Neue Studienergebnisse - Warum nicht mehr als 100 Menschen noch kompetent Niedersorbisch sprechen

Mo 07.04.25 | 17:06 Uhr
  32
Am Niedersorbischen Gymnasium im brandenburgischen Cottbus wird eine Klasse in der sorbischen Sprache unterrichtet.
Audio: rbb24 Antenne Brandenburg (Studio Cottbus) | 07.04.2025 | Mastow, Daniel | Bild: dpa/Patrick Pleul

Niedersorbisch ist im Cottbuser Straßenbild allgegenwärtig. Die Sprache ist eng mit Identität und Kultur der Sorben/Wenden verknüpft. Eine Studie zeigt: Richtig gut sprechen sie aber nur wenige. Von P. Manske und I. Schilka

In Cottbus ist die niedersorbische Sprache allgegenwärtig. Viele Straßenschilder sind zweisprachig und sogar die Parkautomaten können Niedersorbisch. Zu hören ist die Sprache im Alltag heute aber eher selten.

Bis in die 1950er Jahre war Niedersorbisch weit verbreitet in der Region. In Nazi-Deutschland wurde die slawische Minderheit der Sorben/Wenden unterdrückt, in der DDR kaum gefördert. Schließlich verdrängten auch Industrialisierung und Zuzug die Sprache weiter aus dem täglichen Leben. Viele der Passanten, die der rbb in der Innenstadt fragt, sprechen kein Niedersorbisch - oder können es nur bruchstückhaft. Eine Fußgängerin gibt ihren Wortschatz ironisch grinsend mit dem Ausruf "Stara Nałpa - alter Affe!" zum Besten.

Seit den 1990er Jahren haben laut des sorbischen Instituts in Cottbus zwar bis zu 10.000 Schülerinnen und Schüler sorbisch gelernt. Besonders nachhaltig scheint das offenbar nicht gewesen zu sein, wie jetzt die Autoren einer neue Studie sagen.

Niedersorbisch auf C1 oder C2-Niveau

Die Untersuchung zweier wissenschaftlicher Mitarbeiter des Institutes für Sorabistik an der Universität Leipzig kommt zu einem niederschmetternden Ergebnis. Die Autoren schätzen, dass es nur noch 50 bis 100 kompetente Sprecher der niedersorbischen Sprache gibt. Sie werden definiert als: "Personen, die Niedersorbisch […] sprechen, hören, schreiben, lesen können […], ähnlich den Definitionen C1 und C2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen."

Die Autoren haben für ihre Ergebnisse statistische Berechnungen angestellt. Von Dorf zu Dorf gehen, und nach kompetenten Sprechern fragen - das war schon ressourcentechnisch nicht umzusetzen, wie Till Vogt, einer der beiden Autoren, sagt.

"Wir haben stichprobenartige Zählungen durchgeführt", erklärt er. Dazu haben sie sich zum Beispiel die Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern oder Teilnehmern von Sprachkursen angeschaut, die Ergebnisse "extrapoliert" und hochgerechnet. Anhand der erfassten Daten aus der untersuchten Gruppe wurde also abgeschätzt, wie groß der Anteil der kompetenten Sprecher im Rest der Bevölkerung ist.

Gemischte Reaktionen zu Ergebnissen

Hartmut Leipner zeigt sich von den Studienergebnissen nicht überrascht. Er ist der stellvertretende Vorsitzende der Domowina, des Interessenverbands des sorbischen/wendischen Volkes. "Das ist die Realität", sagt er mit Blick auf die Zahlen - die nach seiner Einschätzung auch mit einer angemessenen wissenschaftlichen Methodik erhoben wurden.

Doch es gibt auch Kritik an der Untersuchung: Sie erwecke einen falschen Eindruck, so Měto Nowak vom sorbischen Institut in Cottbus. Viele könnten glauben, dass nur noch 50 bis 100 Menschen fließend Sorbisch sprechen.

