend auch die Menschen in Berlin und Brandenburg - fast fünf Millionen von ihnen wählen am 26. Mai das Europaparlament für die nächsten fünf Jahre. Die wichtigsten Infos zur Wahl im Überblick.
CDU stellt Landeslisten auf
Sie werden genauso sicher wieder im Europaparlament sitzen wie die beiden Spitzenkandidaten der CDU-Listen in Berlin (Hildegard Bentele) und Brandenburg (Christian Ehler). Der Potsdamer Ehler sitzt bereits seit 2004 im Europaparlament - so lange wie kein anderer Politiker aus der Region. Die Christdemokraten sowie die Schwesterpartei CSU in Bayern treten als einzige Partei in Deutschland mit Landeslisten an, alle anderen 39 Parteien mit einer Bundesliste. Insofern gibt es bei der CDU auch die einzigen Unterschiede zwischen dem Berliner und Brandenburger Stimmzettel.
Auch die Berliner Spitzenkandidatin der SPD, Gabriele Bischoff, wird es ins Europaparlament schaffen. Sie steht auf Platz neun der Bundesliste, was reichen wird, solange die Sozialdemokraten ein zweistelliges Ergebnis einfahren. Kaum Chancen hat dagegen die Brandenburger Spitzenkandidatin Maja Scarlett Wallstein, die erst kurzfristig für Simon Vaut eingesprungen war, aber mit Platz 22 nur von einem enorm überraschenden Wahlerfolg der SPD profitieren würde. Im Grunde kann als Faustregel gerechnet werden, dass pro Prozentpunkt in Deutschland ein Kandidat der entsprechenden Partei ins Europaparlament einzieht. Die Ergebnisse in den einzelnen Bundesländern sind für die Vergabe der Plätze nicht relevant.
41 Parteien treten in Deutschland mit insgesamt 1.293 Kandidaten bei der Europawahl an. Doch wie sind ihre Positionen in der Außen-, Finanz- und Umweltpolitik? Über die Standpunkte können Sie sich im Wahl-O-Maten der Bundeszentrale für politische Bildung informieren.
Viele Grüne leben in Berlin
Aussichtsreich sind deshalb einige "Berliner" Grüne. Die ersten zehn Listenplätze dürften auf jeden Fall reichen, da die Grünen je nach Prognosen bis zu 20 Abgeordnete ins Europaparlament entsenden könnten - neben Spitzenkandidatin Keller leben und wohnen auch Reinhard Bütikofer, Hannah Neumann, Anna Cavazzini und Erik Marquardt in Berlin, auch wenn etwa Cavazzini die offizielle Kandidatin für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ist. Auch Sergey Lagodinsky auf Listenplatz 12 sollte es nach Straßburg und Brüssel schaffen.
Auch die Spitzenplätze der Linken sind regional geprägt. Hinter dem Spitzenkandidaten Schirdewan stehen mit Helmut Scholz (Brandenburg) und Martina Michels (Berlin) zwei weitere Kandidaten auf aussichtsreichen Plätzen, die beide bereits im Europaparlament sitzen. Malte Fiedler besetzt dagegen den wackligen achten Listenplatz, der laut aktuellen Prognosen der sein dürfte, der als letzter knapp zum Einzug ausreicht - oder eben knapp nicht.
Bei der AfD wird der gebürtige Hamburger Publizist Nikolaus Fest, der dem Berliner Landesverband angehört, auf Position sechs sicher ins Europaparlament einziehen. Thorsten Weiß muss auf Position 14 ebenso zittern wie Michael Adam auf Position 17. Carl Grouwet bei der FDP dürfte es auf Listenplatz 12 nach aktuellen Prognosen wohl nicht ins Europaparlament schaffen.
