Joachim Meyerhoff über neues Buch - "Meine Mutter hat gesagt: 'Ich wusste nicht, dass ich so eine wilde Hummel bin'"

Immer wieder nimmt der Schauspieler und Schriftsteller Joachim Meyerhoff sein eigenes Leben als Ausgangspunkt seiner Romane. In seinem neuen Werk "Man kann auch in die Höhe fallen" hilft ihm der Besuch bei der betagten Mutter aus einer Krise.
rbb: Joachim Meyerhoff, der 6. Band Ihrer autobiografisch geprägten Buchreihe trägt den Titel "Man kann auch in die Höhe fallen" – ein Zitat von Hölderlin. Was hat es damit auf sich?
Joachim Meyerhoff: Bei Hölderlin geht das noch weiter: "Man kann auch in die Höhe fallen so wie in die Tiefe". Für mich ist der Titel passend für das Sujet, um das es hier geht, nämlich meine Mutter. Sie wurde über einen langen Teil ihres Weges immer glücklicher. Das ist eine sehr seltene und besondere Reise, die sie gemacht hat. Sie hat irgendwann mit Mitte 80 zu mir gesagt: Ich bin eigentlich so glücklich wie noch nie. Daher finde ich, dass "in die Höhe fallen" sehr gut passt.
Es bezieht sich also weniger auf Sie selbst, als auf Ihre Mutter?
Es bezieht sich insofern auf mich selbst, dass ich es für mich auch hoffe. Ja, ich hoffe, dass man innerhalb eines Lebens einen Aufschwung für sich hat und nicht dieses: "Das ist der Zenit, ab jetzt geht es abwärts". Sondern dass man für sich eine Entwicklung nach oben wenigstens als Utopie mit sich trägt.
Im Buch ist Ihre Mutter eine lebensbejahende Frau, die auch gern einen Whisky trinkt, in der Ostsee schwimmen geht, keine Angst vor Quallen hat. Ihr Sohn besucht sie nach einer Krise – es ist auch Ihre Geschichte?
In all meinen Romanen geht es von meiner Geschichte aus und transformiert sich dann im Grunde – auch mit fiktiven Elementen – zu einer Art sich selbst belebenden Erzählung. Der Sohn - 57, dreifacher Vater - rettet sich dort auf dem Land vor Berlin, seiner eigenen Nervosität oder einer Lebenskrise zur Mutter und wird wieder zum alten Kind.
Man erfährt gleich zu Beginn, dass es eine Schreib- oder Lebenskrise nach einem Schlaganfall gibt. Mit der Stadt Berlin hadern Sie auch. Diese Symptome, die Sie beschreiben – dass Sie sehr reizbar waren und sich eigentlich selber nicht mehr wiedererkannt haben – das geht vielen Frauen in den Wechseljahren auch so. Bei Ihnen steht das im Zusammenhang mit dem Schlaganfall. Aber gibt es nicht auch bei Männern hormonelle Veränderungen?
Absolut. Die Wissenschaft sagt es immer deutlicher, dass diese Wechseljahre, Midlife-Crisis, bei Männern zu so einer Zeit einsetzen. Es kommen wahrscheinlich viele Sachen zusammen: Der Ortswechsel von Wien nach Berlin, man musste sich mit einer neuen Stadt auseinandersetzen und gleichzeitig auch mit der Pandemie und dem Älterwerden und verschiedenen Dingen. Das führte zu einer engen Situation. Als Gegenwelt erscheint diese selbstbewusste, lebensbejahende Mittachtzigerin auf dem Land, auf einem Grundstück, das sie zu einer Art Park verwandelt. Das war eine gute Gegenwelt, das Pragmatische, das Handfeste. Er muss Gartenarbeit bei der Mutter machen, um wieder zu sich selbst zu kommen.
Dieses Paradies, das sie beschrieben haben, ist auch eine Art Therapie, um wieder auf die Beine zu kommen. Als ich das gelesen habe, war ich fast ein bisschen neidisch ob Ihrer guten Beziehung zu Ihrer Mutter.
