Berlin-Lichtenberg - Neue Unterkunft für Geflüchtete stößt auf Anwohnerprotest
Ab Montag sollen die ersten Geflüchteten in das ehemalige City Hotel Berlin East einziehen. Anwohner sind nicht begeistert. Bei einem Informationsabend wurde es lautstark. Von Ann Kristin Schenten und Sebastian Schöbel
Der Saal ist voll. Die Stimmung aufgeregt. Der Redebedarf groß. In vorderster Reihe steht ein Mann in schwarzer Lederjacke und spricht ins Mikro. Er sei vor zehn Jahren in den Kiez gezogen, eigentlich aus dem Westen, aber wohne gerne in Lichtenberg und engagiere sich in der Nachbarschaft. Er äußert scharfe Kritik: Bezirksbürgermeister Martin Schaefer (CDU) und die Sozialverwaltung hätten Anwohner wie ihn einfach vor vollendete Tatsachen gestellt, sie hätten kein Wort mitreden können.
Bürgerbeteiligung nicht möglich
Martin Schaefer antwortet ruhig und betont, dass auch er keine Wahl hatte: "Es bleibt meine Position, dass ich den Standort für nicht geeignet halte. Wir sind in Lichtenberg schon stark belastet. Jetzt müssen wir aber was draus machen", sagt er rbb|24.
Aziz Bozkurt (SPD), Berlins Staatssekretär für Soziales, übernimmt die Verantwortung und spricht Klartext: "Ich muss Menschen, bevor sie obdachlos werden, unterbringen. Deswegen kann ich auch keine Beteiligung vorgaukeln, die gibt es an dieser Stelle nicht." Man brauche das Hotel, weil im "Ankunftszentrum" Tegel der Platz ausgehe und die Zustände nicht haltbar seien, erklärt er.
Bis zu 1.200 Menschen werden untergebracht
Ab dem 11. November sollen insgesamt 780 Geflüchtete im früheren Hotel in der Landsberger Allee einziehen, bis Sommer 2025 könnten es 1.200 werden. Den Anwesenden geht das größtenteils zu schnell. Die Veranstaltung am Dienstagabend ist die zweite ihrer Art, diesmal organisiert von der Senatsverwaltung für Soziales und dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF).
Dessen Pressesprecher Sascha Langenbach zeigt den Anwohnern, wie die Geflüchteten hier in Zukunft leben werden. Er betont, dass man die alte Hoteleinrichtung entfernt hätte: "Die Flüchtlinge werden hier nicht in Luxus-Suites leben." Stattdessen gibt es Stockbetten. Eine Person soll auf neun Quadratmetern leben können, zwei zusammen auf 15 Quadratmetern. Das sei deutlich besser als die aktuellen Zustände in Tegel, meint Langenbach.
"Das ist unfair den Anwohnern gegenüber"
Doch die Sorgen der Anwohner betreffen vor allem das zukünftige Zusammenleben: "Ich befürchte, dass der Bezirk überlastet wird. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind es schon. Es gibt auch jetzt schon nicht genug Ärzte und Kita- und Schulplätze", erzählt eine Nachbarin dem rbb. Ein anderer Anwohner meint: "Ich frage mich, wie man organisiert, dass die Bürger nichts von ihrer Lebensqualität und Freiheit einbüßen. Aber mir wurde keine Lösung geboten, es waren nur Durchhalteparolen."
Ein paar Fragen werden an diesem Abend aber doch beantwortet. Zum Beispiel die nach Sicherheit. Ein privater Sicherheitsdienst arbeitet bald in der Unterkunft und soll auch die Geflüchteten selbst vor Angriffen schützen soll. Außerdem können sich Anwohner im Laufe der nächsten Monate ehrenamtlich einbringen. Ab Sommer 2025 übernimmt ein sozialer Dienstleister den Betrieb.
Im Hotel soll es auch eine Schule für schulpflichtige Kinder geben. Dieser Punkt sorgte für weitere Diskussionen: "Wie kann man die Kinder hier im Haus beschulen und Integration erwarten? Das funktioniert überhaupt nicht. Und auf die Anwohner zu setzen, die man bisher im Stich gelassen hat, ist einfach unfair den Anwohnern gegenüber", ärgert sich eine Lichtenbergerin.
