Kommunalwahlen 2024 - Das Schradenland zwischen Idylle und Angst

Mo 27.05.24 | 10:21 Uhr | Von Gianluca Siska
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Ein Schild vor einer Wohnsiedlung mit der AUfschrift "Herzlich Willkommen in Hirschfeld"
Audio: Antenne Brandenburg | 28.05.2024 | Gianluca Siska | Bild: dpa/Pleul

Das Schradenland in Elbe-Elster wurde in den letzten Jahren vor allem durch Wahlerfolge rechter Parteien bekannt. Die etablierte Politik hat hier längst das Spielfeld geräumt und hinterlässt ein Vakuum, das nun die AfD füllt. Von Gianluca Siska

Bei den Kommunalwahlen in Brandenburg werden Tausende zum größten Teil ehrenamtliche politische Posten verteilt. Doch wie funktioniert Kommunalpolitik überhaupt, was wird hier entschieden und welche Probleme gibt es. rbb|24 schaut sich in den Landkreisen und kreisfreien Städten um, welche Themen dort relevant sind.

Eingekesselt von der sächsisch-brandenburgischen Landesgrenze liegt das verschlafene Schradenland ganz im Landkreis Elbe-Elster zwischen blühenden Landschaftsschutzgebieten und viel Wald. Ein Blick auf die digitale Karte genügt, um zu sehen, dass die 4.300 Einwohnerinnen und Einwohner der Schradendörfer in Sachen Infrastruktur gut aufgestellt sind: Freibäder, Schulen, Bäcker, Fleischer, Supermärkte, Friseursalons, Fußballvereine – eine Vorzeigeregion in der südbrandenburgischen Peripherie, fernab vom Großstadttrubel.

Mediale Aufmerksamkeit bekam die Region aber nie für ihre kommunale Infrastruktur. Bereits 2005 titelte der "Tagesspiegel" in einem Artikel "Ratlosigkeit in Gröden - NPD erzielt in südbrandenburgischen Ort bestes Wahlergebnis im Land". Mehr als 14 Prozent der Grödener gaben damals der rechtsextremen NPD (heute "Die Heimat") ihre Stimme zur Bundestagswahl. Ein Jahr zuvor glänzte auch die inzwischen aufgelöste völkisch-nationalistische Deutsche Volksunion (DVU) bei den Landtagswahlen im gesamten Schradenland mit satten 22,4 Prozent.

Nun, wenige Wochen vor den Kommunal- und Europawahlen 2024, zeichnet sich wieder ein Ergebnis an der Wahlurne rechts der Mitte ab. Die Hauptschlagader der Region, die Landstraße 59, ist geschmückt in Blau und Weiß. Bis auf vereinzelte Wahlwerbung von CDU und Freien Wählern ist die dominante Präsenz der Alternative für Deutschland (AfD) unübersehbar.

In großen Lettern prangen die Parolen auf den Wahlplakaten, "AfD jetzt" oder "Unser Land zuerst" ist da meist zu lesen. Sie bringen etwas Unruhe in eine sonst idyllische frühsommerliche Szenerie, geprägt von Trauerweiden und sattgrünen Feldern. Und bei einem Besuch der 75 Quadratkilometer zwischen Merzdorf und Großthiemig bleiben Widersprüche. Denn warum rechte Parteien ausgerechnet hier so erfolgreich sind, scheint auf den ersten Blick nicht ersichtlich.

Wie ist also die Stimmung bei den Menschen im Schradenland, so kurz vor den Wahlen?

Immer wieder "die da oben"

Im Dorfkern von Hirschfeld, an der Kreuzung Ortrander Straße und Dorfstraße, gibt es eine Landfleischerei und einen Bäcker. Nur wenige Menschen wollen hier offen über Politik sprechen. Die Skepsis gegenüber den Medien und vor allem gegenüber der Berichterstattung der letzten Jahre macht die Suche nach einem Stimmungsbild vor den anstehenden Wahlen schwierig.

