Drag-Künsterlin über Queerfeindlichkeit - "Ich nutze keine öffentlichen Verkehrsmittel, wenn ich in Drag bin"
Magda von Pfeffer ist Drag-Künstlerin und Teil des Kollektivs "Duct Tape". Die Künstlerin beobachtet die wachsende Queerfeindlichkeit in Deutschland mit Sorge – und möchte deshalb beim Christopher Street Day in Berlin erst recht ein Zeichen setzen.
rbb|24: Magda von Pfeffer, wie sind Sie Dragqueen geworden?
Magda von Pfeffer: Als 15-Jähriger habe ich in meiner Heimatstadt München, als ich noch ganz neu in der queeren Szene war, das erste Mal eine Dragqueen auf der Bühne gesehen. Die Performerin hat einen ganz krassen Stolz ausgestrahlt – einen Stolz darauf, wer sie ist und aus welcher Community sie kommt.
Dieses Selbstbewusstsein wollte ich auch haben. Es hat dann fünf Jahre gebraucht, bis ich meine ersten Gehversuche in der Drag-Welt gestartet habe. Professionelle Dragqueen bin ich seit drei Jahren und seit einem Jahr stehe ich mit unserem Kollektiv "Duct Tape" auf den Bühnen Berlins.
Gab es also eine Zeit, in der Sie Probleme mit dem Queersein hatten?
Ich wurde bereits in der zweiten Klasse, also als Achtjähriger, von älteren Schüler:innen als Schwuchtel beschimpft, als ich noch gar nicht wusste, was dieses Wort überhaupt bedeutet. Mir wurde also von Außen ein Label auferlegt.
Mit 13 habe ich meine Sexualität für mich akzeptiert und auch geradeheraus kommuniziert. Ich wusste, dass ich mir Respekt verschaffen muss und bin laut geworden, sobald mir jemand homofeindliche Sachen hinterhergerufen hat.
Das hatte zur Folge, dass ich viermal die Schule wechseln musste. Heute bin ich 30 und glaube, dass mir damals ein bisschen mehr Ruhe und Geduld gutgetan hätten. Vor größere Probleme hat mich allerdings mein Glaube gestellt.
Inwiefern?
Meine Familie kommt aus Bosnien und Herzegowina, ich bin muslimisch erzogen worden. Bevor ich mich als schwuler Mann positioniert habe, musste ich mich in meinem eigenen Glauben positionieren. Ich habe mich gefragt, ob ich meinen Glauben überhaupt noch praktizieren kann.
Durch meine Sexualität hat sich also nicht nur Distanz zu meiner Familie, sondern auch zu meiner Religion aufgebaut und mein aggressives Verhalten befeuert. Heute finde ich langsam wieder zu meinem Glauben zurück. Ich glaube zwar nicht muslimisch, bin aber definitiv auch kein Atheist.
Hatten Sie in Ihrer Familie Rückhalt?
Eine lange Zeit nicht. Ich bin mit 13 Jahren von Zuhause ausgezogen, weil ich realisiert habe, dass ich nicht in unsere Familie hineinpasse. Ich habe mit meiner aggressiven Art meine Familie von mir weggestoßen. Mit Anfang 20 hatte ich dann das erste klärende Gespräch mit meiner Mutter. Dann hat es nochmal acht Jahre gedauert, bis wir wirklich reinen Tisch gemacht haben. Heute sind wir wie Schwestern.
Sie leben mittlerweile nicht mehr in München, sondern in Berlin. Haben Sie das Gefühl, sich hier frei entfalten zu können?
Als ich nach Berlin gekommen bin, habe ich festgestellt, dass die Stadt deutlich lockerer und offener ist als der Süden. Dennoch bin ich vorsichtig. Aus Angst vor Übergriffen nutze ich keine öffentlichen Verkehrsmittel, wenn ich in Drag bin. Ich gehe nur auf die Straße, wenn ich genügend Leute um mich herum habe.
Wenn ich mit einer großen, queeren Gruppe unterwegs bin, was häufig vorkommt, habe ich immer ein Auge darauf, wer uns entgegenkommt und was zu einer Gefahrensituation führen könnte. Das kommt durch Erfahrungen, die man eben so sammelt.