Die Studie ignoriere laut Nowak Menschen, "für die die Sprache im Alltag Mittel der Kommunikation ist, aber eben nicht auf einem voll ausgeprägten Niveau in allen Sprachbereichen“. Er meint damit: All die, die sich im Alltag verständigen, aber vielleicht keine Finanzgespräche auf Niedersorbisch führen können, würden nicht dazu zählen.

Für Autor Till Vogt ist der von Měto Nowak gewonnene Eindruck ein falscher. "Wir wollen keine sprachliche Elite", so der wissenschaftliche Mitarbeiter. "C1 ist das Niveau, das von einem Abiturienten erwartet wird, beispielsweise in Englisch, im Leistungskurs."

Vogt: Besser ausgebildetes Lehrpersonal nötig

Doch wie kann diese Entwicklung aufgehalten oder sogar umgekehrt werden? Schließlich hat sich die Domowina zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2100 wieder 100.000 Sorbisch/Wendisch-sprechende Menschen in der Region zu haben. Den aktuellen Trend umzukehren könnte zur Mammutaufgabe werden.

Die wenigen kompetenten Sprecher seien "die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, um die Sprache weiterzugeben, sei es im Bildungssystem, sei es auch in sorbischsprachigen Familien", sagt Till Vogt. Aktuell gebe es aber gerade mal 15 Familien, in denen noch kompetent und hauptsächlich Niedersorbisch gesprochen wird.

Vogt plädiert darum für eine bessere sprachliche Ausbildung von Lehrpersonal und für mehr Niedersorbisch im Schulunterricht. Auch immersive Lernformen wie den Vollzeit-Sprachkurs "Zorja" hält er für sinnvoll. Dort wird ein halbes Jahr lang nicht nur im Unterricht Sorbisch/Wendisch gesprochen, auch der Alltag um den Kurs wird in der Sprache bestritten. "Das heißt Eintauchen in die Sprache. Und das ist ein möglicher Weg zur Revitalisierung."

Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 06.04.2025, 16:30 Uhr

Nächster Artikel

32 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 31.

    Der Singular bezeichnet nur eine Person oder Sache. Der Dual bezeichnet zwei Personen oder Sachen. Der Plural bezeichnet drei oder mehr Personen oder Sachen .

  2. 30.

    Das von Ihnen thematisierte Problem der "politisch opprtunen Korrektheit" der deutschen Sprache beschäftigt mich ebenso wie viele andere auch, hat aber nichts mit den hierzulande zu schützenden Minderheitssprachen Dänisch, Friesisch in zwei Varianten, Romanes, Nieder- und Obersorbisch zu tun.

  3. 29.

    "dass es im Sorbischen nicht nur Singalar und Plural, sondern auch Dual gibt" Interessant, den Dual gibt es in einigen Sprachen mit alten historischen Wurzeln (darunter auch einige ausgestorbene).

  4. 28.

    An diejenigen, die meinen, die niedersorbische Sprache kann ruhig aussterben: Wir als Menschheit betreiben einen Riesenaufwand, um Tier- und Pflanzenarten vor dem Aussterben zu bewahren (zu Recht). Das gleiche sollte für Kultur gelten - und Sprache ist Kultur.
    Im Gegensatz zur dänischsprachigen Minderheit gibt es weder für das Ober- noch das Niedersorbische ein Mutterland. Wenn also diese Sprachen aussterben, sind sie unwiederbringlich weg.
    Wussten Sie z.B., dass es im Sorbischen nicht nur Singalar und Plural, sondern auch Dual gibt (für Dinge, die gewöhnlich paarweise auftreten, wie Hände, Füße, Augen, Ohren)? Genaues weiß ich als Nichtsorbe nicht, aber es ist interessant.
    Wer sich meint, dass man Sprachen einfach aussterben lassen soll, hat ein Problem mit der Vergangenheit. Und wer die Vergangenheit nicht kennt, wird in Zukunft immer wieder Probleme haben, weil er nichts aus der Vergangenheit lernen kann.

