Apothekenschließungen in Berlin - Das Rezept fehlt

Sa 26.10.24 | 08:42 Uhr | Von Felix Leitmeyer
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Der Apotheker Max Wilke schließt am 12.09.2024 den Hintereingang der Apotheke in Ahrensfelde auf. Auf einem Schild steht “Notdienst” (Quelle: rbb / Leitmeyer).
Bild: rbb / Leitmeyer

Es gibt immer weniger Apotheken in Berlin. Das zeigen aktuelle Zahlen des Senats. Apotheker Max Wilke bemerkt das kurz hinter der Berliner Stadtgrenze jeden Tag - und sagt, wo die Probleme liegen. Von Felix Leitmeyer

Im weißen Kittel steht Max Wilke hinter dem Tresen seiner Apotheke im Kaufpark Eiche, einem Shoppingcenter in Ahrensfelde (Barnim), direkt an der Berliner Stadtgrenze. Eine Frau steht an diesem Morgen an der Spitze der langen Schlange im kalt beleuchteten Verkaufsraum. Sie trägt schwarze Haare, eine schwarze Jacke und ist viel zu warm angezogen für das Wetter. Sie hustet dreimal laut, es klingt bellend. Seit Wochen gehe das schon so, sagt sie.

Wilke hört ihr aufmerksam zu. Er lächelt ganz kurz und routiniert, schiebt ihr eine kleine Packung zu und sagt: "Aber abends nicht mehr nehmen, den Hustenstiller." Noch hält er die Packung fest und blickt ihr eindringlich in die Augen. "Und ich mache mir Sorgen, dass daraus eine Lungenentzündung wird. Wenn es bis Montag nicht besser ist, gehen Sie zum Arzt."

Der Brandenburger Apotheker Max Wilke steht am 12.09.2024 mit einem weißen Kittel vor Regalen voller Waren. (Quelle: rbb / Leitmeyer).
Max Wilke, 43, aus Lichtenberg ist leitender Apotheker in der Apotheke in Ahrensfelde. Bild: rbb / Leitmeyer

Mehr Einwohner, weniger Apotheken

Ein Tipp, eine kleine Warnung, eine Aufmunterung: Max Wilke gibt jedem Kunden ein paar Worte mit. Er sieht sich als Gesundheitsdetektiv, der seinen Versorgungsauftrag ernst nimmt. "Wer sich schon nicht dazu durchringen kann, zum Arzt zu gehen, kommt immerhin in die Apotheke um die Ecke", sagt er. Doch die werden weniger. Das spürt auch Wilke.

Obwohl die Apotheke auf der anderen Straßenseite und damit in Brandenburg liegt, gehen die Berlinerinnen und Berliner dort einkaufen. Nicht zuletzt deshalb, weil es in Marzahn-Hellersdorf immer weniger Apotheken gibt. Das belegen Zahlen der Senatsverwaltung für Gesundheit. Demnach gibt es im Bezirk noch 46 Apotheken für 270.000 Einwohner.

In ganz Berlin hat seit 2013 fast jede fünfte Apotheke dichtgemacht. Und das, obwohl gleichzeitig neun Prozent mehr Menschen in der Stadt leben. Bislang betrifft es nicht alle Berlinerinnen und Berliner gleichermaßen: In Charlottenburg-Wilmersdorf, Mitte und Tempelhof-Schöneberg gibt es besonders viele Apotheken, gerade in dicht besiedelten Ecken. Doch auch in diesen Bezirken wird die Versorgung schlechter, zeigen die Zahlen der Gesundheitsverwaltung. Laut der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) liegt die Apothekendichte in Deutschland bereits heute unter dem europäischen Durchschnitt. 21 Apotheken kommen demnach auf 100.000 Einwohner - europaweit sind es im Schnitt 32 [abda.de].