Von welchen konkreten Erfahrungen sprechen Sie?
Zum einen hat mich das Mobbing in der Schule stark geprägt. Aber auch vor Übergriffen ist man hier nicht geschützt. Vor einem Jahr wurde ich von fünf Kerlen auf der Warschauer Brücke vollkommen grundlos angespuckt - und zwar von allen gleichzeitig, einfach so [Anm. d. Redaktion: Zum Zeitpunkt des Übergriffs war sie nicht in Drag unterwegs].
Mir waren in dem Moment die Hände gebunden. Ich wusste, dass wenn ich irgendwas sage oder mache, die Lage eskalieren würde. In dem Moment war es das Beste, mir einfach die fremde Spucke aus dem Gesicht zu wischen und weiterzugehen. Man fühlt sich in einer solchen Situation wahnsinnig allein, weil man nicht die Möglichkeit hat dagegen vorzugehen. Denn wenn man es tut, macht man die Situation dadurch wahrscheinlich noch schlimmer.
Insgesamt scheint die Queerfeindlichkeit zuzunehmen: Derzeit werden vermehrt Übergriffe bei CSD-Veranstaltungen gemeldet, bei der Pride-Parade in Wien im Juni dieses Jahres wurde ein geplanter Anschlag verhindert. Gehen Sie mit einem mulmigen Gefühl zum Christopher Street Day am kommenden Wochenende in Berlin?
Ich werde auf jeden Fall zur Parade gehen, denn es ist einfach wichtig, Sichtbarkeit zu zeigen. Gerade jetzt, da die Feindlichkeiten wachsen, ist es umso wichtiger Stellung zu beziehen und zu zeigen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen. Das würde unsere Gegner:innen nur in die Karten spielen. Ich habe aber vollstes Verständnis für alle, die sich dieses Jahr eher an den Rändern der Pride aufhalten. Ich persönlich werde aber in der ersten Reihe stehen, wenn es sein muss.
Politiker:innen der CSU wollten in Ihrer Heimatstadt München eine Lesung von Drag-Künstler:innen für Kinder verhindern, es gab lautstarke Proteste gegen die Veranstaltung.
Dafür habe ich absolut kein Verständnis. Ob da jetzt ein als Clown verkleideter Mann sitzt und den Kindern etwas vorliest oder eben Draqueens ist doch vollkommen egal. Die Gegner:innen argumentieren zwar mit dem Schutz der Kinder. Diese Forderungen hatten allerdings zur Folge, dass vor der Bibliothek, in der die Lesung stattfand, ein riesengroßes Polizeiaufgebot war und Menschen davor protestierten. Dass sie dort so aggressiv herumgeschrien haben, hat den Kindern, die die Lesung besucht haben, sicherlich mehr geschadet.
Macht es Ihnen Angst, dass die Politik solche Verbote fordert?
Es macht mir wahnsinnig viel Angst. Deshalb überlegen ich und ein anderes Mitglied unseres Drag-Kollektivs, ob wir zu Halloween etwas für Kinder veranstalten. Mich würde interessieren, ob es hier ebenfalls einen Shitstorm geben würde oder ob Berlin tatsächlich lockerer ist als der Süden.
Gibt es etwas, das Ihnen trotz der wachsenden Queerfeindlichkeit auch Hoffnung macht?
Seit einiger Zeit sieht man viele Jungs und Männer mit Perlenketten herumlaufen. Das macht mich unglaublich glücklich, weil es ein Zeichen für Gender-Fluidity, also eine Entgrenzung der Geschlechternormen, ist. Man macht sich mit einer solchen Kette gezielt weicher als Mann. Für mich symbolisiert sie deshalb Fortschritt und Veränderung. Die jüngere Generation, also die Generation Z, geht mit Queerness sowieso ganz anders um. Es scheint mir, als wäre es mittlerweile total out, Schwule und Lesben zu mobben.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Christopher Ferner.
Sendung: Berlin Pride - CSD 2023, 22.07.2023, 13:00 Uhr