Kinder polnischer Migranten in Deutschland - "Das Polnische in mir drückte ich weg"

So 24.11.24 | 13:40 Uhr
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Die Deutsch-Polin Nastasja Kowalewski. Bild: rbb
Bild: rbb

Als Teenager wollte Nastasja perfekt Deutsch sprechen und sich nur als Deutsche fühlen. Weil sie dachte, dass sie nur als Deutsche etwas erreichen kann. Sie ist eine von fast 130.000 Menschen mit polnischen Wurzeln in Berlin und Brandenburg. Von Agnieszka Hreczuk

"Deutsche Schule, deutsche Uni, deutsche Musikband. Ich habe mich überintegriert", lacht Mateusz Stach-Seiffe. Er ist Influencer, mit seinem Kanal "Polenpapa" erreicht er 2,5 Millionen User. Sein Vater kam in den 1980er Jahren nach West-Berlin, erstmal nur für kurze Zeit. Als er aber die große Kluft zwischen dem Westen und dem kommunistische Polen wahrnahm, entschied er sich zu blieben. Die Mutter reiste nach, Mateusz kam schon in Berlin zur Welt.

Beide Eltern konnten Deutsch, trotzdem sprachen sie mit ihrem Sohn Polnisch. Auch auf der Straße unterhielt sich die Mutter mit ihm immer auf Polnisch. "Ich weiß noch, als wir in der U-Bahn angesprochen wurden, hier sei Deutschland und hier werde Deutsch gesprochen", sagt Mateusz. Er verstand damals nicht, worum es geht. Der Berliner wuchs mit Polnisch als Muttersprache auf, seinen Vornamen hat er nie eingedeutscht. Polen fand er schön, das polnische Essen gut, gerne fuhr er in den Urlaub hin. Dennoch fühlte er sich lange zu 100 Prozent deutsch.

Als Teenager bemühte sich Nastasja Deutsche zu werden

Nastasja Kowalewski bemerkte in der fünften Klasse, dass sie nicht Deutsche ist und dass andere sie nicht als Deutsche sehen. Sie war mit einer deutschen Freundin Inlineskaten. Plötzlich sagte diese zu ihr, dass sie nicht richtig versteht, was Nastasja ihr sagen will. "Ich habe Deutsch gesprochen und regelmäßig polnische Wörter eingefügt", schmunzelt Nastasja heute. "Das war mir komplett unbewusst und niemand zuvor hat mich darauf aufmerksam gemacht. Mir war das peinlich".

Nastasjas Eltern kamen Ende der 1980er Jahre aus Polen, ihre Schwestern und sie werden in Deutschland geboren. Die Familie wohnte in einem kleinen Ort bei Heilbronn, wo der Migrantenanteil sehr hoch war. Bei Nastasja zu Hause wurde Polnisch gesprochen. Auf dem Spielplatz traf sie polnische, russische und türkische Kinder. Als Teenager und später an der Uni bemühte sie sich, Deutsche zu werden. "Ich hatte um mich herum so viele kultivierte, gut ausgebildete Leute gesehen, die perfekt Deutsch sprachen. Ich wollte auch so sein und dachte, dazu muss ich Deutsche sein. Nur Deutsche. Das Polnische in mir drückte ich weg."

Polen sind zweitgrößte Einwanderergruppe in Deutschland

Die Zahl der Menschen mit polnischen Wurzeln wird in Deutschland auf 2,2 Millionen geschätzt. Sie sind die zweitgrößte Einwanderergruppe nach den Türken. "Die Forschung belegt: In der zweiten Generation gleichen sich die Menschen mit polnischen Wurzeln an Durchschnittsdeutsche an – was Bildung, Beruf oder Karriere betrifft. Einige fühlen sich dabei nur als Deutsche, andere wiederum entscheiden sich für eine Doppelidentität", stellt Magdalena Nowicka vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung in Berlin fest. Auch sie kommt aus Polen und ist heute Abteilungsleiterin in der Forschungseinrichtung.