Auch Bäckereifachverkäuferin Jana Heslich benötigt ein wenig Zeit, bis sie beginnt über den aktuellen Zustand der Region reden zu wollen. Die gebürtige Hirschfelderin sieht vor allem ökonomische Faktoren als Grund für Unzufriedenheit in der Region: "Es geht nur noch ums Geld. Den Geringverdienern wird immer mehr genommen und es wird einfach alles teurer. Ich sehe es ja bei unseren Produkten. Und da geht es vor allem um die Politik in Berlin", sagt Heslich, angelehnt an der Eingangstür der kleinen Verkaufsstube.

Die Politik von "denen da oben". Ein Wortlaut, der so oder so ähnlich an diesem Tag in Gesprächen häufiger fällt. Bei den Bundestagswahlen 2021 erhielten die aktuellen Regierungsparteien hier in Summe nur eine Zustimmung von knapp 30 Prozent der Zweitstimmen.

Und dennoch, egal, wie viel Unverständnis den Akteuren der etablierten Politik entgegengebracht wird – immer wieder erzählen die Menschen auf den Straßen von Hirschfeld auch: "Schlecht geht's uns eigentlich nicht." Eine Einschätzung, die sich auch aus Vorgesprächen des Besuchs ergibt.

In einer Region, die massiv von einem Bevölkerungsrückgang betroffen ist, hält das Schradenland seine Zahlen seit Jahren im Gleichgewicht. Der größte örtliche Fußballverein, FC Schradenland, verzeichnet einen gesunden Nachwuchs. So zumindest die Aussage eines Vorstandsmitglieds. Und auch an diesem Vormittag gibt es für das Schradenland gute Nachrichten, denn: Zwei neue Feuerwehrhäuser wurden genehmigt und werden in den kommenden Monaten aufgebaut.

Kathrin Wilken, Amtsdirektorin Amt Schradenland (Bild: rbb)Kathrin Wilken, Amtsdirektorin Amt Schradenland

Ein Stückchen heile Welt

Nächste Station: die Amtsverwaltung des Amts Schradenland. Ein graues, mehrgeschossiges Verwaltungsgebäude. Das Sagen hat hier Amtsdirektorin Kathrin Wilken (parteilos).

Auch sie war zunächst skeptisch. Die Sorge, dass die Region wieder nur in eine politisch rechte Ecke gestellt und abgestempelt wird, war groß. Am Ende ließ sich die Amtsdirektorin jedoch auf ein Gespräch ein. Die 45-Jährige hat auch keine konkrete Antwort parat, warum ihre Bürger so wählen, wie sie es tun. Sie hört und spürt aber auch vermehrt Unverständnis gegenüber Landes- und Bundespolitik bei den Menschen vor Ort.

"Das kommt meiner Meinung nach aus der gesamtpolitischen Situation. Wenn man das Radio anmacht oder den Fernseher, wird man ja fast täglich mit neuen Problemen konfrontiert und das, denke ich, kann schon ein Grund dafür sein, dass der eine oder andere dann eben sagt: 'Nee, ich will damit nichts zu tun haben, ich bin froh, hier ist alles in Ordnung, hier ist noch ein Stückchen heile Welt'", so Wilken.

Jürgen Hänsch, Einwohner von Hirschfeld (Bild: rbb)
Jürgen Hänsch, Einwohner von Hirschfeld | Bild: rbb

Das Bauchgefühl siegt

Zurück auf den Straßen des Schradenlands für eine kleine Pause bei einem weiteren lokalen Bäcker.

Aus der Ferne kommt ein kahlrasierter Mann in grünem Pullover und schwarzer Jogginghose auf seinem Fahrrad die Straße zur Bäckerei hoch geradelt. Er lässt sich auf ein kurzes Interview ein. Jürgen Hänsch aus Hirschfeld, Vater von acht Kindern, wird an diesem Tag der einzige Gesprächspartner sein, der offen erzählt, welcher Partei er zur Kommunal- und Europawahl seine Stimme geben wird – der AfD.

Sein aktuelles Stimmungsbild sei "gemischt", so Hänsch. Seit Jahren plagen den Familienvater gesundheitliche Probleme. Er lebt derzeit vom Bürgergeld. "Ich bin selber ein halber Pole und trotzdem stimme ich dann eher für die AfD als für jemand anders. Für wen soll man denn stimmen?", fragt er. "Ich meine, man stimmt immer für jemanden und denkt sich, es wird besser. Und ich habe schon alles mal gewählt gehabt und nichts hat sich gebessert. Also wähle ich diesmal die AfD”, sagt der ehemalige Hausmeister.

