Digitale Gewalt - Wie Betroffene sich gegen Hass im Netz wehren

Fast jede zweite Person wurde schon einmal online beleidigt. Auch die 20-jährige Siobhan wird in den Kommentaren unter ihren Tiktok-Videos regelmäßig angefeindet - und wünscht sich mehr Zivilcourage im Netz. Von Linh Tran
Siobhan sitzt mit ihrem Schreibblock auf dem Sofa und notiert sich mehrere kurze Sätze. Die 20-Jährige will ein Tiktok-Video hochladen, das den steigenden Rassismus gegen Frauen of Color thematisiert. Frauen mit sichtbarem Migrationshintergrund, bekämen momentan sehr viel Hass im Netz ab, sagt sie.
Dann lehnt sie ihr Handy hochkant gegen ein Glas auf dem Couchtisch und spricht in die Kamera. "Ich bin eine Frau, ich bin von Sexismus betroffen. Aber rassistisch motivierter Frauenhass ist so schlimm."
Siobhan ist seit 2022 auf Tiktok und postet diverse Videos. Seit circa einem Jahr versucht sie auch, komplexe feministische Themen möglichst verständlich runterzubrechen und kommt damit bei der Community gut an. Sie hat über 30.000 Follower:innen auf der Social Media-Plattform. Ihre Videos werden mehrere hunderttausend Mal aufgerufen.
Hass in Posts: "Du bist so unfassbar hässlich"
Mit ihrem Kanal erreicht Siobhan aber nicht nur Menschen, die ihre Inhalte gut finden, sondern auch viel Kritik – an ihrem Aussehen, an ihr als Frau, in Form von Beleidigungen, aber auch Bedrohungen. Die meisten Kommentare kann sie rausfiltern, schlimme Direktnachrichten blockiert sie. Manchmal macht Siobhan die Nachrichten aber auch bewusst öffentlich. In einer Nachricht heißt es zum Beispiel: "Du bist äußerlich also rein vom Aussehen unfassbar hässlich. Fast schon ekelhaft. Ist dir das bewusst eig(entlich)?" Siobhan reagiert auf diese Nachricht in einem Video und macht sich zusammen mit ihrer Community halbwegs darüber lustig: "Guten Morgen, und bei euch so?" Wirklich lustig ist es aber nicht.
Übelkeit trotz Abhärtung
Nicht nur auf Tiktok, sondern auch auf Instagram kursieren viele Hasskommentare. Zum Beispiel in den Kommentarspalten von Lisa Niendorf. Die 33-Jährige ist Dozentin am Institut für Bildungswissenschaften an der Humboldt-Universität in Berlin, postet auf Instagram aber auch wissenschaftlich aufbereitete Videos zu Themen wie Gleichberechtigung, Privilegien und die Arbeit an der Universität.
Regelmäßig muss auch sie Hasskommentare und Bedrohungen lesen. Darunter viele Kommentare, die sich an sie als Frau diffamieren, als queere Frau oder als Dozentin nicht ernst nehmen. Ebenso "viele Vergewaltigungsandrohungen, dass ich in der Wüste von verschiedenen Schwänzen durchgefickt werden soll. Und auf irgendeiner Straße liegen gelassen werden soll.” Kommentare wie letztere löscht Niendorf, "damit ich die nie wieder sehen muss". Weil Niendorf sich vom Hass im Netz distanzieren will, gibt sie das Handy mittlerweile oft ab – an ihre Freunde oder ihre Frau, die dann Kommentare löschen. Mit der Zeit härte man ab, sagt Niendorf, aber "eine gewisse Übelkeit bleibt immer."
Viele ziehen sich online zurück: Ein Problem für den Diskurs
Mit den Hasskommentaren auf Sozialen Netzwerken sind Siobhan und Niendorf nicht allein. Fast jede zweite Person (49 Prozent) wurde schon einmal online beleidigt. Das zeigte eine repräsentative Studie des Kompetenznetzwerks Hass im Netz von 2024 [kompetenznetzwerk-hass-im-netz.de]. Besonders häufig seien nach eigenen Angaben junge Frauen, Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund sowie Menschen mit homosexueller oder bisexueller Orientierung betroffen.
Der Hass im Netz hat auch reale Folgen. Mehr als die Hälfte traue sich laut Studie nicht mehr, online ihre Meinung zu äußern, oder an Diskussionen teilzunehmen und formuliere Beiträge vorsichtiger [kompetenznetzwerk-hass-im-netz.de]. Das könnte auch Auswirkungen auf den demokratischen Diskurs haben, sagt Nadine Brömme, Co-Geschäftsführerin von "Das Nettz" [das-nettz.de], einer Vernetzungsstelle gegen Hate Speech. "Wenn wir die Stimmen derer, die ein gesellschaftliches Bild repräsentieren, nicht mehr sehen und nicht mehr hören können, dann ist das ein Problem für unsere Gesellschaft."

