Pläne des Verteidigungsministeriums - Pistorius hofft durch Fragebogenpflicht auf 5.000 neue Wehrdienstleistende pro Jahr

Mi 12.06.24 | 18:53 Uhr
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Symbolbild:Ein Reservist in Ausbildung hält seinen Helm in der Hand.(Quelle:picture alliance/dpa/S.Gollnow)
Audio: rbb24 Inforadio | 12.06.2024 | Oliver Neuroth | Bild: picture alliance/dpa/S.Gollnow

Erfassung aller wehrfähigen Männer per Fragebogenpflicht, Freiwilligkeit und bis zu 23 Monate Dienst - das sieht Verteidigungsminister Pistorius' neues Wehrdienst-Modell vor. Dafür gibt es Lob und Kritik.

  • 5.000 neue Rekruten möchte Pistorius pro Jahr mit seinem Plan ab 2025 gewinnen
  • Das soll voraussichtlich 1,4 Milliarden Euro kosten
  • Kritiker sagen, es brauche mehr Pflicht statt Freiwilligkeit
  • 200.000 Reservisten soll der neue Wehrdienst mittelfristig generieren
  • In der EU haben acht von 27 Ländern eine Wehrpflicht

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will alle Männer erfassen, die für einen Wehrdienst infrage kommen könnten. Seine Pläne dazu hat er am Mittwoch vorgestellt.

Die Rekrutierung läuft auf ein Fragebogen-Modell hinaus. Die Bundeswehr würde alle 18-Jährigen eines Jahrgangs anschreiben. Die rund 400.000 jungen Männer wären zu einer Antwort verpflichtet, bei Frauen wäre dies freiwillig. In dem Fragebogen soll es unter anderem darum gehen, ob man sich den Dienst an der Waffe grundsätzlich vorstellen kann. Pistorius rechnet nach eigenen Angaben damit, dass rund ein Viertel der angeschriebenen Männer ihre Bereitschaft erklären würden.

Die Bundeswehr würde dann etwas mehr als ein Zehntel eines Jahrgangs zur Musterung einladen. Nach der Idee können sie dann selbst entscheiden, ob sie zur Bundeswehr gehen.

Wehrdienstausbildung von 6 bis 23 Monaten möglich

Der Dienst könnte 6 Monate dauern und um bis zu 17 Monate verlängert werden. Ab 2025 will Pistorius zusätzlich zu den aktuell rund 10.000 freiwillig Wehrdienstleistenden bis zu 5.000 neue Wehrdienstleistende ausbilden. Diese Zahl soll dann nach und nach steigen. Als "limitierenden Faktor" sieht Pistorius derzeit noch die Infrastruktur: Schließlich müssen die Neuzugänge alle untergebracht, ausgestattet und ausgebildet werden. Die Kosten für die ersten 5.000 schätzt er auf rund 1,4 Milliarden Euro.

Während die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages Eva Högl (SPD) Pistorius' Vorschlag begrüßte, kritisierte der frühere Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) das Modell. Es müsse verlässlich Personal für die Bundeswehr gewonnen werden, sagte er im WDR. Das werde nicht mit einem Fragenbogen funktionieren. Er fordert, alle jungen Männer zu mustern und sie dann freiwillig entscheiden zu lassen, ob sie einen Wehrdienst machen. Doch dafür fehle der Bundeswehr im Moment die Infrastruktur.

CDU/CSU-Fraktionsvize Johann Wadephul hingegen ist für einen Pflichtdienst von einem Jahr für alle jungen Männer und Frauen, wie er im Morgenmagazin von ARD und ZDF erklärte. Sei es bei der Bundeswehr oder bei anderen Hilfsorganisationen, so Wadephul.

