Instrumentalisierung der Literatur - Wie die Neue Rechte Prosa und Lyrik für ihre Zwecke umdeutet

So 30.03.25 | 16:18 Uhr | Von Elena Deutscher und Nathalie Daiber
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Symbolbild: Ein Frau liest ein Buch im Buchladen. (Quelle: dpa/Dmitrii Marchenko)
Audio: rbb24 Inforadio | 26.03.2025 | Nathalie Daiber | Bild: dpa/Dmitrii Marchenko

Keine rechten populistischen Parolen, sondern nette Gespräche über Literatur. Die Neue Rechte hat die Bücher für sich entdeckt, um ihre eigenen Ideologien populär zu machen – so die Analyse einer neuen Studie. Von Elena Deutscher und Nathalie Daiber

Ob mit Lesekreisen – auch in Berlin –, Youtube-Sendungen oder mit einer Buchmesse im Herbst: Mittlerweile hat die Neue Rechte ganz unterschiedliche Wege gefunden, Literatur für sich zu nutzen.

Wie genau die Neue Rechte literarische Werke nutzt, um Ideologien in die Mitte der Gesellschaft zu tragen, wurde jetzt unter anderem im Forschungsprojekt "Neurechte Literaturpolitik" untersucht. Geleitet wird das Projekt von Thorsten Hoffmann, Professor für Neuere Deutsche Literatur am Institut für Literaturwissenschaft an der Universität Stuttgart.

Das Lieblingsbuch ist ein bekannter Klassiker

Werke wie der Literaturklassiker "Fahrenheit 451" von Ray Bradbury, in dem der Besitz von Büchern verboten ist, werden bewusst umgedeutet, wie Hoffmann sagt. "Das sind die Lieblingstexte der Neuen Rechten. Sie versuchen anhand dieser Texte zu behaupten, dass wir uns gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland in einer Diktatur befänden, gegen die man nur mit Hilfe der Neuen Rechten aufbegehren kann, um die Freiheit des Wortes durchzusetzen."

Ziel sei es, das Narrativ zu verbreiten, die Neue Rechte würde genauso verboten und dürfe nicht frei reden wie die Menschen, die in "Fahreinheit 451" Bücher besitzen oder lesen, so Hoffmann.

In Anlehnung an den Klassiker veranstaltet der Verein "Aktion 451" unter anderem in Berlin rechte Lesekreise. Auch der Verein "Staatsreparatur" des ehemaligen Berliner AfD-Abgeordneten Andreas Wild ist bekannt für rechte Veranstaltungen inklusive Buchvorstellungen.

Kurz erklärt

Der Begriff Neue Rechte beschreibt eine uneinheitliche, rechtsgerichtete politische Strömung in verschiedenen Staaten. Sie ist intellektuell ausgerichtet und sucht Querverbindungen ins konservative Spektrum. Einige Gruppierungen der Neuen Rechten wollen einen völkischen Nationalismus modernisieren. Politikwissenschaftler weisen der Neuen Rechten eine Scharnierfunktion zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus zu. Dabei würden Gegensätze zwischen demokratischem Konservatismus und antidemokratischem Rechtsextremismus relativiert und Gemeinsamkeiten überbetont.

Der Leipziger Wissenschaftler Hans-Joachim Schott, der Teil des Arbeitskreises Politische Ästhetiken ist, sagt: "Der Roman bietet viele Ansatzpunkte, gerade weil er nicht rechts ist." Dass der Roman nicht rechts sei, sage auch die Neue Rechte selbst, so Schott. Vielmehr sei er Kunst und somit autonom, und damit könne sie sich auch auf ihn beziehen "wie es Konservative oder Liberale tun". So könne die Neue Rechte, erklärt Hans Joachim Schott, die eigenen Positionen mit denen aus der Mitte der Gesellschaft verzahnen.

Es geht darum mithilfe dieser Texte auch von Menschen die gar nicht nach neurechten Medien suchen, wahrgenommen zu werden.

Thorsten Hoffmann, Universität Stuttgart

Gespräche vor Bücherregalen und bei einem Glas Wein

Auf Youtube hat die Neue Rechte sogar eine eigene Literatursendung. Der Titel: "Aufgeblättert. Zugeschlagen – Neue Rechte lesen". Bei einem Glas Wein wird vor einer Bücherwand über Lyrik und Prosa wie zum Beispiel über die zeitgenössischen Bücher von Lutz Seiler oder Iris Wolff geplaudert. Zu dem Lesezirkel gehören unter anderem Ellen Kositza und Susanne Dagen.

