Premiere am Berliner Ensemble - Warten auf die Souffleuse

Sa 12.04.25 | 11:22 Uhr
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"Warten auf Godot" von Samuel Beckett im Berliner Ensemble. (Quelle: Berliner Ensemble/Joerg Brueggemann)
Berliner Ensemble/Joerg Brueggemann
Audio: Radio 3 | 12.04.25 | Barbara Behrendt | Bild: Berliner Ensemble/Joerg Brueggemann Download (mp3, 15 MB)

Aus Samuel Becketts "Warten auf Godot" macht der Regisseur Luk Perceval mit Matthias Brandt und Paul Herwig in den Hauptrollen "Warten auf die Souffleuse". Sie sitzt auf der Bühne und weiß schon, wie es ausgeht. Ein Anti-Beckett. Von Barbara Behrendt

 

Matthias Brandt, der grandiose Filmschauspieler, trägt eine Brille mit insektengroßen orangefarbenen Gläsern auf der Nase. Benommen schlurft er auf die Bühne – wie eine Fliege, die gerade gegen eine Scheibe gedonnert ist. Die Haare stehen zu Berge, die Beine stecken in engen Hotpants und zerrissenen Netzstrümpfen. Eine groteske, kuriose Gestalt ist dieser Estragon, genannt Gogo, der die meiste Zeit zerdätscht am Bühnenrand kauert. Vom Tod spricht er und von Trennung.

Sein Gegenpart in der Inszenierung von Luk Perceval am Berliner Ensemble: Paul Herwig als Wladimir, genannt Didi. Ein magerer, blasser Typ in viel zu großen Stoffhosen und ausgeleiertem Wollpullover. Ein alter Clochard, der nicht stillsitzen kann, über die Bühne trippelt, mit der Zunge schnalzt, Melodien summt. Und der nicht aufhören kann, zu hoffen. Irgendwann wird er kommen, der Herr Godot. Und dann sind sie erlöst.

Wer ist dieser Godot? Sein Erfinder, der Autor Samuel Beckett, antwortete darauf: "Wenn ich das wüsste, hätte ich es im Stück gesagt." Seit über 70 Jahren lädt "Warten auf Godot", der Klassiker des Theaters des Absurden, dazu ein, mit den beiden Clowns Didi und Gogo über das Warten, den Sinn des Lebens und die Erlösung zu sinnieren, zu verzweifeln – und zu lachen.

Laut und lustig soll es zugehen

Der belgische Regisseur Luk Perceval zeigt denn auch den unbedingten Willen zum Lustigsein in seiner Berliner Interpretation. Wie ein groteskes Dick-und-Doof-Pärchen sollen Didi und Gogo hier wohl aufeinandertreffen. Sie schreien sich an und können doch nicht ohneeinander. Laut geht es zu auf der Bühne, jeder Satz eine dick unterstrichene Anklage. Von Beiläufigkeit keine Spur.

Und weil am Beckett-Text selbst (das verfügen die Erben) so gut wie nichts geändert werden darf, setzt Perceval Akzente über das körperliche Spiel, den Versuch der Situationskomik. Didi rutscht unentwegt die Hose vom nackten Hintern. Statt der Möhren, die bei Beckett verspeist werden, reicht Didi Wasserbomben, mit denen man sich ins Gesicht spritzt oder bepinkelt. Von einem Kabel an der Decke holt sich der neugierige Didi einen Stromschlag. Es wirkt mehr bemüht als komisch.

Eine Bühne aus Theaterscheinwerfern

Das Kabel gehört zu einem der vielen Scheinwerfer, mit denen die Bühnenbildnerin Katrin Brack den Raum vollgestellt hat. Statt des Beckettschen Baums, unter dem die Beiden warten, stehen sie hier also unter und neben Theaterscheinwerfern. Wie künstliche Augen schauen sie Didi und Gogo an. Aber vor allem, ganz profan: wie Scheinwerfer. Es ist ein Spiel im Spiel. Didi und Gogo befinden sich auf einer Bühne, nicht in der realen Welt.

Später, wenn das zweite Paar auftritt, Oliver Kraushaar und Jannik Mühlenweg als Pozzo und Lucky, Herr und Knecht, wird auch ins Publikum hineingespielt. Wie ein irres Monster, geifernd, mit schiefem Kiefer, Buckel und nur einem Auge, klettert Lucky über die Zuschauer bis in den zweiten Rang.