Nastasja arbeitet als Journalistin und lebt in Leipzig. Die Frage der Identität beschäftigt sie immer wieder. "Es war gar nicht so einfach, nur Deutsche zu sein. Sich nur für eine Identität zu entscheiden. Aber ich hatte den Eindruck, diese Entscheidung wurde von mir verlangt. Umso zerrissener habe ich mich gefühlt. Unterbewusstsein lässt sich nicht so ausschalten", stellt sie fest. Die Journalistin drehte einen persönlichen Film über die Geschichte ihrer Eltern und über ihre Suche nach einer eigenen Identität. "Mein polnischer Vater und ich. Leben zwischen zwei Welten".

Der deutsch polnische Influencer Mateusz-Stach. Bild: privat
Der deutsch-polnische Influencer Mateusz Stach. | Bild: privat

Weniger Polenwitze, Klischees weiterhin

Für Mateusz war die Kehrtwende einfacher, weil er sich nie von seinen Wurzeln distanziert hatte. Auch in seinem Berliner Umfeld hatte er viele Bekannte mit einer ähnlichen Vorgeschichte. Nur dass seine Wurzeln ihm lange Zeit nicht so wichtig waren. Der studierte Traumata-Pädagoge brauchte eine Ablenkung von seinem Job. So wurde er zum Comedian auf TikTok und Instagram. In seinen Videos erklärt er den Usern zugespitzt, welche Eigenarten die Polen und die Deutschen haben. Tausende folgen ihm.

"Mir fällt es jetzt leichter, Pole zu sein als früher", stellt Mateusz fest. "Polen war früher immer seltsam, arm… Der Haarschnitt, vier Streifen auf der Adidas Hose – danach merkte man sofort, dass man aus Polen kam. Polen hat sich verändert, gefälschte Klamotten sind kein Wahrzeichen mehr. Wenn ich an Polen denke, dann weiß ich, dass Polen und Deutschland mindestens auf Augenhöhe sind".

Dokumentation

Das Lebensgefühl von polnischen Migranten hat sich in den letzten 20 bis 30 Jahren geändert. "Heutzutage sind Polen viel selbstbewusster, fühlen sich nicht mehr als arme Nachbarn", stellt Magdalena Nowicka fest. "Polen hat einen langen Weg gemacht. In manchen Bereichen, was zum Beispiel Digitalisierung betrifft, ist das Land viel weiter als Deutschland. Da wundern sich die Polen in Berlin, dass sie hier nicht alles online erledigen können", schmunzelt die Wissenschaftlerin. Anderseits ist die Diskriminierung immer noch spürbar, auch wenn es unterschwelliger passiert. "Einerseits werden Immer seltener Polenwitze über den Autoklau erzählt. Anderseits darf man immer noch nur mit einem Leihwagen einer bestimmten Klasse nach Polen und in den Osten fahren", erklärt Magdalena Nowicka.

Ein klassischer Deutschpole

Nach ihrer langen filmischen Reise findet Nastasja eine Art Ruhe und Erleichterung. "Ich habe verstanden, dass ich doch irgendwie zwischen zwei Welten bleibe und ich habe es akzeptiert. Ich muss nicht entweder oder sein – ich kann beides sein. Manchmal bin ich mehr Polnisch, manchmal mehr Deutsch. Von beiden Kulturen nehme ich das, was ich schön finde". Deshalb bleibt Weihnachten bei Nastasja definitiv polnisch, mit der ganzen Familie und mit reichlich polnischem Essen.

So fühlt sich auch Mateusz Stach-Seiffe. Der Influencer bleibt bei der deutschen Staatsbürgerschaft. "So ist es ja richtig, mein Leben ist hier, in Deutschland", betont er. "Ich bin ein klassischer Deutschpole, habe sowohl deutsche als auch polnische Charakterzüge", fügt er hinzu. "Gastfreundschaft und Spontaneität, aber auch Pünktlichkeit und Ordentlichkeit. Die Mischung finde ich sehr schön."

17 Kommentare

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  1. 17.

    Zitat: "Gerade meinem polnischen Kollegen gezeigt den Artikel. Also wir haben beide köstlich gelacht."

