Bundeswehr sucht Nachwuchs - Influencer-Soldat:innen zeigen ihren Alltag auf Tiktok und Co.
Mit Einblicken in ihr Berufsleben erreichen Soldat:innen über Social Media Hunderttausende. Die Bundeswehr befürwortet die als privat gekennzeichneten Auftritte. Doch die Nachwuchsstrategie stößt auch auf Kritik. Von J. Barke, C. Rubarth und J. Wintermantel
"Moin Kinners! Ich hoffe, ihr seid gut in den Tag gestartet!", sagt Aileen-Tina H. gut gelaunt in die Kamera ihres Smartphones. H. ist als "diefrauhauptmann" auf allen relevanten Social-Media-Kanälen wie Instagram und Tiktok unterwegs. Dort zeigt sie sich zwischen Fitness-, Festival- und Urlaubsaufnahmen auch – und vor allem - in ihrer Rolle als Bundeswehrsoldatin beim Kommando Heer in Strausberg. Über 20.000 Follower:innen nimmt H. regelmäßig in ihren Berufsalltag mit – auf ihrem als privat gekennzeichneten Social Media Accounts.
Sie erzählt von ihrem Termin als Presseoffizier mit dem Bundespräsidenten, von ihrem Auslandseinsatz im Irak, zu dem sie sich 2020 freiwillig meldete oder von einem ganz besonderen Geschenk ihrer Kameraden: "So Leute, ich muss euch jetzt was Unglaubliches zeigen." Hinter H. taucht ein Panzer auf. Darauf steht in großen Lettern "Aileen-Tina" – die Besatzung hat das Fahrzeug nach ihr benannt. "Was ist das für eine krasse Ehre?" fragt H. aus dem Off, während sie ein Herz mit ihren Händen formt.
Bilder aus dem Berufsalltag
Wer regelmäßig in den sozialen Medien unterwegs ist, stößt schnell auf ähnliche Kanäle von Soldat:innen, die im Influencer-Stil mit positiver Tendenz aus ihrem Berufsalltag berichten. Die Bundeswehr befürwortet das ausdrücklich. "Die Bundeswehr ist Teil unserer Gesellschaft. Wir wollen dies sichtbar machen, über unseren Auftrag, unsere Aufgaben und unseren beruflichen Alltag informieren. Dabei spielen unsere offiziellen Auftritte, aber natürlich auch die unserer Soldatinnen und Soldaten, eine große Rolle", so eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums auf Anfrage von rbb|24. Insofern würden die als privat gekennzeichneten Online-Auftritte befürwortet, wenn die in den Social-Media-Guidelines zusammengefassten Regeln berücksichtigt werden, so die Sprecherin.
Die Inhalte produzieren die Soldat:innen selbstständig und selbstverantwortlich. Wichtig ist der Bundeswehr: Es muss klar erkennbar sein, ob persönliche Meinungen oder die Sicht des Verteidigungsministeriums oder der Bundeswehr dargestellt werden, betont die Sprecherin. So steht es auch in den genannnten Social-Media-Guidelines [www.bundeswehr.de]. Auf den Diensthandys der Bundeswehr ist Tiktok hingegen seit Jahren verboten – aus Datenschutzgründen.
Bundeswehr mit Nachwuchsproblemen
Die Bundeswehr braucht dringend Nachwuchs. Bis 2031 soll ihr Personalbestand auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten anwachsen. Dieses Ziel ist Teil der sogenannten Trendwende Personal, die 2016 die damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ausgerufen hatte. Nach einer längeren Phase des Personalabbaus ist die Zahl der Soldat:innen bis Oktober dieses Jahres auf 181.600 gestiegen.
In den letzten zehn Jahren wurden nach Angaben des Verteidigungsministeriums durchschnittlich 19.900 Soldat:innen pro Jahr eingestellt. Doch allein um etwa die altersbedingten Abgänge auszugleichen, bräuchte die Truppe rund 20.000 Neuzugänge pro Jahr, wie die Tagesschau berichtet [tagesschau.de]. Das angestrebte Wachstum ist damit also noch nicht abgedeckt – und das gesteckte Ziel wurden noch vor der von Olaf Scholz ausgerufenen sogenannten Zeitenwende nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgerufen.
