Berliner Nahverkehr - Wie die BVG mit Bettlern umgeht - und wie es andere Städte machen

Sa 12.04.25 | 10:39 Uhr | Von Stefan Ruwoldt
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Straßenmusik spielen in einer Berliner U-Bahn Gitarre und Geige. (Quelle: dpa/Annette Riedl)
Bild: dpa/Annette Riedl

Zu Berlin - teilweise auch zu Brandenburg - gehören Menschen, die um Spenden bitten, nach Geld fragen, betteln. Und es nimmt zu. Aber Zahlen gibt es nicht. BVG und S-Bahn versichern: "Verhältnismäßig" erfolge hier der Umgang. Von Stefan Ruwoldt

"Dass d-a-s erlaubt ist!" lautet eine der nicht seltenen Entrüstungsreaktionen auf die Verkäufer von Straßenzeitungen. Oder auf Menschen, die um Spenden bitten oder nach Kleingeld fragen. Oder auf Männer und Frauen, die musizieren und ihren Hut rumgehen lassen. "Betteln" nennen es die Empörten.

"Aber warum stört das die Menschen? - Für manche ist das eben der einzige Verdienst, oder ein nötiger Zuverdienst", antwortet Lutz Meier-Bohlen, Projektleiter des Sozialvereins Karuna, den Empörten. Er hält es mit den Verständnisvollen und nennt es "Sammeln".

Empörungsreaktionen oder gar behördliche Beschwerden quittiert Meier-Bohlen mit einem leisen Seufzen: "Dass jenen Menschen, die auf der Straße ihr Zubrot verdienen, aggressiv begegnet wird, ist wohl nur so zu erklären: Ihnen wird dieses Zubrot nicht gegönnt." Meier-Bohlen sagt auch, dass es mehr Menschen werden, die auf der Straße leben.

Höhere Hilfebedürftigkeit und auch Obdachlosigkeit - aber kaum Zahlen dafür

"In Berlin ist die Straßenobdachlosigkeit sehr hoch", bestätigt der Sprecher der Berliner Caritas, Thomas Gleißner, die Aussage Meier-Bohlens. Und auch die Caritas könne keine Daten liefern über die vermutete Zunahme von Hilfebedürftigen. "Wie sich die Zahl bettelnder Menschen in Berlin insgesamt entwickelt, können wir nicht sagen, denn dazu gibt es keine aussagekräftige Statistik."

Vor dem Supermarkt, auf der Einkaufsstraße, an der roten Ampel - an vielen Orten gebe es Menschen, die eine Straßenzeitung verkaufen, Flaschen sammeln, die Hand ausstrecken, zählt Gleißner auf. "Und in der U-Bahn."

Manchen Menschen ist die Begegnung mit Bettlern unangenehm, weil sie vielleicht Angst haben, selbst einmal ein solches Schicksal zu erleiden.

Thomas Gleißner, Sprecher der Berliner Caritas

Andere Städte setzen auf Strafen

Dort aber, in der U-Bahn und auch in der S-Bahn oder auf den Bahnhöfen, nimmt nach Angaben vieler Städte das Betteln zu. Aber sie gehen unterschiedlich damit um. Hamburg und München etwa setzen auf Strafen. Die Stadt Hamburg vermeldete allein für das erste Halbjahr 2024 die Einnahme eines fünfstelligen Betrags an Strafen wegen "Bettelns und Musizierens in den U- und S-Bahnen".

Und München hat einen Strafbarkeitskatalog auf das stadteigene Online-Portal gestellt, der beschreibt, welche Art von Betteln mit Bußen belegt ist, also etwa "das den Verkehr behindernde Betteln, das Betteln unter Vortäuschen sozialer Notlagen, das Betteln unter Verwendung von nicht gebrauchsfähigen Musikinstrumenten, das Betteln mit Tieren, denen bestimmte tierschutzrechtliche Nachweise fehlen".

Kaum Beschwerden an die Projekt-Arbeitsgruppe

Karuna-Projektleiter Meier-Bohlen kennt solche Anzeigen und Beschwerden, wie sie Hamburg und München mit Strafen belegt, auch aus Berlin, verweist hier aber auf einen anderen Weg - den der Zusammenarbeit: "Wir haben eine Taskforce und sind so auch mit BVG und Polizei in Kontakt." So würde etwa sein Verein auch "sehr schnell erfahren, wenn hier etwas wäre", so Meier-Bohlen: "Aber solche Rückmeldungen hatten wir zuletzt nicht."

