Historiker Sebastian Conrad - "Nofretete wird unabhängig davon erkannt, ob man das Original je gesehen hat"
Vor 100 Jahren war sie das erste Mal in Berlin zu sehen: Die Nofretete. Seither prägt die Büste aus Ägypten das Verständnis von Schönheit weltweit. Ist sie eine Art erste Celebrity? Ein Gespräch mit dem Historiker Sebastian Conrad.
rbb 24: Herr Conrard, für welches Frauenbild steht die Nofrete?
Sebastian Conrad: Es werden ganz unterschiedliche Frauenbilder mit ihr in Verbindung gebracht. Die meisten Darstellungen empfinden sie als etwas kühl, nicht besonders sexualisiert – häufig wird sie mit dem Bild der "Neuen Frau" in Beziehung gesetzt. Aber es gibt dann auch wieder andere, die sagen: Nein, das ist doch die "Verführung des Orients".
Nofretete ist eine Projektionsfläche für die unterschiedlichsten, ästhetischen Vorstellungen, aber eben auch für Ideologien: Für Demokratie und Faschismus, für Feminismus aber auch für antifeministische Stimmen. Es hat vielleicht damit zu tun, dass wir so wenig über sie als historische Figur wissen, und sie sich insofern auch besonders dazu eignet, dass alle möglichen Projektionen mit ihr in Verbindung gebracht werden. Das gehört auch zu der Geschichte dieser Ikone.
Wie kam die Nofretete überhaupt nach Berlin?
Die Nofretete-Büste war 3000 Jahre im ägyptischen Wüstensand verschüttet. Sie wurde erst 1912 bei einer Ausgrabung entdeckt. Ausgestellt wurde sie aber erst 1924. Das lag daran, dass die Deutschen Sorge hatten - insbesondere der Archäologe Ludwig Borchardt - dass Ägypten die ersten Rückgabeforderungen erheben wird, sobald man sie ausstellt. Borchardt wollte eigentlich, dass sie dauerhaft geheim gehalten wird. Seine Vorahnung hat sich unmittelbar bewahrheitet: Wenige Monate nach der ersten Ausstellung 1924 gab es dann schon die ersten Forderungen seitens der ägyptischen Regierung.
Der Zeitpunkt der Ausstellung ist nicht ganz zufällig gewesen. Zwei Jahre zuvor hatten britische Archäologen die Todeskammer von Tutanchamun entdeckt. Und das war eine Weltsensation. Man kann also die Ausstellung der Nofretete kurze Zeit später schon auch als eine Art deutsche Antwort darauf verstehen. Man wollte ein Objekt ausstellen, das vielleicht noch spektakulärer war.
Die Nofretete erlangte dann im Zuge der Ausstellung im Jahr 1924 große Aufmerksamkeit.
Für die unmittelbare Resonanz, auf die die Nofretete gestoßen ist, waren zwei Dinge ganz wesentlich: der Zeitpunkt der ersten Ausstellung, aber auch, wo sie ausgestellt wurde.
Was den Zeitpunkt angeht, ist es so, dass die Nofretete in der Zwischenkriegszeit ungeheuer gut mit dem damaligen Schönheitsideal korrespondierte. Das war die Zeit von Marlene Dietrich und von Greta Garbo. Nofretete passte in die ästhetischen Standards dieser Zeit in Westeuropa und den USA.
Und der zweite Punkt ist die Tatsache, dass sie in Europa ausgestellt wurde. Deutschland hatte zwar seine Kolonien gerade verloren, aber insgesamt war die europäische Herrschaft über die Welt ja nach wie vor akut. Insofern ist im Zuge der imperialen Herrschaft auch das Bild der Nofretete überall hingekommen. Wäre sie im 16. Jahrhundert von Ägyptern gefunden worden, hätte sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht dieselbe Karriere gehabt.
Sie bezeichnen die Nofretete als eine Ikone. Was meinen Sie damit?