Die ist besonders und über die Jahre gewachsen, diese Nähe. Ich glaube, es gibt wenige in meinem Alter, die zwei Monate gerne und aus tiefster Überzeugung mit ihrer Mutter verbringen würden. Das Buch ist auch der Versuch einer Geschichte, was es eigentlich heißt, diese festgefahrenen Rollen aufzubrechen, die man sich selber gegeben hat in Beziehung zu den Eltern - auch als älterer Mensch zu sehr alten Eltern. Ich glaube, dass immer viel mehr möglich ist. Gerade wenn man miteinander Zeit verbringt, über die Stippvisite hinauskommt, kann sich was ereignen. Das ist ein bisschen auch ein utopischer Roman von Nähe.
Sie schreiben immer wieder über ihr eigenes Leben. Beim Lesen hat man das Gefühl, als säßen wir zusammen, und Sie würden mir alles sehr unterhaltsam erzählen.
Das begegnet mir öfter, dass die Leser ein schöner Teil des eigenen Lebens werden. Die Komik, der Unterhaltungswert dieser Bücher ist mir sehr wichtig, weil ich nur über die Komik auch zu den schmerzlichen Punkten komme. Ich muss immer unglaublich viel Groteskes und Heiterkeit suchen, dass ich dann an die schmerzlichen Punkte vordringe. Trotz allem bleibt es natürlich ein Roman, also es gibt hinter dem Schriftsteller auch ein ganz anderes Leben.
Wie reagiert eigentlich Ihre Familie auf diese zwar fiktionale, aber doch autobiografische Erzählung aus dem sehr persönlichen Leben?
Naja, dieses Buch ist dadurch noch persönlicher geworden, dass es mehr und mehr in die Gegenwart gerutscht ist. Da wird es auch komplizierter. Aber ich bin kein Autor, der mit der Familie abrechnet. Sondern ich suche das Versöhnliche, ohne dabei kitschig zu werden, und doch irgendwie an die schmerzlichen Punkte vorzudringen. Und meine Familie bekommt das auch im Vorfeld zu lesen und wird damit vertraut gemacht. Dieses Mal war ausschlaggebend, ob meine Mutter mit dem Text zurechtkommt. Meine Mutter hat es gelesen und hat dann gesagt: Ich wusste gar nicht, dass ich so eine wilde Hummel bin. Und damit war für mich alles gewonnen.
Sie sind jetzt wieder in Berlin, immer noch am Theater?
Ich bin nicht mehr fest an der Schaubühne, sondern ich arbeite das erste Mal nach über 30, 35 Jahren frei und arbeite jetzt auch in Hamburg. Ich mache auch wieder was in Wien, um ein bisschen Luft reinzukriegen in die Möglichkeiten, die man hat.
In Berlin sagt man öfter: Da kannst du echt nur mit dem Kopf schütteln. Und dieses Kopfschütteln machen Sie in Ihrem Buch zu etwas, was Sie an Berlin nervt und stresst. Sie nennen das "Empörungs-Parkinson". Hat sich diese Sicht auf Berlin wieder ein bisschen geändert?
Das ist bei mir oft so, wenn ich einmal der Enttäuschung nachgebe, kann man sofort wieder Hoffnung schöpfen. Seitdem ich das Buch geschrieben habe, bin ich gerne hier. Berlin hat etwas Unberechenbares. Man ist nie sicher: Empfängt einen die Stadt an diesem Tag voller Freude oder muss man sich wieder durchkämpfen? Aber das hat auch etwas Abenteuerliches. Wien ist viel verlässlicher als Stadtstruktur. Hier ist man immer so hineingeworfen und die kopfschüttelnden Menschen gehören als Atmosphäre dazu. Oder dass man belehrt wird oder so. Man muss ein bisschen einen kämpferischen freudvollen Weg durch die Stadt machen. Aber ich mag es eigentlich mittlerweile sehr gerne.
Vielen Dank für das Gespräch.
Mit Joachim Meyerhoff sprach Susanne Papawassiliu für radio3.
Das Interview wurde für diesen Beitrag gekürzt und redaktionell bearbeitet. Das Original können Sie mit Klick auf das Audiosymbol im Header des Artikels nachhören.
Sendung: radio3, 11.11.2024, 09:30 Uhr
Am Montag, dem 11. November 2024 um 19 Uhr ist die Deutschlandpremiere von "Man kann auch in die Höhe fallen" mit dem Autor Joachim Meyerhoff. Live aus dem Großen Sendesaal des rbb und im auch im Video-Livestream bei Radioeins und radio3.
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