Ellen Kositza betreibt mit ihrem Mann, dem Rechtsextremisten Götz Kubitschek, den Verlag Antaios. Susanne Dagen, Buchhändlerin und Teil der Dresdner AfD-Fraktion, gehört das Buchhaus Loschwitz in Dresden. Thorsten Hoffmann schreibt ihr eine Scharnierfunktion zwischen der Neuen Rechten und Literatur zu.

Gut vernetzt in der ostdeutschen Literaturszene

"Durch ihr Buchhaus Loschwitz, was auch als Veranstaltungsort dient, konnte Dagen gute Verbindungen in den Literaturbetrieb aufbauen. Auch zu Schriftstellern und Schriftstellerinnen in den neuen Bundesländern", sagt Hoffmann. Damit habe sie für die Neue Rechte eine enorme Bedeutung. "Weil diese Verbindungen jetzt massiv genutzt werden, um Leute für diese Agenda, die bei Susanne Dagen mittlerweile eindeutig neurechts ist, zu gewinnen."

Für den Literatur-Professor Torsten Hoffmann ist die Intention hinter Formaten wie dem Youtube-Kanal von Dagen und Kositza, in denen auch Mainstream-Romane besprochen werden, klar: "Es geht darum, mithilfe dieser Texte auch von Menschen wahrgenommen zu werden, die gar nicht nach neurechten Medien suchen."

Auch in Berlin nutzen rechte Akteure Literatur für ihre Zwecke

Auch in Berlin gibt es rechte Akteure, die Literatur für ihre Zwecke nutzen. Ein Beispiel: die sogenannte Bibliothek des Konservatismus. Sie gilt als Denkfabrik der rechten Szene. "AfD-Politiker, Eurofeinde, Abtreibungsgegner und Islamkritiker treffen sich dort, um nationale Ideen salonfähig zu machen", schrieb der "Spiegel" schon 2017. Seit 2023 ist die umstrittene Bibliothek im Bibliotheksverbund Berlin-Brandenburg .

Damit können Studierende bei ihrer Literatursuche auf die Bestände der rechten Bibliothek stoßen. Rechte Ideologien könnten so zugänglicher werden, fürchten Kritiker.

Auf die Frage des rbb nach einem Interview heißt es seitens der Bibliothek, sie erschlössen "das gesamte geistesgeschichtliche Spektrum des Konservatismus seit 1789 und stellen unseren Nutzern entsprechende Medien zur Verfügung. Das bedeutet naturgemäß nicht, dass sich unser Haus oder einzelne Mitarbeiter mit allen hier vorgehaltenen Schriften oder Periodika identifizieren." Einem Interview erteilten sie daher eine Absage.

Schulze: Zutrauen in die Bücher und auch in den Großteil der Kritiker und Leser

Der in Berlin lebende Schriftsteller Ingo Schulze setzt auf die Literatur und die Texte selbst: "Ich habe Vertrauen in die Bücher. Wenn es ein gutes Buch ist, dann kann man es nicht nach rechts verbiegen. Ich habe da Zutrauen in die Bücher und auch in den Großteil der Kritiker und Leser."

Schulze kennt Susanne Dagen schon sehr lange, früher hat er auch in ihrer Buchhandlung gelesen. Heute tut er das nicht mehr, aus zwei Gründen, wie er sagt. Zum einen ist in der Youtube-Sendung auch der österreichische Rechtsextreme Martin Sellner schon zu Gast gewesen und das unter falschem Namen. Zum anderen sieht er die Zusammenarbeit mit dem Verlag von Götz Kubitschek sehr kritisch.

Mit jemandem wie Kubitschek, der den Vorbürgerkrieg propagiert oder Bücher über "den großen Austausch" veröffentlicht, möchte Schulze nichts zu tun haben, wie er sagt. "Da ist für mich eine Grenzline überschritten", so der Literat. Weiter sagt Schulze: "Ich glaube es tut Literatur nicht gut, wenn man sie gleich in rechts, links oder Mitte unterteilt." Er redet aber immer noch mit Susanne Dagen – zuletzt in einem Streitgespräch in der "Sächsischen Zeitung".

Eigene Büchermesse in Halle (Saale)

Im Herbst plant Susanne Dagen eine eigene Buchmesse in Halle (Saale). Unter dem Namen "Seitenwechsel" soll die Messe ausgerechnet am 9. November stattfinden – dem Gedenktag an die Reichspogromnacht.

Für den Literatur-Professor Thorsten Hoffmann nimmt diese Messe "neue Dimensionen" an. Die Buchmesse in Halle wird erstmals nicht klar als rechts gekennzeichnet, sondern soll sich bewusst an "alle Lesenden" richten. "Das ist die Strategie, die Susanne Dagen als Normalisierung bezeichnet. Sie möchte zu einer Normalisierung des neurechten Denkens beitragen", sagt Hoffmann. Dafür sei es wichtig, sich nicht mehr klar als rechts zu bekennen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 26.03.2025, 18:55 Uhr

Beitrag von Elena Deutscher und Nathalie Daiber

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16 Kommentare

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  1. 16.
    Antwort auf [Steppenwolf] vom 30.03.2025 um 19:14

    Reine Lüge und AfD-Propaganda. Gehts noch billiger oder geistloser?

