Kommentar | Herthas Einstieg bei 03 Zehlendorf - Beim Frauenfußball drängt die Zeit

Do 20.04.23 | 13:24 Uhr | Von Tabea Kunze
  6
Fans von Hertha BSC heben in der Fankurve ein Banner hoch "Ja zum Frauenfußball!" (Quelle: imago/MIS)
Bild: imago/MIS

Ab dem Sommer geht Hertha BSC mit eigenen Frauen- und Mädchenfußball-Teams an den Start. Dafür hat der Klub die komplette Abteilung von Hertha 03 Zehlendorf übernommen. Eine nicht sehr romantische, aber richtige Entscheidung, findet Tabea Kunze.

Die Fußballerinnen des VfL Wolfsburg spielen an diesem Wochenende um den Einzug ins Champions League-Finale. Die des 1. FC Köln knacken den Zuschauer-Rekord in der Bundesliga - 30.000 Tickets sind für das Heimspiel gegen Frankfurt schon verkauft. Und Berlin? Ist im April 2023 Frauenfußball-Entwicklungsland. Ambitionierte (Profi-)Fußballerinnen haben noch immer keine Heimat in der Hauptstadt, denn: Höher als in der drittklassigen Regionalliga kann man in Berlin nicht spielen. Für eine selbsternannte "Sport-Metropole" ist das ein Armutszeugnis.

Frauenfußball-Team mit echter Strahlkraft fehlt

Ein Dreivierteljahr nachdem die deutsche Fußball-Nationalelf im Wembley-Stadion nur knapp den EM-Titel verpasst hat, fehlt es der Hauptstadt immer noch an einem Frauenfußball-Team mit echter Strahlkraft.

Der 1. FC Union und Viktoria Berlin verfolgen seit einiger Zeit einen leistungsorientierten Ansatz, der schon bald mit dem Aufstieg in die zweite Bundesliga belohnt werden dürfte. Doch bei der Hertha, dem Verein mit dem prominenten Namen und der hundertjährigen Geschichte, beschränkte sich das Engagement im Frauenfußball in den vergangenen Jahren auf eine kostengünstige und deshalb bestenfalls halbherzige Kooperation mit Turbine Potsdam. Dem Traditionsklub aus Brandenburg droht der Abstieg aus der Bundesliga und eine ungewisse Zukunft. Berlin sollte neuen Frauenfußball-Schwung in der Region bringen.

Auf der letzten Hertha-Mitgliederversammlung gab es den klaren Auftrag der Mitglieder zur Gründung einer eigenen Frauenabteilung - viele Fans wünschten sich einen Neustart von ganz unten, im Breitensport. Dass die Vereinsführung stattdessen das Angebot (!) von Hertha 03 Zehlendorf zur Übernahme der Mädchen- und Frauenteams angenommen hat und sich damit die mühsame Aufbauarbeit spart, klingt zunächst nicht nach dem von Präsident Bernstein ausgerufenen "Herthaner Weg", sondern nach kalter Machtpolitik, nach "Groß schluckt Klein".

Es ist höchste Zeit, dass Hertha BSC mit einer Zukunftsvision für den Frauenfußball begeistert - ohne zu übertreiben, ohne mit Geld um sich zu werfen - aber mit Ernsthaftigkeit und dem geforderten Tempo.

rbb-Sportreporterin Tabea Kunze

Konkurrenz im deutschen Frauenfußball wächst

Und doch ist es die richtige Entscheidung - andernfalls droht Hertha BSC im Frauenbereich komplett den Anschluss zu verpassen. Das würde sich nicht nur negativ auf die Berliner Mädchen und Frauen auswirken, die ihren Traum vom leistungsorientierten Fußball möglichst lange in ihrer Heimatstadt verfolgen wollen. Nein, der deutsche Frauenfußball insgesamt braucht ein ambitioniertes Hauptstadt-Team, so wie es England, Spanien oder Italien längst haben.

Zehntausende (meist junge) Fans strömen in die Stadien, wenn die Frauenteams des FC Arsenal, von Real Madrid oder der AS Rom in der Champions League aufspielen - deutscher Gegner ist dann meist der VfL Wolfsburg. Dessen finanziell komfortabel ausgestattete Frauensparte sammelt seit Jahren Titel, ist sportliche Heimat vieler Nationalspielerinnen - doch die Strahlkraft von Stadt und Stadion ist überschaubar.

Frauenfußball-Spiele im Berliner Olympiastadion dagegen könnten neue Fangruppen erschließen, in der Stadt, der Region und vor dem Fernseher. Dies kann und wird nicht in den nächsten Monaten passieren. Doch es ist höchste Zeit, dass Hertha BSC mit einer Zukunftsvision für den Frauenfußball begeistert - ohne zu übertreiben, ohne mit Geld um sich zu werfen - aber mit Ernsthaftigkeit und dem geforderten Tempo. Denn die Konkurrenz im deutschen Frauenfußball wächst. RB Leipzig ist gerade in die Bundesliga aufgestiegen. Die Zeit drängt für Hertha BSC und den Frauenfußball in der Hauptstadt - dazu passt kein gemütlicher Start im Breitensport, und sei er noch so romantisch.

Sendung: rbb24 Inforadio, 20.04.2023, 16 Uhr

Beitrag von Tabea Kunze

6 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 6.

