"Ende Gelände"-Aktionen zu Pfingsten - Viel Kritik nach Kohle-Protestwochenende in der Lausitz
Nachdem am Wochenende tausende Aktivisten in der Lausitz den Tagebau Welzow-Süd und das Kraftwerk "Schwarze Pumpe" besetzten, hagelt es nun vor allem Kritik an den Aktionen. Betreiber Vattenfall spricht von einer "Spur der Verwüstung". Nicht nur dort sieht man eine "neue Qualität" der Proteste.
Wegen Blockaden und Ausschreitungen bei Protesten gegen die Braunkohle zu Pfingsten in der Lausitz liegen hunderte Anzeigen vor. Wie die Polizei in Cottbus am Dienstag mitteilte, werden gegen mehr als 130 Tatverdächtige Ermittlungen wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs geführt. Gegen 12 Menschen gibt es Anzeigen wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, gegen 38 Leute Anzeigen wegen Sachbeschädigung an den Gleisen. Zudem laufen 163 Verfahren wegen Hausfriedensbruchs. Insgesamt seien Anzeigen gegen 213 Personen aufgenommen worden, unter anderem wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr.
Unter dem Motto "Ende Gelände" hatten tausende Umweltaktivisten seit Freitag gegen den Tagebau Welzow-Süd und die Kohleverstromung im Kraftwerk "Schwarze Pumpe" protestiert. Zwischenzeitlich waren Teile des Kraftwerks und der Förderanlagen besetzt und blockiert worden. Der Energiekonzern Vattenfall musste die Leistung des Kraftwerks am Sonntag drosseln. Seit Montag läuft das Werk wieder im Normalbetrieb.
Grenzen des Zivilen Ungehorsams
Große Teile der Brandenburger Politik lehnen die Erstürmung des Vattenfall-Kraftwerksgeländes "Schwarze Pumpe" ab. Zwar habe sich bei der Protestaktion am Pfingstwochenende "eine übergroße Mehrzahl der Demonstranten" an den Konsens gehalten, auf Gewalt zu verzichten, sagte etwa der energiepolitische Sprecher der Linken-Fraktion, Thomas Domres. Doch seien die Ereignisse am Kraftwerk "Schwarze Pumpe" ein eindeutiger Verstoß gewesen. Ziviler Ungehorsam habe Grenzen, wenn Personen verletzt und Sachen zerstört werden.
Auch Grünen-Fraktionschef Axel Vogel bewertet die Aktion "Ende Gelände" ambivalent: Ohne die Stürmung des Kraftwerks wäre sie ein Erfolg gewesen, sagte er. Die Szenen, die sich dabei abgespielt hätten, "waren unnötig, überflüssig und widersprachen eindeutig dem Aktionskonsens".
Der innenpolitische Sprecher der AfD, Thomas Jung, verurteilte den gewaltsamen Protest ebenfalls: "Ein solches Verhalten schadet sowohl der Demokratie als auch dem Ansehen basisdemokratischer Initiativen, welche die AfD grundsätzlich unterstützt." Er wirft zudem den Grünen vor, sich nicht ausreichend von den "militanten Methoden der Protestbewegung zu distanzieren."
"Randale ist kein Konzept"
Die Bürgermeisterin von Spremberg, Christine Herntier (parteilos), verurteilte die Aktion scharf. "Einen schlimmeren Schaden für die Region kann man sich gar nicht vorstellen, als was diese Leute angerichtet haben." Zudem vermisse sie Konzepte von "Ende Gelände" zur Gestaltung des Strukturwandels. "Randale ist kein Konzept." Sie torpediere den nötigen Strukturwandel. "Eines der wichtigsten Argumente für diese Region hier und für den Industriepark Schwarze Pumpe ist: Hier ist eine industriefreundliche Region." Die Bilder der Protestaktionen "konterkarieren das Bild, das wir versuchen, bei Investoren zu etablieren."