"Wir müssen anfangen, auf frauenfeindliche Kommentare zu antworten"
Siobhan weiß, dass sie die User auch anzeigen kann, die ihr Hassnachrichten schicken. Dafür müsste sie sich aber auch länger damit auseinandersetzen. Das kann oft belastend sein, wenn man zum Beispiel bei der Polizei nicht ernst genommen werde, sagt Nadine Brömme. "Das sorgt dann vielleicht noch mehr dafür, dass sich einzelne Personen zurückziehen und sich nicht mehr trauen, dagegen vorzugehen." Dabei sei eine Anzeige auch wichtig, damit das Problem sichtbarer wird.
Siobhan wünscht sich, dass es in den Kommentarspalten mehr Widerstand gibt und ruft auch in ihrem neuen Tiktok-Video dazu auf, öfter auf Hass zu reagieren. "Ich weiß, dass es ungemütlich ist", sagt sie in die Kamera zu ihren Follower:innen, "aber wenn wir rassistische und frauenfeindliche Kommentare unter Videos seht, müssen wir anfangen, darauf zu antworten." Dieser "normalisierte Rassismus und Sexismus" müsse aufgedeckt werden, sagt sie.
"Gegenrede heißt nicht, erbittert Diskussionen bis auf den Kern zu Ende zu führen", meint Nadine Brömme. "Gegenrede heißt ganz oft einfach zu sagen, ich sehe das anders, weil…". Anderen beizustehen könne auch in Form eines Likes sein oder, indem man sich per Nachricht melde und so privat Support zeigen könne.
Bei People of Color sammeln sich teils mehr oder heftigere Kommentare
Als Weiße Frau bekäme sie zwar schon viele Hasskommentare, aber im Austausch mit anderen Creatorinnen merke Siobhan, dass die Kommentare unter den Inhalten von Frauen of Color nochmal heftiger seien. Ihre Freundin Ilkay, die ebenfalls auf Tiktok präsent ist, hat beispielsweise eine türkische Migrationsgeschichte. Unter ihren Videos sammeln sich oft heftigere Kommentare als bei Siobhan, erzählen beide, auch Dinge wie: "Du gehörst nach Birkenau." Ein Kommentar, der die 30-Jährige ins ehemalige Vernichtungslager KZ Ausschwitz-Birkenau wünscht.
"Da wurde eine große Grenze überschritten, was man auch nicht einfach mal wegblockieren kann." Den Kommentar selbst hat sie zehn Minuten später bei der Antidiskriminierungsstelle online gemeldet. Eine Antwort hat Ilkay noch nicht bekommen. Es dauere mehrere Wochen, sagt sie. Der User-Account ist noch immer online, mittlerweile aber auf privat gestellt.
Strafbare Inhalte bei der Polizei melden
In Deutschland gibt es die Meinungsfreiheit, so steht es im Artikel 5 des Grundgesetzes. Damit werden auch Meinungsäußerungen geschützt, die anecken können. Aber auch bei der Meinungsfreiheit gibt es Grenzen. Kommentare von User:innen, die beleidigen, verleumden, bedrohen oder volksverhetzend sind, sind gesetzlich verboten – offline wie online.
"Wer Hass erfährt, sollte Hass melden", sagt Nadine Brömme. Strafbare Inhalte kann man der Polizei melden, aber auch Online-Meldestellen und Organisationen können die Fälle registrieren und bei einer Strafanzeige unterstützen. Zudem kann es sinnvoll sein, seinen Account zu schützen und vorsichtig mit privaten Informationen zu sein. In jedem Fall ist es wichtig, damit nicht allein zu bleiben – und sich Hilfe zu suchen. Nadine Brömme empfiehlt beispielsweise auch, sich ein "solidarisches Netzwerk" mit anderen Mädchen oder jungen Frauen aufzubauen, die Ähnliches erfahren, um sich auszutauschen.
Siobhan, Ilkay und Lisa sind Social-Media-Creatorinnen, die sich mittlerweile bewusst sind, dass mit einem Post auch immer Hass-Kommentare kommen. Sie entscheiden sich trotzdem dafür, weiterhin Inhalte zu posten – vor allem, weil sie sich und ihre Perspektiven nicht stumm machen lassen wollen, aber auch, weil doch die positiven Rückmeldungen noch überwiegen. "Danke dir. Das ist so wichtig, was du gerade sagst", kommentiert beispielsweise eine Userin unter Siobhans neues Video. "Danke für deine Aufklärung!", eine andere.
Sendung: Fritz, 08.03.2025, 8:20 Uhr
Sendung: rbb24 Abendschau, 08.03.2025, 19:30 Uhr
Transparenzhinweis: Lisa Niendorf hat zu Studienthemen für die Hörfunkwelle Fritz vom rbb gearbeitet, in Form von unregelmäßigen Beiträgen und als zweimaliger Co-Host einer Sendung.