Starker Zuzug vom Subkontinent - Warum der Boom der indischen Community in Berlin kein Zufall ist
Seit 2014 hat sich die Zahl der Menschen mit indischer Staatsangehörigkeit in Berlin mehr als verzehnfacht. Der Zuzug vom asiatischen Subkontinent zeigt, was für eine Erfolgsgeschichte Migration sein kann - nur redet kaum jemand darüber. Von S. Schöbel
Wer wissen möchte, wie hoch Deutschland bei Menschen in Indien gerade im Kurs steht, sollte Marla Stukenberg in Delhi anrufen. Die Regionalleiterin Südasien ist allein in Indien für insgesamt sechs Goethe-Institute und vier Goethe-Zentren verantwortlich, an denen Deutschunterricht und vor allem die für migrationswillige Fachkräfte wichtigen Deutschprüfungen angeboten werden.
"200.000 Prüfungsteilnehmer hatten wir hier", rechnet Stukenberg vor. "Also, 200.000 im vergangenen Jahr." Zum Vergleich: Das sind mehr Menschen als Potsdam Einwohner hat. "Es gibt wirklich ein großes Interesse an Deutschland als Studien- und Karriereziel", so Stukenberg.
Berlin als Sprosse der Karriereleiter
Auf fast 41.500 Menschen ist die indische Community allein in Berlin inzwischen angewachsen, wie Recherchen von rbb|24 jüngst ergaben. Innerhalb eines Jahrzehnts hat sich die Zahl mehr als verzehnfacht, keine andere migrantische Gruppe in Berlin wächst so stark. Gesprochen wurde über die indischen Neuankömmlinge allerdings kaum, auch nicht im zurückliegenden Bundestagswahlkampf, in dem Migration ein Hauptthema war - und meistens als Problem dargestellt wurde. Dabei sind gerade indische Zuwanderer ein Paradebeispiel dafür, wie Deutschland vom Zuzug aus dem Ausland profitieren kann, und zwar nicht nur beim gastronomischen Angebot.
"Mir wurde hier ein Job angeboten", erzählt Shankaran Loganathan. Sein Deutsch sei noch etwas rudimentär, entschuldigt sich der Software-Ingenieur aus dem südindischen Chennai, er wohne erst seit 2022 in Berlin. "Ich hatte gehört, dass hier die Startup-Szene boomt, und da wollte ich dabei sein und meine Karriere aufbauen."
Deutschland sei schön, aber sein Ziel sei es, hier nur ein paar Jahre zu bleiben, um sich beruflich zu entwickeln und dann nach Indien zurückzukehren, sagt Loganathan. "Ich bin jetzt jung und wollte mich einfach selbst herausfordern", erzählt er im Interview mit der rbb24 Abendschau. Seit rund vier Monaten lebt auch seine Frau in Berlin, ebenfalls eine Software-Ingenieurin.
Günstiger als die alte Kolonialmacht
Berlin als Sprosse auf der Karriereleiter: Längst sei der Sprung ins Ausland nicht mehr nur der hypermobilen Elite aus Indiens wohlhabenden Oberschichten vorbehalten, sagt Mustafa Aksakal von der Universität Bielefeld. "Die Mittelschicht wird deutlich präsenter."
Neben IT-Expert:innen und Forscher:innen kommen längst auch Bäcker, Metzger, Handwerker und Pflegekräfte. Gerade Indiens Mittelschicht schätze Deutschland für den Ruf seiner Unternehmen, bezahlbare Studiengebühren und leistbare Lebenserhaltungskosten, sagt Aksakal – vor allem verglichen mit England, wohin traditionell besonders viele Inder wegen der langen Kolonialgeschichte hin auswanderten.
Neu sei das Phänomen aber gar nicht, so Aksakal. Schon in den 1970er Jahren seien viele Inderinnen und Inder für die Gesundheitsbranche der Bundesrepublik rekrutiert worden. Wirklich verstetigt habe sich das dann aber nicht – auch weil es gesellschaftlichen und politischen Gegenwind gab. An den Spruch "Kinder statt Inder" von CDU-Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers beim Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2000 erinnere man sich noch heute, sagt Aksakal. Erst ab 2005 sei die Zahl der Zuwanderer aus Indien wieder gestiegen.
Seit 2022 gibt es zwischen Deutschland und Indien ein Migrationsabkommen, das erste seiner Art. Es vereinfacht vor allem den Visa-Prozess, besonders für Fachkräfte. Im März 2023 trat das Abkommen in Kraft, seitdem wurden mehr als 46.000 Visa an Studierende und mehr als 43.000 an Erwerbstätige aus Indien vergeben, wie das Auswärtige Amt auf Nachfrage des rbb mitteilt. 2024 beschloss die Ampel-Regierung zusätzlich eine Fachkräftestrategie für Indien, um dort noch mehr Menschen anzuwerben, zum Beispiel über Jobmessen.
Erfolgreichste migrantische Community
Abschiebungen nach Indien, die ebenfalls durch das Abkommen erleichtert werden sollen, spielen hingegen in der Praxis kaum eine Rolle: 2023 betraf es gerade einmal 51 Personen. Ganz anders als bei den Ländern, mit denen inzwischen ebenfalls Migrationsabkommen vorbereitet oder schon abgeschlossen wurden, zum Beispiel Georgien, Moldau und Usbekistan.
Wie erfolgreich indische Migrant:innen sind, zeigte Ende 2024 eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW). Demnach verdienen sie im Schnitt besser als jede andere Einwanderergruppe, vor allem wegen überdurchschnittlich guter Qualifizierung. Laut IW-Analyse lag der Medianlohn indischer Migranten in Deutschland 2023 bei rund 5.400 Euro, rund 1.400 Euro über dem Medianlohn der deutschen Vollzeitbeschäftigten.
Die Bundesagentur für Arbeit zählte im Februar in Berlin insgesamt 20.670 indische Staatsangehörige, die einer Beschäftigung nachgingen, 19.730 von ihnen sozialversicherungspflichtig. Die Arbeitslosenquote lag bei 4,6 Prozent - halb so hoch wie bei deutschen Staatsangehörigen und deutlich unter der Arbeitslosenquote von 19,1 Prozent bei Ausländern.
"Deutschland hat eine Bringschuld"
Über deren Integrationswillen müsse man sich derweil keine Sorgen machen "Indien ist so riesig, so multi-ethnisch, dass es auch in den Großstädten im Zusammenleben auf Toleranz ankommt", sagt Soziolige Aksakal. Politische und gesellschaftliche Konflikte, vor allem zwischen der Hindu-Mehrheit und der muslimischen Minderheit Indiens, oder das hierarchische Kasten-System, spielten unter indischen Migranten in Deutschland laut Befragungen kaum eine Rolle.
Umgekehrt sieht es mitunter allerdings anders aus. "Unsere Studie zeigt, dass indische Studierende und Fachkräfte durchaus Diskriminierung erfahren in Deutschland“, so Aksakal, vor allem in Ostdeutschland. Auch deswegen würden die meisten von ihnen eher in Großstädte ziehen als in ländliche Regionen. "Da hat eher Deutschland eine Bringschuld", sagt Marla Stukenberg vom Goethe-Institut in Delhi. "Es gibt hier viele Menschen, die das, was Deutschland braucht, mitbringen."
Sendung: rbb24 Inforadio, 18.03.2025, 7 Uhr