Personalzahlen in der Bundeswehr auf tiefstem Stand seit 2018

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner, hatte vor Pistorius' Präsentation gegenüber der Deutschen Presse-Agentur entschlossene Schritte gefordert. Die Personalzahlen in der Bundeswehr seien im Juni auf den tiefsten Stand seit 2018 gefallen. "Mit Freiwilligkeit allein wird es nach meiner Auffassung nicht funktionieren", sagte Wüstner.

Derzeit liegt die Zahl der aktiven Soldaten um mehr als 20.000 unter dem schon vor dem Ukraine-Krieg angestrebten Ziel von 203.000 - bei rund 181.0000 aktiven Soldatinnen und Soldaten. "In den kommenden Tagen wird sich zeigen, bei wem seit Ausrufung der Zeitendwende zumindest verteidigungspolitisch tatsächlich eine Erkenntniswende eingetreten ist", sagte Wüstner. Langfristiges Ziel sei eine Personalstärke der Bundeswehr von 460.000 Soldatinnen und Soldaten - 203.000 im stehenden Heer, der Rest in der Reserve.

 

Schwedisches Rekrutierungsmodell für Deutschland denkbar

Die Wehrpflicht war in Deutschland nach 55 Jahren 2011 ausgesetzt worden. Das kam in der Praxis einer Abschaffung von Wehr- und Zivildienst gleich. Gleichzeitig wurden praktisch alle nötigen Strukturen für eine Wehrpflicht aufgelöst. Neben dem Personalmangel sind auch die für die Rekrutierung und Ausbildung notwendigen Strukturen nicht mehr vorhanden - es fehlt zum Beispiel an Kasernen, Ausbildern und Waffen. Für 5.000 Wehrpflichtige würden laut dem Verteidigungsminister womöglich Kosten in Höhe von 1,4 Milliarden Euro anfallen.

Gesetzlich festgelegt ist aber weiter, dass die Wehrpflicht für Männer im Spannungs- und Verteidigungsfall wieder auflebt. Frauen können seit 2001 eine militärische Laufbahn in der Bundeswehr einschlagen. Um auch Frauen in die Wehrpflicht einzubeziehen, müsste das Grundgesetz geändert werden.

Als Vorbild könnte Deutschland das schwedische Modell dienen. Hierbei werden alle potenziellen Rekruten angeschrieben, nur ein Bruchteil wird gemustert, nur eine Bestenauswahl wird genommen. Pistorius fand dieses Modell bei einem Skandinavien-Besuch im März "besonders geeignet". Generalinspekteur Carsten Breuer sieht das genauso. Für ihn beinhaltet das Vorbild Schweden vor allem viel Flexibilität.

Lettland führt Wehrpflicht 2024 wieder ein

Die meisten europäischen Länder haben die Wehrpflicht abgeschafft oder ausgesetzt. Dazu zählen z. B. Deutschland (2011), Italien (2005), Spanien (2002) und Frankreich (1997).

In der EU haben noch 8 von 27 Ländern eine Wehrpflicht (Dänemark, Estland, Finnland, Griechenland, Litauen, Österreich, Schweden, Zypern). Wobei Dänemark ein Sonderfall ist, weil Wehrpflichtige dort nur dann einberufen werden, wenn sich nicht genug Freiwillige melden. Lettland führt die Wehrpflicht ab 2024 wieder ein.

Sendung: rbb24 Inforadio, 12.06.2024, 10:02 Uhr

82 Kommentare

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  1. 82.

    Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es nichts unmotivierteres gibt, als ein Soldat in der Wehrpflicht oder gar Reservisten.
    Es gibt da nichts, was man nicht auch kurzfristig beigebracht bekommen kann, falls wer auch immer einmarschiert. Die meiste Zeit ist nur lange Weile und schlechte Laune.

  2. 80.

    5000 pro Jahr immer noch zu wenig

  3. 79.

