Regionalliga Nordost der Frauen - Zwischen Profi-Teams und selbst gekauften Fußballschuhen
In der Frauen-Regionalliga Nordost prallen Fußball-Welten aufeinander. Die Profis von Union, neue Millionen für Viktoria und Herthas erste Frauenmannschaft sorgen für Professionalisierung, reine Amateurvereine für den Kontrast. Von Jakob Lobach
- Am kommenden Wochenende starten Berliner Fußball-Kubs in die Frauen-Regionalliga Nordost.
- Fünf Vereine aus Berlin spielen mit.
- Bei der Bezahlung und den Trainingsmöglichkeiten der Spielerinnen gibt es riesige Unterschiede.
Hertha BSC gegen den 1. FC Union Berlin – es ist eine Paarung, die bei vielen Berliner Fußball-Fans ein freudiges Kribbeln im Körper auslösen dürfte. Mitfiebernde Fans und extramotivierte Spieler im ausverkauften Olympiastadion, so war es bei vergangenen Berliner Derbys. Am Sonntag steht nun die nächste Ausgabe an. "Ein Derby? Trotz Herthas Abstieg", dürfte sich manch einer fragen. Ja, ein Derby. In der Frauen-Regionalliga Nordost. Am kommenden Wochenende eröffnen Hertha und Union ihre Saison 2023/24.
Obschon die Partie nicht im ausverkauften Olympiastadion gespielt wird, ist sie eine sehr besondere: Das erste Pflichtspiel der Hertha-Frauen überhaupt markiert den Start einer spannenden Regionalliga-Saison. Während Hertha seine Ambitionen im Fußball der Frauen neu entdeckt hat, machte der 1. FC Union sein Drittliga-Team jüngst zu einer reinen Profi-Mannschaft. Ihr klares Saison-Ziel ist das gleiche wie bei Viktoria Berlin: der Aufstieg. Gemeinsam bilden die beiden Klub einen starken Kontrast zu zahlreichen reinen Amateurvereinen in der Regionalliga – sportlich, strukturell und finanziell.
Strukturieren, strukturell, Strukturen. Egal, mit wem aus der Regionalliga Nordost der Frauen man sich unterhält, in vielen verschiedenen Varianten wird ihre Wichtigkeit betont. Den Rahmen bildet dabei die Struktur der Regionalliga Nordost: Zwölf Mannschaften gehen dort in der kommenden Saison an den Start. Aus Berlin sind das neben Union, Hertha und Viktoria noch Türkiyemspor und der Aufsteiger SV Blau Weiß Berolina Mitte.
Zwischen Profi- und Freizeitsport
Der 1. FC Union Berlin ist dabei das finanzielle und strukturelle Maß der Dinge in der Frauen-Regionalliga Nordost. Nachdem die Köpenicker ihre Frauenmannschaft bereits in der Vorsaison deutlich gestärkt und anders priorisiert hatten, professionalisierten sie sie zuletzt endgültig. "Es war relativ schnell klar, dass wir auf Profibedingungen umstellen wollten", sagt Trainerin Ailien Poese. Im Detail bedeutet das: Union zahlt ab sofort all seinen Spielerinnen Gehälter, die zum Leben reichen.
Dazu wird künftig häufiger und vor allem tagsüber trainiert, auf der Anlage des neuen Köpenicker Nachwuchsleistungszentrums und begleitet von einem großen Trainer-Team inklusive Physiotherapeuten, einer Mannschaftsleiterin und einem Video-Analysten. "Der Hauptjob ist Fußball und das sorgt für ein ganz anderes Arbeiten", fasst Ailien Poese das zusammen, was nicht einmal in der Frauen-Bundesliga ausnahmslos Standard ist.
"Alle müssen ihre Trikots zum Waschen mit nach Hause nehmen"
Weit weg von der Bundesliga und dem "ganz anderen Arbeiten" ist auch das, was sich drei Abende die Woche auf einem der Rasenplätze im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark abspielt. Dort trainiert und spielt die Mannschaft von Berolina Mitte – weil der Kunstrasen auf dem heimischen Platz laut den Statuten der Regionalliga einige Millimeter zu kurz ist. "Wir sind immer noch der kleine Verein aus dem Kiez", erzählt Berolina-Trainer Oliver Thomaschewski, während seine Spielerinnen im Hintergrund über den großen Platz laufen, "auch durch den Aufstieg hat sich das nicht verändert."
