Soziologe über Social Media - "Die AfD hat verstanden, in den ersten zehn Sekunden ihre Inhalte zu vermitteln"

So 16.06.24 | 08:07 Uhr
  103
Parteien-Social-Media
Video: rbb24 Abendschau | 14.06.2024 | Leonie Schwarzer | Bild: rbb24

Der jüngste AfD-Wahlerfolg wird auch darauf zurückgeführt, dass sie auf Tiktok junge Menschen für sich gewann. Der Soziologe Özgür Özvatan erklärt, was die AfD im Netz anders macht - und wie sie schon in Parlamentsreden die sozialen Medien mitdenkt.

rbb: Herr Özvatan, stimmt es, dass so viele junge Menschen bei der Europawahl die AfD gewählt haben, weil die Partei in den sozialen Medien sehr aktiv ist?

Özgür Özvatan: Ein Faktor ist sicher, dass junge Menschen sich über politische Themen auf Tiktok informieren und die AfD auf Tiktok die dominante politische Partei ist. Ich möchte aber einschränken, dass viele junge Menschen auch Mitte-Links-Parteien und linke Parteien gewählt haben. Es braucht immer einen differenzierten Blick.

Zur Person

Der Polit-Soziologe Özgür Özvatan (Quelle: rbb)
rbb

Özgür Özvatan ist politischer Soziologe am Institut für Sozialwissenschaften an der Berliner Humboldt-Universität. Er forscht insbesondere zu Integrations-, Extremismus-, Umwelt- und Demokratiethemen.

Sie haben gerade konkret Tiktok genannt. Geht es wirklich vor allem um Tiktok oder auch um andere soziale Netzwerke?

Es geht um ganz viele. Tiktok ist aber eine Plattform mit rasant steigenden Nutzer:innenzahlen. Sie ist mittlerweile die wichtigste Plattform. Tiktok begünstigt neue Accounts, das unterscheidet sie von anderen Plattformen. Das heißt, ich kann nur wenige Follower:innen haben und trotzdem mit einem Video mehrere Millionen erreichen. Das ist ein Unterschied zu Instagram und Facebook.

Woran liegt das?

Das liegt am Empfehlungsalgorithmus. Tiktok will, dass jedes Video die Menschen emotionalisiert, damit sie auf der Plattform bleiben.

Was macht die AfD in den sozialen Netzwerken und konkret bei Tiktok anders als andere Parteien?

Sie setzen mehr materielle Ressourcen ein auf dieser Plattform. Und weil sie mehr Ressourcen einsetzen, sind sie einfach viel professioneller. Sie haben früh damit angefangen und jetzt Marktanteile von über 70 Prozent. Die anderen politischen Parteien, vor allem die demokratischen, gehen jetzt erst auf die Plattform. Sie versuchen einiges nachzuholen, aber bislang gibt es eine Form von Marktmonopol für die AfD. Es ist immer schwierig, solche Marktanteile anzugreifen und in den Wettbewerb einzusteigen, wenn der Ressourceneinsatz und der Professionalisierungsgrad nicht stimmen.

Warum passen die AfD und die sozialen Netzwerke offenbar so gut zusammen?

Ein gängiges Argument ist, dass es an der inhaltlichen Verkürzung liegt. Aber dieses Argument ist nicht vollkommen schlüssig. Es liegt vor allem daran, dass sie wirklich verstanden haben, wie die verschiedenen sozialen Medien funktionieren. Sie kommunizieren plattformspezifisch und sie kommunizieren auch communityspezifisch. Sie richten sich zum Beispiel seit dem letzten Sommer gezielt an Türkeistämmige in Deutschland. Sie produzieren Inhalte speziell für sie, um ihr Wählerklientel zu maximieren.

Die AfD hat mit ihrer jahrelangen Erfahrung also auch einen Wissensvorsprung?

Die AfD hat einen Wissens- und einen Ressourceneinsatzvorsprung, mit dem sie die besseren Inhalte produzieren – wobei es nicht die besseren Argumente sind oder die besseren Reden. Es sind die technischen Details, die sie besser können.