Pozzo ihm hinterher, sich einen Weg durch die Reihen bahnend. Dazu der Musiker Philipp Hagen, der seine Tuba laut klagen lässt. Eine düstere Unterhaltungsnummer, nicht mehr. Ähnlich befremdlich wie die angedeutete Vergewaltigung zwischen Pozzo und dem armen fußlahmen Gogo.

Die Souffleuse weiß, wie es läuft

Zentral ist dagegen die Rolle der Souffleuse Antonia Schirmer. Sie sitzt auf der Bühne und spricht die Regieanweisungen laut ins Mikrofon. Zur Irritation von Didi und Gogo. Sie können ihr (man muss schließlich beim Beckett-Text bleiben) nichts entgegnen, nehmen ihr aber zwischendurch stumm das Textbuch aus der Hand, blättern darin, hören ihr zu, wie sie den Gang der Figuren über die Bühne beschreibt. Oder "Schweigen" ankündigt. Auch das zeigt: Didi und Gogo sind Theaterfiguren, keine Menschen in der Welt.

Eine von mehreren problematischen Regie-Entscheidungen. Denn die höchst artifiziellen Figuren zwischen Albtraum und Groteske halten einen gehörig auf Abstand. Von der, bei aller Absurdität, auch Einfachheit der Beckettschen Sätze, von der Zuneigung zu den Figuren ist hier wenig spürbar. Keine alten Männer am Straßenrand sind hier zu sehen, sondern künstliche Theaterfiguren im Scheinwerferlicht, die im Lauf der Inszenierung, nach allen Komik-Versuchen, immer mehr im bleiernen Pathos versinken. Nach der Pause bleiben einige Plätze leer im Publikum.

Euer Schicksal ist gemacht

Doch vor allem die Theater-im-Theater-Situation, die Scheinwerfer, die Souffleuse auf der Bühne verkehren letztlich den Beckett zum Anti-Beckett. Egal, was ihr tut, scheinen die gesprochenen Regieanweisungen zu sagen, euer Buch ist schon geschrieben. Euer Text steht fest. Euer Schicksal ist gemacht. Eine höhere Instanz sieht euch und befiehlt euch.

Beckett steht für das Gegenteil. Ein Leben, ohne den Sinn zu kennen, ohne das Wissen, was kommt. Ein ewiges Warten – ohne zu wissen worauf. Der Mensch, der das nicht aushalten kann. Die Hoffnung auf Sinn und Erlösung, die aber nicht eintritt. Oder vielleicht doch. Wer weiß das schon?

Perceval dagegen führt den Theatergott ein. Die allwissende Souffleuse. Das macht im Beckett-Kosmos wenig Sinn. Und leider auch wenig Spaß.

Sendung: rbb24 Inforadio, 12.04.25, 07:55 Uhr

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6 Kommentare

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  1. 6.

    Dass sich die Rezensierende traut, von „Sinn machen“ in einer Theaterkritik zu schreiben. Fassungslos!

  2. 5.

    ....ohne Matthias Brandt und die nach oben angepassten Eintrittspreise - wohl dann doch eher ein Fiasko vor leerem Haus.....

  3. 4.

    Endlich eine Inszenierung, die vor dauerhaft ausverkauftem Haus aufgeführt werden kann und das Berliner Ensemble durch die dann sprudelnden Einnahmen, unabhängig von staat-/stattlichen Subventionen machen wird.

  4. 3.

    Schade, dass man Matthias Brandt, einem grandiose Filmschauspieler, mit einem solchen Müll verbrennt.
    Nur der Anstand verbot mir, mich aus der Ausführung zu stehlen.

  5. 2.

    tja, wie wäre es, wenn die Zuschauer nach der Vorstellung, den Preis für Ihr Ticket selber bestimmen? War es gut, gibt es viel Money. War es schlecht, nur einen Notgroschen. Vom Erlös bekommt auch das Regieteam etwas ab. So mancher Regisseur würde dann am Hungertuch nagen. Die Gründung "Suppenküche für Regisseure e. V. " wird empfohlen.

  6. 1.

    Es wird alles immer schlimmer.