Unterkünfte in Tegel und Tempelhof sollen schnell aufgelöst werden
Der Streit um die neue Großunterkunft in Lichtenberg steht sinnbildlich für das politische Gezerre um die Unterbringung von Geflüchteten in ganz Berlin. Immobilien wie das ehemalige Hotel an der Landsberger Allee gelten vor allem für SPD-Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe als einzige Möglichkeit, die Massenunterkünfte in Tegel und Tempelhof möglichst schnell aufzulösen.
Denn in Containern und Zelten sei die Integration der Menschen kaum möglich. Auf der anderen Seite steht Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU), der in den wachsenden Zelt- und Containerdörfern die einzige Möglichkeit sieht, schnell viele Menschen unterzubringen, ohne zahlreiche Kieze und deren Aufnahmekapazitäten zu überlasten.
Gleichzeitig dürften die Großunterkünfte wohl auch eine abschreckende Wirkung für weitere Migranten entfalten, so die Hoffnung – ähnlich wie die geplante Bezahlkarte, in der Wegner ein Mittel zur Reduzierung der Zuwanderung sieht, was Kiziltepe als unwirksam und unsozial ablehnt.
Längst wird dieser Dissens nicht mehr nur hinter verschlossenen Türen ausgetragen: Denn zur angespannten Unterbringungssituation ist nun auch die Berliner Finanzlage als Problem dazugekommen. Drei Milliarden Euro müssen im kommenden Jahr eingespart werden. Anfang Oktober verhängte Finanzsenator Stefan Evers (CDU) sogar einen Ausgabenstopp für das kommende Jahr: Neue kostspielige Verträge sind damit erstmal tabu.
Was das für Berlins Flüchtlingsunterkünfte bedeutet, wollte Kiziltepe in einem Schreiben an den Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses deutlich machen: So müssten dringend, noch in diesem Jahr, die Verträge für fast 3.000 Plätze in Hotels und Hostels verlängert werden, und am besten noch weitere 2.000 Plätze dazugebucht werden. Denn die würden gebraucht, um einerseits die Massenunterkunft in Tegel Schritt für Schritt zu entlasten, und andererseits um eine Zwischenlösung zu haben, bis weitere Unterkünfte gebaut sind. Rund 9.000 weitere Plätze seien schon in Planung – und auch für die müssten die entsprechenden Verträge dringend noch in diesem Jahr unterschrieben werden, so die Sozialsenatorin.
Konflikt zwischen Kiziltepe und Wegner
Doch die Senatskanzlei von Wegner zog das von Kiziltepe persönlich signierte Papier zurück: Es sei "noch nicht mit allen senatsseitig Beteiligten abgestimmt". Der Vorgang landete umgehend in der Presse, die Senatskanzlei sprach vieldeutig von einem "Büroversehen" der SPD-Sozialsenatorin. Für manche in der Koalition, auch bei der SPD, stand Kiziltepe blamiert da.
Kiziltepe wiederum könnte das "Büroversehen" ihrer Verwaltung, sofern es überhaupt eines war, möglicherweise aber auch in die Karten spielen: Wie dringend die Vertragsverlängerung für etliche Unterbringungsplätze ist, wissen Parlament und Berliner Öffentlichkeit nun. Das hässliche Szenario mit hunderten Geflüchteten, die mitten im Winter in überfüllte Tegeler Leichtbauhallen ziehen müssen, ist in der Welt – und zumindest Kiziltepe kann für sich reklamieren, frühzeitig davor gewarnt zu haben. Im Streit mit Wegner über die Vergrößerung der Massenunterkünfte dürfte das Schreiben allerdings kaum für Annäherung gesorgt haben.
Bei der Lichtenberger Infoveranstaltung ist am Ende Frustration das Stichwort des Abends. Zufrieden verlässt hier niemand den Saal. Das ändert aber nichts daran, dass in wenigen Tagen eingezogen wird. Es sind vor allem Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen sind, später sollen auch Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan und anderen Ländern folgen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 6.11.2024, 13:27 Uhr
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