Interview | Frauen- und Mädchenfußball in Berlin - "Im Zweifelsfall werden lieber talentierte Jungs aufgenommen"
Yvonne Schumann ist beim Berliner Fußball-Verband für den Spielbetrieb der Frauen und Mädchen zuständig. Im Interview spricht sie über positive Entwicklungen, schlechte Sportplätze, volle Vereine und die laufende Fußball-WM der Frauen.
rbb|24: Frau Schumann, seit einer Woche messen sich bei der FIFA Frauen WM in Australien und Neuseeland die Besten der Besten im Fußball. Die deutsche Nationalmannschaft ist mit einem 6:0-Sieg gegen Marokko in das Turnier gestartet. Sind Sie im WM-Fieber?
Yvonne Schumann: Ja, bin ich. Ich versuche, so viele Spiele wie möglich zu schauen, bin aber berufstätig. Deswegen kann ich manchmal nur kurz vor der Arbeit reinschauen. Für Kinder und Jugendliche sind die Anstoßzeiten dankbarer, weil ja gerade Ferien sind.
Wie ist es im Jahr 2023 um den Mädchen- und Frauenfußball in Berlin bestellt?
Ich sehe eine gute Entwicklung – seit anderthalb Jahren auch im Frauenbereich. Es geht voran, immer mehr Mädchen werden Vereinsmitglieder und nehmen am Spielbetrieb teil.
Seit 2017 hat der Berliner Fußball-Verband (BFV) einen eigenen Ausschuss für Frauen- und Mädchenfußball. In Berlin sind nach aktuellem Stand knapp 207.000 Menschen im Vereinsfußball aktiv, darunter allerdings nur rund 28.000 Mädchen und Frauen.
Der Trend geht aber nach oben: Immer mehr Mädchen tauchen in den Vereinen auf und zum Glück bringen immer mehr Klubs Mädchen-Mannschaften in den Spielbetrieb. Insgesamt gibt es in Berlin 331 Vereine, die mindestens ein Team im Freizeitbereich im Spielbetrieb angemeldet haben. 82 dieser Vereine stellen mindestens eine Frauen- oder Mädchen-Mannschaft, was einer Quote von etwa 25 Prozent entspricht. Noch vor fünf Jahren lag diese Quote bei unter 20 Prozent.
Was sind die größten Hürden, um auch die Spielerinnen in der Form zu fördern, wie es bei den Jungs und Männern längst der Fall ist? Was muss sich ändern?
Ein großes Problem ist das Ehrenamt. Es ist sehr schwierig, engagierte Menschen zu finden, die Frauen- und Mädchen-Mannschaften ehrenamtlich trainieren möchten. Da gibt es in den Vereinen noch sehr viel zu tun. Es gibt Trainer, die fünf Jungs-Mannschaften leiten, aber nicht eine Mädchen-Mannschaft. Die Mädchen gibt es – es müssen sich aber Leute bereiterklären, sie zu trainieren. Es fehlen aber in sämtlichen Bereichen Ehrenamtler, das gilt für Berlin genauso wie für Brandenburg. Da ist auch die Politik gefragt, Anreize für das Ehrenamt zu schaffen.
Wo hakt es sonst noch?
In Berlin sind die Sportplätze und -stätten ein großes Problem – das trifft auf Brandenburg, glaube ich, weniger zu. Es gibt zu wenige Fußballplätze in Berlin und die, die es gibt, befinden sich oftmals in schlechtem Zustand, werden zu spät oder gar nicht saniert. Wir brauchen gute und neue Sportanlagen. Berlin wächst immer weiter und es gibt erste Vereine, die Aufnahmestopps und Wartelisten haben. Dadurch kommen Mädchen natürlich noch weniger zum Zug, weil im Zweifelsfall lieber talentierte Jungs aufgenommen werden.
Haben Sie Ideen, wie das doch sehr grundlegende Problem fehlender Sportplätze zu lösen wäre?
Meine Hoffnung ist, dass beim Neubau von Schulen vermehrt wettkampfgerechte Sportplätze mit dran gebaut werden. Nicht nur kleine 'Bolzer', die den Vereinen wenig bringen. Es entstehen viele neue Sporthallen, was für Hallen-Sportarten natürlich gut ist. In Berlin gibt es aber zu wenige ungedeckte Sportanlagen. Kreative Lösungen in der Planung können helfen. Auch auf Bau- oder Supermärkte kann man Fußballplätze bauen, was vereinzelt in Berlin ja schon umgesetzt wurde.
Neben Vereinen wie Union Berlin oder dem FC Viktoria 1889 wird nun auch Hertha BSC in der Regionalliga Nordost - der dritthöchsten Spielklasse bei den Frauen - an den Start gehen. Erst im Sommer ist Hertha in den Frauenfußball eingestiegen. An Standorten wie München oder Frankfurt haben sich die Frauen-Abteilungen der großen Vereine längst in der 1. Bundesliga etabliert. Woran liegt es, dass die Entwicklung des Frauenfußballs in Berlin so schleppend voranschreitet?
Erstmal bin ich froh, dass mit Union und Hertha die beiden großen Vereine jetzt eigene Frauen-Abteilungen haben. Union hat zwar schon etwas länger eine, der Frauenfußball wurde dort für meine Begriffe aber lange Zeit etwas stiefmütterlich behandelt. Jetzt fließt dort mehr Geld rein, die Abteilung wird professionalisiert und die Spielerinnen von Union betreiben den Sport nun hauptberuflich. Hoffentlich haben wir in den nächsten Jahren dann auch in Berlin mindestens eine Frauen-Mannschaft, die in der Bundesliga spielt.
Und was erhoffen Sie sich von der aktuell laufenden WM?
Ich hoffe, dass es einen Boom geben wird und noch mehr Mädchen und Frauen Lust darauf bekommen, im Verein Fußball zu spielen. Und von Klubs, die bislang nur Jungs- und Männer-Mannschaften anbieten, erhoffe ich mir, dass sie sich weiter öffnen und noch mehr Mädchen- und Frauen-Teams gegründet werden. Abgesehen davon bekommt man immer mehr mit, dass Mädchen auch weibliche Vorbilder haben und sagen: "Ich möchte Profi-Fußballerin werden."
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Anton Fahl, rbb Sport.