Kommunalwahlen 2024 - Boom-Region mit Wachstumsschmerzen
Der Landkreis Oberhavel ist in den vergangenen Jahren kräftig gewachsen, vor allem im Süden. Die steigende Einwohnerzahl verursacht dabei auch Wachstumsschmerzen. Von Karsten Zummack
Bei den Kommunalwahlen in Brandenburg werden Tausende zum größten Teil ehrenamtliche politische Posten verteilt. Doch wie funktioniert Kommunalpolitik überhaupt, was wird hier entschieden und welche Probleme gibt es? rbb|24 schaut sich in den Landkreisen und kreisfreien Städten um, welche Themen dort relevant sind.
"Oranienburg kurz vor dem Blackout" - Schlagzeilen wie diese machten im April bundesweit die Runde. Der Grund: Brandenburgs fünftgrößte Stadt teilte plötzlich mit, wegen Kapazitätsengpässen keine Netzanschlüsse mehr zu genehmigen.
Inzwischen ist das Problem erstmal aus der Welt. Die Stadtwerke haben kurzfristig eine Lösung gefunden und bauen zusätzlich in den kommenden Jahren ein neues Umspannwerk. Trotzdem gilt das Desaster in der Kreisstadt von Oberhavel als Sinnbild der Herausforderungen, die das Einwohnerwachstum mit sich bringen.
Schulplätze fehlen
"Wir haben nicht nur im Süden Wachstumsschmerzen", räumt Landrat Alexander Tönnies (SPD) ein. Als vorrangige Aufgaben sieht er die Entwicklung der sozialen Infrastruktur, die Schaffung von Wohnraum, die Planung des Zuzugs. "Das Wichtigste für mich ist das Thema Bildung", so Tönnies. Mit dem Zuzug in den Landkreis steige natürlich auch der Bedarf an Schulplätzen. In diesen Wochen spielt das auch auf vielen Wahlplakaten für die Kreistagswahl am 9. Juni eine Rolle.
Tatsächlich werden Schulplätze in Oberhavel allmählich knapp. Das wurde auf der letzten Kreistagssitzung dieser Legislaturperiode am 8. Mai deutlich. Ein Beschluss: Die Jahrgangsstufe 7 am Hennigsdorfer Puschkin-Gymnasium kann ab dem neuen Schuljahr fünfzügig gebildet werden. Und das ist längst kein Einzelfall. An vielen Einrichtungen werden Jahrgangsstufen aufgestockt. Da die Klassenräume aus allen Nähten platzen, sieht man auf Schulhöfen teilweise Container.
Langfristig müssen ohnehin neue Schulgebäude her, da sind sich die politischen Kräfte in Oberhavel weitgehend einig. Der Kreis will innerhalb von fünf Jahren 100 Millionen Euro investieren, damit wurde der Etat verdoppelt. "Wir haben ein Schulplatzproblem", konstatiert Katrin Gehring (CDU). Die Entwicklung der Bildungslandschaft sieht sie als größte Herausforderung für Oberhavel an.
Ihre CDU-Fraktion hatte zuletzt gemeinsam mit BVB/Freie Wähler die Gründung einer kreiseigenen Projektgesellschaft für die Planung und den Bau neuer Schulen angeregt. Die Idee stieß aber im Kreistag mehrheitlich auf Ablehnung. Dabei sehen etwa auch Bündnis 90/Die Grünen im Kreistag die aktuell größte Herausforderung in der Errichtung und Modernisierung von Schulen. "Hier wurde bislang von falschen Zahlen ausgegangen", moniert Fraktionschef Reiner Merker. Sämtliche Prognosen von sinkenden Schülerzahlen hätten sich nicht bewahrheitet. Nun aber steuert der Landkreis mit seinem Schulentwicklungsplan um.
Neue Straßen und Radwege sowie mehr ÖPNV nötig
"Weil es in Berlin kaum noch bezahlbaren Wohnraum gibt, ist eine Karawane nach Oberhavel unterwegs", beobachtet Werner Lindenberg (Fraktionschef BVB/Freie Wähler). Er beklagt die fehlende Verkehrsinfrastruktur gen Norden – Richtung Zehdenick und Fürstenberg/Havel. So wird schon seit Jahrzehnten über einen Ausbau der wichtigen B96 diskutiert, eine Route für die geplante Ortsumgehung bei Fürstenberg steht noch immer nicht fest.
Doch nicht nur Straßen sind gefragt. Mitunter warten Anwohner schon lange auf den Ausbau von Radwegen. Und der ÖPNV ist gerade im strukturschwachen Norden des Kreises noch unterentwickelt. Busse rollen dort noch zu selten. Etwas besser sind da die Menschen im Süden von Oberhavel dran. Viele von ihnen haben einen S-Bahnhof in der Nähe, auch Velten soll eine noch schnellere Verbindung nach Berlin bekommen. Allerdings wartet die Stadt bereits seit 1990 auf einen S-Bahn-Lückenschluss auf einer sechs Kilometer langen Strecke.
Nicht zuletzt soll die Heidekrautbahn auf ihrer Stammstrecke vom Berliner Norden über das Mühlenbecker Land bis nach Basdorf wiederbelebt werden. Eigentlich sollte sie schon Ende 2024 reaktiviert sein. Doch der Zeitplan ist längst nicht mehr einzuhalten. Es droht ein deutlicher Verzug.
"Das entwickelt sich hier alles zu unendlichen Geschichten", kritisiert AfD-Fraktionschef Dietmar Buchberger. Er fordert, das Schienen- und Straßennetz endlich auf den Stand zu bringen, den Landkreise südlich und westlich von Berlin schon lange geschafft haben. Für besser ausgebaute Straßen sowie neue Buslinien, die Wohn- und Gewerbegebiete mit der S-Bahn verbinden, werben die Politiker von FDP und Piraten im Kreistag. "Wenn wir jetzt vorausschauend handeln, bleiben die Wachstumsschmerzen beherrschbar", sagt Fraktionschef Uwe Münchow.
Druck auf dem Wohnungsmarkt steigt
"Der Zuzug ist für mich eine Chance für den ganzen Landkreis", urteilt Annemarie Wolff (SPD/LGU/Tierschutzpartei). Sie sagt voraus, dass mit steigendem Bedarf auch der Norden Oberhavels in den Blick geraten wird. Dort gibt es aktuell noch Bauland und Wohnungen. Gemeinden wie Zehdenick und Fürstenberg/Havel oder das Amt Gransee verbuchten zuletzt sogar einen Bevölkerungsrückgang – im Süden von Oberhavel derzeit undenkbar.
So wird die Kreisstadt Oranienburg in diesem Jahr voraussichtlich die 50.000-Einwohner-Marke knacken. Vor allem der S-Bahn-Anschluss lockt viele Zuzügler, unter anderem aus Berlin. Damit steigt aber auch der Druck auf den Wohnungsmarkt, vor allem im preiswerten Segment. Wie 2013 beschlossen, wird vor allem nördlich der ehemaligen Werkssiedlung "Weiße Stadt" kräftig gebaut. Fast 200 Wohnungen entstehen hier, das Gros gefördert.
Auch in Hennigsdorf und Hohen Neuendorf gibt es aktuell ähnliche Projekte. "Gemeinden und Kommunen sind in der sozialen Verantwortung, bezahlbaren Wohnraum insbesondere für Seniorinnen und Senioren zu schaffen", sagt die Fraktionsvorsitzende der Linken im Kreistag, Elke Bär.