Spitzenkandidaten | Frank Henkel (CDU) - Der Hardliner, der keiner ist
Zum zweiten Mal setzt die Berliner CDU auf Frank Henkel als Spitzenkandidaten für eine Abgeordnetenhauswahl. Vor fünf Jahren führte er die Christdemokraten zurück auf die Regierungsbank. Doch im Senatorenamt agierte der erfolgreiche Parteimanager überraschend glücklos. Von Thorsten Gabriel
Frank Henkel taugt einfach nicht zum Hardliner. Jetzt, wo wieder Autos brennen und er von links angegangen wird ob seiner "harten Linie", tritt das noch einmal deutlich zu Tage. Der wuchtige 52-Jährige mit den weichen Gesichtszügen und dem jungenhaften, schelmischen Lächeln steht nicht in der Tradition seiner Amtsahnen Heinrich Lummer oder Jörg Schönbohm – auch wenn ihn Konservative dort gern sähen und Linke so tun, als stünde er dort. Doch nur, weil einer auf Recht und Gesetz verweist, ist er noch kein kantiger Konservativer. Sowohl als Leitfigur als auch als Feindbild fällt er damit aus.
Stattdessen wirkte Henkel in den vergangenen fünf Jahren oft als Gefangener seines Amtes. Selten fällt er als Agierender auf, oft dagegen als ein unter Druck Reagierender. Ob es die NSU-Aktenschredder-Affäre gleich zu Beginn seiner Amtszeit ist, später der Zoff mit der SPD um die Räumung des Oranienplatzes oder die Diskussion um die maroden Schießstände bei der Berliner Polizei: Immer gerät Henkel in die Defensive – und verzichtet darauf, diesem öffentlichen Eindruck kommunikativ entgegenzuwirken. Dort, wo er offensiv punkten könnte – etwa als Sportsenator bei der Olympiabewerbung Berlins oder als CDU-Chef in Sachen "Ehe für alle" – nehmen ihn nicht zuletzt viele Parteifreunde als zurückhaltend wahr.
Fünf Jahre sind eine lange Zeit zum Warmwerden
Das ist einerseits erklärlich. Nach zehn Jahren Oppositionsbank müssen Henkel und seine Christdemokraten als Regierungsneulinge erst einmal Lehrgeld zahlen, Erfahrungen sammeln. Auch, weil man zum Regieren ein bisschen wie die Jungfrau zum Kind gekommen ist, nachdem es 2011 zunächst nach Rot-Grün aussah. Dazu kommt, dass die SPD von Anfang an klar macht, wer Koch und wer Kellner in diesem Bündnis ist – und vor allem linke Genossen den Koalitionspartner CDU immer wieder spüren lassen, dass sie ihn eigentlich nicht leiden können.
Andererseits aber sind fünf Jahre dann eben doch eine lange Zeit. Lang genug jedenfalls, um sich im Amt freizuschwimmen, eigene Akzente zu setzen oder auch Anfängerfehler zu korrigieren, sollte man meinen. Allemal einem Frank Henkel hatten dies viele zugetraut. Warum sollte ein Profi wie er bei einer solchen Herausforderung ins Straucheln geraten?
Mit Geduld und Einfühlungsvermögen die Partei geeint
Er, der seit 30 Jahren quasi keinen Tag ohne Politik verbringt. Als Jugendlicher 1981 mit seinen Eltern aus der DDR nach West-Berlin übergesiedelt, tritt er 1985 als 22-Jähriger in die Junge Union ein. Die Mitgliedschaft in der CDU folgt ein Jahr später. In den 1990ern arbeitet er zunächst als Referent im Leitungsstab der damaligen Reinickendorfer Bezirksbürgermeisterin Marlies Wanjura, bevor er 2001 Büroleiter des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen wird. Als im gleichen Jahr die Große Koalition in die Brüche geht und es zu vorzeitigen Neuwahlen kommt, zieht er ins Abgeordnetenhaus ein.
Es folgen Jahre, in denen sich die Berliner Christdemokraten weitgehend selbst zerlegen mit einem hohen Verschleiß an Partei- und Fraktionsvorsitzenden – und einem Frank Henkel, der Führungsqualitäten beweist und diese unrühmliche Ära zu Ende bringt. Mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen bringt er die zerstrittenen Parteifreunde wieder zusammen und vermag es sogar, sie für politische Inhalte wieder zu begeistern.
Wichtige Posten fehlbesetzt
Die Berliner CDU entwickelt in diesen Jahren unter Henkel unter anderem ein durchaus großstädtisch anmutendes Integrationskonzept, das ihr viele außerhalb der Union gar nicht zugetraut hätten. Auch das Wahlprogramm 2011 – "100 Probleme, 100 Lösungen" – erntet Achtungserfolge über die Parteigrenze hinweg, weil es in seinem Duktus um Sachlichkeit und Pragmatismus bemüht ist, weg von konservativen Stammtischparolen.
Umso größer also ist die Verwunderung nicht nur bei den journalistischen Beobachtern, sondern auch bei den Parteifreunden, wie wenig Henkel sich in seinem Senatorenamt so einrichtet, dass er darin brillieren könnte. Nicht als Hardliner, sondern als Pragmatiker, als der er sich im Wahlkampf hatte inszenieren lassen und der er im Grunde auch ist. Augenscheinlich fehlt es ihm an Leuten im unmittelbaren Umfeld, die ihn darin unterstützen können. Oft wird ihm vorgehalten, wichtige Posten fehlzubesetzen.
Die Hälfte der von CDU-Seite verantworteten Senatsposten muss nachbesetzt werden. Erst bittet Justizsenator Michael Braun nach nur zwölf Amtstagen um seinen Rücktritt, ein dreiviertel Jahr später die parteilose Wirtschaftssenatorin Sibylle von Obernitz – auch auf Druck des Parteichefs. In Henkels eigener Verwaltung ist es insbesondere sein Staatssekretär Bernd Krömer, den er direkt vom CDU-Generalsekretärsposten in die Innenbehörde geholt hatte, der oft in der Kritik steht. Krömer wisse die Senatsverwaltung nicht richtig zu führen, heißt es. Günstige Gelegenheiten, ihn auszuwechseln, gibt es mehrfach – aber Henkel tut dies nicht.
Was tun nach einem möglichen Machtverlust?
In der Union lässt man ihn gewähren. Zwar wird mitunter mal gegrummelt, aber als Parteivorsitzender ist Henkel so unangefochten wie als erneuter Spitzenkandidat – auch in Ermangelung personeller Alternativen. Und nach dem Wahltag? Nach Weiterregieren sehen die Umfragen derzeit nicht aus. Die Zukunft ist offen. Dass die Partei ihn in die Wüste schickt, wenn der Gang in die Opposition ansteht, ist unwahrscheinlich. Dass er wieder eine führende Rolle in der Fraktion einnimmt, allerdings ebenso.
Könnte es ihn in die Privatwirtschaft verschlagen? "Können Sie sich Henkel in einem Unternehmen vorstellen?", geben einige Christdemokraten darauf als Gegenfrage zurück. Seit Ausbildungs- und Studientagen hatte Henkel keinen Job mehr außerhalb der Politik. Gut möglich, dass er sich im Falle des Machtverlusts erst einmal mehr Zeit fürs Private freiräumt. Sein Sohn, der in der abgelaufenen Wahlperiode zur Welt kam, ist mittlerweile vier Jahre alt.
Eigentlich aber sehen ihn manche Parteifreunde bereits als Kandidaten für höhere Gefilde. Im nächsten Jahr ist Bundestagswahl.