Offizielles Arbeitgeber-Marketing
Der Anmutung der Videos der Influencer:innen auf ihren privaten Accounts kann ganz unterschiedlich sein. Bei Panzerkommandant Joshua K. etwa, der auf Tiktok als "CinematicSergeant" große Reichweiten erzielt, wirken die Videos zum Teil wie Ausschnitte aus einem Videospiel. Die Zuschauer folgen K. und seinem Panzer samt Besatzung durch die Wildnis, aus dem Off schallen Funksprüche, im Hintergrund surren Beats, während K. mit einer Maschinenpistole posiert. Aileen-Tina H. alias "diefrauhauptmann" setzt dagegen eher auf eine Ansprache, wie man sie von Lifestyle-Influencerinnen kennt – nah dran, persönlich, immer per Du.
Im Zusammenspiel mit dem Arbeitgebermarketing auf den offiziellen Kanälen der Bundeswehr, in Podcasts, Plakatkampagnen und Web-Serien wie "Die Rekruten" oder "Explorers" sollen junge Menschen angesprochen und ihr Interesse für die Bundeswehr geweckt werden. In der Tiktok-Serie "Explorers" schickte die Bundeswehr in diesem Jahr vier Influencer:innen aus dem Unterhaltungsbereich in verschiedene "Challenges", in denen zwei Teams in Gameshow-Manier gegeneinander antreten.
"Dann stehe ich dazu, mein Vaterland zu verteidigen"
Bei Leni Straub kommt das gut an. Die 17-jährige Potsdamerin macht bald Abitur und hat danach schon einen ziemlich konkreten Plan: Grundausbildung bei der Bundeswehr und anschließend zum ABC-Abwehrkommando. ABC - das steht für atomare, biologische und chemische Waffen, erklärt die naturwissenschaftlich begeisterte Leni Straub. Sie scrollt durch den Tiktok-Account von Aileen-Tina H. alias "diefrauhauptmann". "Ich finde es sehr toll, dass sie die Bundeswehr nicht so hart darstellt. Sondern eher cool, lässig", erklärt die Schülerin. Ursprünglich hatte sie die Idee zur Bundeswehr zu gehen, von ihrem Bruder, der selbst als Panzergrenadier bei der Bundeswehr dient.
Was sie an der Bundeswehr reizt, ist die Finanzierung der Ausbildung, der Sport – und sie erhofft sich, im Alltag organisierter zu werden. Auch ein möglicher Kampfeinsatz schreckt Leni nicht ab, wie sie in selbstbewusstem Ton unterstreicht: "Falls der Krieg näherkommt, dann stehe ich dazu, mein Vaterland zu verteidigen."
Mitarbeiter:innen als Markenbotschafter:innen
Für Olaf Hoffjann, Professor für Kommunikationswissenschaft, Organisationskommunikation und Öffentlichkeitsarbeit an der Uni Bamberg, geht die Bundeswehr mit ihrer Social Media-Strategie genau den richtigen Weg - gerade mit dem Schwerpunkt auf "Corporate Influencer", also Mitarbeitende, die als Markenbotschafter:innen fungieren. "Normale Beschäftigte werden eben als glaubwürdiger wahrgenommen als etwa ein Vorstandsvorsitzender, der offiziell spricht." Das funktioniere bei vielen Unternehmen sehr, sehr erfolgreich.
Er kennt den Vorwurf, dass Werbemaßnahmen der Bundeswehr den Krieg verharmlosen oder den Soldatenberuf unrealistisch darstellen. Jungen Menschen sei heute jedoch – auch vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs – so bewusst wie nie, was Krieg bedeute und welches menschliche Leid damit verbunden sei. "Ich finde, dass wir uns als Gesellschaft ehrlich machen sollten. Wenn wir mehrheitlich der Meinung sind, dass wie eine stärkere Bundeswehr brauchen, dann brauchen wir eben auch mehr Soldaten", sagt Hoffjann. "Dann muss man der Bundeswehr auch ermöglichen, junge Menschen mit modernen Werbemaßnahmen wie bei Tiktok anzusprechen." Mit Blick auf die Reichweiten, die die Bundeswehr auf Social Media erzielt, spricht Hoffjann von einem großen Erfolg.