Der Torwart-Trainer, der am anderen Platzende seine Schützlinge instruiert, schafft es berufsbedingt zwar meistens, aber nicht immer zum Training. Einen Athletik-Trainer und einen Physiotherapeuten hat Berolina zwar auch, mehr als entschädigt werden sie für ihre Arbeitszeit allerdings nicht. So wie auch Trainer Thomaschewski, der sagt: "Wir sind wahrscheinlich der einzige Verein in der Regionalliga, der immer noch komplett aus Ehrenamtlichen besteht." So bekämen auch seine Spielerinnen keinen Cent für Training und Spiele. Im Gegenteil: "Alle müssen ihre Fußballschuhe selbst kaufen und ihre Trikots zum Waschen mit nach Hause nehmen."
Konkurrenten mit unterschiedlichem Konzept
Die anderen zehn Regionalligisten ordnen sich in Sachen Professionalität zwischen den beiden Klubs ein. Die Spielerinnen von Viktoria Berlin beispielsweise werden bezahlt, sind aber keine reinen Profis. Dafür ist der Klub in seiner Führungsebene bemerkenswert gut aufgestellt und in Sachen Öffentlichkeitsarbeit seiner Liga voraus. "Wir haben es mit Nachdruck geschafft, Aufmerksamkeit zu erzeugen – im ersten Schritt für Viktoria Berlin, aber auch für das gesamte Thema Fußball mit Frauen", sagt Lisa Währer, ihres Zeichens Co-Geschäftsführerin der Frauen von Viktoria.
Vergangenes Jahr gliederte Währer diese zusammen mit der Berliner Ex-Nationalspielerin Ariane Hingst und vier weiteren Frauen aus dem Hauptverein aus. Sie taten es in Start-Up-Manier, mithilfe zahlreicher Investorinnen und Investoren sowie begleitet von einem großen Medienecho. Es folgten buntbestückt gut laufende Kanäle in den sozialen Medien sowie Live-Übertragungen bei Sport1 von gleich zwei Viktoria-Spielen. Möglich gemacht wurden sie auch durch den schnellen sportlichen Erfolg Viktorias. "Sportlich ist es ein Meilenstein gewesen, Meisterinnen und Pokalsiegerinnen zu werden und die Relegation zu spielen", sagt Währer, "auch, wenn man da gemerkt hat, an welchen Punkten wir noch arbeiten müssen."
Dass schlussendlich die Frauen des Hamburger SV den Berlinerinnen den Aufstieg in die 2. Bundesliga verwehrten, ändert nichts daran, dass Viktorias Konzept bislang sehr gut aufgeht. "Durch die Aufmerksamkeit, die wir mit Viktoria generieren, kommen aktuell viele Privatpersonen und Unternehmen auf uns zu", erklärt Lisa Währer. Zuletzt konnte Viktoria so in einer zweiten Finanzierungsrunde 94 neue Investorinnen und Investoren gewinnen, die zusammen 1,2 Millionen Euro in den Klub steckten. Auch deshalb habe Viktoria, laut Währer, die Spielerinnengehälter so erhöht, "dass einige Spielerinnen jetzt bei ihrem normalen Job die Stunden etwas reduzieren können."
Hertha übernimmt Hertha
Bei Hertha BSC ist man so weit nach erst einigen Monaten mit eigener Frauenabteilung noch nicht. Nach vergangenen Kooperationen mit dem FC Lübars und Turbine Potsdam übernahm der Verein diesen Sommer die gesamte Frauen- und Mädchenabteilung von Hertha 03 Zehlendorf. Es ist ein Prozess, der auf der Mitgliederversammlung unterstützt wurde und der anhält.
So absolviert etwa die Regionalliga-Mannschaft aktuell erst die Hälfte ihrer Trainings-Einheiten auf dem Olympiagelände ihrer neuen Hertha. "Wir wussten, dass es eine Übergangszeit geben wird, aber die Mädels sind definitiv angekommen", sagt Herthas "Leiter Frauenfußball" Sofian Chahed, der auch von einem wachsenden Trainerteam und deutlich besserer medizinischer Betreuung berichtet.
Das Konzept und der Weg für Herthas Frauen-Team sind klar definiert: "Wir konzentrieren uns auf die Ausbildung junger Talente", sagt Chahed. "Wenn uns das gut gelingt, ist der Aufstieg irgendwann ein logisches Ziel." Ein Grund hierfür ist laut Herthas neuem Trainer Manuel Meister die gute Jugendarbeit des Kooperationspartners. "Hertha 03 hatte eine Philosophie und wir wollten diese Identität der Frauenabteilung, die es dort gab, nicht zerstören, sondern integrieren", sagt er.