"An verschreibungspflichtigen Medikamenten verdienen wir fast nichts"

Wer wissen will, warum so viele Apotheken schließen, dem hilft es, etwas Zeit bei Wilke zu verbringen. Ein großes Problem liegt aus seiner Sicht schon darin, wofür eine Apotheke da ist: Um Medikamente zu verkaufen, deren Kosten die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen. Dabei verdiene er fast nichts, sagt Wilke.

In den vergangenen zwanzig Jahren sind die Apothekenhonorare nur geringfügig, die Kosten jedoch deutlich gestiegen. Das sagen übereinstimmend Apotheker Wilke aus Ahrensfelde, der Vorsitzende des Deutsche Apothekerverbandes, Hans-Peter Hubmann, und Experten wie beispielsweise der Insolvenzrechtler Moritz Wollring, der sich mit der Branche beschäftigt. Finanziert werden Apotheken heute im Prinzip so: Pro verkauftes rezeptpflichtiges Arzneimittel gibt es einen Festbetrag von 8,35 Euro, einen Zuschlag von drei Prozent und eine Pauschale von 21 Cent für Not- und Nachtdienste. Davon ziehen die Krankenkassen noch einen Abschlag von 2 Euro ab. Heißt am Ende: Drei Prozent eines teureren Medikamentes bringen der Apotheke mehr, als drei Prozent eines billigeren.

Der Apotheker Max Wilke liest am 12.09.2024 im Büro der Apotheke in Ahrensfelde in einer Akte. Hinter ihm ist das Labor der Apotheke, rechts von ihm ein Computer und weiter Akten (Quelle: rbb / Leitmeyer).
Dokumentationspflichten und Co. bedeuten hohen Zeitaufwand - Fehler sind teuer | Bild: rbb / Leitmeyer

Großhandel will das Geld sofort, Krankenkasse überweist erst später

Aber selbst die teuren Medikamente rechnen sich oft nicht. Warum das so ist, zeigt sich, als ein älterer Mann den Laden betritt. Er ist Stammkunde und besteht auf Chefbehandlung. Wilke muss selbst ran. Der Kunde leidet an Schuppenflechte. Das Medikament, eine Spritze, kostet rund 4.500 Euro. Theoretisch verdient die Apotheke damit 122 Euro, zeigt Wilkes Kassensoftware. Doch der Großhandel will sein Geld sofort, wenn Wilke das Medikament einkauft. Die Krankenkasse aber brauche oft zwei Monate, um zu zahlen, sagt der Apotheker.

Werden viele teure Medikamente von Patientinnen und Patienten gekauft, müsse die Apotheke schnell Zehntausende Euro vorstrecken. "Dafür gehen wir auch mal bei der Bank ins Minus", sagt Wilke. Die Zinsen fräßen den Gewinn dann nicht selten komplett auf. Eine Folge: Kleine Apotheken könnten sich teure Medikamente bald vielleicht nicht mehr leisten. Das könnte besonders im dünner besiedelten, ländlichen Raum zum Problem werden, wo die Wege für Kunden länger sind und der Anteil älterer Menschen höher ist.

Neue Apothekenreform geplant

Wenn Wilke über die Probleme in seiner Branche spricht, dreht sich der Apotheker von seinem Verkaufstresen weg. Zum ersten Mal fallen die Routine und das freundliche Lächeln ab. "Ich hoffe einfach, dass es den Job und diese Branche noch lange in dieser Form geben wird. Da sehe ich schon eine Bedrohung", sagt er und bezieht sich dabei auf die Apothekenreform, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plant.

Der will unter anderem Apotheken ohne Apothekerinnen und Apotheker: Also solche, in denen die meiste Zeit nur Assistenzkräfte arbeiten. Und die Apotheken sollen an den verschreibungspflichtigen Medikamenten noch weniger verdienen dürfen. Immer mehr Ältere in der Gesellschaft, die auf Medikamente angewiesen sind, weniger Jüngere, die einzahlen: Das lässt die Kosten für die Gesundheitsversorgung weiter steigen. Lauterbachs Pläne sollen ein Baustein dafür sein, Kosten zu sparen und Geld umzuverteilen. Die Idee: Landapotheken und kleinere Apotheken könnten tendenziell profitieren, da sie weniger hochpreisige Medikamente verkaufen. Apotheken, die viele teurere Arzneimittel verkaufen, insbesondere spezialisierte Apotheken, werden voraussichtlich weniger verdienen [tagesschau.de]. Der Apotheker Max Wilke erklärt, warum er das System wie mehrere seiner Kolleginnen und Kollegen für fehlerhaft hält.