Vattenfall: Schäden schwerer als angenommen
Vattenfall sprach am Dienstag von einer "Spur der Verwüstung". Gleise, Signalanlagen, Leittechnik und Beleuchtungsanlagen seien manipuliert, Feuerlöscher entleert worden. Dies sei in Teilen mit der Absicht geschehen, eine Zugentgleisung herbeizuführen. Dem Unternehmen nach war am Dienstagmorgen beim Rangieren eine Lok kurzzeitig entgleist. Europa-Vorstandsvorsitzender Harthmuth Zeiß sprach von "massiven kriminellen Gewalttaten", die Täter nähmen billigend die Gefährdung von Menschen in Kauf. Der Konzern sieht in den Protesten eine "neue Qualität".
Die Schäden seien schwerer als angenommen. Überall, wo Aktivisten auf Anlagen oder Geräten waren, seien Schäden zu verzeichnen, so der für die Lausitz zuständige Vattenfall-Sprecher, Thoralf Schirmer. Diese hätten jedoch soweit repariert werden können, dass der Tagebau Welzow-Süd den Betrieb am Montag wieder aufnehmen konnte. Eine Schadensbilanz sei noch nicht möglich, da noch nicht alle Schäden registriert seien.
Breites Lob für Polizei
Die Deeskalationsstrategie der Polizei im Lausitzer Kohlerevier wurde parteiübergreifend gelobt, auch von Greenpeace. Das Vorgehen der Behörde war laut Innenministerium vor Beginn des Klimacamps mit allen Beteiligten, darunter Vattenfall, Staatsanwälten, Richtern und Gemeindevertretern abgestimmt worden. Während der Proteste habe der Fokus der Polizei auf Kommunikation und Deeskalation gelegen. "Es ging in einer schwierigen, manchmal auch unübersichtlichen Einsatzlage um Augenmaß und Verhältnismäßigkeit", sagte Innenstaatssekretärin Katrin Lange. Das Konzept sei weitestgehend aufgegangen, die überwiegende Zahl der Klimaaktivisten habe sich friedlich verhalten. Straftaten seien jedoch nicht akzeptabel, die Ermittlungen würden "mit aller Konsequenz" geführt.
Anti-Braunkohle-Bewegung als "das neue Gorleben"
Die Organisatoren der Proteste werteten die Aktionen als "Riesenerfolg". Sie beziehen sich auf die Pariser Klimakonferenz: "Unsere Aktion mag nicht rechtlich ok sein, aber sie ist moralisch legitim", sagte Tadzio Müller von "Ende Gelände" in der rbb-Sendung "Brandenburg aktuell". "Dieses gesellschaftliche Interesse am Ausstieg aus der Kohlekraft wurde in Paris von der Weltgemeinschaft festgeschrieben, aber es hält sich jetzt niemand daran." Daher setzten sie nun ihre Körper ein, um diesen Ausstieg schneller zu erreichen.
Einen Anti-Kohle-Protest mit über 3.500 Teilnehmende habe es "so in Europa noch nicht gegeben", sagte Greenpeace-Klima- und Energieexperte Carsten Schmid. Die Bürgerbewegung Campact sieht "eine neue Qualität" erreicht, die Anti-Braunkohle-Bewegung sei "das neue Gorleben", sagte Campact-Sprecher Jörg Haas.
Die Umweltaktivisten sind indes am Dienstag größtenteils aus dem Lausitzer Braunkohlerevier abgereist. Am Dienstagmittag waren laut Polizeiangaben nur noch rund 30 Kohlegegner in Proschim (Spree-Neiße), um das Camp abzubauen. Nach Angaben des Lausitzer Klima- und Energiecamps, das bereits zum sechsten Mal stattfand, waren am Wochenende zwischen 3.500 und 4.000 Menschen aus Europa sowie Australien, Malaysia und Hawaii in das Camp eingezogen.
Vattenfall und Lausitz weiter im Fokus
Derweil planen die Aktivisten weitere Protestaktionen. Das hatte eine Sprecherin des Bündnisses "Ende Gelände" am Montag angekündigt. Die nächste große Aktion finde 2017 im Rheinland statt, aber man werde an Vattenfall und an der Lausitz dranbleiben.
Mit Informationen von Torsten Sydow