Instrumentalisierung der Literatur - Wie die Neue Rechte Prosa und Lyrik für ihre Zwecke umdeutet

Keine rechten populistischen Parolen, sondern nette Gespräche über Literatur. Die Neue Rechte hat die Bücher für sich entdeckt, um ihre eigenen Ideologien populär zu machen – so die Analyse einer neuen Studie. Von Elena Deutscher und Nathalie Daiber
Ob mit Lesekreisen – auch in Berlin –, Youtube-Sendungen oder mit einer Buchmesse im Herbst: Mittlerweile hat die Neue Rechte ganz unterschiedliche Wege gefunden, Literatur für sich zu nutzen.
Wie genau die Neue Rechte literarische Werke nutzt, um Ideologien in die Mitte der Gesellschaft zu tragen, wurde jetzt unter anderem im Forschungsprojekt "Neurechte Literaturpolitik" untersucht. Geleitet wird das Projekt von Thorsten Hoffmann, Professor für Neuere Deutsche Literatur am Institut für Literaturwissenschaft an der Universität Stuttgart.
Das Lieblingsbuch ist ein bekannter Klassiker
Werke wie der Literaturklassiker "Fahrenheit 451" von Ray Bradbury, in dem der Besitz von Büchern verboten ist, werden bewusst umgedeutet, wie Hoffmann sagt. "Das sind die Lieblingstexte der Neuen Rechten. Sie versuchen anhand dieser Texte zu behaupten, dass wir uns gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland in einer Diktatur befänden, gegen die man nur mit Hilfe der Neuen Rechten aufbegehren kann, um die Freiheit des Wortes durchzusetzen."
Ziel sei es, das Narrativ zu verbreiten, die Neue Rechte würde genauso verboten und dürfe nicht frei reden wie die Menschen, die in "Fahreinheit 451" Bücher besitzen oder lesen, so Hoffmann.
In Anlehnung an den Klassiker veranstaltet der Verein "Aktion 451" unter anderem in Berlin rechte Lesekreise. Auch der Verein "Staatsreparatur" des ehemaligen Berliner AfD-Abgeordneten Andreas Wild ist bekannt für rechte Veranstaltungen inklusive Buchvorstellungen.
Der Leipziger Wissenschaftler Hans-Joachim Schott, der Teil des Arbeitskreises Politische Ästhetiken ist, sagt: "Der Roman bietet viele Ansatzpunkte, gerade weil er nicht rechts ist." Dass der Roman nicht rechts sei, sage auch die Neue Rechte selbst, so Schott. Vielmehr sei er Kunst und somit autonom, und damit könne sie sich auch auf ihn beziehen "wie es Konservative oder Liberale tun". So könne die Neue Rechte, erklärt Hans Joachim Schott, die eigenen Positionen mit denen aus der Mitte der Gesellschaft verzahnen.
Gespräche vor Bücherregalen und bei einem Glas Wein
Auf Youtube hat die Neue Rechte sogar eine eigene Literatursendung. Der Titel: "Aufgeblättert. Zugeschlagen – Neue Rechte lesen". Bei einem Glas Wein wird vor einer Bücherwand über Lyrik und Prosa wie zum Beispiel über die zeitgenössischen Bücher von Lutz Seiler oder Iris Wolff geplaudert. Zu dem Lesezirkel gehören unter anderem Ellen Kositza und Susanne Dagen.
Ellen Kositza betreibt mit ihrem Mann, dem Rechtsextremisten Götz Kubitschek, den Verlag Antaios. Susanne Dagen, Buchhändlerin und Teil der Dresdner AfD-Fraktion, gehört das Buchhaus Loschwitz in Dresden. Thorsten Hoffmann schreibt ihr eine Scharnierfunktion zwischen der Neuen Rechten und Literatur zu.
Gut vernetzt in der ostdeutschen Literaturszene
"Durch ihr Buchhaus Loschwitz, was auch als Veranstaltungsort dient, konnte Dagen gute Verbindungen in den Literaturbetrieb aufbauen. Auch zu Schriftstellern und Schriftstellerinnen in den neuen Bundesländern", sagt Hoffmann. Damit habe sie für die Neue Rechte eine enorme Bedeutung. "Weil diese Verbindungen jetzt massiv genutzt werden, um Leute für diese Agenda, die bei Susanne Dagen mittlerweile eindeutig neurechts ist, zu gewinnen."