Die Kleinen
Da es bei der Europawahl zurzeit keine Sperrklauseln gibt, hoffen auch wieder zahlreiche Kleinparteien auf die Absendung ihrer Spitzenkandidaten nach Europa. Mehr als einen Platz wird allerdings kaum eine der 34 kleinen Parteien, die nicht im Bundestag sitzen, nach Straßburg schicken. Aus Berliner Sicht sind Die Partei (Martin Sonneborn), die NPD (Udo Voigt) sowie die in mehreren Ländern antretende internationale Bewegung Demokratie in Europa DiEM25 (Yanis Varoufakis) wegen ihrer Spitzenkandidaten interessant, wobei Sonneborn und der ehemalige griechische Finanzminister Varoufakis über den Wohnort Berlin nach Straßburg schielen.
Auch die Sozialistische Gleichheitspartei SGP (Christoph Vandreier), die Grauen (Michael Schulz), die Partei für Gesundheitsforschung (Felix Werth) und die paneuropäisch aktive Partei Volt (Damian Boeselager) stellen in Berlin lebende Spitzenkandidaten. Sollte eine dieser Parteien etwa 0,6 Prozent der deutschen Stimmen erhalten, könnte es für einen Platz reichen. Zumindest war das bei der Wahl vor fünf Jahren die Grenze für die Kleinparteien, weshalb unter anderem Sonneborn und Vogt bereits im Europaparlament sitzen.
Die Skurrilen
Der Stimmzettel zur Europawahl ist übrigens nicht nur wegen seiner Länge bemerkenswert - zumal am Ende ja nur ein einziges Kreuz gesetzt werden muss.
So treten gleich vier Parteien an, die sich dem Tierschutz verschrieben haben, und sich womöglich gegenseitig Wähler wegnehmen. Die nach wie vor satirisch arbeitende Die Partei geht neben Sonneborn mit dem unter anderem aus der "heute show" (ZDF) bekannten Poetry Slammer Nico Semsrott an den Start. Dahinter haben es acht politisch unbekannte Menschen auf die Wahlzettel geschafft, die vor allem wegen ihrer Namen - alle anspielend auf den Zweiten Weltkrieg - ausgewählt wurden. Die Rechte tritt mit der verurteilten Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck als Spitzenkandidatin an, Bernd Lucke und die Konservativ-Liberalen Reformer mit - natürlich - dem ehemaligen AfD-Spitzenkandidaten Bernd Lucke.
International sind etwa die Fernsehköchin Sarah Wiener auf Listenplatz zwei der österreichischen Grünen, der ehemalige Weltklasse-Tennisspieler Ilie Nastase für die rumänische Kleinpartei UNPR, der ehemalige Kosmonaut Ivan Bella für die fremdenfeindliche slowakische Partei "Wir sind Familie" und der ehemalige Basketball-Profi Sarunas Marciulionis für die litauische Regierungspartei der Bauern und Grünen im Rennen um die Plätze im Europaparlament.
Besonders namhaft geht es in Italien zu, wo neben dem früheren Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, wegen Steuerhinterziehung verurteilt, auch gleich zwei Nachfahren des faschistischen Diktators Benito Mussolini bewerben: Alessandra (Enkelin) und Caio Giulio Cesare (Urenkel), beide sind dem konservativen Lager zugehörig, Alessandra wie Berlusconi für "Forza Italia", Caio Giulio Cesare für die "Fratelli d'Italia".
Sarunas Marciulionis
Spitzenkandidaten aus Berlin und Brandenburg
Bild: dpa/Pleul
Christian Ehler, CDU, Potsdam (Listenplatz 1 in Brandenburg)
Bild: dpa/Riedl
Hildegard Bentele, CDU, Berlin (Listenplatz 1 in Berlin)
Bild: Privat
Jesko von Samson, CDU, Brandenburg (Listenplatz 2 in Brandenburg)
Bild: dpa/Jörg Carstensen
Carsten Spallek, CDU, Berlin (Listenplatz 2 in Berlin)
Die Europawahl findet alle fünf Jahre statt. Um verschiedene Traditionen zu berücksichtigen, ist ein Zeitkorridor zwischen dem 23. und dem 26. Mai anberaumt. Der genaue Wahltag wird von den Mitgliedstaaten festgelegt, in Deutschland ist es wie in den meisten anderen Ländern der Sonntag, 26. Mai. Die amtlichen Ergebnisse aus allen EU-Staaten dürfen frühestens am Sonntagabend um 23 Uhr veröffentlicht werden, weil dann die letzten Wahllokale in der EU schließen. In Deutschland sind die Wahllokale von 8 bis 18 Uhr geöffnet.
