Flüchtlingsunterkunft in Lichtenberg - "Diese Menschen leben hier immer noch prekär und ohne Privatsphäre"
1.200 Geflüchtete will der Senat in einem Ex-Hotel in Berlin-Lichtenberg unterbringen. Anwohner und Politiker warnen vor einer Überlastung des Bezirks. Emily Barnickel vom Flüchtlingsrat Berlin über Probleme, die die Unterbringung in Massenunterkünften mit sich bringt.
rbb: Frau Barnickel, was sind das für Menschen, die in dem früheren Hotel in Berlin-Lichtenberg leben sollen? Woher kommen sie, eint die irgendwas?
Emily Barnickel: Sie eint erstmal, dass sie alle auf der Flucht sind. In das Hotel ziehen jetzt vor allem Menschen aus der Ukraine, aber auch Asylsuchende ein. Vorrangig kommen die Menschen aus der Großunterkunft in Tegel.
Was für Reaktionen gibt es denn von den Anwohnerinnen und Anwohnern dort?
Von der Reaktion der Anwohnenden ist schwierig zu sprechen. Das Thema hat sich die AfD sofort zu eigen gemacht und hat auch schon zur Bezirksverordnetenversammlung, ich glaube, die war Ende September, groß mobilisiert. Auch der CDU-Bezirksbürgermeister stellt sich natürlich auf den Standpunkt, dass er das nicht geeignet findet.
Wo er einen Punkt haben könnte, ist, dass der Bezirk Lichtenberg, wie die ganzen Ostberliner Bezirke, strukturell schwach aufgestellt ist, was ärztliche Versorgung angeht. Andersrum muss man aber auch sagen, dass ein Zuzug immer auch eine Chance bedeutet, auch wenn das jetzt relativ zentralisierter Zuzug ist. Das heißt also, da können auch die Anwohnenden Dinge aushandeln, für die sie vorher keine Lobby gehabt hätten, weil Lichtenberg im Stadtdiskurs vielleicht bisher gar kein Gewicht hatte.
Das heißt, Sie können zum Teil nachvollziehen, was für Bedenken da aufkommen?
Ich kann nachvollziehen, wenn Menschen sagen, dass es in dieser Stadt immer noch unfair verteilt ist - sowohl Ressourcen als auch Machtverhältnisse. Was ich nicht verstehen kann, ist, dass Menschen sich immer wieder gegeneinander ausspielen lassen. Als Brandenburgerin muss ich ganz ehrlich sagen: Gerade Ostdeutsche, finde ich, sollten verstehen, dass dasselbe auch mit ihren Landsleuten früher passiert ist. Es gab Demonstrationen gegen die Aufnahmelager in Westdeutschland. Es gab und gibt bis heute große Vorbehalte gegenüber Ostdeutschen. Gerade wir sollten wissen, wie es ist, marginalisiert und stigmatisiert zu werden.
Eigentlich müssten wir von der Stadtpolitik eine Vision einfordern: Wie soll die Stadt Berlin in 20 Jahren aussehen, wenn wir schon jetzt mit Zuzug nicht mehr zurechtkommen? Das betrifft ja nicht nur Geflüchtete. Studierende, die hierherkommen wollen, müssen 600 bis 700 Euro für ein WG-Zimmer bezahlen. Ein Mietvertrag ist mittlerweile Gold wert. Daran sehen wir doch, dass in dieser Stadt was falsch läuft. An geflüchteten Menschen kristallisiert sich das, weil man immer denkt, man muss die ja nur "wegmachen", dann hätte man die Probleme nicht. Aber das stimmt natürlich nicht.
Nun hat Lichtenberg ja auch eine organisierte extreme Rechte. "Wir müssen jetzt kämpfen, dass hier nicht die Häuser brennen", war gestern in der "Welt" zu lesen. Muss man jetzt Angst haben um die Menschen, die dort einziehen?
