Rammstein-Konzert in Berlin - Laute Proteste, brüllende Fans und eine schweigende Band
Es ist ein hitziger Nachmittag: Die Band Rammstein gibt das erste von drei Konzerten in ihrer Heimatstadt Berlin. Vor dem Olympiastadion gibt es Protest gegen die Show, da mehrere Frauen Vorwürfe gegen Sänger Till Lindemann erheben. Von Max Ulrich
Schon Stunden vor dem Rammstein-Konzert ist es laut vor dem Berliner Olympiastadion. Etwa 300 Demonstrierende fordern in Sprechchören immer wieder "keine Show für Täter". "Vor Gericht statt auf die Bühne" steht auf einem großen Transparent. Gegen 14 Uhr trifft sich die Gruppe am Theodor-Heuss-Platz in Westend. Aufgerufen zur Demo hatte das Aktionsbündnis "Kein Rammstein in Berlin".
"Wir wollen es einfach nicht hinnehmen, dass die drei Konzerte hier in Berlin stattfinden", sagt die Sprecherin des Bündnisses Britt Baiano. Sie wolle es nicht unkommentiert lassen, während die Vorwürfe gegen Sänger Till Lindemann noch im Raum stehen. Das Bündnis hatte zusammen mit anderen Initiativen gefordert, dass die Konzerte abgesagt werden.
Mehrere Frauen hatten dem Rammstein-Sänger Lindemann in den vergangenen Wochen sexuellen Missbrauch vorgeworfen. Es soll unter anderem bei Aftershowpartys zu Übergriffen gekommen sein. Lindemann weist die Vorwürfe entschieden zurück. Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt.
Sprachnachrichten vor dem Konzert
Nach einem kurzen Fußmarsch kommen die Aktivist:innen vor dem Olympiastadion an und postierten sich mit ihrem Lautsprecherwagen gut sichtbar - und vor allem hörbar - vor dem Haupteingang. Die Polizei trennt die Demoteilnehmer:innen und die Fans der Band durch Sperrgitter und Absperrbänder. Aber die Mehrheiten sind klar verteilt: 300 Menschen, die eine Absage des Konzerts fordern, sehen über 60.000 Menschen dabei zu, wie die ins Stadion strömen. Trotzdem harren sie stundenlang in der Hitze aus.
Für einen der Teilnehmer, der sich Moritz nennt, eine bedrückende Situation: "Während der Kundgebung haben wir Sprachnachrichten gespielt, von Menschen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, bei Rammstein-Konzerten." Moritz sagt, es gebe diese Berichte von Menschen, die erlebt hätten, was sie erlebt hätten, und diese Berichte sollten auf keinen Fall in Frage gestellt werden. "Und deshalb verstehe ich keine einzige Person, die zu diesem Konzert geht. Sie machen diese Gewalt unsichtbar. Das ist für mich ein schlimmes Gefühl", so Moritz weiter.
Verständnis für Till Lindemann
Der Großteil der Konzertbesucher:innen zieht an der Demo einfach vorbei. Nur ein paar bleiben stehen. Immer wieder werden die Demonstrant:innen teilweise queer- und frauenfeindlich verhöhnt, Journalist:innen werden als "Lügenpresse" verlacht. Britt Baiano beklagt am Ende des Tages, der Demo seien Hitlergrüße gezeigt worden und ihnen sei Vergewaltigung angedroht worden. Der Berliner Polizei war dies bis zum Sonntagmittag nicht bekannt, so ein Sprecher.
Es gibt auch nachdenkliche Fans, die sich mit den Vorwürfen gegen Lindemann beschäftigen: "Wenn das [Anm. der Redaktion: die Vorwürfe gegen den Rammstein-Sänger] wahr wäre, müssten wir die Karten schon zurückgeben. Ich denke das eigentlich nicht von Till, aber an jedem Gerücht ist auch was Wahres dran", sagt Peggy, Rammstein-Fan seit 1996. Aber solange nichts bewiesen sei, wolle sie das Konzert noch genießen. Das sei einfach ein Erlebnis.
"Ich finde, man sollte die potentiellen Opfer sexueller Gewalt nicht diskreditieren. Aber jetzt prüft ja erstmal die Staatsanwaltschaft", sagt Peter. Für ihn gelte daher die Unschuldsvermutung: "Und 'Keine Bühne für Täter' ist für mich einfach eine Vorverurteilung." Peter beklagt auch, dass die Fans von Demonstrant:innen beschimpft wurden. "Arschloch" sei noch "das Netteste" gewesen.
Im Stadion: Keine Proteste, keine Ansagen
Gegen 20:30 Uhr leert sich der Olympische Platz vor dem Stadion. Die Fans gehen zur Show, die Demonstrant:innen nach Hause. Vor dem Konzert war gemutmaßt worden, ob es auch während des Konzerts zu Protesten kommen würde, doch die bleiben am Samstag aus. Die Band äußert sich - wie schon beim Konzert in München - nicht zu den Vorwürfen.
Die Show von Rammstein ist ein gewaltiges Feuerwerk voller Donnerschläge und Pyrotechnik. Alles ist minutiös durchchoreographiert. Kein Raum für Improvisation, wenig Interaktion. Man kann nur versuchen, auf kleine Gesten zu achten. Einmal formt der Schlagzeuger Christoph Schneider ein Herz mit seinen Händen und hält es in die Bühnenkamera. Fußballer:innen verwenden diese Geste als Zeichen der Toleranz. Von den Rammstein-Fans gibt es für die Geste Applaus. Schneider ist bisher das einzige Bandmitglied, das sich in einem Instagram-Post öffentlich mit den Vorwürfen beschäftigt hat [tagesschau.de].
Es bleiben die oft sexualisierten Texte der Rammstein-Songs als Aussage an diesem Abend. "Willst du bis zum Tod der Scheide, sie lieben auch in schlechten Tagen?" heißt es da etwa oder "Ich bin kein Mann für eine Nacht, ich bleibe höchstens ein, zwei Stunden" und "Wirst deine Arme um mich legen. Alles steif, kann mich nicht regen". Oft überlässt es Till Lindemann dem Publikum, diese Passagen für ihn zu singen. Auch bei der Zeile "Wir wollen, dass ihr uns alles glaubt" blieb er still. Die 60.000 Fans nicht. Sie singen die Stelle für ihn mit.
Sendung: rbb24 Inforadio, 16.07.2023, 8:00 Uhr
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