Umsatz mit verschreibungsfreien Produkten

"Das hier bringt den meisten Gewinn", sagt Wilke und deutet auf ein Regal voller bunter Packungen. "Medikamente, die frei verkäuflich sind." Er greift nach einer Schachtel Ibuprofen, dann nach Aspirin. Das sind die Klassiker und von der Sorte, mit der die Krankenkasse nichts zu tun hat. In Wilkes Apotheke funktioniert das Geschäft gut, auch dank dieser Produkte. Sie macht im Jahr einen Umsatz im höheren einstelligen Millionenbereich. Das ist mehr als der Durchschnitt, der laut ABDA bei 3,22 Millionen Euro im Jahr liegt.

Doch rund 60 Prozent der Apotheken setzen deutlich weniger um. Entsprechend weniger bleibt für diejenigen, die in der Apotheke tagein tagaus arbeiten. "Manche Kollegen haben es versäumt, sich anzupassen oder konnten es sich nicht leisten", sagt Wilke. Das heißt, sie sind in der Zeit steckengeblieben, in der verschreibungspflichtige Medikamente noch lukrativer waren. Sie haben an alten Geschäftsmodellen festgehalten und die Digitalisierung verschlafen. "Das rächt sich leider schnell", sagt Wilke. Laut Wirtschaftsbericht der ABDA sank der Gewinn selbständiger Apothekerinnen und Apotheker vor Steuern und Altersvorsorge allein 2023 um durchschnittlich 7,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Manche Kollegen haben es versäumt, sich anzupassen oder konnten es sich nicht leisten

Max Wilke, Apotheker in Ahrensfelde

Ein anderes Geschäftsmodell

Dass die Apotheke in der Max Wilke arbeitet vergleichsweise gut läuft, zeigt: Wenn sich die Zeiten ändern, bringt das trotz allem auch Chancen. Ein digitales Lagersystem macht hier die Arbeit schneller, die Auswahl an Medikamenten größer. In einem Extraraum können sich Kundinnen und Kunden impfen lassen, bekommen ihren Blutdruck gemessen oder werden bei Erkrankungen wie Asthma geschult. Sie können Medikamente online bestellen und in der Apotheke abholen - dann auch mit Wilkes Beratung. "Konkurrenz und Kostendruck belebt am Ende auch den Markt", sagt Wilke. Und das kann dann auch den Kunden nützen.

Natürlich fehlt vielen Apotheken das Geld für solche Angebote. Und ob das langfristig reicht, um ihre Zukunft zu retten, ist unklar. Auch wenn Menschen fehlen, die neue Apotheken gründen, Ideen gegen das Apothekensterben gibt es durchaus. Zum Beispiel in Thüringen: Hier bekommen neue Apothekengründerinnen und -gründer in ländlichen Regionen ein Startgeld von bis zu 40.000 Euro. Das ist fast genug für zehn Spritzen gegen Schuppenflechte.

Beitrag von Felix Leitmeyer

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14 Kommentare

  1. 14.

    Ja ja die Apotheken. Erstens verschreiben Ärzte kaum noch etwas und schon gar nicht wenn es nicht rezeptpflichtig ist. Ich habe Migräne und brauche Triptane. Da sind ganz 2 Tabletten in der Packung. Kaufen darf man maximal 2 Packungen und das zu unverschämten Preisen. Ich bin da bestimmt nicht die einzige denn wenn es auch sonst kaum noch etwas im Kiez gibt Apotheken gibt es an jeder Ecke, sogar mehr als Dönerbuden. So schlecht kann das Geschäft also nicht sein.