    Im Artikel gehts ja nicht um den "typischen" Polnischen Handwerker ;), sondern um zwei junge Intellektuelle, die ihrer Herkunft eben etwas "moderner" nachspüren. Und das Fazit der beiden fällt doch sehr positiv aus. Im Allgemeinen dürften sich Deutsche und Polen ziemlich nahe sein; gerade auch in Berlin/Brandenburg, wo nach dem Ruhrgebiet die meisten polnisch stämmigen Menschen angesiedelt sind.

  2. 16.

    Ja eben, Russisch war in der DDR ein Pflichtfach, das bei den allermeisten Schülern auf der Beliebtheitsskala nicht gerade weit oben angesiedelt war - im Gegenteil. Man brauchte diese Sprache m. W. eben nur gut zu beherrschen, wenn man bspw. dem erlauchten Kreis der Auslandsstudenten angehörte. Der absolut überwiegende Teil der Bevölkerung interessierte sich nicht für die Russische Sprache und hat höchstens ein paar besonders einprägsame Vokabeln aus dem Unterricht mitgenommen.

    Und soweit ich das in Erinnerung habe, waren auch die fakultativen Angebote zu Englisch und Französisch nicht unbedingt der Renner bei den Schülern. Denn es bestand ja auch kaum die Aussicht darauf, das Erlernte mal irgendwo anwenden zu können.

  3. 15.

    Alle Europäer haben eine gemeinsame Historie, Kultur und Zukunft wenn sich ALLE Europäer auf einen Punkt einigen würden und sich nicht beeinflussen lassen würden aus Übersee. Expansion EU hätte man Russland mitnehmen müssen und eine gemeinsamen Sicherheitspolitik ausarbeiten. War aber bewusst nicht gewollt - schon aus Angst. Darum schuf man Konfliktfelder dessen Ergebnis wir heute erleben.

  4. 14.

    Gerade meinem polnischen Kollegen gezeigt den Artikel. Also wir haben beide köstlich gelacht. Wo finden Sie immer diese Leute lieber RBB? Keinen Polen den man kennt hat solche Probleme. Solche werden immer nur von Deutschen für die jeweilige Minderheit garniert.

  5. 13.

    Wer in der SU studierte, wurde von der Partei geschickt. Es waren besonders angepasste und treue Genossen. Kinder der Partei-und Staatselite. Eine recht heterogene Gruppe.

  6. 12.

    Wir Ostdeutschen haben alle polnische Wurzeln. Fast alle. Einfach mal anhand der DNA eine Ethnizitätsschätzung machen.
    Ich bin zu 65% Pole, obwohl ich bisher immer dachte, schon immer und nur aus Norddeutschland zu stammen.
    Die Namen wurden 1944 eingedeutscht. Geredet wurde oft nicht darüber und Fluchtgeschichten gibt es im Osten zuhauf.
    Fazit, nimm jeden Menschen so an, wie er ist, egal woher er kommt, egal wie viele Sprachen er spricht, er ist dir vertrauter, als du oftmals denkst.

  7. 11.

    Die Sprache kann man in der VDH erlernen, gibt spezielle Kurse dafür.
    Habe selber zwei Kurse absolviert.
    Das hilft mir im Alltag ,um einiges zu verstehen.
    Schade das Duolingo diese Sprache nicht anbietet.
    Ist ansonsten gut um andere Sprache zu lernen.
    Ich kenne viele Polen hier die gerne hier leben und arbeiten.

  8. 10.

    Ich wusste nicht, dass Charakterzüge eine Nationalität haben. Leider werden hier wieder Klischees bedient.
    Dieses ewige „das ist typisch dies und typisch das“. Wem nutzt das eigentlich?
    Es verfestigt aus meiner Sicht nur wieder Vorurteile. Schade.

  9. 9.

    Die Statistiken zur Wanderung zeigen in letzter Zeit eine Abwanderung Richtung Polen. Der Soldo ist jetzt meist negativ oder gerade so noch über 0.

  10. 8.

    Die Kommentare hier zeigen, wie isoliert die Menschen früher aufgewachsen sind.
    Vielen scheinen andere Nationen völlig fremd zu sein.

