Interview | 70 Jahre Jugendweihe - "Vor allem redet man nicht mehr über den Sozialismus"

Do 27.03.25 | 14:30 Uhr
  39
Mädchen und Jungen bei ihrer Jugendweihe-Feier, sie halten Blumen und das Buch Der Sozialismus. (Quelle: IMAGO/imagebroker)
IMAGO/imagebroker
Audio: Radioeins | 27.05.2025 | Interview mit David Driese | Bild: IMAGO/imagebroker

Vor 70 Jahren fand die erste Jugendweihe in der DDR statt. Dabei hat diese Tradition eine viel längere Geschichte. Wie sich das Feiern des Erwachsenwerdens verändert hat, erklärt David Driese, Chef des Humanistischen Verbands Berlin-Brandenburg.

rbb: Herr Driese, vor 70 Jahren fand in Ost-Berlin die erste Jugendweihe statt, aber die DDR hat es nicht erfunden - wer denn dann?

David Driese: Erfunden hat das eigentlich mal ein Pfarrer, nämlich 1852 Pfarrer Eduard Baltzer. Er hatte erkannt, dass es viele Jugendliche gab, die gar nicht richtig glaubten, aber den Schulabschluss haben wollten. Denn dafür brauchte man damals die Firmung. Deshalb hat er dieses Ersatzritual erfunden.

Zur Person

David Driese ist seit September 2018 Vorstand des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg. Er war zuvor u. a. Mitarbeiter und stellvertretender Geschäftsführer beim Mobilen Beratungsteam Brandenburg gegen Rechtsextremismus.

In der DDR war die Jugendweihe ein großes Thema, weil im Vergleich zu Westdeutschland weniger Menschen in der Kirche waren. War die DDR ihrer Zeit in der Hinsicht ein bisschen voraus?

Ich würde das ein bisschen anders beschreiben: Wenn man ein Zwangsritual aufsetzt, kann man sich dem schwer entziehen. Und so war es leider, dass die DDR das Ritual mit Zwang besetzt und politisch aufgeladen hat. Diese sozialistische Staatsräson hat den Glauben gar nicht mehr zugelassen. Was uns als Humanistischem Verband einerseits heute in die Karten spielt, dass es viele nichtgläubige Menschen gibt, aber auf der anderen Seite natürlich auch nicht schön ist, wenn unser Ritual aus den damaligen freidenkerischen Verbänden so politisch aufgeladen wurde.

Wie machen Sie es denn heute? Warum brauchen wir überhaupt noch so einen Konfirmationsersatz? Warum sollten junge Menschen mit 14 so eine Feier bekommen?

Ich glaube, aus dem Konfirmationsersatz sind wir mittlerweile raus. Wir haben überall auf der Welt Rituale, die immer stattfinden. Es ist dieser Übergangszyklus zwischen 12 und 15 Jahren, wo man nicht mehr ganz Kind ist, aber auch noch nicht ein Erwachsener ist, wo die Familie, aber auch die Jugendlichen selbst sich anders sehen, sich verändern. Und das feiert man einfach mit einem familiären Ritual, wo natürlich Werte und die Deutung der Welt auch immer eine große Rolle dabei spielen.

Jugendweihe: Damals und jetzt

Meine Jugendweihe ist erst 29 Jahre her, wo ich unter anderem Geld geschenkt bekommen habe und mir davon ein Fahrrad gekauft habe. Was ist denn heute anders? Es geht bestimmt immer noch um die Geschenke, oder?

Es ist immer noch, wie ich letztens wieder gehört habe, eine dicke Fete mit viel Knete. Aber es ist moderner geworden. Gerade wenn wir über den Friedrichstadt-Palast reden oder in Spielorten in Brandenburg, ist es in den letzten zehn Jahren etwas größer und fulminanter geworden. Auf den heutigen Jugendfeiern reden in den seltensten Fällen noch Menschen sehr lange und ausgiebig, vor allen Dingen nicht mehr über den Sozialismus. Das heißt, man geht mehr auf die Jugend und aktuelle Themen ein. Dabei spielen Smartphones eine Rolle und der Umgang damit, aber auch Mobbing.

Sie sprechen auch von Jugendfeier und nicht mehr Jugendweihe. Warum ist das so?

Das hat mit dieser DDR-Jugendweihe-Tradition zu tun, die uns dieses Ritual genommen hat. In den 1990er Jahren hat der humanistische, damals noch der Freidenkerverband, entschieden zu sagen, wir nennen das jetzt Jugendfeier, weil eigentlich weihen wir nicht richtig, sondern wir feiern diesen Übergangszyklus.

Es gibt ja noch mehr Alternativen und Anbieter. Zum Beispiel gibt es den Walk-away, ein Naturritual. Wie finde ich denn das Richtige für mein Kind?