Was könnten die anderen Parteien machen, um mehr junge Menschen zu erreichen über die sozialen Netzwerke, außer dass sie mehr Geld investieren?

Die demokratischen Parteien müssten Ressourcen einsetzen, um sich ein gutes Team und eine gute Peripherie aufzubauen. Die AfD profitiert ganz stark von ihrer Peripherie. Die Peripherie, das sind Inhalte von Drittaccounts, die der Partei Zuspruch generieren. Das sind Accounts, die auch mal sagen, dass sie nicht die AfD wählen würden. Sie inszenieren sich als freie Bürgerinnen und Bürger, aber in ihren Inhalten verbreiten sie die Programmatik der AfD. Deshalb muss es für demokratische Parteien darum gehen, so eine Peripherie aufzubauen. Sie müssen mit Influencern und Influencerinnen zusammenzuarbeiten, aber auch mit Wissenschaftler:innen und Social-Media-Professionals, die dann alle gemeinsam versuchen, das, was auf dem Spiel steht, zu verteidigen, nämlich die liberale Demokratie. Junge Menschen, vor allem junge Migrant:innen, müssen dabei als Kommunikationsexpert:innen, die sie als Social Media Natives sind, betrachtet werden. Davon sind wir weit entfernt.

Wenn eine Person nur eine Plattform nutzt, ist sie leichter zu radikalisieren und leichter zu manipulieren

Wie Sie sagten: Häufig heißt es, dass die AfD bei Social Media besonders gut funktioniert, weil sie Inhalte verkürzt darstellt. Spielt das denn aus Ihrer Sicht keine so große Rolle?

Doch, das spielt eine große Rolle. Wir wissen, dass junge Menschen im Allgemeinen, aber generell auch Tiktok-Nutzer:innen, einzelne Videos nicht lange konsumieren. Teilweise waren das in einer unserer Studien nur zehn bis 15 Sekunden für jedes einzelne Video. Das heißt, die Kernbotschaft muss in den ersten zehn bis 15 Sekunden vermittelt werden. Aber es werden auch mal Videos, die vier oder sieben Minuten lang sind, konsumiert, wenn sie interessant genug sind. Deswegen gibt es nicht dieses eine Rezept. Es geht darum, professionell darin zu werden, diese Inhalte zu produzieren. Was die AfD auszeichnet, ist, dass sie verstanden hat, in den ersten zehn Sekunden ihre Inhalte so vermitteln, dass Nutzer:innen sagen: "Ich habe die Botschaft verstanden, ich finde sie gut und deswegen hinterlasse ich einen Kommentar oder ein Like". Das führt dann wiederum zur Verbreitung. Oder sie hören sich das bis zum Ende an, weil sie es so toll finden. Das ist eigentlich nichts Neues für Medienschaffende und Politiker:innen, denn Medienschaffende arbeiten genauso: Sie versuchen eine scharfe Schlagzeile zu produzieren, einen guten ersten Absatz und dann kommt die Differenzierung. Auf Tiktok funktioniert das ähnlich.

In den ersten Sekunden die Kernbotschaft – ist es also vor allem eine Frage des richtigen Konzepts?

Das fängt nicht erst bei der Produktion an. AfD-Politiker:innen halten zum Beispiel ihre Reden im Parlament gern so, dass sie für Social Media genau passen: Es gibt einen 90-sekündigen oder 30-sekündigen Part, der inszeniert ist für Tiktok und in sich geschlossen ist, also einen eigenen Spannungsbogen hat. Das haben die Redner:innen schon im Kopf, bevor sie die Rede halten.

Sie hatten eingangs davon gesprochen, dass Tiktok versucht, die Nutzer:innen so zu binden, dass sie die Plattform möglichst gar nicht verlassen. Stellt das eine zusätzliche Herausforderung dar, wenn Menschen nur auf einer Plattform unterwegs sind?

Das ist die große Gefahr, wenn Menschen nur noch eine Plattform nutzen. Da müssen wir hinschauen, was da eigentlich passiert. Wenn eine Person nur eine Plattform nutzt, dann ist sie leichter zu radikalisieren und leichter zu manipulieren. Wenn sie mehrere Plattformen nutzt, dann balancieren sich die verschiedenen Algorithmen so aus, dass die Person in einem demokratischen Spektrum bleibt.

