Rechtsruck bei Europawahl - AfD und Union für junge Wähler besonders attraktiv
AfD und Union haben bei der Europawahl besonders bei Menschen unter 25 Jahren gepunktet. Drei mögliche Gründe, warum es junge Menschen ins rechte Parteienspektrum zieht. Von Julian von Bülow
Die "Alternative für Deutschland" kann sich in der Region über starke Ergebnisse bei der Europawahl freuen: In fast allen Kreisen und kreisfreien Städten Brandenburgs führt die Partei, auch im Osten Berlins dominiert sie. In den alten Bundesländern liegt fast überall dei Union vorne.
Sowohl Union als auch AfD konnten insbesondere bei Jugendlichen hinzugewinnen. 16 Prozent der 16- bis 24-jährigen Wählerschaft in Deutschland haben bei der EU-Wahl ihr Kreuz bei der AfD gemacht. Das sind 11 Prozentpunkte mehr als 2019. Und auch die Unionsparteien konnten in der Gunst der jungen Erwachsenen um 5 Prozentpunkte auf 17 Prozent zulegen.
Zukunftsangst als Entscheidungsfaktor
Ein wichtiger Grund für die Entscheidung, die Stimme eher im rechten Spektrum abzugeben, ist laut Jugendforscher Simon Schnetzer die Zukunftsangst der jungen Menschen - allem voran wegen finanzieller Fragen, aber auch wegen des Ukraine-Krieges. "Sie haben Sorgen, ob sie sich ein Leben in Wohlstand in Zukunft leisten können, ob sie Wohnraum für sich finden, der teuer und knapp ist", sagt Schnetzer. Das wirke sich dann auf andere Bereiche aus. So komme bei den jungen Leuten zum Beispiel die Frage auf, ob es für sie am Ende überhaupt reichen werde, wenn gleichzeitig mehr Menschen nach Deutschland zu kommen, so der Jugendforscher. Bei Befragungen gebe es dann Antworten wie: "Ich bin nicht zufrieden damit, wie sich die Regierung um meine Probleme kümmert und ich hoffe, dass die AfD das besser tut."
Gestützt wird dieser Befund durch die Unbeliebtheit der Ampel-Bundesregierung. Laut einer Umfrage von Infratest Dimap vom Wahlsonntag sind 76 Prozent der Befragten mit der Bundesregierung unzufrieden. Zudem stimmten 48 Prozent der Befragten der Aussage zu, die Bundesregierung habe bei der Europawahl einen Denkzettel verdient. Die Profiteure der Jungwähler-Stimmen - AfD, CDU und CSU - sind auf der Bundesebene in der Opposition und haben gemäß solcher Aussagen bei den Wahlen vermutlich einen Bonus gehabt.
Ungebundenheit junger Wähler verstärke Trends
Ein zweiter Grund dafür, dass rechte Parteien mehr Stimmen von Unter-25-jährigen bekamen, ist mutmaßlich die Ungebundenheit der jungen Menschen, wie auch Thorsten Faas, Wahlforscher an der Freien Universität Berlin, am Wahlabend im rbb erklärte. "Wir sehen bei den Jüngsten häufig, dass die Trends einer Wahl sich auch dort niederschlagen - häufig sogar deutlicher als bei älteren Wählerinnen und Wählern, weil die jungen Menschen nicht so festgelegt sind", so Faas. Die bundesweiten Daten von Infratest Dimap stärken Faas' Punkt: Die Zugewinne der AfD sind unter den 16- bis 24-Jährigen besonders groß (+11 Prozentpunkte), bei älteren Wählergruppen sind die Zugewinne geringer (+1 bis +7).
Konkrete Zahlen für das Wahlverhalten junger Menschen in Berlin und Brandenburg sind bislang noch nicht veröffentlicht. Allerdings führen AfD und CDU mit 27,5 Prozent bzw. 18,4 Prozent die Brandenburger Europawahl-Ergebnisse an, zudem hat sich in 16 von 18 Brandenburger Landkreisen und kreisfreien Städten die AfD bei den Kommunalwahlen als stärkste Kraft durchgesetzt. In Berlin verbesserte sich die AfD um 1,7 Prozent auf 11,6.
Social Media als Vorteil für die AfD
Den dritten Grund, den die Forscher ausmachen: Die Art, wie sich junge Menschen informieren. "Wenn junge Menschen sich über Politik informieren, tun sie das hauptsächlich über soziale Netzwerke", sagt Jugendforscher Simon Schnetzer. Die AfD sei dort sehr früh präsent gewesen und habe es geschafft, politische Botschaften sehr vereinfacht und polarisierend rüberzubringen. Das habe ihr eine enorme Sichtbarkeit für ihre Positionen verschafft. "Nachdem die anderen Parteien hier überwiegend durch Abwesenheit glänzten, überließen sie das politische Spektrum, die politische Bildungsarbeit über Tiktok und Instagram hauptsächlich der AfD", sagt Schnetzer.
Ein Problem bei der Verbreitung von Politik-Inhalten mittels Social Media sieht Wahlforscher Torsten Faas in mangelnder Faktentreue und Ausgewogenheit: "Es gehört zu einem Wahlkampf dazu, dass nicht eine Partei dominant ist, sondern dass alle Parteien sich präsentieren können. Und dass die Menschen einigermaßen wahlsgetreu informiert werden." Doch das sei ein großes Problem bei Tiktok, da dort viel Desinformation und Fake News kursieren würden, so Faas.
Mehr Präsenz auf Social Media und Wahlen ab 14?
Aber wie kann die breite Politik junge Menschen besser erreichen? "Das ist sehr schwierig", räumt der 18-jährige Stefan Tarnow, Sprecher vom Landesschülerrat Brandenburg, ein. Er betont aber auch: "Aber in allererster Linie sollte man jungen Menschen zuhören." So sollte der Wunsch ernst genommen werden, dass auch kleine Parteien in die Parlamente einziehen können.
28 Prozent der 16- bis 24-Jährigen gaben kleinen Parteien ihre Stimme. Weil es bei Europawahlen 2024 in Deutschland keine Sperrklausel gibt, können auch Kleinstparteien einen Sitz im EU-Parlament ergattern. Bei Landtagswahlen und Bundestagswahlen haben jene wegen der Sperrklausel von fünf Prozent aber keine Chance.
Zudem helfe nicht, wenn sich der Bundeskanzler mit seiner Aktentasche auf Tiktok präsentiere, kritisiert Tarnow. "Inhalte kann man auch an junge Menschen bringen. Man muss sie an die Zielgruppe angepassen, aber auch junge Menschen sind nicht dumm", so Tarnow.
Jugendforscher Simon Schnetzer geht weiter: "Ich empfehle, das Wahlalter auf 14 abzusenken, weil wir es ansonsten den Algorithmen von Tiktok und Instagram überlassen, ob wir mit politischer Bildung später überhaupt noch an junge Menschen rankommen." Mit einem niedrigeren Wahlalter könne auch die Relevanz von politischer Bildung in der Schulzeit erhöht werden. Bei der Brandenburger Landtagswahl im September sowie der Bundestagswahl im kommenden Jahr gilt das Mindestalter von 16 Jahren.