  2. 15.

    Ich habe aber nichts mit Rechtsextremen Gesockse am Hut und schon gar nicht mit der sogenannten AfD!

  3. 14.

    Sie wollen es nicht oder haben es nicht verstanden, es liegt nicht an den Texten, somdern an dem Mißbrauch der Texte für deren niederen Ziele. Das fängt mit der ewigen Lüge an, daß bei uns,,Meinungsdiktatur'' herrscht. Sie wollen schlicht ihre Nazipropaganda in alle Schichten unserer Gesellschaft tragen, gleich einer Giftinfluenzerin.

  4. 13.

    Nicht nur Sie haben Frust. Deshalb wähle ich AfD. Die tun nichts für mich, aber die linken Meinungsmacher gehen mir sowas von auf die Nerven....

  5. 12.

    Ob TikTok, an/bei Schulen, und auch nun wohl Literatur - ich empfinde es erschreckender das die AfD (oder andere Rechte) diese Plattformen so vorteilhaft für sich nutzen zu schaffen wissen.
    Wenn es so einfach, vor allem so einflußreich sein soll an "Konsumenten" zu kommen, wieso schaffen das nicht die GRÜNEN, die LINKEN, bzw. die altetablierten Parteien nicht.
    Okay, FFF z.B. versuchte es mit dem Bummeltag, aber nun?

  6. 11.

    Ich hab keine Belege. War nur so ne Meinung, weil ich das darf und auch Frust habe.

  7. 10.

    Weil die "neue Linke" Literatur aus dem Kontext reißt und umdeutet? Belege?

  8. 9.

    Der obige Artikel insinuiert ein wenig, dass die Literat*innen und ihre Texte, die nun von den "neuen" Rechten "vereinnahmt", "instrumentalisiert", "aus dem Kontext gerissen" würden, jetzt irgendwie mitleidsbedürftig wären. So als tue eine Susanne Dagen einem Ray Bradbury irgendein Unrecht an, wenn sie (als "Rechte"!) sich positiv auf ihn, den politisch Unabhängigen, beziehe.

    Umgekehrt wird aber auch ein Schuh draus: irgendwas muss ja "dran" sein an Texten und ihren Autor*innen, wenn sie eine Anschlussfähigkeit bieten für autoritäre, illiberale Menschenfeinde. Es scheint ja kein reines Zufallsprinzip zu sein, das bestimmt, wohin die Sympathien der Rechtsradikalen fallen: vielleicht haben die "Opfer" auch ihren Teil dazu beigetragen, dass diese Vereinnahmung möglich wurde. Vielen *anderen* passiert sowas ja anscheinend bislang nichts. Oder wird in Schnellroda jetzt auch aus den Büchern von Wolfgang Pohrt oder Hengameh Yaghoobifarah gelesen?

  9. 8.

    Also ich habe noch nie von einer SPD Veranstaltung gehört, bei der Störkraft gespielt wurde-Sie?

  10. 7.

    Der Ort des Treffens wird ausfindig gemacht. Und wir Demokraten aller Richtungen, werden da sein. Versprochen.

  11. 6.

    Wäre Bücher verbieten jetzt eine Option für den Autor?

  12. 4.

    Das sind widerliche Pläne der Neonazis, aber als solche, für normal-denende auch erkennbar! Und diese ,,Dame'', soll sich von der Uni-und Händelstadt )meine Heimat, fern halten! Da wird Sie sehr viel Gegenwind erfahren, um ihre widerwärtigen Absichten zu verhindern!

  13. 3.

    Da haben sie Recht.
    Das funktioniert bei den Linken auch ganz gut.

  14. 2.

    Wenn man sich die "Bibliothek des Konservatismus" näher anschaut erkennt man wie die Neofaschisten eine unheilige Allianz mit extrem rechten cDUlern anstrebt.

    Dazu kommen noch Millionen "Spenden" aus dubiosen Quellen und dass das BfV weiter vor sich hinschläft.


    #AfdVerbotjetzt!

  15. 1.

    Der Trick ist doch, Dinge aus dem Kontext zu reißen und dann umzudeuten. Gab's schon vor 20 Jahren, als Ärzte-Songs auf NPD-Veranstaltungen liefen. Wenn man Quellen konsumiert und nicht weiter nachdenkt, funktioniert das...