Die Gründe für die Entscheidung seien vielschichtig, so Hänsch. Sie anhand von Fakten zu begründen, könne er jedoch nicht. Für ihn sei Wählen wie Glücksspiel. Er schaue einfach, was am Ende dabei rumkommt.

Der Familienvater wird zum Sinnbild der Tagesreise. In Summe fußt die Stimmung im Schradenland auf einem Bauchgefühl. Ein Bauchgefühl der Sorge, um eine ungewisse Zukunft mit all ihren globalen Krisen und Nöten.

Der Besuch im Schradenland endet mit vielen Fragezeichen. Oberflächlich scheint die Welt hier in Ordnung zu sein. Und dennoch zeichnet sich ab, dass sich viele Einwohnerinnen und Einwohner der Schradendörfer in wenigen Wochen von einer unbestimmten Unzufriedenheit an die Wahlurne leiten lassen werden.

Sendung: Antenne Brandenburg, 28.05.2024, 14:12 Uhr

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Beitrag von Gianluca Siska

50 Kommentare

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  1. 49.

    "Eher ist es Besserwisserei." So dürfte es sein, wenn man "von die oben" spricht oder über
    andere, die man nicht versteht.

  2. 48.

    Hä, hier in der Stadt is der Nachbar 2 Schritte entfernt von der Haustür oder ein Stock drüber.
    Das Schweigelübde wurde hier nicht abgelegt !
    Was mit ihrem Freund ist, weiß ich nich !

  3. 47.
    Antwort auf [Steffen] vom 27.05.2024 um 17:31

    Und das ist ein Grund dafür Rechts zu wählen???????
    Demokratie heißt mitmachen, mitgestalten, sich einbringen auch wenn es Mann ch mal dauert. Demokratie leben heißt nicht, sich zurück lehnen und nun macht mal, ihr da oben. Das hatten die Leute in der DDR. Da wurde gesagt, bestimmt und das Volk hat gehorcht und gemacht. Wollen die AFD Wähler diese Regierungsform wieder haben?? Einfach mal nachdenken.
    Ich bin jedenfalls stolz auf unsere Demokratie und unsere Verfassung (Grundgesetz).

  4. 45.

    Glücklicherweise waren Sie nicht bei der Mitgestaltung des Grundgesetzes dabei !

  5. 44.

    Also in einem kleinen Ort, in dem viele Angst haben, offen zu reden, möchte ich nicht wohnen. Auch wenn es da mehrere Feuerwehrhäuser gibt.

  6. 43.

    Du kannst das Leben in der DDR beurteilen?
    Immer wieder interessant, wie Außenstehende meinen, das ganz genau zu wissen. Eher ist es Besserwisserei.

  7. 42.

    Ja, ja der Nachbar. Ist genauso wie "Ich frage für einen Freund". Gibt Ihre Mentalität es überhaupt her einen AFD Wähler zu fragen, oder mit diesem zu reden?

  8. 41.

    Ich bin ziemlich sicher, das Grundgesetz ausreichend verstanden zu haben. Es handelt sich dabei eben genau nicht um ein beliebig interpretierbares und austauschbares Gesetz, sondern um die Verfassung unseres Staates. Ich empfehle die Lektüre, insbesondere die Grundrechte, die jede Diskriminierung aufgrund von Rasse und Religion ausschließen. Und ich weiß auch, was eine Partei ist, die in großer Anzahl Verfassungsfeinde vereint. Verlangt eine solche Partei den Schutz durch die Verfassung, so kommt das dem Ansinnen des Wolfs gleich, Anführer der Lämmer werden zu wollen. Man kann die schmutzige Weste der blaunen Partei vielleicht geflissentlich übersehen und über unvorteilhafte Berichterstattung der Medien lamentieren, an den abstoßenden Fakten ändert das rein gar nichts.

  9. 40.

    P. S. Besatzermentalität? Was ist denn das für ein Schwachsinn? Besatzer, das war doch wohl eure "russischen Freunde". Seit 1989, darfst du ja wohl erst das Sagen was du willst. Jetzt, in unsere Demokratie. Vor 1989 wäre jeder in Bau gegangen, wenn es offen geredet hätte. Schon vergessen???

