Kommunalwahlen 2024 - Boom-Region mit Wachstumsschmerzen

Fr 17.05.24 | 06:38 Uhr | Von Karsten Zummack
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Neubaugebiet in Oranienburg am 17.04.2024 (Quelle: IMAGO/Jürgen Ritter)
Bild: IMAGO/Jürgen Ritter

Der Landkreis Oberhavel ist in den vergangenen Jahren kräftig gewachsen, vor allem im Süden. Die steigende Einwohnerzahl verursacht dabei auch Wachstumsschmerzen. Von Karsten Zummack

Bei den Kommunalwahlen in Brandenburg werden Tausende zum größten Teil ehrenamtliche politische Posten verteilt. Doch wie funktioniert Kommunalpolitik überhaupt, was wird hier entschieden und welche Probleme gibt es? rbb|24 schaut sich in den Landkreisen und kreisfreien Städten um, welche Themen dort relevant sind.

"Oranienburg kurz vor dem Blackout" - Schlagzeilen wie diese machten im April bundesweit die Runde. Der Grund: Brandenburgs fünftgrößte Stadt teilte plötzlich mit, wegen Kapazitätsengpässen keine Netzanschlüsse mehr zu genehmigen.

Inzwischen ist das Problem erstmal aus der Welt. Die Stadtwerke haben kurzfristig eine Lösung gefunden und bauen zusätzlich in den kommenden Jahren ein neues Umspannwerk. Trotzdem gilt das Desaster in der Kreisstadt von Oberhavel als Sinnbild der Herausforderungen, die das Einwohnerwachstum mit sich bringen.

Schulplätze fehlen

"Wir haben nicht nur im Süden Wachstumsschmerzen", räumt Landrat Alexander Tönnies (SPD) ein. Als vorrangige Aufgaben sieht er die Entwicklung der sozialen Infrastruktur, die Schaffung von Wohnraum, die Planung des Zuzugs. "Das Wichtigste für mich ist das Thema Bildung", so Tönnies. Mit dem Zuzug in den Landkreis steige natürlich auch der Bedarf an Schulplätzen. In diesen Wochen spielt das auch auf vielen Wahlplakaten für die Kreistagswahl am 9. Juni eine Rolle.

Tatsächlich werden Schulplätze in Oberhavel allmählich knapp. Das wurde auf der letzten Kreistagssitzung dieser Legislaturperiode am 8. Mai deutlich. Ein Beschluss: Die Jahrgangsstufe 7 am Hennigsdorfer Puschkin-Gymnasium kann ab dem neuen Schuljahr fünfzügig gebildet werden. Und das ist längst kein Einzelfall. An vielen Einrichtungen werden Jahrgangsstufen aufgestockt. Da die Klassenräume aus allen Nähten platzen, sieht man auf Schulhöfen teilweise Container.

Langfristig müssen ohnehin neue Schulgebäude her, da sind sich die politischen Kräfte in Oberhavel weitgehend einig. Der Kreis will innerhalb von fünf Jahren 100 Millionen Euro investieren, damit wurde der Etat verdoppelt. "Wir haben ein Schulplatzproblem", konstatiert Katrin Gehring (CDU). Die Entwicklung der Bildungslandschaft sieht sie als größte Herausforderung für Oberhavel an.

Ihre CDU-Fraktion hatte zuletzt gemeinsam mit BVB/Freie Wähler die Gründung einer kreiseigenen Projektgesellschaft für die Planung und den Bau neuer Schulen angeregt. Die Idee stieß aber im Kreistag mehrheitlich auf Ablehnung. Dabei sehen etwa auch Bündnis 90/Die Grünen im Kreistag die aktuell größte Herausforderung in der Errichtung und Modernisierung von Schulen. "Hier wurde bislang von falschen Zahlen ausgegangen", moniert Fraktionschef Reiner Merker. Sämtliche Prognosen von sinkenden Schülerzahlen hätten sich nicht bewahrheitet. Nun aber steuert der Landkreis mit seinem Schulentwicklungsplan um.