    Mit Fragebogen - lustig. Vorladung zur Musterung und wer keinen Bock hat, muss verweigern und Ersatzdienst leisten. Und Frauen, wenn überhaupt, dann nur freiwillig. Zwei Fliegen mit einer Klatsche - ging doch im Kalten Krieg auch. Und wer beides nicht will, muss emigrieren, was ganz im Sinne der brown bubble wäre, die sich viele wünschen.

  4. 78.

    Wäre es nicht sinnvoller jetzt endlich mal über eine gemeinsame "EU-Armme" zur Verteidigung der EU-Länder nachzudenken und diese gemeinsam aufzubauen? Macht doch mehr Sinn als das jedes Land seine eigene Armee aufbaut, vergrößert und im Dienst hält durch Wehrpflichtige die schwer zu finden sind in den eigenen Ländern. Eine EU-Armee würde Kosten und Zeit und Ressourcen sparen und schnell eine schlagkräftige Armee in Aufstellung bringen mit genug Soldaten die uns alle in der EU schützen und auch dem Agressor Russland zeigen, dass die EU gemeinsam wehrfähig nach außen ist und die auch den EU Gedanken lebt und nicht Kleinstaatlichkeit. In vielen anderen Bereichen machen wir das doch auch, warum nicht hier ?

  5. 77.

    Es geht doch wohl um die Verteidigung, nicht um Krieg zu führen. Der Duktus ver- und stört mich

  6. 75.

    Diejenigen, die aktuell am lautesten nach Krieg schreien und die Wehrpflicht fordern, sind diejenigen, die als erste fliehen und ihre Kinder unter scheinheinigen Angaben ins ferne Ausland verfrachten, um der Wehrpflicht zu entkommen. Verteufelt mich oder verurteilt meine Aussage aber wir sollten keinen Krieg anfangen. Hilfe ist keine zu erwarten, denn weder USA noch Großbritanien noch Russland wollen einen Atomkrieg, bei dem es keinen "Sieger" geben wird.

  7. 74.

    Ein Pflicht Jahr , wäre schon eine Lösung, da müssten viel 18 jährige mal den hintern vom Sofa heben.

  8. 73.

    Fünftausend ist nicht viel, wieviel gehen jährlich in Rente?

  9. 72.

    Pistorius, von dem ich sehr viel halte bleibt damit w e i t hinter seinem Ziel, die Bundeswehr kriegsfähig zu machen.

  10. 71.

    Und wenn sie freiwllig doch wollten? Die Entscheidung sollten sie ihnen überlassen. Denn sie schützen damit schlussendlich auch Ihre Freiheit.

  11. 70.

    Ja, aber wer in Verhandlungen gehen will, der braucht dafür eine Position der Stärke. Das übersehen die Möchtegern-Pazifisten leider zu gerne. "Wenn du Frieden willst, rüste dich für den Krieg". Sonst ist man bei Verhandlungen nämlich derjenige, der nur abgibt, quasi Blutzoll zahlt, um eine Zeit lang verschon zu bleiben.

  12. 69.

    Nein, "Straßenkind" hat schon Recht. In der heutigen, hochmodernen und technisierten Kriegsführung sind Wehrpflichtige kaum zu gebrauchen. Denen fehlt das ständige Training, die Ausbildung an neuesten Waffensystemen und nicht selten auch die Fitness, wenn sie jahrelang aus der Grundausbildung raus sind. Im Kriegsfall liegt deren Überlebenschance auf dem Schlachtfeld nicht selten bei wenigen Stunden. Die Bezeichnung "Kanonenfutter" trifft es schon sehr genau, das beweisen auch und gerade die Erfahrungen in der Ukraine. Wir brauchen in Zukunft wieder eine Bundeswehr, die ein entsprechendes Ansehen in der Bevölkerung hat, damit auch mehr Menschen sich für den Soldatenberuf entscheiden und wir so wieder eine schlagkräftige Truppe bekommen. Und wir brauchen die Gelder, um diese Truppe mit modernen und zuverlässigen Waffensystemen auszustatten. Und wir brauchen einen gewissen Stolz auf unser Land insgesamt, denn man kann nur das mit aller Kraft verteidigen, was man liebt und schätzt.

