Landtagsdebatte über 8. Mai 1945 - "Verstehe nicht, warum man in die Schützengräben der 50er Jahre zurück will"

Bei einer Debatte zum Ende des Zweiten Weltkriegs im Brandenburger Landtag spricht ein AfD-Politiker nahezu ausschließlich von deutschen Opfern. Dabei wird ein Historiker zitiert, der nun von einer Verzerrung seiner Forschungsarbeit spricht.
Der Landtag in Brandenburg hat am Donnerstag heftig über die Bedeutung des 8. Mai 1945 debattiert. Anlass war ein Antrag von BSW und SPD, die prüfen wollen, ob der Tag des Kriegsendes alle fünf Jahre zum Feiertag erklärt werden könne.
Mehrfach wurde dabei der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker zitiert. Der hatte 1985 eine bis heute bedeutende Rede vor dem Deutschen Bundestag gehalten, in der er vom 8. Mai als "Tag der Befreiung" sprach. Er war damit nicht der Erste - trotzdem gilt die Rede als Meilenstein in der deutschen Sicht auf das Kriegsende. Weizsäcker erkannte das Leid deutscher Opfer an, ohne dabei die Verbrechen des Nationalsozialismus und seiner Täter und Täterinnen als Voraussetzung für dieses Leid auszublenden.
Für die AfD-Fraktion hielt unter anderem Dominik Kaufner eine Rede, in der er beklagte, dass hingegen das "Leid deutscher Opfer durch alliierte Kriegsverbrechen" in der Erinnerungskultur kaum vorkomme. Andere als deutsche Opfer sparte Kaufner größtenteils aus. Im Plenum wurden dieser und andere Beiträge der AfD deshalb scharf kritisiert, als geschichtsvergessen, würdelos oder vereinnahmend.
Kaufner untermauerte seine Aussagen zum 8. Mai auch, in dem er die Forschung des Historikers Michael Schwartz zitiert. rbb|24 hat mit Schwartz darüber und über den 8. Mai gesprochen.
rbb|24: Herr Schwartz, der Brandenburger Landtag hat über die Bedeutung des 8. Mai 1945 debattiert. Der AfD kam das Wort der "Befreiung" dabei nicht über die Lippen. Was ist der Kontext für diese Debatte?
Michael Schwartz: Richard von Weizsäcker hat Mitte der 1980er für die damalige Bundesrepublik das Wort der Befreiung als Deutungskategorie eingeführt. In seiner damaligen Rede zum 8. Mai vor dem Bundestag verwies er auch darauf, dass viele Deutsche im Jahre 1945 den 8. Mai nicht als Befreiung, sondern als Gewalt - etwa durch millionenfache Vertreibung - und als Niederlage erlebt haben.
Aber in einer übergreifenden Deutung dieses Ereignisses bleibt der 8. Mai für unser Volk längerfristig eine Befreiung vom Nationalsozialismus. Wenn diese auch mit Gewalt verbunden war.
Für die frühere DDR kommt etwas hinzu, was im Westen oft vergessen wird: Dort hat die SED-Diktatur den 8. Mai als "Tag der Befreiung" auf höchst einseitige Weise gefeiert – quasi als Huldigung an die sowjetische Armee. Die tiefe Ambivalenz zwischen Befreiung und Gewalt, die Weizsäcker so wichtig war, konnte und sollte durch diese DDR-Ideologisierung gar nicht erfasst werden.
Sie werden in der Rede des AfD-Politikers Dominik Kaufner zitiert. Die Vertreibung und Zwangsumsiedlung von Deutschen zwischen 1944 und 1950 sei die größte ethnische Säuberung Europas gewesen. Finden Sie Ihre Forschung im Zitat wieder?
Dass es im Vergleich die zahlenmäßig größte ethnische Säuberung innerhalb Europas war, ist korrekt. Aber man muss sehen, dass das nicht voraussetzungslos erfolgt ist, sondern mit den NS-Verbrechen im engsten Zusammenhang steht. Schon seit 1938/39 gab es Vertreibungen und Zwangsaussiedlungen, ausgelöst durch die NS-Diktatur. Erst wenn man das in Zusammenhang miteinander bringt, bekommt das Ganze keinen falschen Zungenschlag.
Worin liegt der falsche Zungenschlag, den Sie hier heraushören?
Der Satz ist nicht falsch, aber in meiner Forschung betone ich die Zusammenhänge. In dieser Rede wird ein Fakt isoliert herangezogen - mit dem Ziel, den Status einer einzigen Gruppe besonders hervorzuheben. Das ist aber nicht Sinn meiner Forschung. Die Vertreibung der Deutschen war zwar die größte Einzelmaßnahme, die sich aber im Zusammenhang mit den vielen anderen Gewaltmaßnahmen befunden hat. Insbesondere der Umvolkungs- und Germanisierungspolitiken der Nationalsozialisten.
Also halten Sie es für sinnentstellend, wie Ihre Forschung hier zitiert wird?
Den Sinn einer solchen Einschätzung kann man im Rahmen wissenschaftlicher Forschung nur erkennen, wenn man die Kontexte mitberücksichtigt. Den Gewaltzusammenhang, der durch Hitlers Politik entscheidend vorangetrieben wurde. Der alleinige Blick auf deutsche Vertriebene darf nicht der Wiederbelebung eines deutschen "Opferexzeptionalismus" dienen, wie wir ihn schon in Westdeutschland in den 1950er Jahren hatten.
Da wurde auf andere Opfer wenig Wert gelegt und nicht auf NS-Verbrechen geschaut. Die Vertreibung der Deutschen begann in solcher Sicht 1945 aus heiterem Himmel, ohne Vorgeschichte. Von daher kann man das als historische Verzerrung sehen. Es ist eine Instrumentalisierung einer historischen Feststellung. Mir ist die Botschaft wichtig: Man darf nicht das Eine gegen das Andere ausspielen und man muss die Verantwortung des NS-Regimes benennen.
Haben Sie das Gefühl, dass man hier erinnerungspolitisch das Rad zurückdrehen will?
Ich finde erstaunlich, wie einseitig die jeweiligen Argumentationen im AfD-Antrag, aber auch im Ursprungsantrag des BSW sind. Bei den Anträgen frappiert, dass man beide Opfergruppen – die Opfer der Nazi-Diktatur und die deutschen Opfer nach Kriegsende - nicht zusammendenkt. Ich dachte, wir sind in der gesellschaftlichen Debatte über den Umgang mit Flucht und Vertreibung der Deutschen inzwischen viel weiter, als es sich in den Anträgen widerspiegelt.
Ich verstehe nicht, warum man in die Schützengräben der 1950er Jahre zurück will. Die einen in die frühe DDR, die anderen in die frühe Bundesrepublik. Wir können und müssen die Dinge zusammendenken, nicht voneinander isolieren.
Das Interview führte Stephanie Teistler für rbb|24.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 27.03.2025, 19.30 Uhr
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