Grafik: Kommunalwahlen BB 2024 SSV Oberhavel vorläufiges Ergebnis (Quelle: rbb/imago images/Eventpress)
rbb/imago images/Eventpress

Kommunalwahlen 2024 - Oberhavel

Insgesamt sitzen im Kreistag Oberhavel 56 Abgeordnete und sieben Fraktionen:

  • SPD/LGU/Tierschutzpartei (elf)
  • CDU (elf)
  • AfD (sieben)
  • Linke (sieben)
  • Bündnis 90/Die Grünen (sieben)
  • BVB/Freie Wähler (vier)
  • FDP/Piraten (vier)

Den Landrat stellt mit Alexander Tönnies die SPD. Der 53-Jährige setzte sich im April 2022 bei der Stichwahl gegen seinen CDU-Kontrahenten Sebastian Busse durch.

Neue Straßen und Radwege sowie mehr ÖPNV nötig

"Weil es in Berlin kaum noch bezahlbaren Wohnraum gibt, ist eine Karawane nach Oberhavel unterwegs", beobachtet Werner Lindenberg (Fraktionschef BVB/Freie Wähler). Er beklagt die fehlende Verkehrsinfrastruktur gen Norden – Richtung Zehdenick und Fürstenberg/Havel. So wird schon seit Jahrzehnten über einen Ausbau der wichtigen B96 diskutiert, eine Route für die geplante Ortsumgehung bei Fürstenberg steht noch immer nicht fest.

Doch nicht nur Straßen sind gefragt. Mitunter warten Anwohner schon lange auf den Ausbau von Radwegen. Und der ÖPNV ist gerade im strukturschwachen Norden des Kreises noch unterentwickelt. Busse rollen dort noch zu selten. Etwas besser sind da die Menschen im Süden von Oberhavel dran. Viele von ihnen haben einen S-Bahnhof in der Nähe, auch Velten soll eine noch schnellere Verbindung nach Berlin bekommen. Allerdings wartet die Stadt bereits seit 1990 auf einen S-Bahn-Lückenschluss auf einer sechs Kilometer langen Strecke.

Nicht zuletzt soll die Heidekrautbahn auf ihrer Stammstrecke vom Berliner Norden über das Mühlenbecker Land bis nach Basdorf wiederbelebt werden. Eigentlich sollte sie schon Ende 2024 reaktiviert sein. Doch der Zeitplan ist längst nicht mehr einzuhalten. Es droht ein deutlicher Verzug.

"Das entwickelt sich hier alles zu unendlichen Geschichten", kritisiert AfD-Fraktionschef Dietmar Buchberger. Er fordert, das Schienen- und Straßennetz endlich auf den Stand zu bringen, den Landkreise südlich und westlich von Berlin schon lange geschafft haben. Für besser ausgebaute Straßen sowie neue Buslinien, die Wohn- und Gewerbegebiete mit der S-Bahn verbinden, werben die Politiker von FDP und Piraten im Kreistag. "Wenn wir jetzt vorausschauend handeln, bleiben die Wachstumsschmerzen beherrschbar", sagt Fraktionschef Uwe Münchow.

Druck auf dem Wohnungsmarkt steigt

"Der Zuzug ist für mich eine Chance für den ganzen Landkreis", urteilt Annemarie Wolff (SPD/LGU/Tierschutzpartei). Sie sagt voraus, dass mit steigendem Bedarf auch der Norden Oberhavels in den Blick geraten wird. Dort gibt es aktuell noch Bauland und Wohnungen. Gemeinden wie Zehdenick und Fürstenberg/Havel oder das Amt Gransee verbuchten zuletzt sogar einen Bevölkerungsrückgang – im Süden von Oberhavel derzeit undenkbar.

