Interview | Konsum-Forscherin - "Zu viel Besitz kann psychisch belastend sein"

Fr 27.12.24 | 08:20 Uhr
  50
Symbolbild: Aussortierte Schuhe und Kleidung stehen am 28.07.2023 sortiert vor dem Schrank: "Kleiderspende", "Ebay" und "Mia+Janik" stehen darauf geschrieben. (Quelle: dpa-Bildfunk/Annette Riedl)
Video: rbb24 Abendschau | 27.12.2024 | Anja Herr | Bild: dpa-Bildfunk/Annette Riedl

Geschenke sind schön, aber weniger wäre oftmals mehr. Wie ein bewusster Umgang mit Konsum helfen kann, die Lebensqualität zu steigern, erklärt Lisa Sophie Walsleben, Psychologin an der TU Berlin.

rbb|24: Frau Walsleben, nach Weihnachten stehen wir oft vor einem Berg von Geschenken – von denen wir vieles gar nicht brauchen.

Lisa Sophie Walsleben: Das Weihnachtsgeschäft zeigt sehr anschaulich, dass wir in einer Konsumgesellschaft leben, die von Überfluss geprägt ist. Wir werden ständig dazu angeregt zu kaufen – sei es durch Schaufenster, Online-Shopping oder Social Media. Besonders zu Weihnachten wird Konsum zu einem Symbol für Zuneigung und Wertschätzung. Das setzt viele unter Druck, großzügig zu schenken, auch wenn die Geschenke nicht immer nützlich sind.

zur person

Lisa Walsleben (Quelle: privat)
privat

Dr. Lisa Sophie Walsleben ist Psychologin mit einem Fokus auf Themen wie maßvoller Konsum und maßvolles Wirtschaften. Sie lehrt an der Technischen Universität Berlin, wo sie im Rahmen eines Citizen-Science-Projekts mit ihren Kolleg:innen den "Kompass Konsumreduktion" entwickelt hat. Er soll Menschen dabei helfen, ihren materiellen Besitz zu reflektieren, zu reduzieren und anschließend weniger zu konsumieren.

Kann diese Überfülle an materiellen Dingen auch belasten?

Ja, zu viel Besitz kann psychisch belastend sein. Studien zeigen, dass Unordnung und materieller Ballast mit Stress und Ängsten verknüpft sein können. Zudem besitzen wir oft mehr, als wir nutzen, und werfen vieles weg, was noch funktionstüchtig wäre. Diese Mechanismen sind nicht nur schlecht für die Psyche, sondern auch für die Umwelt.

Sie haben mit der TU Berlin, ConPolicy und co2online den Ratgeber "Kompass Konsumreduktion" entwickelt. Was steckt dahinter?

Das Projekt entstand aus dem Trend zu Minimalismus und Ausmisten. Wir wollten untersuchen, ob gezieltes Ausmisten, kombiniert mit Reflexionsübungen, dazu beitragen kann, langfristig weniger zu konsumieren. In einem Citizen-Science-Projekt haben wir gemeinsam mit Teilnehmer:innen Maßnahmen entwickelt, um materielle Besitztümer zu reflektieren, zu reduzieren und nachhaltiger mit ihnen umzugehen.

Wobei hilft der "Kompass Konsumreduktion" konkret?

Der Ratgeber hilft, das Ausmisten als Chance zu nutzen, mehr über die eigenen Bedürfnisse und Konsummuster zu lernen. Und diese Lerneffekte können später darin münden, dass man auch weniger anschafft. Er umfasst vier Phasen: Reflexion vor dem Ausmisten, achtsames Ausmisten, nachhaltige Weiterverwendung aussortierter Gegenstände und das langfristige Dranbleiben, um Gewohnheiten zu verändern. Ziel ist es, weniger zu konsumieren und bewusster mit Besitz umzugehen.

Können Sie diese Phasen genauer erläutern?

Vor dem Ausmisten reflektiert man, welche Dinge einem wirklich wichtig sind, worum es einem im Leben geht und von welchen Dingen man weniger – oder mehr - möchte. Beim Ausmisten selbst prüft man, warum ein Gegenstand behalten oder weggegeben werden sollte. Dabei erkennt man oft, dass bestimmte Dinge impulsiv gekauft wurden oder nicht die erhoffte Funktion erfüllen. Nachhaltigkeit spielt auch eine Rolle: Statt Dinge wegzuwerfen, kann man sie spenden, verkaufen oder weiterverwenden. Die letzte Phase, das Dranbleiben, beinhaltet Gewohnheitsänderungen wie bewussteres Einkaufen und das Vermeiden unnötiger Käufe.

Infos im netz

Gemeinsam mit engagierten Bürgerwissenschaftler:innen haben Forscher:innen der TU Berlin, von ConPolicy und co2online im Rahmen des Citizen-Science-Projekts "Mein Ding – Ich bin, was ich (nicht) habe" Übungen für einen dauerhaft ressourcenleichten Lebensstil entwickelt und getestet. Ihre Erkenntnisse haben sie im "Kompass Konsumreduktion - Der Ratgeber zur Befreiung vom Überfluss" – zusammengefasst. Der interaktive Ratgeber bietet umfassende Informationen und praxisnahe Übungen, die Menschen dabei unterstützen, das Ausmisten bewusst und nachhaltig zu gestalten.

