Haushaltskürzungen - Kulturschaffende in Berlin bangen und zweifeln
Nach der Präsentation den Haushaltskürzungen herrscht in der Berliner Kulturszene große Unsicherheit. Viele wissen nicht, wie es weitergehen soll, und zweifeln an der Seriosität der Kürzungsvorschläge. Von Lukas Haas und Luis Babst
Als Sabine Kroner am Dienstagmorgen vor der Kürzungsliste des Senats sitzt, traut sie ihren Augen kaum: Ihr Projekt ist gestrichen – zum 1. Januar 2025. "Wir waren total geschockt", sagt Kroner, Geschäftsführerin des Theaterprojekts Berlin Mondiale. "Am Montag haben wir noch mit den Fachreferenten der Kulturverwaltung das nächste Jahr geplant. Am Dienstag haben wir dann erfahren, dass das ganze Geld gestrichen werden soll." In knapp 40 Tage soll nun also Schluss sein - ohne Vorwarnung. Eingestellt hatte sie sich auf Kürzungen in Höhe von zehn Prozent ihrer Mittel.
Die Berlin Mondiale ist ein Kultur- und Theaterprojekt, das Kultur in Bereiche der Stadt bringt, die sonst wenig davon profitieren. Das Projekt arbeitet auch mit Geflüchteten zusammen; viele der Mitarbeitenden stammen aus dem Ausland. Für einige hängt das Visum direkt am Projekt. "Es fällt mir wirklich schwer, diesen Leuten das jetzt zu erklären", sagt Geschäftsführerin Kroner.
Kultur war keine Priorität
Mit großen Unsicherheiten müssen derzeit viele Kulturschaffende in Berlin kämpfen. Am Dienstag wurde die Kürzungsliste des Berliner Haushalts veröffentlicht. Man habe die Sicherheit, den sozialen Zusammenhalt und Bildung priorisiert, sagte der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) auf der Pressekonferenz der Koalitionsspitzen. Die Kultur hingegen war sichtlich keine Priorität: Mehr als 121 Millionen Euro sollen im Berliner Kulturetat eingespart werden, knapp 11,5 Prozent aller Kulturausgaben. Der Gesamthaushalt wird hingegen nur um knapp 7,5 Prozent gekürzt.
"Selbstverständlich schmerzt uns diese Entscheidung, weil wir sehr genau wissen, was die Kultur für Berlin bedeutet", sagte Wegner. Das Sparpaket solle aber nicht wieder aufgeschnürt werden. Dennoch hat die Kürzungsliste bislang keine Klarheit für die Kulturschaffenden gebracht. Noch am Dienstagabend kündigte Kultursenator Joe Chialo im rbb an, nachverhandeln zu wollen. Auf Anfrage von rbb|24 teilte die Senatsverwaltung für Kultur am Freitag mit, dass der Senator weiterhin in Gesprächen sei, um die Härten der Kürzungen abzumildern.
Freischaffende Künstler hart getroffen
Aufgrund der widersprüchlichen Informationen weiß Sabine Kroner aktuell nicht, wie es weitergeht. Ihr ist vieles unklar: Gelten die Kürzungslisten nun? Wie wickelt man ein Projekt, das noch an laufende Verträge und Zusagen gebunden ist, innerhalb von 40 Tagen ab? Wer soll das tun? Auch sie würde ab 1. Januar nicht mehr bezahlt werden.
Auch große Kulturinstitutionen blicken in eine unsichere Zukunft. Die Schaubühne hatte erklärt, durch die Kürzungen möglicherweise in die Insolvenz zu rutschen. Als gemeinnützige GmbH darf das Theater nur sehr begrenzt rote Zahlen schreiben. Man müsse Insolvenz anmelden, wenn klar sei, dass die Zahlen nicht ohne weiteres ausgeglichen werden können, sagte Geschäftsführer Tobias Veit dem rbb. Aktuell beliefen sich die Kürzungen - inklusive der Kosten für mögliche Tarifsteigerungen - auf rund 2,5 Millionen Euro. Eine Summe, die nur schwer auszugleichen sei. Deshalb sei man schon warnend tätig geworden.
Auch wenn auf der Kürzungsliste der Koalitionsspitzen die großen Institutionen direkt ins Auge stechen, treffen die derzeitig geplanten Kürzungen auch freischaffende Künstler hart. Ein Bereich des Kulturbetriebs, für den Berlin weltweit renommiert ist. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Kulturraum Berlin GmbH. Sie mietet in ganz Berlin Arbeitsräume für Künstler in allen Sparten. So werden Proberäume, Ateliers, Ton- und Tanzstudios für mehr als 3.000 Künstlerinnen und Künstler vergünstigt angeboten.
Langfristige Mietverträge über Millionensummen
Das könnte nun wegfallen. Hinter dem Posten in der Kürzungsliste ist knapp vermerkt: "Sparpotential in Verbindung mit der Abschaffung der Kulturraum Berlin". Dirk Förster, Geschäftsführer der Berliner Kulturraum gGmbH, hat Zweifel daran, dass die Abwicklung einfach so möglich ist. "Wir haben langfristige Mietverträge über Millionensummen, die gar nicht so einfach von einem Tag auf den anderen abgewickelt werden können, ohne Schadenersatzforderungen in unabsehbarer Höhe zu produzieren", sagt Förster.
Auch die Sinnhaftigkeit der Kürzungen zweifelt Förster an. Gerade habe man in die Ausstattung von eigenen Ton- und Tanzstudios mit Instrumenten und Geräten investiert, die im nächsten Jahr eingeweiht werden sollten. "Das sind Großprojekte, wo wirklich Geld im Millionenbereich investiert wurde", sagt Förster. Das würde komplett verfallen.
"Ich telefoniere mir die Finger wund"
Auch beim Tanzbüro Berlin, ein Projekt zur Vernetzung der freien Tanzszene, zweifelt man an der Seriosität der Kürzungsliste. Dem Büro sollen 350.000 Euro gestrichen werden – und das, obwohl das Tanzbüro momentan nur mit 170.000 Euro bezuschusst wird. Die Leiterin Marie Henrion tat die Unstimmigkeit erst als Tippfehler ab. Mittlerweile ist sie sehr besorgt.
"Ich telefoniere mir die Finger wund und werde an die Regierungsspitzen – also Fachfremde – verwiesen, wenn ich bei der Kulturverwaltung nachfrage, wie diese Zahlen zustande kommen." Würden die Kürzungen so umgesetzt, wie geplant, wäre das das Aus für die Organisation.
Die Senatsverwaltung Kultur gibt auf Anfrage an, auf konkrete Fragen zu verschiedenen Kürzungen derzeit kurzfristig keine Antwort geben zu können. Sie verweist auf die aktuelle Lage, teilt aber mit: "Es handelt sich bei den gegenständlichen Kürzungslisten um Beschlüsse der Koalitionsspitzen, als Verwaltung sind wir derzeit dazu grundsätzlich nicht auskunftsfähig." Am kommenden Dienstag werde sich der Senat mit den Beschlüssen befassen.
Marie Henrion zeigt sich sicher: Alles spreche dafür, dass die Entscheidungen über die Kürzungen ohne eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Berliner Kulturbetrieb getroffen worden seien.
Sendung: Radio3, 22.11.2024, 7:30 Uhr