Damit meine ich die erstaunliche Karriere, die dieses Objekt im Laufe der letzten 100 Jahre gehabt hat. Wenn ich sie eine globale Ikone nenne, dann meine ich damit, dass der Gegenstand erst mal mehr oder weniger überall auf der Welt erkannt wird, rezipiert wird. Nofretete wird unabhängig davon erkannt, ob man das Original je gesehen hat. Auch wenn die Büste zum Beispiel verfremdet ist, blau ist oder gelb oder wie eine Micky Maus Figur daherkommt. Immer dann, wenn man auch nur die Silhouette sieht, erkennt man sie. Sie hat sich also in gewisser Weise gelöst von dem ursprünglichen Objekt und auch von den ursprünglichen archäologischen, kunsthistorischen Deutungen. Man kann fast sagen, dass sie eine Celebrity ist. Berühmt dafür, dass sie so berühmt ist.
Auch Stars wie Beyoncé greifen die Nofretete auf und inszenieren sich selbst nach ihrem Ebenbild. Was hat es damit auf sich?
Die amerikanische Künstlerin Beyoncé hat sich 2018 in einer Nofretete-Verkleidung auf einem großen Festival gezeigt. So hat sie das Erbe der Nofretete für sich in Anspruch genommen, bzw. für die Vorstellung "black is beautiful" - also Schwarz ist schön, also für eine Form des Empowerments für Schwarze Frauen. Dieses feministische afro-amerikanische Anliegen hat sie unmittelbar mit der Nofretete verbunden.
Beyoncé kam auch nach Berlin, um die Nofretete zu sehen. Das Museum wurde abgesperrt, sie hat sich vor der Büste ablichten lassen und sich in gewisser Weise als moderne Wiedergängerin der Nofretete inszeniert. Sie ist auch nach Ägypten gereist, um das Ambiente selbst in Augenschein zu nehmen. Die Verbindung zwischen dem alten Ägypten und insbesondere der Nofretete und diesen Formen der Emphase für Black und Female Empowerment sind ganz stark.
Es wird auch immer wieder diskutiert, ob die Nofretete an Ägypten zurückgegeben werden sollte.
Diese Debatte hat zwei Aspekte. Das eine ist die Frage: Entsprach es dem damaligen Recht, dass die Nofretete nach Berlin gekommen ist? Und die zweite Frage ist: Entspricht dieses Recht unseren heutigen Vorstellungen davon, was gerecht ist?
Schon der erste Punkt mit der Legalität ist nicht so ganz eindeutig. Das sieht man schon an der Tatsache, dass die Berliner mehr als ein Jahrzehnt lang alles getan haben, um die Nofretete zu verbergen, weil man sich eben schon bewusst war, dass die Ausfuhr nicht so ganz den Regeln entsprach. Die Regeln – das muss man dazusagen – sahen vor, dass wenn die Ausgrabungen von Berlin finanziert wurden, die Hälfte der Objekte nach Berlin kommen würde und die andere Hälfte in Kairo bleiben. Es war eine Aushandlung, welche Obejekte wohin kommen. Dass nun das Wertvollste hier in Berlin gelandet ist, hat vermutlich auch damit zu tun, dass diese Aushandlung nicht so ganz fair abgelaufen ist.
Diese Regeln damals waren Regeln aus der imperialistischen Zeit. Das heißt, wir haben es hier mit einem ganz bestimmten Moment zu tun, in dem die Hierarchie zwischen europäischen Ländern und Ägypten so groß war, dass man nicht einfach von einer Gesetzeslage sprechen kann – es waren aufoktroyierte Regeln, die heute kein Land mehr akzeptieren würde.
Was würde es für die Nofretete bedeuten, wenn sie zurück nach Ägypten gehen würde?
Das Faszinierende ist, dass es inzwischen eigentlich zwei Büsten gibt. Es gibt das Objekt selber, das physische Objekt. Aber es gibt auch die ganzen Erzählungen, die sich um dieses Objekt herum entwickelt haben. Das heißt: Selbst wenn die Büste wieder in Kairo wäre, wird keine Macht der Welt, auch nicht die ägyptische Regierung, in der Lage sein, diese ganzen Interpretationen zu kontrollieren und wieder einzufangen. Dass Beyoncé als Nofretete auftritt, als eine Schwarze Königin, feministisch, dass Frauen in Rio de Janeiro oder in Indien oder in China sie auf ihre Weise aneignen – diese Deutungen haben sich abgelöst von der Büste selber. Insofern hat sie ein Eigenleben, das über den Standort der Büste selber längst hinausgeht.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Margarete Kreuzer für rbbKultur.
Sendung: rbb24 Inforadio, 02.02.2024, 09:00 Uhr