Interview | Neue Partei Volt im EU-Parlament - "Wir setzen dem Zorn der alten Männer Europa entgegen"
Damian Boeselager hat den Coup gelandet: Knapp 250.000 Deutsche wählten seine noch junge proeuropäische Partei Volt. Nun zieht er nach Brüssel. Mit rbb|24 spricht er über seine Politisierung und warum er nicht will, dass die EU zerfällt.
Damian Boeselager studierte gerade in New York, als ihn seine mehr als 6.000 Kilometer entfernte Heimat nicht loslassen wollte. Europa erlebte 2016 ein turbulentes Jahr: Die Briten votierten für den Brexit, die AfD zog in fünf Landesparlamente ein und Wissenschaftler prognostizierten einen immer schlimmer werdenden Klimawandel.
Zusammen mit seinen Kommilitonen Colombe Cahen-Salvador aus Frankreich und Andrea Venzon aus Italien gründete er als Gegenreaktion nach seiner Rückkehr vom Auslandssemester die pro- und paneuropäische Partei Volt. Boeselager pausierte seinen Job als Unternehmensberater bei McKinsey und betrieb mehr als zwei Jahre Wahlkampf für die EU-Wahl 2019. So die Erzählung zum Gründungsmythos. Mehr als zwei Jahre später ist der 30-jährige Berliner mit 0,7 Prozent der Stimmen in Deutschland am Sonntag überraschend ins Europa-Parlament gewählt worden.
rbb|24: Herr Damian Boeselager, Sie wurden überraschend zum EU-Parlamentarier gewählt. Was ist seit der Bekanntgabe der Ergebnisse bei Ihnen passiert?
Damian Boeselager: Trubel und Freude. Es gibt viele Leute, die mitgewirkt haben und jetzt natürlich angerufen werden wollen. Ich muss etliche Menschen umarmen und Hände schütteln – egal, ob es meine Eltern sind, meine Wohngemeinschaft oder Partnerin. Aber ich muss auch den tausenden Freiwilligen danken, die in ganz Europa auf der Straße Wahlkampf gemacht und die Partei mitaufgebaut haben.
Gemeinsam mit Colombe Cahen-Salvado aus Frankreich und Andrea Venzon aus Italien, gründeten Sie die pan-europäische Partei Volt. Seitdem ist die Unterstützerzahl extrem gewachsen. Vor Jahren kannten Sie wenige Menschen, nun stehen Sie im Rampenlicht.
Wer hätte das damals gedacht. Wir sind in allen europäischen Ländern aktiv, in 14 Ländern als Partei registriert und in acht zur Wahl angetreten. Mittlerweile haben wir 40.000 Unterstützer. Sie alle trugen zu meinem Einzug ins EU-Parlament bei. Als Kandidat ist man ja nur das Gesicht von einem großen Ganzen. Natürlich hatten wir immer die Idee, wir bauen eine große europäische Bewegung oder Partei auf. Das war der Plan, aber ob er aufgeht, war nicht klar.
Ihr Mitgründer Venzon durfte sich nicht in seinem Heimatland Italien zur Wahl stellen und trat stattdessen in Großbritannien an. Was war da los?
Die demokratischen Hürden in manchen Ländern sind abstrus hoch, um zur Wahl antreten zu können. In Italien müssen neugegründete Parteien 150.000 Unterschriften einem Notar vorlegen.
Für viele Menschen in Deutschland ist Ihr Einzug ins EU-Parlament eine Überraschung.
Es war eine krasse Aufgabe so viele Leute für einen zu überzeugen. Am Schluss vertrauten uns 250.000 Menschen in Deutschland. Das sind viele volle Stadien.
Wann wurden Sie politisiert?
Politisch interessiert bin ich schon länger. Aber darüber Politiker zu werden, dachte ich nie nach. In New York lernte ich Andrea [Venzon, Anm.d.Red.] kennen und wir diskutierten viel über Klimawandel, Migration, Asyl, Steuergerechtigkeit und Altersarmut. Dort sagten wir uns, wir müssen aktiv werden und dürfen nicht mehr nur zuschauen.
Sie wurden 1988 geboren, kurz vor dem Mauerfall. Welches Ereignis in Europa hat Sie später beeinflusst?