Wer wird gewählt?
Das Europaparlament hat 751 Abgeordnete. Sollten die Briten noch vor der Wahl aus der EU austreten, schrumpft das Parlament auf 705 Abgeordnete. Für jedes Land ist eine feste Zahl von Abgeordneten festgelegt, die von der Bevölkerungszahl abhängt. Deutschland hat mit 96 Sitzen die mit Abstand meisten Mandate.
Wer darf wählen?
In Deutschland wie in fast allen EU-Staaten liegt das Mindestalter für die Stimmabgabe bei 18 Jahren. Ausnahmen sind Griechenland (17 Jahre) sowie Österreich und Malta (16 Jahre). Deutsche, die in einem anderen EU-Staat wohnen, können selbst entscheiden, ob sie die Europaabgeordneten ihres Gastlandes mitwählen wollen oder die deutschen Vertreter im Europaparlament. Umgekehrt sind auch Bürger anderer EU-Staaten in der Bundesrepublik wahlberechtigt, wenn sie seit mindestens drei Monaten hier leben und mindestens 18 Jahre alt sind. Allerdings müssen sie sich entscheiden, ob sie hier oder in ihrem Heimatland ihre Stimme abgeben wollen. Ein doppelte Stimmabgabe in beiden Ländern ist verboten.
Wie viele Wahlberechtigte gibt es in der EU?
In den 28 EU-Staaten sind nach einer Schätzung des EU-Parlaments dieses Mal rund 427 Millionen Bürger wahlberechtigt. Ohne die Briten wären es demnach etwa 373 Millionen. In Deutschland gibt es laut Bundeswahlleiter 64,8 Millionen Wahlberechtigte. 3,9 Millionen von ihnen sind Bürger aus anderen EU-Staaten.
Wieviel Macht hat das Europaparlament?
Das Europaparlament stimmt gleichberechtigt mit dem Rat der Mitgliedstaaten über Gesetzesvorhaben ab. Ohne das Parlament können auf EU-Ebene keine gesetzgeberischen Regelungen beschlossen werden. Jährlich mitbeschließen muss das Parlament auch den zuletzt rund 160 Milliarden Euro schweren EU-Haushalt. Ausgenommen von den Mitentscheidungsrechten sind lediglich die Außen- und die Steuerpolitik.
Gesetzesinitiativen kann das Parlament wie der Rat nicht einbringen. Es kann die EU-Kommission nur auffordern, dies zu tun. Deren Präsident muss vom Parlament gewählt werden, auch der Ernennung der EU-Kommissare als Gesamtpaket muss das Parlament zustimmen. Das Parlament kann die Kommission zudem durch ein Misstrauensvotum zum Rücktritt zwingen.
Gibt es bei der Wahl Sperrklauseln?
Etwas mehr als die Hälfte der EU-Staaten (15 von 28) haben Sperrklauseln zwischen 1,8 und 5,0 Prozent. In Deutschland gibt es anders als bei der Bundestagswahl für die Parteien derzeit keine Mindesthürde für die Entsendung von Abgeordneten ins Parlament - die wurde vor der letzten Europawahl 2014 aufgehoben, weshalb erstmals auch Vertreter von kleineren Parteien wie der Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP), Familien- oder Tierschutz-Partei ins Europaparlament einzogen. Zehn Abgeordnete aus acht Parteien profitierten von der Aufhebung der Sperrklausel. Für einen Sitz reichten rund 0,6 Prozent der abgegebenen Stimmen.
Warum gibt es Spitzenkandidaten?
Fast jede europäische Partei oder Fraktion im Parlament hat EU-weite Spitzenkandidaten aufgestellt. Das soll dem länderübergreifenden Wahlkampf zum einen ein Gesicht geben.
