Kommunalwahlen 2024 - Das Schradenland zwischen Idylle und Angst
Das Schradenland in Elbe-Elster wurde in den letzten Jahren vor allem durch Wahlerfolge rechter Parteien bekannt. Die etablierte Politik hat hier längst das Spielfeld geräumt und hinterlässt ein Vakuum, das nun die AfD füllt. Von Gianluca Siska
Bei den Kommunalwahlen in Brandenburg werden Tausende zum größten Teil ehrenamtliche politische Posten verteilt. Doch wie funktioniert Kommunalpolitik überhaupt, was wird hier entschieden und welche Probleme gibt es. rbb|24 schaut sich in den Landkreisen und kreisfreien Städten um, welche Themen dort relevant sind.
Eingekesselt von der sächsisch-brandenburgischen Landesgrenze liegt das verschlafene Schradenland ganz im Landkreis Elbe-Elster zwischen blühenden Landschaftsschutzgebieten und viel Wald. Ein Blick auf die digitale Karte genügt, um zu sehen, dass die 4.300 Einwohnerinnen und Einwohner der Schradendörfer in Sachen Infrastruktur gut aufgestellt sind: Freibäder, Schulen, Bäcker, Fleischer, Supermärkte, Friseursalons, Fußballvereine – eine Vorzeigeregion in der südbrandenburgischen Peripherie, fernab vom Großstadttrubel.
Mediale Aufmerksamkeit bekam die Region aber nie für ihre kommunale Infrastruktur. Bereits 2005 titelte der "Tagesspiegel" in einem Artikel "Ratlosigkeit in Gröden - NPD erzielt in südbrandenburgischen Ort bestes Wahlergebnis im Land". Mehr als 14 Prozent der Grödener gaben damals der rechtsextremen NPD (heute "Die Heimat") ihre Stimme zur Bundestagswahl. Ein Jahr zuvor glänzte auch die inzwischen aufgelöste völkisch-nationalistische Deutsche Volksunion (DVU) bei den Landtagswahlen im gesamten Schradenland mit satten 22,4 Prozent.
Nun, wenige Wochen vor den Kommunal- und Europawahlen 2024, zeichnet sich wieder ein Ergebnis an der Wahlurne rechts der Mitte ab. Die Hauptschlagader der Region, die Landstraße 59, ist geschmückt in Blau und Weiß. Bis auf vereinzelte Wahlwerbung von CDU und Freien Wählern ist die dominante Präsenz der Alternative für Deutschland (AfD) unübersehbar.
In großen Lettern prangen die Parolen auf den Wahlplakaten, "AfD jetzt" oder "Unser Land zuerst" ist da meist zu lesen. Sie bringen etwas Unruhe in eine sonst idyllische frühsommerliche Szenerie, geprägt von Trauerweiden und sattgrünen Feldern. Und bei einem Besuch der 75 Quadratkilometer zwischen Merzdorf und Großthiemig bleiben Widersprüche. Denn warum rechte Parteien ausgerechnet hier so erfolgreich sind, scheint auf den ersten Blick nicht ersichtlich.
Wie ist also die Stimmung bei den Menschen im Schradenland, so kurz vor den Wahlen?
Immer wieder "die da oben"
Im Dorfkern von Hirschfeld, an der Kreuzung Ortrander Straße und Dorfstraße, gibt es eine Landfleischerei und einen Bäcker. Nur wenige Menschen wollen hier offen über Politik sprechen. Die Skepsis gegenüber den Medien und vor allem gegenüber der Berichterstattung der letzten Jahre macht die Suche nach einem Stimmungsbild vor den anstehenden Wahlen schwierig.
Auch Bäckereifachverkäuferin Jana Heslich benötigt ein wenig Zeit, bis sie beginnt über den aktuellen Zustand der Region reden zu wollen. Die gebürtige Hirschfelderin sieht vor allem ökonomische Faktoren als Grund für Unzufriedenheit in der Region: "Es geht nur noch ums Geld. Den Geringverdienern wird immer mehr genommen und es wird einfach alles teurer. Ich sehe es ja bei unseren Produkten. Und da geht es vor allem um die Politik in Berlin", sagt Heslich, angelehnt an der Eingangstür der kleinen Verkaufsstube.
Die Politik von "denen da oben". Ein Wortlaut, der so oder so ähnlich an diesem Tag in Gesprächen häufiger fällt. Bei den Bundestagswahlen 2021 erhielten die aktuellen Regierungsparteien hier in Summe nur eine Zustimmung von knapp 30 Prozent der Zweitstimmen.