  2. 13.

    Jeder wie er es braucht. Wenn ich von Arbeit nach Hause komme hat die Apotheke schon zu und ich geh zur Packstation.

  3. 10.

    Toller Tipp, ehrlich.
    Da geh ich doch lieber gleich zur Apotheke, der Weg ist kürzer und ich habe alles beisammen. Taschentücher gibt's noch obendrauf.
    Dieses Theater mit der Online-kauferei kann ich absolut nicht verstehen. Egal was ich brauche, es gibt alles auch in der Nähe stationär. Hingehen ansehen, mitnehmen, fertig.
    Diese vielen Lieferdienste verstopfen nicht nur die Straßen, sie blockieren immer öfter auch die Bürgersteige.
    Extrem lästig sowas

  4. 9.

    Man muss in Berlin nicht auf einen Paketboten für Medikamente warten. Paketshops und Packstationen erreicht so gut wie jeder zu Fuß innerhalb 5-10 Minuten. Hier, in Lichtenrade, habe ich sogar 5, innerhalb von 2-10 Minuten.

  5. 8.

    Na das ist ja nun wirklich auf hohem Niveau gejammert. Ich kann nur den Vorberichten zustimmen, es gibt Apotheken wie Sand am Meer. Jeder im ländlichen Raum würde erfreut sein, wenn er nicht 20km zur nächsten Apotheke fahren müsste. Und die, die Ungleichheit bei der Standortwahl zu verantworten haben, hatten nix beizutragen?

  6. 7.

    Wenn ich immer wieder lese, das teilweise Fierbesenker, Hustenstiller und was weiß ich fehlen, sollten die Menschen froh sein, denn das ist doch nur Symphtome unterdrücken. Das Immunsystem wird mit d. Abwehr herunter gefahren.

    Das sind doch nicht wirklich Medikamente die die Welt braucht. Hustenlöser ware da angebracht gewesen. Heisser Tee z. B.

    Unglaublich wie mit d. Pharmazie umgegangen wird.
    Abgesehen vom Antibiotika, welches viel zu oft unnötig verschrieben wird. Habe etwas ganz anderes gelernt.
    Von Schließungen auch noch nichts mitbekommen.

  7. 6.

    Kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Apotheken gibt es doch wie Sand am Meer.
    Es ist aber so, dass online-Apotheken wesentlich billiger bei frei verkäuflichen Mitteln sind und man auch dort online-Beratung bekommt. Nur die Rezepte löse ich in meiner Apotheke um die Ecke ein.

  8. 5.

    Ich gehe gerne zur Apotheke, alleine schon wegen der Beratung.
    Ausserdem gibt es,oft gute Tips obendrein.

  9. 3.

    Für mich kommt die virtuelle Apotheke überhaupt nicht in Frage. Nicht nur wegen der Beratung -die übernimmt mein Arzt- sondern weil ich meine Medikamente sofort und nicht erst am nächsten Tag haben möchte. Ich habe weder Lust noch Zeit ewig auf den Paketboten zu warten.

  10. 2.

    Na, die Verknüpfung von Arztpraxen und den virtuellen Apotheken, die das Medikament nach Hause liefern ist sinnvoller als dann auch noch krank und mit Beschwerden eine Apotheke aufzusuchen! Deswegen ist der zu beobachtende Wandel von stationären Apotheken hin zu Onlineapotheken wichtig, richtig und längst überfällig. Somit bleibt auch zukünftig die Versorgung im ländlichen Bereich sichergestellt.

  11. 1.

    Wo immer ich in Berlin unterwegs bin, sind mehrere Apotheken an einem Platz: S+U Schönhauser Allee 3x (gegenüber an den Straßenbahnhaltestellen, 1x im Center. Gesundbrunne: 1x im Center, 3x in der Badstraße richtung U Pankstraße. Nicht die Anzahl ist das Problem, die Flächenaufteilung.

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