Was können wir mit den aussortierten Dingen machen?

Nachhaltigkeit bedeutet, Dinge nicht einfach wegzuwerfen. Stattdessen können sie gespendet, verkauft oder getauscht werden. Das macht es leichter, sich zu trennen, und hilft, Ressourcen zu schonen. Im Ratgeber finden sich verschiedene Tipps dazu.

Aber birgt das Ausmisten nicht die Gefahr, neuen Platz wieder zu füllen?

Das Risiko besteht, wenn man Ausmisten nur als Mittel zur Ordnung sieht. Nachhaltiges Ausmisten setzt voraus, dass man dabei auch seine Konsumgewohnheiten reflektiert und verändert. So kann man aus der Erfahrung lernen und zukünftige Käufe bewusster gestalten.

Welche Strategien gibt es, Konsum zu vermeiden?

Wichtige Strategien sind, Dinge zu reparieren, zu teilen oder auszuleihen, anstatt sie neu zu kaufen. Im Bereich Kleidung ist Tauschen eine gute Möglichkeit. Entscheidend ist, alte Gewohnheiten zu durchbrechen und sich an neue, ressourcenschonende Verhaltensweisen zu gewöhnen. Dazu ist es sinnvoll, gezielt konsumfreie Phasen zu planen.

Wie finden wir heraus, was wir wirklich brauchen?

Selbstreflexion ist der Schlüssel. Vor und während des Ausmistens sollte man sich fragen, welche Dinge wirklich zu den persönlichen Lebenszielen beitragen. Vielen aus dem Projekt war bei materiellem Besitz besonders wichtig, dass er Freude macht, dass er oft genutzt wird und das Leben leichter macht. Es kann auch sinnvoll sein, sich vor einer Kaufentscheidung in Erinnerung zu rufen, was man bereits alles hat. Viele merken dann, dass sie nicht noch mehr brauchen.

Wie befreien wir uns vom sozialen Druck, immer das Neueste besitzen zu müssen?

Dieser Druck basiert oft auf der symbolischen Funktion von Konsum, etwa als Zeichen von Status oder Zugehörigkeit. Wir sollten hinterfragen, ob sich diese Bedürfnisse nicht auch durch konsumfreie Aktivitäten erfüllen lassen. Der Austausch mit Gleichgesinnten kann helfen, alternative Wege zu finden und gesellschaftliche Normen zu hinterfragen. Unser Projekt hat auch ergeben, dass vieles, was wirklich zählt, nicht die materiellen Dinge sind, sondern Erlebnisse, Gesundheit, soziale Beziehungen und Hobbys.

Danke für das Gespräch.

Das Interview führte Anja Herr, rbb24 Abendschau.

Sendung: rbb24 Abendschau, 27.12.2024, 19:30 Uhr

Nächster Artikel

50 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 50.

    Vielleicht ist die vermeintliche Ideologie, die Sie hier zu lesen meinen, ja wiederum nur eine Reaktion auf die Wachstums- und Konsumideologie von Politik und Wirtschaft. Was in #2 und auch #31 zu Recht kritisiert wurde. Wie gesagt, Geschenke sind gar nicht mal das Hauptthema hier. Aber auch da kann es ein "zu viel oder zu unnötig" geben. Deswegen muss sich ja trotzdem niemand die Freude daran nehmen lassen. :-)

  2. 49.

    " Du wirst nichts besitzen und glücklich sein " Klaus Schwab König des WEF....in großen Schritten zum Great Reset. Werden die Menschen dieser technokratischen Vison folgen?..Ich hoffe nicht

  3. 48.

    Fragen über Fragen, da hilft lesen des Artikels und der Kommentare weiter, einschließlich meiner Antwort auf #31.

    Dem Spass am schenken, gehen immer Gedanken über den Beschenkten voraus, erfahrunggsgemäß kommt bei übereichen beidseitig Freude auf, und das tut gut,
    Das ist der Gegensatz zu ideologisch geprägten Kommentaren hier, weil,
    der Eigenkonsum und beschenken, das sind zweierlei unterschiedliche Dinge, wobei gegen die Eigenbeschränkung gar nichts einzuwenden gibt.

  4. 47.

    Die Frage ist, ob Geschenke immer materiell sein müssen. Und ob der oder die Beschenkte das vielleicht gar nicht möchte, so gut es auch gemeint ist. Ich glaube, in diesem Artikel geht es aber gar nicht vorrangig um Geschenke. Vielleicht nochmal lesen?

    Und welche kleinen Freuden werden Ihnen jetzt genau durch die Kommentare hier genommen?

  5. 46.

    Ich finde das Bild des Artikels der Kinderschuhe,im Zusammenhang mit dem Inhalt schwierig.

