Razzia bei Generalstaatsanwaltschaft - Ermittlungen gegen Staatsanwalt: Lebt die "Hitlerjugend" weiter?
Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt gegen einen Juristen der Generalstaatsanwaltschaft Brandenburg. Dem Mann wird nach Recherchen von "Kontraste" und "Zeit" vorgeworfen, die seit 2010 verbotene rechtsextreme HDJ weiterzuführen. Von S. Duwe, H. Reintjes und M.Wölfle
Es ist Ende Januar, als die Berliner Polizei am Stadtrand eine ungewöhnliche Razzia durchführt. Das Landeskriminalamt Berlin ermittelt gegen einen Staatsanwalt aus Brandenburg. Auch sein Arbeitsplatz bei der Generalstaatsanwaltschaft in Brandenburg an der Havel wird durchsucht. Einer der Vorwürfe: Der Staatsanwalt soll nach Recherchen des ARD-Politikmagazins "Kontraste" und der Wochenzeitung "Die Zeit" im Verdacht stehen, die verbotene rechtsextreme "Heimattreue Deutsche Jugend" (HDJ) als Mitglied oder Unterstützer fortgeführt zu haben.
Die HDJ zählte bis zu ihrem rechtskräftigen Verbot im Jahr 2010 zu den radikalsten Neonazi-Gruppen in Deutschland. Nun liegen dem Landeskriminalamt Berlin Hinweise darüber vor, dass es eine Nachfolgeorganisation der HDJ geben könnte. Die Ehefrau des Staatsanwalts hatte ihn bei der Polizei angezeigt, sie lebt mittlerweile von ihm getrennt. Ob sich die Vorwürfe am Ende erhärten, ist derzeit unklar.
Eine neue "Heimattreue Deutsche Jugend"?
Die 1990 gegründete HDJ trat wie eine Pfadfindergruppe auf, veranstaltete scheinbar harmlose Ferienfahrten - auf denen Kinder beispielsweise das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 aus Holz sägten. Familien, die ihre Kinder zur HDJ schickten, hatten einen völkisch elitären Anspruch und das Ziel, ihren fanatischen Rassismus und Antisemitismus an Kinder und Jugendliche weiterzugeben.
Im Jahr 2009 wurde die HDJ vom damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) verboten, 2010 wurde das Verbot rechtskräftig. Laut der damaligen Verbotsverfügung bestehe eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus, sie stehe in der Tradition der früheren Hitlerjugend, habe deren Sprachgebrauch, Liedgut und Symbolik übernommen. Laut Verbotsverfügung ist auch eine Nachfolgeorganisation der HDJ automatisch verboten.
Dass eine solche Nachfolgeorganisation dennoch existieren könnte, darauf deuten auch zahlreiche Fotos, Flyer, handschriftliche Aufzeichnungen sowie Kalender mit Adlersymbolen hin, die in der Familie und Verwandtschaft des Staatsanwalts kursieren. Diese wurden der "Zeit" zugespielt und zusammen mit "Kontraste" ausgewertet. Das Material stammt mutmaßlich aus dem Inneren der Organisation, die sich möglicherweise "Jungadler" nennt.
Aus den Unterlagen geht hervor, dass die Gruppe mindestens im Zeitraum von 2018 bis 2024 bundesweit Fahrten, Zeltlager und Feiern organisiert hat. Sie reiste unter anderem offenbar in den Harz, den Taunus, das Allgäu oder ins norwegische Narvik. Die Spuren führen zu ehemaligen HDJ-Familien aus Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen oder Berlin. Das Material zeigt auch, dass die Gruppe sehr aktiv zu sein scheint, allein für das "Fahrtenjahr 2020" dokumentiert ein abfotografierter Terminplan 13 Veranstaltungen. Und das alles offenbar unbemerkt von den Sicherheitsbehörden.