  5. 27.

    "Irgendwann brauchen wir für Märchenbücher oder andere Literatur eine Legende, die Wörter erklärt, die aus dem Sprachgebrauch verschwunden oder durch Anglizismen ersetzt wurden."
    Dafür sorgen andere... wenn ein Chor nicht mehr das Wort Oberindianer (Sonderzug nach Pankow) singen "darf" naja...

  6. 26.

    In Bayern ist das immer noch so. Art. 6 bis 8 Bayerische Verfassung regelt weiterhin die Bayerische Staatsangehörigkeit.

  7. 25.

    Sie negieren, dass das Grundgesetz eine Ungleichbehandlung aufgrund der Sprache, Heimat und Herkunft ausschließt (Art. 3). Damit hält sich unser Land zugleich an seine globalen und europäischen völkerrechtlichen Pflichten z.B aus der: Europäischen Konvention für den Schutz von Minderheiten, Europäischen Charta über die Minderheitensprachen. Wir leben nicht in einem Land, in dem völkerrechtliche Verträge mit einem Federstrich quasi über Nacht gekündigt werden. Und bedenken Sie die deutsche Geschichte, in der während der Nazizeit letztendlich Sorbisch in Schulen, bei Gerichten und Ämtern verboten war ebenso wie die Domowina.

  8. 24.

    Es ist selbstverständlich möglich, Meinungen zu ignorieren. Machen viele Menschen dieser Tage.

    Angesichts der Fakten ist jedoch die Frage der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Nach der Faktenlage gibt es ca. 60T Sorben in Deutschland. Das sind 0,07% der Gesamtbevölkerung, damit statistisch irrelevant.

    Der hier betriebene Aufwand ist unter dem Aspekt von Aufwand und NUTZEN zu sehen. Welchen Nutzen hat unsere Gesellschaft? Absolut vernachlässigbar.

    Ich stamme aus der Niederlausitz und kenne noch diese zweisprachigen Beschilderungen. Hat schon vor 20 Jahren keinen interessiert.

    Angesichts der Herausforderungen, denen wir alle ausgesetzt sind, ist der Erhalt dieser aussterbenden Sprache fragwürdig. Entweder sie schafft es oder nicht.

    Gesetze sind nicht für die Ewigkeit und können bzw. sollten im zeitlichen Kontext hinterfragt werden.

  9. 23.

    Tja ich würde sagen das reale Leben regelt das eigentlich.
    Das man nun versucht über die Schule/Lehrer den Leuten einzubläuen was wohl nur eine Minderheit spricht ist aber kein guter Weg und wird dem Ganzen auch nicht weiterhelfen.
    Sprache muss lebendig sein, sonst stirbt sie aus…. Und es sind reichlich Sprachen ausgestorben.

  10. 22.

    Der Elsass liegt in Frankreich und dort ist nicht das Französische verschwunden sondern das Deutsche wurde mit Absicht durch französisch ersetzt.

  11. 21.

    Recht kann man ändern und den reellen Gegebenheiten anpassen. Passiert fast täglich in den Gremien.

  12. 20.

    Und warum halten Sie dann das Eine für wichtiger als das Andere? Beides kann gleichberechtigt passieren.
    Deutsche Sprache wird schon oft genug verhunzt.
    Irgendwann brauchen wir für Märchenbücher oder andere Literatur eine Legende, die Wörter erklärt, die aus dem Sprachgebrauch verschwunden oder durch Anglizismen ersetzt wurden.

  13. 19.