So wird die Kreisstadt Oranienburg in diesem Jahr voraussichtlich die 50.000-Einwohner-Marke knacken. Vor allem der S-Bahn-Anschluss lockt viele Zuzügler, unter anderem aus Berlin. Damit steigt aber auch der Druck auf den Wohnungsmarkt, vor allem im preiswerten Segment. Wie 2013 beschlossen, wird vor allem nördlich der ehemaligen Werkssiedlung "Weiße Stadt" kräftig gebaut. Fast 200 Wohnungen entstehen hier, das Gros gefördert.

Auch in Hennigsdorf und Hohen Neuendorf gibt es aktuell ähnliche Projekte. "Gemeinden und Kommunen sind in der sozialen Verantwortung, bezahlbaren Wohnraum insbesondere für Seniorinnen und Senioren zu schaffen", sagt die Fraktionsvorsitzende der Linken im Kreistag, Elke Bär.

Beitrag von Karsten Zummack

24 Kommentare

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  1. 24.

    Was „toberg“ meint ist, dass in der Lausitz jetzt zum zweiten mal ein kolossaler Umbruch (Wende) zu bewältigen ist. Es steht auch kein neuer 17 Millionen Bürgermarkt zur Verfügung, dem man was verkaufen kann. Und das alles in relativ kurzen Zeiträumen.

  2. 23.

    Im Ruhrgebiet wurden die Zechen spätestens 2018 geschlossen. Die Entscheidung dafür wurde 2007 getroffen - das sind nach meiner Rechnung 11 Jahre für die Umsetzung. Finanziell wurde diese nur sehr wenig unterstützt, denn Geld floß immer nur in Richtung Osten. Die Städte im Ruhrgebiet waren pleite und mussten sogar weitere Kredite aufnehmen um den "Aufbau Ost" zu finanzieren.
    Und zum Schluss noch eine Zahl: 1960 haben ca. 600.000 Menschen im Bergbau gearbeitet - die Industrie drumherum nicht mitgezählt.
    Das Ruhrgebiet und die Lausitz zu vergleichen ist so wie Steinkohle und Braunkohle - der Unterschied ist deutlich!

  3. 22.

    Anhand einer EinnahmeENTWICKLUNG kann abgeleitet werden: Eine Minus und Plus Entwicklung. Als zusätzlicher Hinweis zu anderen Dingen die ich schrieb.

  4. 21.

    >“ nur BER, Lausitz, Tesla - zählen in Brandenburg“
    Lausitz ist eine Region für Förderungen, dazu gehört auch Tesla. So wärens nur noch zwei mit BER ;-)
    Und die Region mit BER war weit vor Lausitz mit Tesla ein Förderthema. Dass die Lausitz viele EU-, Bundes- und Landesgelder bekommt, gönne ich denen auch. Ein Strukturwandel in solch schwindelerregendem relativ kurzen Zeitraum braucht schon Unterstützung. Zum Vergleich: Der Strukturwandel des Ruhrgebiets von der Steinkohle weg hat 30 Jahre gedauert!
    Wenn die Lausitz einen Neuanfang hat, dann sind andere Regionen in Brandenburg im Focus.

  5. 19.

    >“ Zuzug bedeutet auch eine Einnahmeentwicklung. “
    Nicht unbedingt. Schauen Sie nach Berlin. Die Ausgaben für Sozialleistungen sind dort in den letzten 10 Jahren über dem bundesdeutschen Durchschnitt gestiegen.

  6. 17.

    Steuert NUN um? Jetzt schon? So zeitig?
    Was ist mit den Zensusdaten? (Unter Androhungen abgefordert) Haftet jemand, wenn diese nicht gelesen und mit den Meldeämterdaten verglichen werden? Zuzug bedeutet auch eine Einnahmeentwicklung. Auch die kann nicht unbemerkt geblieben sein. Was ist also da los? NUN wird's aber Zeit...

  7. 16.