Mich hat das ganze Szenario schon an Heidenau erinnert [Anm. d. Red.: Im August 2015 kam es in der sächsischen Kleinstadt Heidenau zu schweren fremdenfeindlichen Ausschreitungen gegen eine neu eingerichtete Flüchtlingsunterkunft]. Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern können. Es ist furchtbar, wenn Menschen irgendwo einziehen, die aus einer wirklich prekären Lebenssituation kommen und dann in ein Setting kommen, wo ihnen nichts gegönnt wird. Sie haben in Tegel in Leichtbauhallen gelebt, bis zu zwei Jahre. Die leben ja in dem Hotel nicht so, als wären sie Hotelgäste, sondern da wurde auch verdichtet.
Die Anwohnenden haben zweimal Versammlungen bekommen. Es gab Führungen, sie konnten sehen: Da stehen Doppelstockbetten. Ich würde mir wünschen, dass gesehen wird, dass diese Menschen immer noch prekär leben und keine Privatsphäre haben - und dass es eben nicht so ist, dass einem was weggenommen wird. Dieses Hotel wäre wahrscheinlich verfallen, wenn die Senatsverwaltung es nicht in Anspruch genommen hätte.
Nun gibt es ganz faktisch das Problem, das auch immer wieder genannt wird: die Infrastruktur. Wenn insgesamt an die 1.200 Bewohner da in sehr kurzer Zeit einziehen, braucht man ja wirklich mehr Ärzte, Kita-Plätze, mehr Schulen, Einkaufsmöglichkeiten und, und, und. Ist das vergessen worden oder versucht man da jetzt nachzusteuern? Das geht ja gar nicht so schnell, oder?
Ein schönes Beispiel, das ich aus Hohenschönhausen gehört habe, wo einige Geflüchtetenunterkünfte errichtet wurden: Da gab es große Bedenken, ähnlich wie in Lichtenberg, mit der Taktung der Straßenbahn - dass die ja immer überfüllt ist. Da haben die Anwohnenden in einem konstruktiven Gespräch erwirkt, dass die Taktung der Straßenbahn erhöht wird.
Jede Infrastruktur, die dann neu geschaffen wird, können ja alle nutzen. Das heißt, es wäre wichtig zu sagen, wir setzen uns jetzt an einen Tisch und sagen, okay, wir brauchen das, das und das. Aber wir möchten, dass das dann für alle Menschen gleichermaßen zugänglich ist. Dann ist es nämlich auch ein Gewinn für eine Ecke von Lichtenberg, die, wie wir jetzt festgestellt haben, nicht besonders strotzt durch ihre Attraktivität.
Was hier fehlt und eindeutig fehlt in Berlin, ist der soziale Wohnungsbau. Da muss was nachkommen. Die Senatsverwaltung muss für ungefähr 35.000 bis 45.000 Menschen Unterbringung schaffen. Aber die Stadtgesellschaft und die verantwortlichen Senatsverwaltungen schaffen es scheinbar nicht nachzuziehen. Da ist das Problem.
Das bedeutet, letztlich müssten jetzt Politikerinnen und Politiker etwas tun, um die Akzeptanz insgesamt zu fördern, damit diese Gemengelage vielleicht im Dialog irgendwie ein bisschen aufgelöst werden kann?
Richtig. Das Problem ist nur, dass wir mittlerweile einen Diskurs haben, in dem viele Menschen gar nicht mehr am Dialog interessiert sind. Und ob man sich jetzt unbedingt an denen orientieren sollte in der politischen Entscheidungsbildung, das weiß ich auch nicht so richtig, ehrlich gesagt. Dann hat man das Problem, dass man immer dem lautesten Schreier und dem größten Lügner hinterherläuft.
Ich war bei der Anwohnendenversammlung im Britzer Garten. Man konnte sich dort sofort in Listen eintragen, wenn man ehrenamtlich unterstützen will, was man so anzubieten hat. Man konnte alles kennenlernen. Alle Menschen, die tatsächlich interessiert sind an einem Diskurs und an einer Auseinandersetzung, können sich einbeziehen lassen. Die können damit auch ihrem demokratischen Partizipationsrecht nachkommen. Ich habe das Gefühl, da liegt mittlerweile das eigentliche Problem. Und gar nicht so sehr an den Geflüchteten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Anja Herzog. Der Text ist eine redaktionell bearbeitete Fassung. Das komplette Gespräch können Sie oben im Audio-Player nachhören.
Sendung: radio3, 12.11.2024, 07:20 Uhr
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