    Ich finde die Polarisierung hier im Chat unangemessen. Einerseits finde ich es richtig das Niedersorbische zu erhalten um die kulturelle Identität eines Volkes nicht aussterben zu lassen. Dazu sollte unbedingt erwähnt werden, das Wort "Deutsch " ist ein Plural und bedeutet "die Völker"! Die Nazis haben mit ihrer hirnrissigen Ideologie, das abgeschafft. Nur ein Beispiel, bis zu den Nazis gab es keine deutsche Staatsbürgerschaft. Es gab Länderbürgerschaft und, da die Länder Teil des deutschen Reiches waren, die Reichszugehörigkeit. Deshalb haben die Nazis auch die sorbische Kultur, die sorbische Sprache unterdrückt. Ganz nach dem Motto: "Was nicht sein darf, kann auch nicht sein! ". Deshalb ist es richtig und wichtig die Pluralität der freiheitlichen demokratischen Gesellschaft zu fördern.
    Andererseits ist es natürlich das gute Recht aller Einwohner des niedersorbischen Kulturraumes das Niedersorbisch zu erhalten oder auch nicht. Es sollte bloß die Möglichkeit gegeben sein!

  14. 18.

    Die Geschichtskenntnisse sind teilweise so schwach, dass man heute von Wissen völlig freie Meinungen als historische Wahrheit verkaufen kann. In der DDR waren die Förderung und Pflege der sorbischen Kultur und Sprache Verfassungsgrundsatz (Art. 40). Das konnte im Zuge der deutschen Einheit leider nicht erreicht werden, vielmehr sind der Minderheitenschutz nur in den Landesverfassungen von Brandenburg und Sachsen geregelt. 1954/1955 gab es im niedersorbischen Gebiet der DDR allein 22 Schulen, die Niedersorbisch als Fremdsprache lehrten (Typ B) und eine Oberschule. Die Domowina war übrigens als Massenorganisation der DDR anerkannt.

  15. 17.

    Und ich finde es wichtig, wenn Sie einigermaßen deutsches Minderheitenrecht kennen würden, Mindestanforderung an unsere Bildung. Rechte von Minderheiten und Sprachen sind tatsächlich durch deutsches Recht geschützt, wieso wissen Sie diese grundlegenden Dinge nicht? Da bin ich aber enttäuscht, wie wenig Sie von den Rechten von Minderheiten wissen.

    Sorbisch ist eine slawische Sprache, interessiert Sie das nicht? Wie viele Sprachen verstehen Sie?

  16. 16.

    Ihre Meinung ist mir eigentlich furchtbar egal, der Schutz von deutschen Minderheiten und der jeweiligen Sprache ist durch deutsches Recht geschützt. Wenn Sie nichts darüber wissen und davon zu viel, fragen Sie doch vorm Kommentieren, damit Sie ansatzweise Zusammenhänge verstehen können. Es ist tatsächlich Ihre Unkenntnis denn Landesverfassungen und Gesetze schützen diese Sprache.

    Das Sorben/Wenden-Gesetz einfach mal verstehend lesen, eigentlich gehört das zur Bildung, lernt man in der Schulzeit.

  17. 15.

    Ganz ehrlich? Who cares? Wenn die Mütter (und Väter) ihren Kindern die Muttersprachen nicht mehr beibringen, dann werden sie schon einen Grund dafür haben. Ich persönlich halte es für wichtiger sich um vom Aussterben bedrohter Arten zu kümmern als eine tote Sprache künstlich am Leben zu erhalten.

  18. 14.

    Doch, im PLZ-Gebiet 1.
    Ihr "Weg damit" ist wie wenn Sie den Französischen Dom abreißen, weil immer weniger Menschen zum Beten Kirchen aufsuchen oder Mitglieder der Letzten Generation Kunstwerke in Museen demolieren.
    Sprache gehört wie Kunst und Architektur zu unserer Kultur. Deshalb wird auch Goethes Erlkönig immer auf dem Pferd durch Nacht und Wind reiten und nicht am Tage mit dem Ferrari auf dem Lausitzring rumrasen.
    Niemand erwartet, dass Sie das respektieren, aber vielleicht reicht die Toleranz, es zu akzeptieren.

  19. 13.

    Fläminger Platt wird noch in Jüterbog gepflegt und in einigen kleinen Dörfern rundrum. Wenn die Alten, die das noch beherrschen, ausgestorben sind, ist alles verloren.