Im Umkehrschluss bedeutet dies: Anders als Union und Viktoria macht Hertha sich nicht den Druck, möglichst schnell aufsteigen zu wollen. "Wir müssen realistisch sein", sagt Chahed und spricht von zwei bis drei Jahren Anlaufzeit. Wohl auch, weil Herthas erste Frauenmannschaft keine einzige Profispielerin aufbietet. Dazu wird sie komplett aus Spielerinnen aus der Region bestehen und mit durchschnittlich knapp 19 Jahren noch dazu die jüngste der Regionalliga sein.
Die Liga und der Verband im Spagat
Eher früher als später wird aber auch Herthas Frauenteam noch stärker von den exzellenten Strukturen des Klubs profitieren und den Aufstieg zum Ziel machen. Für den Nordostdeutschen Fußballverband (NOFV), den Dachverband der Regionalliga, heißt das: Drei Vereine, die die Regionalliga nur als Zwischenstation ansehen, gegen neun Klubs, die mit dem Aufstieg mittelfristig wenig zu tun haben dürften. "Zwischen unseren Klubs liegen Welten – was die Bezahlung angeht, die Infrastruktur, den Staff. Daraus ergibt sich für uns ein spannender Spagat", sagt Elfie Wutke, seit 2021 Vizepräsidentin des NOFV.
Es ist ein Spagat mit Potenzialen: "Wir haben schon in der vergangenen Saison ein deutlich größeres Interesse und mehr Berichterstattung registriert", sagt Wutke und ergänzt: "Ich sehe eine massive Perspektive für die Liga und die Zuschauerresonanz wird gewaltig ansteigen." Dafür muss die gebündelte Zugkraft von Union, Hertha und Viktoria allerdings aktiv genutzt werden. "Die Vereine haben schon Forderungen, gerade was die mediale Berichterstattung angeht", sagt Wutke. Die Aufgabe ihres Verbands sei es, die so gut besetzte Regionalliga entsprechend zu präsentieren, erklärt Wutke: "Wir brauchen etwa einen Partner für Bewegtbild und TV-Übertragungen."
Freude statt Frust bei den kleineren Klubs
Aber wie ist es mit den kleinen Vereinen in der Liga? Freuen sie sich gleichermaßen über die großen Namen mit großen Ambitionen? Die Antwort gibt es beim Training von Berolina Mitte: Wo eben noch ihr Trainer sprach, stehen nun die Mittelfeldspielerin Mona Aping, Vize-Kapitänin Jette Wegner und die 18-jährige Chanell Makuso.
"Wir freuen uns einfach, dass es diese Entwicklung gibt, egal für welchen Verein", sagt Aping und Jette Wegner fügt mit Blick auf die Vorteile der Konkurrenz hinzu: "Wir haben eben immer noch wenig Ressourcen im Frauenfußball. Wenn es dann welche gibt, freut man sich, egal woher sie kommen."
Zumal Vereine wie der 1. FC Union und Viktoria jungen Spielerinnen Perspektiven und Chancen aufzeigen würden. "Wir müssen das als Motivation sehen", sagt Chanell Makuso, ehe sie ein Beispiel par excellence für die Wichtigkeit weiblicher Vorbilder im Fußball gibt. Mit Tränen in den Augen habe sie vorm Fernseher gesessen, als bei der Frauen-WM jüngst die Australierin Sam Kerr an der Aus-Linie zum Wechsel bereitgestanden habe, erzählt Makuso. Mehr als 75.000 Fans im Stadion feierten ihre Star-Spielerin mit Standing Ovations. "Das kennt man normalerweise nur von Spielern wie Lionel Messi", sagt Makuso, "aber diesmal stand da eine Frau."
Zwischen Stolz und weiteren Veränderungen
Dass der Fußball der Frauen – trotz des jüngsten Aufschwungs – nun nicht aufhören darf, sich weiterzuentwickeln, wissen auch die Beteiligten in der Regionalliga Nordost, wie die Gespräche zeigen. "Was uns alle eint, ist der Aspekt Aufmerksamkeit", sagt Lisa Währer von Viktoria. Und Berolinas Mona Aping fasst zusammen: "Es bedarf noch viel Veränderung".
Ein Beispiel für solche Veränderungen ist das Premierenspiel der Hertha-Frauen gegen Union am Sonntag. "Man merkt schon, dass sie stolz darauf sind, die Hertha-Fahne tragen zu dürfen", sagt der Trainer Manuel Meister über die neuen Spielerinnen und ergänzt: "Alle wissen, dass sie jetzt die Ersten sind. Herthas erste Kapitänin, die erste Torschützin – das Bewusstsein ist schon da."
Sendung: rbb24 Inforadio, 20.08.2023, 19:15 Uhr