Sowohl Bahn als auch die Berliner Verkehrsbetriebe sind sehr vorsichtig in ihren Aussagen über den Umgang mit "Menschen ohne Einkommen und Obdach". Es gehe "im Alltag immer darum, die Situation zu erklären und auch Hilfe anzubieten", erklärte ein Bahn-Sprecher dem rbb und verweist auf vier "Einzelfallhelferinnen", die im Netz der S-Bahn in Berlin und Brandenburg unterwegs seien, um Streits zu schlichten - oft im Zusammenhang mit Obdachlosikeit.

Allerdings weist die Bahn auch auf ihre Hausordnung in den Bahnhöfen und im Verkehrsbereich des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg hin. Darin sei eindeutig das Betteln untersagt.

BVG nennt "Fingerspitzengefühl" als geboten

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) erklären ebenfalls: "Eine Statistik zum Thema gibt es nicht", und verweisen angesprochen auf das Sammeln von Geld in den Bahnen und auf den Bahnhöfen, dass "armen und hilfsbedürftigen Menschen immer Fingerspitzengefühl und Verantwortung" entgegengebracht werde.

"Formal ist Betteln laut den einheitlichen Beförderungsbedingungen des VBB in den Fahrzeugen verboten", betont BVG-Sprecher Markus Falkner, sagt aber auch, dass die BVG-Kolleg*innen im Rahmen der Vorschriften mit dem "gebotenen Fingerspitzengefühl" agierten.

Die BVG schule ihre Mitarbeitenden auch "für den richtigen und verhältnismäßigen Umgang, auch mit armen und mit obdachlosen Menschen", so Falkner.

Viele schauen lieber weg, als sich der Realität zu stellen

Caritas-Sprecher Gleißner hat für die Konflikte um das Betteln in Zügen und auf Bahnhöfen eine weitere Erklärung: "Manchen Menschen ist die Begegnung mit Bettlern unangenehm, weil sie vielleicht Angst haben, selbst einmal ein solches Schicksal zu erleiden." Und darum seien manche "unsicher und hilflos und schauen lieber weg, als sich der Realität zu stellen".

Und er appelliert: "Sicherlich sind die allermeisten Menschen, die betteln, in einer schwierigen Lebenslage und haben nichts mit organisierten Strukturen zu tun." Auch wenn die Gründe für Armut oft nicht nachvollziehbar seien, sei aber klar: "Dahinter steckt in fast allen Fällen Not."

 

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78 Kommentare

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  1. 78.

    ... Letztere Gruppe versaut der Erstgenannten den Tag und der Passant schaut oft nicht aus "Peinlichkeit" weg, sondern weil er oft das Eine nicht vom Anderen unterscheiden kann oder schlicht und ergreifend "die Backen dicke hat" von derartigem Mummenschanz. Straff organisierte Bettlerei gibt es in dieser Stadt jede Menge und dafür habe ich absolut kein Verständnis. Sie schadet auch denen, die es wirklich brauchen. Ich für meinen Teil bevorzuge Spenden bei den Kleiderkammern, Tafeln etc. abzugeben.

  2. 77.

    Für Deutschland musst du geboren sein, sonst gehst du unter. Egal wo her der Wind weht, du musst da durch und standhaft bleiben. Immer einmal mehr aufstehen wie man hinfällt, sonst bleibt man auf der Strecke. Wenn der Deutsche herzlich lacht, dann glauben die Migranten der ist so weit, Notarzt kommt gleich! Finanziell unabhängige verbringen die meiste Zeit im Ausland, weil die Stimmung da nicht so erdrückend ist.

  3. 76.

    Warum baut die Stadt nicht Unterkünfte, wie man sie in früheren Zeiten kannte. Dort können obdachlose Menschen geschützt unterkommen, zu sich kommen, essen und trinken und noch ihre Sozialhilfe erhalten, ganz unproblematisch. Von dort können sie einen Neubeginn proben.
    Wir waren die vergangenen zwei Wochen täglich mehrfach unterwegs mit S- und U-Bahn. Es wird schon sehr viel gebettelt, mehr als zuvor, agressiv häufig. Das finde ich auch unangenehm. Viele Menschen verlieren durch Suchterkrankungen jegliche positive Sozialisation. Da fühle ich mich auch bedrängt.