Expertin: "Verbot der HDJ wurde offenbar ignoriert"
Der Name "Jungadler" erinnert an den NS-Film "Junge Adler" von 1944, den Propagandaminister Goebbels für besonders wertvoll hielt. Die Gruppe, die sich heute mutmaßlich so nennt, ist offenbar straff organisiert und in einzelne so genannte "Horten" aufgeteilt. In den Unterlagen finden sich Anweisungen für Fahnenappelle und Einladungen zu sogenannten "Führerschulen", in denen die Nachwuchselite der Gruppe ausgebildet wird. Wie auch bei der HDJ wird dabei NS-Kulturgut tradiert.
"Für mich sieht es so aus, als wenn das Verbot der 'Heimattreuen Deutsch Jugen'd wirklich ignoriert würde", sagt die Journalistin Andrea Röpke. Sie recherchiert seit Jahrzehnten zur rechtsextremen Szene, immer wieder hat sie auch Treffen der HDJ dokumentiert. "Es sind einfach ganz klar Parallelen zu erkennen in der Durchführung der Lager, der Durchführung der Schulungen. Sie haben einfach nur ein bisschen die Fahnen geändert, sie haben ein bisschen die Uniformen geändert und dann haben sie das Ganze dezentraler einfach weitergeführt, so muss es uns erscheinen."
Video zeigt Staatsanwalt mit Hitlergruß
Der Staatsanwalt, zu dem ermittelt wird, ist bislang nicht politisch als extremistisch aufgefallen. Frühere Kollegen sagen, er sei unauffällig gewesen, zurückhaltend. In seinem engeren Umfeld befinden sich dagegen ehemalige Funktionäre der HDJ, darunter auch Angehörige.
Und ein Teil der Dokumente, die "Kontraste" und "Zeit" vorliegen, wirft zumindest Fragen nach der Gesinnung des Staatsanwaltes auf. Ein Foto zeigt ihn im Haus seiner Mutter vor einer Bücherwand mit einschlägiger NS-Literatur, darunter auch Hitlers "Mein Kampf". In einem Video erklärt er Kindern, wie man den Hitlergruß macht. In einem anderen rät er wiederum den Kindern davon ab, den Hitlergruß in der Schule zu machen und sagt: "Wenn du das in der Schule machst, haben wir voll die Probleme."
"Zeit" und "Kontraste" haben dem Staatsanwalt einen Fragenkatalog zu den Vorwürfen geschickt. Bislang hat er darauf allerdings nicht geantwortet.
Für die Justiz ein heikler Fall
Die Staatsanwaltschaft Berlin will "Kontraste" und "Zeit" gegenüber offiziell weder bestätigen noch dementieren, dass sie gegen den Staatsanwalt ermittelt. Der Fall ist heikel für die Justiz: Könnte ausgerechnet bei der Generalstaatsanwaltschaft Brandenburg, der obersten Justizbehörde des Bundeslandes, ein Staatsanwalt gearbeitet haben, der mit einer Neonazi-Gruppe sympathisiert - und der früher sogar im Justizministerium in einem Referat gearbeitet hat, das unter anderem für Rechtsextremismus zuständig war?
Bislang ist es nur ein Verdacht gegen den Staatsanwalt, es gilt die Unschuldsvermutung. Doch auch falls sich herausstellt, dass die Vorwürfe unzutreffend sind, hat der Staatsanwalt vielleicht trotzdem ein Problem, das meint zumindest die Bundestagsabgeordnete Martina Renner von der Linken. Und zwar dann, wenn er von der Existenz einer verbotenen Organisation gewusst haben sollte. "Er hat eine Pflicht als Beamter, als Staatsanwalt, insbesondere natürlich Straftaten zu melden, und es geht hier um eine Straftat", so Renner zu "Kontraste".
Die Ermittlungen obliegen der Staatsanwaltschaft. Ob eine Schuld vorliegt, kann nur ein Gericht entscheiden.
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Sendung: Kontraste, 20.02.2025, 23:30 Uhr