Zum anderen wurde dem Europaparlament mit dem Reformvertrag von Lissabon ein Mitspracherecht bei der Bestimmung des Präsidenten der Europäischen Kommission zugesprochen. Zuvor hatten über Jahrzehnte die EU-Staats- und Regierungschefs den Präsidenten in Hinterzimmerdeals bestimmt. Die Parteien stellten deshalb bei der Europawahl 2014 erstmals "Spitzenkandidaten" auf. Mit dem Konservativen Jean-Claude Juncker wurde damals einer von ihnen Kommissionschef. Die EU-Staats- und Regierungschefs sehen in der Personalfrage aber "keinen Automatismus", was nach der Wahl zu Konflikten führen kann.
Wie hoch war zuletzt die Wahlbeteiligung?
Seit der ersten Wahl zum Europäischen Parlament im Jahr 1979 ging die Wahlbeteiligung EU-weit stetig zurück. Bei der letzten Wahl 2014 lag sie nur noch bei 42,61 Prozent. In Deutschland gab es vor fünf Jahren dagegen einen deutlichen Anstieg: Damals nahmen 48,1 Prozent der Wahlberechtigten teil (2009: 43,3 Prozent), was auch damit zusammenhing, dass in mehreren Bundesländern parallel weitere Wahlen abgehalten wurden. Die Berlinerinnen konnten über die Nutzung des Tempelhofer Feldes entscheiden, in Brandenburg fanden wie in zahlreichen weiteren Bundesländern auch Kommunalwahlen statt.
7 Kommentare
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Eine ziemlich willkürliche Kritik angesichts der Tatsache, dass nicht alle europäischen Länder auf einmal in die EU kamen. Was wurde die EU-Osterweiterung kritisiert, es wären zu viele Länder dabei? Was wurde und wird moniert, mit so vielen Staaten sei eine Entschlussfindung viel zu schwierig? Sie scheinen da unterschiedliche Dinge miteinander künstlich in Verbindung zu bringen.
Die Länder der EU in lediglich wirtschaftlichen Verbdinungen miteinander zu halten, hat uns dahin geführt, wo wir heute sind: in einer neoliberalen Wirtschaftsordung, der alles untergeordnet wird, Menschenrechte inklusive. Der Ursprung so vieler Rechtspopulist*innen liegt genau in dem Klima der Entsolidarisierung, das der Neoliberalismus fördert.
Die EU hat dennoch eklatante Fehler: machtloses Parlament, Korruption, Lobbyismus, Missachtung von Menschen- u. Völkerrecht im Zusammenhang mit der Kriminalisierung v. Migration und Asyl, Duldung v. Demokratieabbau (z.B. P, HUN, AUT, ITA).
Zum 1000sten Mal: die EU sind 28 Staaten, Europa hat 47! Die Grundidee der EU ist gut und richtig. Leider wurden viele Fehler gemacht, es wurden Verträge geschlossen... und gebrochen. Versprechungen wurden gemacht... und nicht eingehalten. Eine Wirtschaftsgemeinschaft finde ich richtig, den Einheitsstaat falsch.
Wer sich informiert weiß, dass mindestens drei in Berlin sehr aussichtsreiche Parteien für höhere soziale Standards in EUropa kämpfen, insofern ist Ihre Kritik ziemlich platt.
Sie glauben doch nicht im Ernst, das nur einer von denen sich um das normale Volk kümmert und an Europa denkt. Ist man wirklich so naiv oder bekommt man das bezahlt?
Tja, lieber Eisbär, vielleicht denken Sie nochmal darüber nach wenn Ihnen die Scholle unter den Tatzen weg getaut ist.
USA, China und die Russen warten nur darauf das Europa in Kleinstaaterei zerfällt. Wie wenig Sachverstand muss man haben das nicht zu erkennen?
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Es geht schon lange nicht mehr um Europa, es geht doch nur um Posten im Parlament um sein Schäfchen im trockenen zu haben.
Im heimischen Olympiastadion hat Hertha BSC in dieser Saison weiter Probleme. Zweimal gingen die Berliner gegen Ulm in Führung und doch reichte es am Ende nur für ein Unentschieden. Auch, weil der vermeintliche Siegtreffer aberkannt wurde.