    Ich verstehe sehr gut, wie es ist in einem eher gastunfreundlichen Land mit anderem kulturellen Background aufzuwachsen.
    Natürlich fühlt man sich deutsch, bis man später merkt, das man noch andere Werte vermittelt bekommen hat.
    Meine Eltern waren Deutsch-Polen und Deutsch-Dänische Mischungen.
    Heute schöpfe ich aus der Vielfalt der Kulturen:)

  11. 7.

    Wirklich eine unpassende Satz von die ehrwürdige Frau Schwaan.

    Ob polnisch besonders schwer ist kann ich nicht beurteilen. Aber in der DDR schafften es viele, recht brauchbares Russisch zu lernen, in der SU zu studieren usw. Mit sogar ein ganz anderer Alphabet.

    Ich meine, viele Zuwanderer, nicht nur polnischen, haben zwei Identitäten und sind vielleicht dafür zu beneiden.

  12. 6.

    Es gibt natürlich leichter zu lernende Sprachen und schwerer zu lernende Sprachen. Dabei ist es nicht unbedingt die Reihung von Konsonanten bspw. bei Szcz(ecin), was so unendlich schwer wäre, wo wir das als Deutsche mit (Schi)ffsschr(aube) sogar noch überbieten, die konsequente Trennung von Verweiblichung und Vermännlichung und die sieben Fälle anstatt der vier macht polnisch nicht gerade zu einem leichten Unterfangen.

    Deutsch würde ich allerdings für Außenstehende auch nicht unbedingt als leicht zu erlernende Sprache einordnen. Von daher ziehe ich vor Jedem und vor Jeder den Hut, wer sich in dieser Sprache, die für uns Muttersprache ist, von außen kommend unterhalten kann.

  13. 5.

    Ich wurde auch schonmal von Polen für mein gutes Deutsch gelobt. Musste aber auch zugeben, dass die Familie noch zu Kaiserszeiten nach Deutschland kam. Nur der Familienname weißt noch drauf hin. War mir früher nie bewußt, aber hat sich was gewandelt, heute ist man nicht mehr überrascht wenn polnische Freikirchen klingeln und ein sehr einseitiges Gespräch beginnen.

  14. 4.

    Wenn man eine Sprache nicht kann ist das erst mal ein persönliches Defizit.
    Wobei: War letztens in Schottland. Die Schrift habe ich ganz gut verstanden - die gesprochene Sprache kein Stück.
    Wollte vor Jahren mal versuchen an der VHS einen Kurs in der Nachbarsprache zu belegen. Dann kam ein Inteview mit Frau Gesine Schwan, die meinte, polnisch kann man nicht lernen, man sollte so geboren sein. Sonst ist es zu schwer.
    Das hat meine Motivation geerdet.

  15. 3.

    Gegenüber Englischsprachigen und Französischsprachigen habe ich bspw. so etwas noch nie erlebt, gegenüber Polen vereinzelt schon. Mit dem Sauersein aufgrund des Nichtverstehens mögen Sie recht haben. Englisch und Französisch wird ja immerhin in der Schule angeboten und bei einer Ansprache, gefälligst deutsch zu sprechen, würde sich der Maßregelnde ertappt fühlen, das seinerzeit nicht gelernt zu haben oder aber, gefühlt "auf der falschen Seite der Geschichte" gestanden zu haben.

    Ansonsten könnten die Deutschen eine Spur polnischer sein, in Richtung eines pragmatischen Umgangs, der nicht gleich von einer alles überschwemmenden Regelungswut im Keim erstickt wird, die Polen eine Spur deutscher, indem gelegentlich nicht gleich irgendwo losgebaut wird und dann erst geschaut wird, ob auch das Geld dafür reicht. ;-

  16. 2.

    Werde ich nie verstehen. Wieso kommt überhaupt "das Polnische" auf, wenn in D geboren? Aus dem Alltag und Berufsleben kann es ja kaum kommen. Also Elternhaus.

  17. 1.

    "... hier sei Deutschland und hier werde Deutsch gesprochen"
    Uiuiuiui, da war wohl jemand sauer weil er nicht wie gewohnt mitlauschen konnte. Es ist eine absolute Unsitte zu verlangen, das zwischenmenschliche Gespräche in Deutsch gehalten werden sollen.

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