Und dennoch, egal, wie viel Unverständnis den Akteuren der etablierten Politik entgegengebracht wird – immer wieder erzählen die Menschen auf den Straßen von Hirschfeld auch: "Schlecht geht's uns eigentlich nicht." Eine Einschätzung, die sich auch aus Vorgesprächen des Besuchs ergibt.
In einer Region, die massiv von einem Bevölkerungsrückgang betroffen ist, hält das Schradenland seine Zahlen seit Jahren im Gleichgewicht. Der größte örtliche Fußballverein, FC Schradenland, verzeichnet einen gesunden Nachwuchs. So zumindest die Aussage eines Vorstandsmitglieds. Und auch an diesem Vormittag gibt es für das Schradenland gute Nachrichten, denn: Zwei neue Feuerwehrhäuser wurden genehmigt und werden in den kommenden Monaten aufgebaut.
Ein Stückchen heile Welt
Nächste Station: die Amtsverwaltung des Amts Schradenland. Ein graues, mehrgeschossiges Verwaltungsgebäude. Das Sagen hat hier Amtsdirektorin Kathrin Wilken (parteilos).
Auch sie war zunächst skeptisch. Die Sorge, dass die Region wieder nur in eine politisch rechte Ecke gestellt und abgestempelt wird, war groß. Am Ende ließ sich die Amtsdirektorin jedoch auf ein Gespräch ein. Die 45-Jährige hat auch keine konkrete Antwort parat, warum ihre Bürger so wählen, wie sie es tun. Sie hört und spürt aber auch vermehrt Unverständnis gegenüber Landes- und Bundespolitik bei den Menschen vor Ort.
"Das kommt meiner Meinung nach aus der gesamtpolitischen Situation. Wenn man das Radio anmacht oder den Fernseher, wird man ja fast täglich mit neuen Problemen konfrontiert und das, denke ich, kann schon ein Grund dafür sein, dass der eine oder andere dann eben sagt: 'Nee, ich will damit nichts zu tun haben, ich bin froh, hier ist alles in Ordnung, hier ist noch ein Stückchen heile Welt'", so Wilken.
Das Bauchgefühl siegt
Zurück auf den Straßen des Schradenlands für eine kleine Pause bei einem weiteren lokalen Bäcker.
Aus der Ferne kommt ein kahlrasierter Mann in grünem Pullover und schwarzer Jogginghose auf seinem Fahrrad die Straße zur Bäckerei hoch geradelt. Er lässt sich auf ein kurzes Interview ein. Jürgen Hänsch aus Hirschfeld, Vater von acht Kindern, wird an diesem Tag der einzige Gesprächspartner sein, der offen erzählt, welcher Partei er zur Kommunal- und Europawahl seine Stimme geben wird – der AfD.
Sein aktuelles Stimmungsbild sei "gemischt", so Hänsch. Seit Jahren plagen den Familienvater gesundheitliche Probleme. Er lebt derzeit vom Bürgergeld. "Ich bin selber ein halber Pole und trotzdem stimme ich dann eher für die AfD als für jemand anders. Für wen soll man denn stimmen?", fragt er. "Ich meine, man stimmt immer für jemanden und denkt sich, es wird besser. Und ich habe schon alles mal gewählt gehabt und nichts hat sich gebessert. Also wähle ich diesmal die AfD”, sagt der ehemalige Hausmeister.
Die Gründe für die Entscheidung seien vielschichtig, so Hänsch. Sie anhand von Fakten zu begründen, könne er jedoch nicht. Für ihn sei Wählen wie Glücksspiel. Er schaue einfach, was am Ende dabei rumkommt.
Der Familienvater wird zum Sinnbild der Tagesreise. In Summe fußt die Stimmung im Schradenland auf einem Bauchgefühl. Ein Bauchgefühl der Sorge, um eine ungewisse Zukunft mit all ihren globalen Krisen und Nöten.
Der Besuch im Schradenland endet mit vielen Fragezeichen. Oberflächlich scheint die Welt hier in Ordnung zu sein. Und dennoch zeichnet sich ab, dass sich viele Einwohnerinnen und Einwohner der Schradendörfer in wenigen Wochen von einer unbestimmten Unzufriedenheit an die Wahlurne leiten lassen werden.
Sendung: Antenne Brandenburg, 28.05.2024, 14:12 Uhr
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