  4. 75.

    Mein Modell war immer, egal aus welcher Situation, einen Arbeitsplatz. Not Unterkunft an der S-Bahn Buckower Chaussee, ungefähr 2 Wochen da gewohnt, war eine sehr gute, mit einer Großküche und ca. 20 E-Herden usw. Eine Arbeit gefunden und dann ab in ein Möbliertes Apartment. Konnten da viele auch nicht verstehen, die schon 6 Monate und länger dort wohnten. Ich bin in der Entwöhnungsphase als Rentner, ein Leben ohne Arbeit ist nicht für jeden Einfach, nach 48 Jahren Stress!

  5. 74.

    Einfach mal Kommentar #10 nachlesen. Das sind genau die dort erwähnten Strukturen.

  6. 73.

    Ich stimme Ihnen zu. Jeder ist für sich selbst verantwortlich, auch wenn es schwer fällt.

  7. 72.

    Glänzen sie mal wieder mit ihrer "Bildung" aus der Bildzeitung?

    "Für alle Arbeitsfähigen, die keine versicherungspflichtige Beschäftigung wollen, da soll der arbeitende Steuerzahler zuständig sein, und den Unterhalt finanzieren? Nein, Danke. "

    Der Prozentsatz liegt im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Sie haben wieder mal was aufgeschnappt was in ihr sehr, sehr einfach gestricktes Weltbild passt.

  8. 71.

    Gegenfrage: Wenn ein prügelnder stalkender (Ex-)Ehemann die Grundfessten des Lebens erschüttert (und für manchen ist das Hatz-System genau so), ständig unter Angst vor Strafe und Sanktion zu sein, mit zig Auflagen "Wenn nicht, dann …"

    und man dann einfach nur noch mut- und kraftlos ist, weil das beste noch ein "Hilfs-Angebot" (Verfestigung von Armut durch irreguläre Jobs und "Maßnahmen" ohne echtes Einkommen) ist – wenn klar ist: Das Leben wir immer in Armut sein, Freiheit nur auf dem GG-Papier

    Was dann?
    "Zum Glück zwingen?" Zum "Glück ABM-Maßnahme 1, 2, 3, 10", dann endlich Armutsfrührente?

  9. 70.

    #44 - "Ständchen": Die Rede war vom öffentlichen Nahverkehr (!), nicht vom ICE. In S- und U-Bahnzügen erschallt oft genug lautstarke Musik zu "Bettelzwecken" - vielleicht sollten Sie in Berlin einfach mal mit dem Zug fahren (natürlich in den Zügen des ÖPNV).

  10. 69.

    "sollten Sie D den Rücken kehren", das haben wir doch schon gehört … Nein, "Arbeitsangebote", die Armut manifestieren, sind keine würdige Arbeit.

    Echte Marktwirtschaft würde bedeuten: Wer in der Glutsonne Straßen zu teeren bereit ist, wer widerlichste öff. Klos oder Autobahntoiletten reinigt, wer nachts für Alte und Kranke da ist usw usf, der hätte die höchsten Erwerbseinkommen.

    Nicht die aktuellen.

  11. 68.

    Als Student reichte mir ein 15qm Appartement für den Start. Besser als das Dasein draußen - für den/ die einzelnen wie für die Gesellschaft.

  12. 67.

    „Manchen Menschen ist die Begegnung mit Bettlern unangenehm, weil sie vielleicht Angst haben, selbst einmal ein solches Schicksal zu erleiden.“
    Ein kleiner Betrag an Bettler in der Bahn oder auf Bahnhöfen, hilft den Menschen ja nicht, ihr Leben in den Griff zu bekommen, sondern es trägt zum Erhalt ihres Zustandes bei. Einem Menschen über einen längeren Zeitraum hinweg immer wieder zu spenden und dann aber nicht zu wissen, wie er in die Situation kam, wäre für mich undenkbar. Man muss die Ursachen kennen und da ansetzen. Dann braucht man auch keine Angst zu haben, in die gleiche Situation zu kommen. Ich unterstützte daher lieber Projekte, die Menschen aus ihrer Not herausholen. Ich verteile höchstens bei Hitze Wasserflaschen, bei Kälte Selbstgestricktes und Geldspenden an Straßenmusiker.