  10. 39.

    Erstens geht es um die Tendenz nach rechts, die ist nun mal in Ostdeutschland nicht zu verleugnen und zweitens heißt es ja nicht zu Unrecht: wehret den Anfängen. Da geht es nicht um irgendeine Prozentzahl. Schau dir mal die Wahlergebnisse kurz nach der Wiedervereinigung an. Dann weißt du was ich meine. Man sollte in der Geschichte den Fehler nicht zweimal machen. Außerdem konnte mir noch KEIN Ostdeutscher die Frage des "Rechtsrucks" erklären. Ich will niemanden diskriminieren. Danke

  11. 38.

    Hab ich mal meinen Nachbarn schnell gefragt, was er dazu meine: 8 Kinder, Pole, lebt heir bei uns ....
    Mein Nachbar, der AFD wählt sagte mir, "warum vermehrt sich der Poll.... (Sie wissen wofür die Abkürzung steht !) ausgerechnet hier auf unsere Kosten ...... " und bla bla bla .....

  12. 37.

    Entschuldigung. Was haben Tatsachen mit Diskriminierung zu tun. Es geht um den Schutz unserer ALLER Demokratie. Natürlich hat die AFD im Land, auf höherer Ebene "nur" ca. 15%. Natürlich sind die demokratischen Parteien immer noch die Mehrheit. Darum geht es nicht. Es um die Dörfer und Kommunen, um die Landbevölkerung vor Ort. Warum wird auf dem Land viel, viel mehr AFD gewählt, als in den Städten? Das ist eine Feststellung und eine daraufhin meine Frage.

  13. 36.

    Sie meinen mit "Volk" doch sicher nicht die momentan vom Volk gewählten, sondern schreiben ...

    "Niemand schrieb das hier ein Grundgesetz zu ändern ist" Doch Sie schon, ahh natürlich dann vom Volke und nicht Sie persönlich ....
    "Nehmen wir: Grundgesetz, Artikel 1, Satz 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar...
    Mit einer neuen Regierung, geführt, werden viele Ausführungen (des Grundgesetzes) wieder hinterfragt werden. Und das ist auch richtig so."

    Ich denke mal, eine bestimmte Mauer sollte auch nie gebaut werden.

  14. 34.

    Niemand schrieb das hier ein Grundgesetz zu ändern ist. Das wollen die Ampel und Linkspartei. Die Interpretation der Artikel des GG ist Bestandteil der Rechtsfortbildung. Somit auch immer ein Abbild der gesellschaftlichen Entwicklung. Geplante Eingriffe zum "Schutz" bedeuten immer einen Versuch die eigene Auffassung der Normen festschreiben zu wollen. Daher sollte das GG genau gegen solche Versuche bis zum Verabschieden einer durch das Volk bestimmten Verfassung unverändert bleiben.

  15. 33.

    Da ich nicht im Sozialismus aufgewachsen bin, weder mit gespielter Ossi Naivität noch etwas mit westdeutscher Arroganz anfangen kann, versuche ich dem gemeinen Leser etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Die AFD profitiert ungemein von der medialen Hetzjagd. Die scharfe Abgrenzung, vor allem der Anderen(Links,Grün, LGBQT+, Liberal, Gendern und Co) wird als Wertebevormundung empfunden. Letztlich hat dieses gefühlt und gewollte staatliche pädagogische Beeinflussung viel von dem erlebten Sozialismus der DDR. Man muss wieder aufpassen was man wo wem sagt. Und gar nicht öffentlich.

  16. 32.

    Es war doch nur ein Ort wo 14% Neonazis gewählt haben. Das wiederum auf ganz Ostdeutschland umzulegen und den Menschen zu unterstellen "nichts in der Birne" zu haben, das bestätigt für viele das es sich bei Rotgrün Ampel & Co um Siegergebahren und Besatzermentalität von Westdeutschen handelt.

  17. 31.

    Denken Sie sich solche Begriffe aus ? Konnte man sich ja früher schon nicht merken, bzw. Ich nicht und die Genossen auch nicht alle. Na dann mit sozialistischen Gruß und wie es scheint nationalen dazu, der kommt aber nicht von mir

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