Interview | Konsum-Forscherin - "Zu viel Besitz kann psychisch belastend sein"

Geschenke sind schön, aber weniger wäre oftmals mehr. Wie ein bewusster Umgang mit Konsum helfen kann, die Lebensqualität zu steigern, erklärt Lisa Sophie Walsleben, Psychologin an der TU Berlin.
rbb|24: Frau Walsleben, nach Weihnachten stehen wir oft vor einem Berg von Geschenken – von denen wir vieles gar nicht brauchen.
Lisa Sophie Walsleben: Das Weihnachtsgeschäft zeigt sehr anschaulich, dass wir in einer Konsumgesellschaft leben, die von Überfluss geprägt ist. Wir werden ständig dazu angeregt zu kaufen – sei es durch Schaufenster, Online-Shopping oder Social Media. Besonders zu Weihnachten wird Konsum zu einem Symbol für Zuneigung und Wertschätzung. Das setzt viele unter Druck, großzügig zu schenken, auch wenn die Geschenke nicht immer nützlich sind.
Kann diese Überfülle an materiellen Dingen auch belasten?
Ja, zu viel Besitz kann psychisch belastend sein. Studien zeigen, dass Unordnung und materieller Ballast mit Stress und Ängsten verknüpft sein können. Zudem besitzen wir oft mehr, als wir nutzen, und werfen vieles weg, was noch funktionstüchtig wäre. Diese Mechanismen sind nicht nur schlecht für die Psyche, sondern auch für die Umwelt.
Sie haben mit der TU Berlin, ConPolicy und co2online den Ratgeber "Kompass Konsumreduktion" entwickelt. Was steckt dahinter?
Das Projekt entstand aus dem Trend zu Minimalismus und Ausmisten. Wir wollten untersuchen, ob gezieltes Ausmisten, kombiniert mit Reflexionsübungen, dazu beitragen kann, langfristig weniger zu konsumieren. In einem Citizen-Science-Projekt haben wir gemeinsam mit Teilnehmer:innen Maßnahmen entwickelt, um materielle Besitztümer zu reflektieren, zu reduzieren und nachhaltiger mit ihnen umzugehen.
Wobei hilft der "Kompass Konsumreduktion" konkret?
Der Ratgeber hilft, das Ausmisten als Chance zu nutzen, mehr über die eigenen Bedürfnisse und Konsummuster zu lernen. Und diese Lerneffekte können später darin münden, dass man auch weniger anschafft. Er umfasst vier Phasen: Reflexion vor dem Ausmisten, achtsames Ausmisten, nachhaltige Weiterverwendung aussortierter Gegenstände und das langfristige Dranbleiben, um Gewohnheiten zu verändern. Ziel ist es, weniger zu konsumieren und bewusster mit Besitz umzugehen.
Können Sie diese Phasen genauer erläutern?
Vor dem Ausmisten reflektiert man, welche Dinge einem wirklich wichtig sind, worum es einem im Leben geht und von welchen Dingen man weniger – oder mehr - möchte. Beim Ausmisten selbst prüft man, warum ein Gegenstand behalten oder weggegeben werden sollte. Dabei erkennt man oft, dass bestimmte Dinge impulsiv gekauft wurden oder nicht die erhoffte Funktion erfüllen. Nachhaltigkeit spielt auch eine Rolle: Statt Dinge wegzuwerfen, kann man sie spenden, verkaufen oder weiterverwenden. Die letzte Phase, das Dranbleiben, beinhaltet Gewohnheitsänderungen wie bewussteres Einkaufen und das Vermeiden unnötiger Käufe.
Was können wir mit den aussortierten Dingen machen?
Nachhaltigkeit bedeutet, Dinge nicht einfach wegzuwerfen. Stattdessen können sie gespendet, verkauft oder getauscht werden. Das macht es leichter, sich zu trennen, und hilft, Ressourcen zu schonen. Im Ratgeber finden sich verschiedene Tipps dazu.
Aber birgt das Ausmisten nicht die Gefahr, neuen Platz wieder zu füllen?
Das Risiko besteht, wenn man Ausmisten nur als Mittel zur Ordnung sieht. Nachhaltiges Ausmisten setzt voraus, dass man dabei auch seine Konsumgewohnheiten reflektiert und verändert. So kann man aus der Erfahrung lernen und zukünftige Käufe bewusster gestalten.
Welche Strategien gibt es, Konsum zu vermeiden?
Wichtige Strategien sind, Dinge zu reparieren, zu teilen oder auszuleihen, anstatt sie neu zu kaufen. Im Bereich Kleidung ist Tauschen eine gute Möglichkeit. Entscheidend ist, alte Gewohnheiten zu durchbrechen und sich an neue, ressourcenschonende Verhaltensweisen zu gewöhnen. Dazu ist es sinnvoll, gezielt konsumfreie Phasen zu planen.
Wie finden wir heraus, was wir wirklich brauchen?
Selbstreflexion ist der Schlüssel. Vor und während des Ausmistens sollte man sich fragen, welche Dinge wirklich zu den persönlichen Lebenszielen beitragen. Vielen aus dem Projekt war bei materiellem Besitz besonders wichtig, dass er Freude macht, dass er oft genutzt wird und das Leben leichter macht. Es kann auch sinnvoll sein, sich vor einer Kaufentscheidung in Erinnerung zu rufen, was man bereits alles hat. Viele merken dann, dass sie nicht noch mehr brauchen.
Wie befreien wir uns vom sozialen Druck, immer das Neueste besitzen zu müssen?
Dieser Druck basiert oft auf der symbolischen Funktion von Konsum, etwa als Zeichen von Status oder Zugehörigkeit. Wir sollten hinterfragen, ob sich diese Bedürfnisse nicht auch durch konsumfreie Aktivitäten erfüllen lassen. Der Austausch mit Gleichgesinnten kann helfen, alternative Wege zu finden und gesellschaftliche Normen zu hinterfragen. Unser Projekt hat auch ergeben, dass vieles, was wirklich zählt, nicht die materiellen Dinge sind, sondern Erlebnisse, Gesundheit, soziale Beziehungen und Hobbys.
Danke für das Gespräch.
Das Interview führte Anja Herr, rbb24 Abendschau.
Sendung: rbb24 Abendschau, 27.12.2024, 19:30 Uhr