  13. 66.

    Bekannte mit wenig Rente bzw. Arbeitslos mit Grundsicherung, weder betteln noch sammeln sie Flaschen. Sie nutzen die sozialen Unterstützungen die der Staat bietet.
    Viele die Flaschen sammeln bzw. betteln nutzen das als zusätzliche Einnahmequelle.
    Es gibt auch Menschen die sich aufgegeben haben. Man sieht es ihnen an. Möglichkeiten der Unterstützung gibt es aber wollen oder können sie das? Zum Glück zwingen?

  14. 65.

    Der Steuerzahler sorgt mit der Grundsicherung dafür, das jeder sich in der Öffentlichkeit ohne Ängste frei bewegen kann. Mal davon abgesehen das es von den betroffenen absoluten Arbeitslosen nur 2-3% sind, die als unwillig sind. Also 2-3% von den grob 10% in Berlin. Und auch nichtwillige haben das Grundrecht auf Menschenwürde, wozu ich die Grundsicherung zähle. Und dem Steuerzahler würde es besser gehen, gäbe es die Kosten für die Grundsicherung nicht, ist auch eher naiv als real.
    Mittellosigkeit führt zur Hemmungslosigkeit. Nimmt diese auf der Strasse zu, bringt ihnen ihr Berufsleben gar nichts. Sie bekommen eine über die Rübe, werden ihrer Wertsachen entledigt und in den Busch geschmissen.
    Wie viel könnte der Staat an Mengen dieser Vorkommen aushalten? Wenn es mehr Hemmunhslose als Polizisten gibt?

  15. 64.

    Nun, dann sollten wir Nachfolgern diesen Weg ersparen und bessere Modelle finden.

  16. 63.

    Yep! Aktuelle Kosten 200€ pro Person und Tag – und dann geht es von vorne los.

    Was würde man sich selbst und seinen Lieben/Geliebten wünschen?
    Und wie ließe sich das auf alle ausrichten?

    Liebe kostet nicht, sie trägt Positivzinsen.

  17. 62.

    meint im Norden eine echte Wohnung – in die man auch einladen möchte. Kein Heim mit Nasszelle, in der man die Arbeitskraft anzüchtet, um dann allein und beschämt dort zu hocken.

    Menschen ticken nun mal wie Menschen, sie sind soziale Lebewesen wie alle Herdentiere.

  18. 61.

    Also bei Müllabfuhr und Co. ist es noch lange nicht so. Jobs wird es immer irgendwie geben, wenn wir diese nicht zugrunde regulieren mit Bürokratie und unendlichen Vorschriften. In anderen Ländern machen Menschen übrigens 2 Jobs und das geht auch sehr gut. Wir können in der aktuellen Fachkräftemangelkrise nicht alle weniger, wir müssen mehr arbeiten!

  19. 60.

    Was Hoffnung gibt: Endlich sind auch Berufe betroffen, die lange Garant für hohes Erwerbseinkommen waren, Anwälte (großteils durch KI ersetzt), Steuerberater (großteils durch KI ersetzt), Architekten, Statiker (großteils durch KI ersetzt),

    aber auch das Mittelfeld: Zahntechniker und Prothesenhersteller (großteils durch KI ersetzt), Buchhalter (großteils durch KI ersetzt), freie Lehrer und Trainer (großteils durch KI ersetzt), Ärzte und Therapeuten teils durch KI ersetzt), …

    überall wird weniger und weniger Mensch benötigt. Übergangsweise werden die mit heute noch hohem Erwerbseinkommen auch ohne dieses leben, denn sie haben "angelegt", vermieten beispielsweise. Wohngeld wird ihnen garantiert.
    Aber für die Nachkommen sieht die Nachfolge düster aus. Also werden diese Gruppen endlich aktiv werden und auf eine Lösung pochen – hoffentlich vorausschauend für alle, zB BGE. Da ansonsten heutige Bürokratie durch Überwachung, Mauern und Zäune ersetzt wird.

  20. 59.

    Wieso nötigt? Wer nicht arbeiten will, sich der Solidargemeinschaft verweigert, bekommt dann halt auch kein Geld von der Gemeinschaft der Steuerzahler. Das ist nur gerecht!