Serie: 30 Jahre Mauerfall | Berlin, du bist dufte - Wie der Geruch des Westpakets Ostdeutsche glücklich machte
Kaffee, Schokolade, Seife: Wer zu DDR-Zeiten ein Westpaket bekam, freute sich über Geschenke, die ganz anders rochen als Ost-Produkte. Die Filmemacherinnen Maja Stieghorst und Brit-J. Grundel haben versucht, diesen Duft wiederzufinden. Von Anne Kohlick
Westpakete? Davon hat Maja Stieghorst noch nie gehört, bevor sie 2001 nach Berlin zieht. "Ich bin im Westen aufgewachsen, ohne Ost-Verwandtschaft", erinnert sie sich. "Deshalb haben wir nie Pakete in die DDR geschickt." Aber dann verliebt sie sich in eine Frau, die aus Leipzig kommt und bei Spaziergängen ab und zu unvermittelt stehen bleibt. "'Es duftet nach Westpaket', hat meine Frau dann gesagt. Und ich dachte mir immer: Das will ich auch mal riechen!"
Maja Stieghorst beginnt, über Westpakete zu recherchieren. Sie fragt Bekannte aus dem Osten nach ihren Erinnerungen - und immer wieder schwärmen die Menschen vom Duft der Päckchen. Sie arbeitet als Cutterin beim Fernsehen und beschließt, der Suche nach dem Duft des Westpakets einen Dokumentarfilm zu widmen.
Selbst die Schnur der Westpakete war kostbar
Gemeinsam mit der befreundeten Regisseurin Brit-J. Grundel macht sie sich an die Arbeit. Anders als Maja ist Brit im Osten aufgewachsen und erinnert sich selbst an die duftende Post aus dem Westen: "Wir haben nicht so viele Westpakete bekommen - nur einige wenige. Meine Mutter und ich haben die gemeinsam ausgepackt. Sie hatten in der Regel eine Schnur, die nicht aufgeschnitten wurde - sie wurde sorgsam aufgeknotet und auch aufgehoben, genauso das Papier."
Besonders die Gummibärchen aus dem Westen waren für Brit-J. Grundel als Kind kostbar: "Ich habe sie lange aufgespart und mich so daran gewöhnt, dass ich am Ende harte Gummibärchen viel, viel lieber mochte als weiche Gummibärchen."
Der lange Weg zum Duft
Der Dokumentarfilm "Der Duft des Westpakets" begleitet einen Hobby-Geruchsforscher bei dem Versuch, diesen besonderen Duft wiederherzustellen. Dafür packen die beiden Filmemacherinnen dutzende Pakete - voller Puddingpulver, Schokolade, Kaffee und Seife. "Wir haben die wochenlang stehen gelassen", sagt Maja Stieghorst, "und immer wieder gedacht: Irgendwie muss es doch langsam mal riechen. Aber es hat nicht gerochen."
Heute sind die Produkte oft einzeln vakuumverpackt, nach außen fast geruchsneutral. Das war vor 1990 anders. "Also haben wir alle Produkte, die in den Paketen waren, angestochen, sie in ein neues Paket gepackt und das eine Woche ziehen lassen", erklärt Maja Stieghorst, "und auf einmal roch es total nach Westpaket."
Wenn der Kinosaal zu riechen beginnt
Zusammen mit dem Dresdner Parfumeur Uwe Herrich komponieren sie einen Duft - aus den Original-Zutaten des Westpakets. Wenn die beiden Filmemacherinnen ihre Dokumentation vorführen - wie zuletzt im DDR-Museum in Berlin-Mitte , versprühen sie das Parfum am Ende des Films im Raum. "Dadurch entsteht eine besondere Nähe zwischen uns und dem Publikum" - davon ist Brit-J. Grundel überzeugt.
"Zig Sorten Schokolade machen auch nicht glücklich"
Immer wieder Zuschauer kommen auf sie zu, um über ihre Geruchserinnerungen zu reden: "Es gibt nicht ein Westpaket von diesen Millionen, die verschickt wurden, was dem anderen glich. Deswegen gibt es auch keinen einheitlichen Westpaket-Duft. Insofern treffen wir auch auf Menschen, die sagen: In eurem Parfum ist zu viel Schokolade! Bei mir war mehr Seife, bei mir war mehr Pfefferminz", sagt die Regisseurin.
Sie selbst erinnert der Duft an Glücksmomente in ihrer Jugend in der DDR: "Für einen Moment hat so ein Paket ein paar bunte Farbtupfer ins Leben gebracht." Damals fragte sich Brit-J. Grundel: Werde ich einmal über diese duftende Vielfalt an Produkten verfügen können? 30 Jahre nach dem Mauerfall weiß sie: "Zig Sorten Schokolade und Kaffee im Supermarkt machen auch nicht glücklich." Aber einen Dokumentarfilm zu machen, der Menschen so berührt wie dieser, schon.
Ost- und West-Berlin rochen vor dem Mauerfall unterschiedlich. Viele dieser Gerüche sind heute verschwunden. "Berlin, du bist dufte" sucht nach ihren Spuren und erzählt, wie sich die Düfte der Stadt seit der Wende verändert haben.