    Eine Lösung des Flaschenhals der Berliner Klubs ist von seiten des DFB nicht mehr möglich. Die Verabschiedung der TV Verträge der Frauen-Bundesliga. lassen bis zum WM Jahr 2027 keinerlei Erweiterung von 12 Klubs auf 18 Klubs zu, auch nicht sukzessive von Saison zu Saison.

    Im Zeitraum von 2023/2024 bis 2026/2027 werden 5,175 Millionen Euro pro Saison eingefahren, aber die TV Unternehmen haben nur auf basis von 12 Klubs kalkuliert. Das ist bitter für die Hauptstadt Frauen Mannschaften.

    An die 12 Klubs werden jährlich 90 Prozent ausgeschüttet. Das sind 4,657 Millionen Euro und damit 388.000 Euro pro Verein. Das ist die reale Situation. Bis 2027 dahin haben die Funktionäre des VfL Wolfsburg den Rücken frei und können in der Provinz Weltfussball anbieten.

  2. 5.

    Der Aufstiegs-Flaschenhals der Regionalligen erscheint angesichts der Vielzahl ambitionierter Berliner Vereine tatsächlich momentan arg eng. Gefühlt ist man jetzt schon arg spät dran, wenn man nicht bereits in Liga Zwei ist. In jener sind allerdings aktuell die Hälfte der Clubs Zweitvertretungen. Vielleicht sollte man das von Verbandsseite her auch nochmal in absehbarer Zeit überdenken.

  3. 4.

    Tatsache ist, dass FC Viktoria 1889 historisch gesehen, ein paar Tage älter ist als die sogenannte "Alte Dame" Hertha BSC. Der Berliner Frauenfussball wird sicherlich in der nächsten Saison noch leistungsorienter werden.

    Der Berliner U17 Nachwuchs braucht nicht mehr in der Fremde in andere Städte, Vereine und Ligen zu wechseln, sondern kann im familären Umfeld bleiben, sich weiterentwickeln und genügend Qualität bereitstellen. Deshalb ist das zukünftige Engagement von Ex-Turbine Bundesliga Trainer Sofian Chahed beim Projekt Hertha BSC sehr hoch einzuschätzen.

    Sollten die Viktoria Frauen wie zu erwarten im Playoff im Juni gegen Hamburg den Kürzeren ziehen, werden die Frauen von Union, Hertha, Türkiyemspor & Absteiger Turbine Potsdam II sowie Verena's Female Business Club in Saison 2023/2024 in der stärksten Europäischen Drittliga an den Start gehen können.

  4. 3.

    Einseitiger Artikel!
    Wieso handelt die Autorin die ambitionierten Berliner Klubs, die bereits in der Regionalliga spielen und bei denen der Sprung in die 2. Bundesliga in nächster Zeit gelingen wird, in einem Satz ab?
    Warum wird in diesem rbb-Beitrag so einseitig über Hertha berichtet und ein ambitioniertes Hertha-Hauptstadt-Team gefordert? Dürfen andere dies nicht? Kann denn nur Hertha eine lange Geschichte vorweisen? Wieso sollte ausgerechnet Hertha das Nonplusultra des Frauenfußballs in Berlin sein? Warum nicht Viktoria oder der 1. FC Union, als größter Fußballverein Berlins?
    Und was hat eigentlich das Leipziger Marketingkonstrukt eines Brausekonzerns mit Berlin zu tun?
    Bitte keine weiteren Beiträge dieser Art beim rbb!

  5. 2.

    Warum drängt die Zeit für die Hauptstadt ? Der Traum vom Aufstieg in die 2. Bundesliga rückt für die Viktoria Frauen immer näher. Mitbegründerin Verena Pausder erklärte unlängst: "Wir hätten nie gedacht, dass der FC Viktoria Berlin so schnell die Tabellenführung in der Regionalliga Nord-Ost übernehmen würde - aktuell sieben Punkte Vorsprung auf Platz zwei und drei - und dass wir uns Gedanken über die Relegation machen könnten."

    Play-Off-Gegner von Viktoria Berlin zum direkten Aufstieg in 2. Bundesliga werden die Frauen des Hamburger SV sein. Der HSV hat am 21. Spieltag, sein Punktekonto auf 63 Zähler erhöht, ungeschlagen und ohne Niederlage, mit einem Torverhältnis von 85:4.

    In der Tat, die Zeit drängt, aber nur für Viktoria Berlin. Eine Niederlage im Playoff würde das Aufstiegsfenster in Zukunft für den Female Business Club der Investor*innen schwierige gestalten.

  6. 1.

    Warum drängt die Zeit? Es ist davon auszugehen, dass die Hertha aufgrund ihrer finanziellen Situation auf ein Zuschussgeschäft im Millionenbereich verzichten wird. Die Frauenregionalliga kann man auch für einen kleinen sechsstelligen Betrag sehr gut bespielen.
    Abgesehen davon kleben sich die Damen doch nur das Logo auf die Brust.
    Die Aktion hat ein Geschmäcker. Es wird halbgar wie das Engagement bei Lübars u d Potsdam.
    Hertha bleibt für mich der einzige Bundesligist ohne EIGENE Frauen.

Nächster Artikel