Europawahl am 9. Juni - Jedes achte Wahllokal in Berlin ist nicht barrierefrei
Auch im Wahljahr 2024 bleibt mobilitätseingeschränkten Menschen in hunderten Berliner Wahllokalen die Stimmabgabe verwehrt. Das zeigen Zahlen des Landeswahlamtes, die dem rbb vorliegen. Ein Bezirk fällt dabei besonders negativ auf. Von Frank Preiss
- 13,1 Prozent der Wahllokale in Berlin sind zur Europawahl nicht barrierefrei
- In Mitte gilt das für mehr als jedes vierte Wahllokal
- Reinickendorf geht hierbei mit gutem Beispiel voran
- Betroffenen bleibt oft nur die Briefwahl
Hinweis: Dieser Beitrag wurde am 24.05.2024 überarbeitet. Eine erste Fassung dieses Beitrags, den rbb|24 am 23.05. veröffentlicht hat, basierte auf Zahlen des Landeswahlamtes, die von der Behörde später nachgeschärft wurden. Die zunächst von der Behörde zur Verfügung gestellten Zahlen beinhalteten auch Briefwahllokale, in denen am Wahltag jedoch keine Stimmabgaben erfolgen. Auf diesen Sachverhalt hat das Landeswahlamt den rbb erst am 24.05. hingewiesen. Die neue Fassung des Beitrags berücksichtigt nun ausschließlich die Urnenwahllokale. Dadurch ergibt sich - insbesondere mit Blick auf die Bezirke - ein anderes Bild.
Zur bevorstehenden Europawahl in Berlin sind lediglich drei Viertel der Wahllokale komplett barrierefrei. Weitere 12,2 Prozent können nur mit Hilfsperson aufgesucht werden. 13,1 Prozent aller Wahllokale bleiben für mobilitätseingeschränkte Wählerinnen und Wähler komplett unerreichbar. Das geht aus Zahlen hervor, die die Berliner Landeswahlleitung am Freitag dem rbb vorgelegt hat.
Demnach sind von den insgesamt 2.220 Wahllokalen zur Europawahl am 9. Juni insgesamt 1.658 barrierefrei, 271 "barrierefrei mit Hilfsperson" und 291 nicht barrierefrei.
Große Unterschiede in den Bezirken
Schaut man auf die Bezirke, zeigen sich große Unterschiede: Am wenigsten zu befürchten haben mobilitätseingeschränkte Wählerinnen und Wähler in Reinickendorf. Hier sind 93 Prozent der Wahllokale komplett barrierefrei, 7 Prozent mit Hilfsperson erreichbar – kein einziges Wahllokal in Reinickendorf ist nicht barrierefrei.
Am schwierigsten gestaltet sich die Lage in Mitte: Hier ist mit 27,3 Prozent mehr als jedes vierte Wahllokal nicht barrierefrei. Auch in Friedrichshain-Kreuzberg (22,7 Prozent nicht barrierefrei), Tempelhof-Schöneberg (21,7 Prozent nicht barrierefrei) und Neukölln (20,5 Prozent nicht barrierefrei) sollten Wählerinnen und Wähler mit Behinderung und auch Senioren mit Rollatoren lieber per Briefwahl ihre Stimmen abgeben. Alternativ kann ein Wahlschein beantragt werden, mit dem in einem anderen geeigneten Wahllokal innerhalb des Wahlbezirks gewählt werden.
Tiefpunkt bei den Wahlen 2021
Ob das jeweilige Wahllokal barrierefrei ist, steht auf der Wahlbenachrichtigung. Hier zeigt ein Piktogramm, ob die Lokalität komplett barrierefrei ist, ob eine Hilfsperson erforderlich ist oder ob das Wahllokal schlicht nicht begeh- und befahrbar ist. Bei der Suche nach einem barrierefreien Wahllokal im Wahlbezirk hilft die Online-Wahllokalsuche der Berliner Landeswahlamts [wahlen-berlin.de].
Doch was hat sich in Berlin in den zurückliegenden Jahren in Sachen barrierefreie Wahllokale getan? Nicht sonderlich viel, wie ein Blick auf die Statistiken des Landeswahlamtes zeigen. Die Barrierefreiheit war teils großen Schwankungen ausgesetzt: Bei der Abgeordnetenhauswahl 2016 waren rund 82 Prozent der Wahllokale barrierefrei (inklusive "barrierefrei mit Hilfsperson"). Bei der Bundestagswahl 2017 waren es dann nur noch knapp 77 Prozent, bei der Europawahl 2019 immerhin 82,5 Prozent. Bei der skandalumwitterten Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl 2021 waren gerade mal knapp 67 Prozent der Wahllokale für mobilitätseingeschränkte Menschen erreichbar – bei der Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl im vergangenen Jahr dann wiederum 74 Prozent.
Bislang keine rechtlichen Vorgaben für barrierefreie Wahllokale
"Da eine Vielzahl von Faktoren für die Einrichtung von Wahllokalen eine Rolle spielen, ist die vollständige Barrierefreiheit schwer zu erreichen", räumt Guido Kleinert, Leiter des Berliner Landeswahlamtes auf rbb|24-Anfrage ein. Die meisten Wahllokale befinden sich in öffentlichen Gebäuden. Kleinert: "Wie in allen Bereichen des öffentlichen Lebens ist auch der barrierefreie Umbau von Schulen und Ämtern ein Vorhaben, das nicht vollständig abgeschlossen ist."
Fakt ist derweil: Es gibt rechtlichen Nachholbedarf. Laut Artikel 29 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) muss zwar sichergestellt werden, dass die Wahlverfahren, Wahleinrichtungen und Wahlmaterialien geeignet, zugänglich sowie leicht zu verstehen und zu handhaben sind. Eine Pflicht zur Schaffung von barrierefreien Wahllokalen gibt es dagegen nicht.
"Einen festgelegten Anteil an barrierefreien Wahllokalen schreibt weder die Europawahlordnung noch die Bundeswahlordnung vor", erklärt Landeswahlamtschef Kleinert. In den entsprechenden Paragrafen der beiden Gesetze steht demnach lediglich, "dass allen Wahlberechtigten, insbesondere Menschen mit Behinderungen und anderen Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigung, die Teilnahme an der Wahl möglichst erleichtert wird."
Sendung: rbb24 Abendschau, 23.05.2024, 19:30 Uhr
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