Herr Özvatan, vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Leonie Schwarzer für die rbb24 Abendschau.

Sendung: rbb24 Abendschau, 14.06.2024, 19:30 Uhr

Die Kommentarfunktion wurde am 17.06.2024 um 17:14 Uhr geschlossen. Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.

103 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 103.

    Wäre möglich, jedenfalls möchten das viele Wähler. Aber es ist ein Zerrbild, denn die Mehrheit des Deutschen Volkes will diese rechtsradikalen Personen im Bundestgag nicht. Die wollen die Freiheit zerstören und sich unser Geld in ihre braunen Taschen stopfen. Sie rechnen mit der Blödheit dieser Menschen und nutzen deren Frust eiskalt aus. Ist wie mit den Lämmern, die zur Schlachtbank gerufen werden.

  2. 102.

    Hier wird zuviel gedroschen. Verbal. Glücklicherweise bildet sich jedeR seine Meinung selbst. Egal wo oder wie.

  3. 101.

    Gruselig!

  4. 100.

    >"Das bilden einer Meinung sollte jedem selbst überlassen sein."
    Das sicher. Sowas geht aber nicht ohne Informationen. Woher beziehen Sie Ihre Informationen, um sich über politische oder wirtschaftliche Themen eine eigene Meinung zu bilden? Nun mal Butter bei die Fische.... Woher beziehen Sie ihre Informationen im Alltag?

  5. 99.

    Zum Einen:
    Elf Prozent Grüne ist ihr niedrigster Umfragepegelstand seit 2018. Das ergab die neueste INSA-Umfrage im Auftrag der BILD. Immer mehr Wähler machen die Grünen für die Ampel-Politik am meisten verantwortlich, sagte Insa-Chef Hermann Binkert der BamS: Im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 hätten die Grünen bei der EU-Wahl über zwei Millionen Wählerstimmen verloren. In der Gruppe der 16 bis 24jährigen sieht die Lage noch dramatischer aus.
    Zum Anderen:
    Die grüne Bilanz der Großen Transformation der Ampel: 5.209 beantragte Unternehmensinsolvenzen im 1. Quartal 2024 sind 26,5 % mehr als im 1. Quartal 2023, Und es geht so weiter – nach vorläufigen Zahlen: im April 2024 plus 28,5% gegenüber dem Vorjahresmonat und im Mai 2024 plus 25,9% gegenüber dem Vorjahresmonat.
    Dafür braucht die AfD kein Social Media, das sieht und erlebt man, wenn man raus geht.

  6. 97.

    Haben Sie nicht. Ihre Meinung über ARD imd ZDF allerdings zeigt allerdings erneut, dass Sie bereits gewissen Erzählungen verfallen sind. Welche sind das, die Sie zu solchen Äußerungen führen?

  7. 96.

    Sind manche Menschen hier eigentlich gedanklich in einer Dauerschleife festgefahren? Immer wieder diese Vergleiche mit der DDR. Dieser hier ist allerdings besonders absurd.

  8. 95.

    Zitat Noam Chomsky: " Die schlaue Art, Menschen passiv und folgsam zu halten, ist, daß Spektrum akzeptabler Meinungen streng zu begrenzen, aber innerhalb dieses Spektrums lebhafte Debatten zu erlauben ".

  9. 94.

    Natürlich lassen sich hohle Phrasen und billige Verallgemeinerungen schneller übermitteln...

  10. 93.

    Ja genauso isses! Weil die Beschränktheit des Geistes um sich greift. Ihre Partei nutz das weidlich aus und lebt von unseren Steuern.

  11. 92.

    Mal ganz ruhig, Brauner. Sie müssen gar nichts! Sie leben in einem reichen Land in demokratischen Verhältnissen und genießen Ihre Freiheit hier und können Ihren unterkomplexen Stuß rausposaunen. In Russland zum Beispiel würden Sie in den Knast wandern...

  12. 91.