Für den Literatur-Professor Torsten Hoffmann ist die Intention hinter Formaten wie dem Youtube-Kanal von Dagen und Kositza, in denen auch Mainstream-Romane besprochen werden, klar: "Es geht darum, mithilfe dieser Texte auch von Menschen wahrgenommen zu werden, die gar nicht nach neurechten Medien suchen."
Auch in Berlin nutzen rechte Akteure Literatur für ihre Zwecke
Auch in Berlin gibt es rechte Akteure, die Literatur für ihre Zwecke nutzen. Ein Beispiel: die sogenannte Bibliothek des Konservatismus. Sie gilt als Denkfabrik der rechten Szene. "AfD-Politiker, Eurofeinde, Abtreibungsgegner und Islamkritiker treffen sich dort, um nationale Ideen salonfähig zu machen", schrieb der "Spiegel" schon 2017. Seit 2023 ist die umstrittene Bibliothek im Bibliotheksverbund Berlin-Brandenburg .
Damit können Studierende bei ihrer Literatursuche auf die Bestände der rechten Bibliothek stoßen. Rechte Ideologien könnten so zugänglicher werden, fürchten Kritiker.
Auf die Frage des rbb nach einem Interview heißt es seitens der Bibliothek, sie erschlössen "das gesamte geistesgeschichtliche Spektrum des Konservatismus seit 1789 und stellen unseren Nutzern entsprechende Medien zur Verfügung. Das bedeutet naturgemäß nicht, dass sich unser Haus oder einzelne Mitarbeiter mit allen hier vorgehaltenen Schriften oder Periodika identifizieren." Einem Interview erteilten sie daher eine Absage.
Schulze: Zutrauen in die Bücher und auch in den Großteil der Kritiker und Leser
Der in Berlin lebende Schriftsteller Ingo Schulze setzt auf die Literatur und die Texte selbst: "Ich habe Vertrauen in die Bücher. Wenn es ein gutes Buch ist, dann kann man es nicht nach rechts verbiegen. Ich habe da Zutrauen in die Bücher und auch in den Großteil der Kritiker und Leser."
Schulze kennt Susanne Dagen schon sehr lange, früher hat er auch in ihrer Buchhandlung gelesen. Heute tut er das nicht mehr, aus zwei Gründen, wie er sagt. Zum einen ist in der Youtube-Sendung auch der österreichische Rechtsextreme Martin Sellner schon zu Gast gewesen und das unter falschem Namen. Zum anderen sieht er die Zusammenarbeit mit dem Verlag von Götz Kubitschek sehr kritisch.
Mit jemandem wie Kubitschek, der den Vorbürgerkrieg propagiert oder Bücher über "den großen Austausch" veröffentlicht, möchte Schulze nichts zu tun haben, wie er sagt. "Da ist für mich eine Grenzline überschritten", so der Literat. Weiter sagt Schulze: "Ich glaube es tut Literatur nicht gut, wenn man sie gleich in rechts, links oder Mitte unterteilt." Er redet aber immer noch mit Susanne Dagen – zuletzt in einem Streitgespräch in der "Sächsischen Zeitung".
Eigene Büchermesse in Halle (Saale)
Im Herbst plant Susanne Dagen eine eigene Buchmesse in Halle (Saale). Unter dem Namen "Seitenwechsel" soll die Messe ausgerechnet am 9. November stattfinden – dem Gedenktag an die Reichspogromnacht.
Für den Literatur-Professor Thorsten Hoffmann nimmt diese Messe "neue Dimensionen" an. Die Buchmesse in Halle wird erstmals nicht klar als rechts gekennzeichnet, sondern soll sich bewusst an "alle Lesenden" richten. "Das ist die Strategie, die Susanne Dagen als Normalisierung bezeichnet. Sie möchte zu einer Normalisierung des neurechten Denkens beitragen", sagt Hoffmann. Dafür sei es wichtig, sich nicht mehr klar als rechts zu bekennen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 26.03.2025, 18:55 Uhr