    Brandenburg hat genau 3 Probleme, mit denen sich das Land, seit Jahren/Jahrzehnten beschäftigt :
    Internationaler Großflughafen BER
    Strukturwandel in Cottbus/Lausitz
    und das neueste Thema ist Tesla/Ostbrandenburg
    Der Rest des Landes, muss sowieso selbst klarkommen - da gibt's kein Geld für Infrastruktur/ÖPNV usw. egal, wie hoch der Zuzug ist : nur BER, Lausitz, Tesla - zählen in Brandenburg !!!

  8. 15.

    Nach den neuesten Statistiken findet der größte Zuzug bis 2040, in Potsdam, TF, HVL, BAR und LDS statt.
    In allen anderen Brandenburger Landkreisen/Städten wird es nur geringe Zuwächse, Stagnation bzw. hohe Abwanderung geben.

  9. 14.

    Ist schon komisch: der Osten jammert über zu wenige Arbeitsplätze nachdem die Treuhand die modernen Industrieanlagen der DDR alle zerstört hat. Dann kommt Tesla und die Demos gegen das Werk gingen schon los, bevor auch nur ein Wagen gebaut wurde und dauern bis heute unvermindert an.

    Zugleich wird über den demographischen Wandel gejammert und dass der Osten vergreist. Dann gibt es einen Zuzug und was wird gemacht: weiter gejammert.

    Was hilft? Einfach mal selber die Kosten für die Bundesländer übernehmen und zwar ohne riesige Subventionen aus dem Westen und EU - dann sieht die Welt schnell anders aus.

  10. 13.

    Vielleicht auch Grenzkontrollen hier :)

    Warum muss immer alles reguliert werden?

  11. 12.

    Der Zuzug resultiert auch viel aus den Hausverkäufen.

    Wo vorher ein oder zwei Senioren wohnten, zieht eine Familie mit mehreren Kindern ein!

  12. 11.

    Puschkin Gymnasium, umbenennen, er stand auch für das Imperium.

  13. 10.

    Der "Wachstumsfetisch" ist ein grundlegendes Merkmal unseres ökonomischen Systems und verkörpert ein Wert des Kapitalismus. Entweder ständig wachsen oder untergehen. Man spürt es doch deutlich, der Globalismus stößt an seine Grenzen und wachsen kann man nur noch durch Verdrängung des anderen. Darum der "Handelskrieg" zwischen USA und China um Platz 1. Mal sehen wo die EU bleibt. Und wir scheinen schon abgehängt. Der dt."Wachstumsfetisch" schwächelt gerade.

  14. 8.

    Ich freue mich nicht über den Zuzug aus Berlin. Alles will nach Brandenburg ziehen.
    Der Zuzug müsste begrenzt werden. Ist doch klar das die Gemeinden vor Problemen stehen.

  15. 7.

    Wenn das unvermindert so weiterläuft gibt es in ein paar Jahren hier kaum noch Lebensqualität. Die Gier kennt keine Grenzen!

  16. 6.

    Da müssen Sie aber schon ganz schön weit draußen leben.. so über 50 km von der Berliner Stadtgrenze weg, dass ihre Stadt schrumpft.
    Was die Wachstumsschmerzen des dichten Speckgürtels um Berlin betrifft, kann man in Zeiten freier Wohnortwahl nur sehr vage den Zuzug von Menschen planen. Und wenn hinkt die kommunale Planung der wirtschaftlichen hinterher. Private Bauherren erschließen neue Wohngebiete und die Kommune plant erst den Bedarf an Kita- und Schulen, wenn die Leute da sind. Ist halt auch ein wenig Glaskugelschauen, wer dann wohl in neue Wohngebiete zieht - Familien mit Kinder, ältere Menschen usw.

  17. 5.

    Der Großteil meiner Freunde und Bekannten ist vor nicht allzu langer Zeit nicht freiwillig in die Richtung oder noch weiter weg gezogen (4 Zimmer 2000 Euro hallo??). Jetzt erwarten sie dort demnächst ähnliche Probleme wie in Berlin. Irgendwas läuft ja wohl gewaltig schief.

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