Ich fuhr mit zwei Freunden 2012 durch ganz Europa und besuchte alle Hauptstädte. Dort fragten wir junge Leute, was ihre Vision für Europa ist. Das war in der Zeit als die Occupy-Bewegung Schlagzeilen machte und sich in Spanien die Partei Podemos gründete. Wir spürten auf den Straßen sehr viel Bewegung. Diese Erfahrungen bewegten mich unmittelbar zur Gründung von Volt. Später empfand ich das Referendum zum Brexit als einschneidendes Erlebnis. Mir wurde bewusst, dass die EU kein Selbstläufer ist und dass man etwas dafür tun muss. Zudem war ich entsetzt darüber, dass 2016 ein absoluter Vollidiot zum amerikanischen Präsidenten gewählt wurde. Die Finanzkrise und 2015 die Migrationsdebatte zeigten mir: Nur gemeinsame europäische Lösungen sind sinnvoll, nicht nationale. Der proeuropäische Ansatz der Bewegung En Marche in Frankreich hat mich inspiriert. Leider ist nichts daraus geworden.
Krisen gab es vorher schon, ebenso wie schwierige Ministerpräsidenten und das Problem des Klimawandels. Warum sind Sie nicht schon früher aktiv geworden?
Gute Frage. Ich glaube, wir sind in einer sehr gemütlichen Generation in Deutschland aufgewachsen. Seit der großen Koalition hat sich gefühlt wenig verändert. Das hat zu einer politischen Trägheit geführt. Bei vielen in meiner Generation ist das nun vorbei. In unserer Partei waren siebzig Prozent vorher nicht politisch aktiv, da bin ich nicht der einzige. Die haben alle das gleiche Gefühl: Es ist eine entscheidende Zeit. Entweder wir bauen Europa zu einem gemeinsamen Kontinent auf oder er fällt langsam auseinander. Wir setzen dem Zorn der alten Männer und der AfD ein vereintes Europa entgegen.
Das klingt wie eine Endzeitstimmung.
Politisierung hat immer mit einer Reaktion auf irgendwelche Missstände zu tun, die einen stören. Das muss keine Endzeitstimmung sein, aber es hat wahrscheinlich dazu geführt, dass die Wahlbeteiligung gestiegen ist und das ist wirklich richtig cool.
Sind Sie im Ausland Damian Boeselager, der Deutsche, der Europäer oder vielleicht sogar der Kosmopolit?
Ich habe mich immer als Deutscher und Europäer vorgestellt und sehe darin keinen Widerspruch. Für mich ist wichtig, dass Identitäten offen sind, dass jeder die Möglichkeit hat, Rheinländer zu werden, wenn sie oder er es möchte. Wenn das funktioniert, dann spricht nichts dagegen, eine starke Identität zu haben. Trotzdem müssen wir bei gewissen Themen Verantwortung für die Vergangenheit tragen, wie beispielsweise den Kolonialismus.
Was ist Ihnen so wichtig an der EU, dass Sie es nicht untergehen lassen können?
Rechtspopulisten haben die Vision des starken Nationalstaats erfolgreich kommuniziert. Es ist aber eine Illusion zu glauben, wenn wir dahin zurückkehren, wird alles besser. Das ist eine Gefahr vor der ich und unsere Partei Volt warnen. Die Probleme, die wir heute sehen, kennen großenteils keine Staatsgrenzen, sie können nur europäisch gelöst werden - am besten in einer parlamentarischen Demokratie. Unser Programm sagt: Lasst uns die EU reparieren und reformieren, damit sie richtig demokratisch wird und hauptsächlich über ein gewähltes Parlament gesteuert wird.
Sie kommen aus einer bekannten adligen Familie, haben ein privilegiertes Leben geführt. Ist es aus dieser Position nicht leicht über eine Politik zu urteilen, die Millionen von Menschen direkt betrifft?
Meine Familie hat mir klare Werte vermittelt, sich für die Gesellschaft einzusetzen. Aber jeder sitzt im Grunde im Leben dort, wo er sitzt, aufgrund seiner persönlichen Erfahrungen und entscheidet sich dann, welchen Weg er einschlagen will. Ich habe mich mit meiner Situation und Geschichte entschieden, politisch aktiv zu werden und will versuchen, dass damit weniger Menschen leiden.
Wie politisch erzogen Ihre Eltern Sie und Ihre drei Geschwister?
Meine Eltern unterhielten sich oft über politische Themen. Wir Kinder redeten da natürlich mit. Ich muss aber gestehen, dass ich als jüngstes Kind oft nur zuhörte. Deswegen sagt mein Vater, dass ich wahrscheinlich jetzt so viel rede, weil ich damals nicht so viel sprach.
Bleiben Sie Berufspolitiker, nach Ihrer Amtsperiode im EU-Parlament?
Ich werde es wahrscheinlich immer in irgendeiner Form in meinem Leben weitermachen. Nun will ich so viel im Europäischen Parlament verändern, wie es nur geht und denen gerecht werden, die mich dazu angetrieben haben. Was danach kommt, kann ich nicht sagen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Baran Datli