  13. 68.

    >"Ein sanfter Einstieg ist allemal besser als die Keule."
    Auf alle Fälle ist dies besser. Ich habe mir gestern auf tagesschau24 mal das Schwedische Modell reingezogen. Das ist wirklich schon gut auf Deutschland übertragbar. Es lebt von der Freiwilligkeit. Nur wenn sich nicht genug Freiwillige finden, kommt das Muss ins Spiel. Aber das musste in Schweden noch nie. Und erstaunlich: Rund 60% bleiben dort dann auch länger in der Truppe als nur den Grundwehrdienst. Die bekommen ein richtiges Gehalt in etwa dem eines Angestellten im ÖD, soziale Absicherung und natürlich auch ihren Urlaub usw.

  14. 67.

    Es fehlt (nicht nur) der Bundeswehr an Personal. Sowohl in der kämpfenden Truppe, als auch bei so genannten "rückwärtigen Diensten" oder in der Verwaltung.

    Was spricht gegen die (Wieder-) Anwendung von Artikel 12a GG? Demnach endet die Wehrpflicht mit dem vollendeten 45. Lebensjahr. Sie wurde nie abgeschafft, nur ausgesetzt. Nähme man die Aussetzung zurück, käme jeder in Betracht, der jünger als 45 Jahre ist und bisher keinen Wehr- oder Wehrersatzdienst geleistet hat. Bei der Wahlmöglichkeit, einen Ersatzdienst zu leisten, bräuchte es m. E. keine Änderung. Außerdem gibt es Bedarfe im sozialen Bereich, beim Katastrophenschutz und den Freiwilligen Feuerwehren.

    Es überholt, ausschließlich Männer zum Wehrdienst zu verpflichten. Frauen oder sonst welche geschlechtlichen Interpretationen sollten die oft und gern eingeforderte Gleichberechtigung hier ebenso und ohne Abstriche bekommen. Es muss ja nicht der Dienst an der Waffe sein.

  15. 66.

    Kann ich nicht behaupten, ich habe damals eigentlich einen recht guten Sold erhalten, plus die Kosten für meine Wohnung sowie Bekleidungs- und Verpflegungsgeld. Tusätzlich gabs glaube ich sogar ein Ticket und man kam überall vergünstigt rein. Das hat für mich als 18/19 jährigen damals eigentlich ganz gut gereicht, muss ich sagen. Ich kann jetzt natürlich nicht für alle sprechen, aber ich habe in einem Wohnheim für Menschen mit Behinderungen gearbeitet und habe dabei seitens der Angestellten und Bewohner eine hohe Anerkennung erfahren. Das einzige was mich gestört hatte war, dass man für die Verweigerung so ein Schreiben aufsetzen musste, was man dann vor Bundeswehroffizieren begründen musste.

  16. 65.

    Das Statement der „Grünen Jugend“ dazu ist herrlich. Die eigene Realpolitik holt sie nun ein. Da beklagt man sich schon über den geringen Sold und Freiwilligkeit. Hey, das ist erst der Beginn - in 2 Jahren wünscht man sich in die heutige Realität zurück

  17. 64.

    Man hat sie als billige "Zivi"-Arbeitskraft missbraucht und man betreibt nach wie vor Lohndumping. Anständige Bezahlung steigert die Bewerberzahl.
    Wer geht denn freiwillig zu einer Einrichtung, in der man sich von alten ahnungslosen Herren anbrüllen lassen soll. Bundeswehr wie die Feuerwehr führen und anständig bezahlen, dann klappt das mit neuen Außendienstmitarbeitern.

  18. 63.

    Richtig, es gibt gute Alternativen in dem Bereich. Katastrophen Schutz zum Beispiel. Soziales Jahr was tatsächlich auch für die Pflege sinnvoll wäre

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