Leichter Anstieg bei Bewerbungen und Einstellungen
Nach Einschätzung des Verteidigungsministeriums, zahlen sich die Maßnahmen der "Task Force Personal" inklusive analoger und digitaler Werbeanzeigen aus. So seien die Bewerbungszahlen 2024 im Vergleich zum Vorjahrzeitraum um 18 Prozent gestiegen. Die Zahl der Einstellungen über alle militärischen Laufbahnen hinweg liege bei rund zehn Prozent über dem Vorjahresniveau. Leicht zugenommen hat zudem die Anzahl der minderjährigen Rekrutinnen und Rekruten. Mit Einverständnis der Erziehungsberechtigten kann man bereits mit 17 zur Bundeswehr gehen. Lag der Anteil der 17-Jährigen 2022 bei 9,4 Prozent, waren es 2023 10,6 Prozent.
Wenn Wirklichkeit und Realität auseinanderklaffen
Mirco Liefke sieht den Auftritt der Bundeswehr deutlich kritischer. Liefke arbeitet als Soziologe am Institut für Kommunikationswissenschaft und Publizistik der FU Berlin. Hier beschäftigt er sich unter anderem mit Unternehmenskommunikation und ihrer Wirkung auf die Öffentlichkeit. "Schwierig ist es, wenn Bild und Wirklichkeit allzu sehr auseinanderklaffen. Wenn durch Gamification Krieg und Gewalt als etwas Spielerisches dargestellt wird, dann erweckt man falsche Erwartungen an das, was die Bundeswehr tatsächlich leistet", erklärt Liefke. Unter Gamification versteht man die Übertragung von typischen Computerspiel-Elementen in andere Bereiche. Diese Elemente entdeckt Liefke in zahlreichen Videos – etwa beim Panzerkommandanten "CinematicSergeant" im Ego-Shooter-Look oder in Videos des offiziellen Karriere-Accounts der Bundeswehr, in denen durch "Do’s and Dont’s" – unterlegt mit Gameshow-Musik – die korrekte Kleiderordnung in der Kaserne vermittelt wird.
"Bei alldem steht das Spielerische im Vordergrund", so Liefke. "Wenn man sich aber die Lebenswirklichkeit von Soldatinnen und Soldaten anschaut, ist das mit Sicherheit nicht der überwiegende Anteil ihrer Arbeit." Außerdem kämen die teils sehr jungen Menschen der Zielgruppe unvermittelt in Kontakt mit der Bundeswehr – anders als etwa bei Schulbesuchen, in denen das Thema von Lehrkräften kritisch eingeordnet werden könnte.
"Man muss die Sprache sprechen, die die jungen Leute verstehen"
Aileen-Tina H. alias "diefrauhauptmann" in Strausberg verteidigt die Werbe-Strategie ihres Arbeitgebers – der müsse immer wieder neue Wege gehen, um auch die Generation Z zu erreichen. "Man muss die Sprache sprechen, die die jungen Leute verstehen." H. wehrt sich gegen den Vorwurf, dass der Social Media Content ein verzerrtes Bild des militärischen Alltags – und auch der Lebensgefahr – zeichne.
Die Ansprache über die sozialen Medien sei immer nur ein erster Kontakt. Wer sich wirklich für eine Laufbahn bei der Bundeswehr entschließt, für den führe kein Weg am Karriereberatungsbüro der Bundeswehr vorbei. "Da wird man explizit damit konfrontiert, was es heißt, Soldat zu sein. Und da gehört das scharfe Ende des Berufes – so nennen wir das – nun mal mit dazu. Das wird dort immer thematisiert." Das scharfe Ende des Berufs – gemeint ist damit der Tod.
Sendung: rbb24 Abendschau, 22.11.2024, 19.30 Uhr