Ich glaube, das hat etwas mit der eigenen Familientradition zu tun und mit dem, was das Kind beziehungsweise die oder der Heranwachsende möchte und wie die Familie selbst diesen Übergang feiern möchte. Im Zentrum muss der oder die Jugendliche stehen. Das ist immer unser Ansatz. Man muss einfach schauen, was es gibt. Ich glaube, es ist ein interessanter Ansatz, Kinder in den Wald zu schicken und dort übernachten zu lassen. Aber es ist nicht unser Ansatz.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit David Driese führten Kerstin Hermes und Julia Menger, Radioeins.

Der Text ist eine redaktionell bearbeitete und leicht gekürzte Fassung. Das Gespräch können Sie auch oben im Audio-Player nachhören.

Sendung: Radioeins, 27.03.2025, 09:40 Uhr

Die Kommentarfunktion wurde am 28.03.2025 um 22:07 Uhr geschlossen. Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.

Nächster Artikel

39 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 39.

    Zitat: "Mir fällt gerade noch etwas ein, was gut war. Wir haben noch russisch gelernt und das kommt mir zu gute. Ich kann noch verstehen, was Putin und Selenkskyj wirklich sagen, da ja im ÖR nicht immer alles richtig übersetzt wird."

    Ach du meine Güte. Sie behaupten also, dass in DDR Schulen Russisch in Schrift und Sprache dermaßen perfekt gelehrt wurde, sodass Sie heute noch Putin und sogar Selenskyj, der gar kein Russisch, sondern m. W. Ukrainisch spricht, perfekter als ausgebildete Dolmetscher übersetzten können? Sorry, aber das ist einfach nur lachhaft, Kerstine.

    Der Russischunterricht war eines der unbeliebtesten Fächer überhaupt, aus dem man höchsten noch ein paar Brocken rekapitulieren kann.

  2. 38.

    Die Jugendfeiern sollten erhalten werden. Damals gab uns das ein Gefühl von Gemeinschaft und Liebe. Das fehlt heute.

  3. 32.

    Die "Zone".? Da sind Sie wohl von vorvorgestern, oder haben Sie in der Zeit, als das Gebiet DDR hieß, geschlafen?

  4. 31.

    Ihr Verfallsdatum hatte die "DDR" schon viel früher überschritten. Spätestens als Franz Josef mit Krediten aushelfen musste. Gut, dass sie weg ist.

  5. 30.

    Es gibt Geschriebenes, auf das Menschen verpflichtet werden und Abweichungen demgegenüber werden verwarnt, bestraft, ggf. sogar verfolgt. Gleich, ob dort von Gott, von einer wissenschaftlich bemäntelten Theorie oder von einer erklärten Staatsdoktrin die Rede ist.

    Dann gibt es Geschriebenes, was positive Anstöße geben KANN, gleich, ob eine allumfassende "Energie" da genannt ist, ob Menschen als auf sich allein gestellt begriffen werden oder wie auch immer.

    Im Erstgenannten war sich der atheistisch definierte Staatssozialismus mit der orthodoxen, rigiden Form eines Glaubens einig, quasi nur als eine andere Ausprägung davon. Das Zweitgenannte - freigeistig Selbsterarbeitete - wurde in der DDR gleichermaßen verfolgt wie in Ländern, die eine Art Staatsglauben verkünden.

    Alles, was Menschen jemals aufgeschrieben haben, kann auch wieder revidiert und umgestoßen werden.



  6. 28.

    Mir fällt gerade noch etwas ein, was gut war. Wir haben noch russisch gelernt und das kommt mir zu gute. Ich kann noch verstehen, was Putin und Selenkskyj wirklich sagen, da ja im ÖR nicht immer alles richtig übersetzt wird.

  7. 26.

    Sie haben vollends Recht :
    Die DDR war schon ab 1980 quasi bankrott und wurde noch weitere 9 Jahre von der BRD wie ein klinisch Toter auf der Intensivstation mit Wirtschaftshilfe, Krediten und "Freikäufen" politischer Gefangener künstlich am Leben gehalten.
    Helmut Schmidt empfahl Erich Honecker schon im Jahr 1981 aufgrund dieser Misere zurück zu treten aber dieser lehnte das kategorisch ab !

  8. 25.

    „Ja, das g(e) loben wir!“ -war das „Amen“ der Jugendweihe . Man bekam was geschenkt und war meist das erste mal besoffen. Und was blieb vom „Sozialismus“? Nur, seine Pervertierungen, siehe China, Nordkorea und Sterbender in Kuba, Maduros Diktatur…und das g(e)lobten wir…

  9. 23.

    Die Zone wäre ohne die Westkredite noch schneller implodiert.

  10. 22.

    Der Verfall war schon deutlich früher erreicht. Und hat einen gigantischen Schrotthaufen hinterlassen den die Ostler gern als „ intakte Volkswirtschaft“ bezeichnen die vom bösen Westen plattgemacht wurde.

  11. 21.

    Klar redet man nicht mehr über den Sozialismus - man lebt ja inzwischen wieder mittendrin.