    Also darf ich wenn ich Sie richtig verstanden habe kein ARD und ZDF mehr schauen, denn die machen zu bestimmten Themen nichts anderes. Menschen dahin zu lenken kenne ich noch von früher nannte sich DDR und ganz besonders der schwarze Kanal. Das bilden einer Meinung sollte jedem selbst überlassen sein.

  13. 90.

    Im Grundsatz reicht ja schon das recht eindeutige völkische Verständnis der AfD, dass es mitnichten um Deutsch-Sein im Sinne einer vielfältigen Bevölkerung ginge, sondern um Deutsch-Sein im Sinne eines recht homogenen "Volkskörpers". Dieser müsse gemäß dieser Logik vor "Verunreinigung" von außen geschützt werden.

    Af(v)D wäre deshalb die treffendste Bezeichnung dieser Gruppierun, die - abseits der systematischsten Verfolgung und Tötung einer Bevölkerungsgruppe - sich ansonsten auf Höhe der nationalsozialistischen Ideologie befindet. Selbstverständlich fährt die AfD eine Doppelstrategie: Im Programm und von seriös sich gebenden Vertretern findet sich dazu nichts, ein Höcke redet schon mal doppeldeutig und der Anhang auf den Straßen skandiert genau dies.

  14. 89.

    Ihr "Allerweltsthema" scheint vielen Brandenburgern aber weitaus wichtiger zu sein, als die
    angebliche Bedrohung durch "Neuen Nazis, Reichsbürger(z.T. bewaffnet)und rechtsradikale Kampfsportvereine, Hooligans, und ihre Einflußnahme auf unsere Kinder und Jugendlichen"...

  15. 88.

    Die Aktentasche von Scholz ist auf Tiktok. Gibt von Extra3 dazu etwas Witziges. Ja, es dauert eben bis man diese „neuen Medien“ versteht ;-)))) Leider hat die AfD es schneller geschafft.

  16. 87.

    Alte Parteien, alte Stimmengewinnstrukturen.
    Scholz auf TikTok würde man sicher nur sehen, sagen tut er ja anscheinend nie was.
    Ach ne, kurz nach dem Ergebnis der EU-Wahl kam ein keckes "NÖ" aus seinem Mund.
    Sollte einfach gepostet werden und schwupp hat die SPD wieder 85 Prozent!

  17. 86.

    Natürlich kann jeder in diesem Land seine Meinung sagen. Die Unterstützung der Ukraine muss nicht jeder toll finden. Wo es aus meiner Sicht schwierig wird, wenn bewusst wissenschaftliche Fakten geleugnet werden, Stichwort anthropogener Klimawandel oder es rassistisch wird. Auch die Aussagen von Frau Weidel, dass Herr Scholz Deutschland hassen würde, sind absolut inakzeptabel.

  18. 85.

    Es wird einer juristischen Überprüfung standhalten müssen. Daher sind da nunmal Hürden, die erst noch genommen werden müssen. Der VS hat erst seit der letzten Einstufung mehr Möglichkeiten, tu ermitteln. Ein Verbotsverfahren löst die aktuellen Entwicklungen nicht.

  19. 84.

    "AfD verbieten? Warum?"

    Meinen Sie das ernst? Nach all den entlarvenden Berichten über die nicht zu übersehende Fremdenfeindlichkeit wie z. B. die geplante Deportation aller Ausländer (siehe auch die Einstufung der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall vonseiten des Verfassungsschutzes), Verherrlichung von NS-Parolen, der SS und SA sowie die Anbiederung an das Völkerrecht mit den Füßen tretende und einen mörderischen Krieg führende Russland inkl. des Versuchs, Hilfen für die Ukraine zu sabotieren, ist ein Verbot fällig. Offensichtlich hat diese Partei verfassungsfeindliche Bestrebungen. Man muss sich mittlerweile schon dummstellen, um das nicht erkennen. Aber bei den Nazis haben seinerzeit auch alle weggeschaut ... Also: Wehret den Anfängen und verbietet diese menschenverachtende AfD endlich! Was braucht es noch für Beweise? Wollen wir warten, bis die Partei ganz Deutschland in den Ruin getrieben hat?