    Ich selbst konsumiere wenig und achte auf Qualität, da ich Schuhe/ Jacken beispielsweise gerne mal 5 Jahre oder länger trage.
    Aber Kinder wachsen! Und da hat man natürlich etwas mehr und viel. Mich stört das sehr. Aber ich empfinde es als wohltuend, wenn ich die Dinge weitergebe oder Spielzeug,dass für das Kind I zu groß und Kind II noch zu klein ist, beispielsweise zwischenzeitlich an Freunde verleihe.

  6. 45.

    Kann, aber muß nicht! Ich fühle mich sauwohl, wenn ich in mein Depot schaue. Seit Jahren bin ich mit Bitcoin, aber auch dem klassischen Sparen (Bargeld) zufrieden! Wer jetzt noch jammert, hats Verschlafen!

  7. 44.

    Angesichts dieser Hochnäsigkeit ist es doch beruhigend zu wissen, das das letzte Hemd keine Taschen hat und man die Gewissheit hat, das man mit Geld nicht alles kaufen kann.

  8. 43.

    Mein Problem ist, ich besitze zu viele Aktien... Sehr belastend ist, ich Blicke in meinem Depot nicht mehr durch

  9. 41.

    Wenn man jung ist, braucht man das Geld und hat es nicht. Und wenn man alt ist, hat man das Geld und braucht es nicht mehr.

  10. 40.

    Also eins steht fest, dass die Freude über schenken und beschenkt werden ein alter Brauch ist, und auch im gesamten sozialistischen Ostblock gepflegt wurde, ego, es hat mit Überfluss und Zwang nichts zu tun, natürlich nur, wenn man seinen Nächsten auch emotional zugewandt ist.
    Nun ja, wenn man die Kommentare liest, da sollten nicht einmal die kleinen Freuden im Leben noch Spass machen, die entsprechende Stimmung immer wieder zu verbreiten ist ein Muss, am bestenTag für Tag.















  11. 39.

    Seh ich ähnlich! Ohne M>oos nichts los! Es gibt schon genug ,,da unten'', warum soll ich deshalb verzichten?

  12. 38.

    Nun, es ermöglicht aber viel Freiheit, wenn man kraft des Geldes, sich alles leisten kann!

  13. 37.

    Weihnachten gibt es schon lange diverse Variationen … jeder schenkt jeden was oder Los ziehen und man schenkt nur einem etwas.
    Und Geburtstag … auch hier spielt das Alter eine Rolle… irgendwann braucht man nichts mehr… dann ist es eher ein Gemeinschaftsgeschenk… Städtereise oder sowas in der Art.

  14. 36.

    Vermutlich gibt es hier mehr Leute, die jeden Tag von beispielsweise Wartenberg oder Ahrensfelde mit der S-Bahn ihren Weg starten, dabei 15 Minuten durch Hochhausschluchten fahren, als Leute, die ihren Bentley erstmal durch den Park ihres Anwesens bewegen müssen, bevor sie öffentliches Straßenland erreichen. Wenn man in einem dieser jeweiligen Stadtrandhäuser wohnt, dann träumt man auf dem Weg leicht von den unterschiedlichsten Dingen. Die einen von dem Trip nach London am Freitag in die schöne Ausstellung, die anderen von entweder dem neuen Kühlschrank bevor es wieder wärmer wird, oder dem Abend allein vor dem neuen Fernseher, der einem ein Leben vormacht, das beruhigend angenehm und sicher ist. Würde ich in Ahrensfelde leben, dann könnte ich mich nur dem Konsum entziehen, wenn mir das Geld ausgeht, mir würde schlicht die Parkanlage meines Anwesens fehlen, in der ich mich auf Konsumverzicht besinnen könnte. Meine Situation befindet sich privilegiert mittendrin ohne Konsum.

  15. 35.

    Irgendwann hat wohl fast jeder von allem mehr als genug im Haus. Und wenn der Platz dann knapp wird, entsorgt so mancher den Überschuss und Überfluss gedankenlos im Müll. Dafür fehlt mir indes jegliches Verständnis, denn wenn die Dinge noch brauchbar und schön sind, gibt es immer Menschen, die sich noch sehr darüber freuen. Deshalb spende ich die aussortierten, noch guten Sachen gerne an gemeinnützige Organisationen, die sie dann direkt verteilen oder meinetwegen auch selbst verkaufen können.

  16. 34.

    Sich jeden Morgen neu entscheiden zu müssen, ob man nun den Bentley, den Lambo oder den Rolls für den Weg ins Büro nimmt, kann ganz schön anstrengend sein.

  17. 33.

    Sie haben Recht das Sprichwort "Wer billig kauft,kauft zweimal " bewahrheitet sich immer wieder. Auch ich bin schon das eine oder andere Mal darauf reingefallen. Und das, obwohl es immer heißt, einen Fehler macht man nicht zweimal.

  18. 32.

    Ein schöner Anlaß, mal wieder Silbermond zu hören: "Leichtes Gepäck".

  19. 31.

    Darauf beruht unser System, und unsere Wirtschaft. Produktion und Konsum von Unnützem und Überflüssigem. Wer das ändern will, muss das System ändern.