Chatbots in der Arbeitswelt - "ChatGPT vertritt wortgewandt auch Argumente, die falsch sind"

Di 06.06.23 | 06:29 Uhr | Von Wolf Siebert
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Symbolbild: Ein Mann benutzt auf seinem Laptop die Chat GPT Software. (Quelle: dpa/N. Maeterlinck)
Video: rbb24 Brandenburg Aktuell | 05.06.2023 | D. Azzam | Bild: dpa/N. Maeterlinck

Die Chancen und Risiken von ChatGPT werden auch in der Arbeitswelt debattiert und ausgetestet. Wo kann der Einsatz von künstlicher Intelligenz hilfreich sein, wo ist er problematisch? Wolf Siebert hat sich umgeschaut.

Samuel Walter will, dass ChatGPT auf einen kritischen Social Media-Kommentar reagiert. Der Projektmanager von Yes, and … Productions (YAP) gibt ein, was er sich ungefähr wünscht. Die Berliner Firma konzentriert sich auf künstlerische Fassadengestaltung und Street-Art-Projekte und realisiert Ausstellungen im "Urban Nations Museum" in der Bülowstraße.

Die künstliche Intelligenz antwortet sofort: "Sehr geehrter Herr, vielen Dank für Ihre Reaktion. Wir schätzen es, dass Sie sich Zeit nehmen und auf unsere Fassadengestaltung reagieren. Wir verstehen Ihre Bedenken…." Das klingt eher nichtssagend und oberflächlich, Walter ist noch nicht zufrieden. "Das ist zwar ein guter Aufschlag, aber für Social Media ein bisschen zu lang". Er tippt ein: "Fasse mir das in 250 Zeichen zusammen". Auch das zweite Ergebnis ist noch nicht zur Veröffentlichung geeignet, es ist zu förmlich meint Walter.

Das Beispiel zeigt: ChatGPT liefert schnell, und vieles ist auch brauchbar, manches sogar sehr gut. Aber Walter und sein Team müssen in der Erprobungsphase die Ergebnisse der KI kritisch gegenlesen: "KI weiß nicht alles, macht auch Fehler. Deshalb müssen wir Texte immer wieder nachschärfen. Ich möchte, dass alles, was von uns rausgeht, von unseren Mitarbeitern verifiziert wird, und dass sie auch komplett dahinterstehen."

Zeit einsparen mithilfe von ChatGPT

Das zehnköpfige Team YAP nutzt ChatGPT auch, um Präsentationen und Konzepte zu erstellen, Kunden zu akquirieren, Standard-Mails und auch Zeugnisse zu schreiben. Die Vorteile überwiegen, sagt Samuel Walter: "Wir sparen viel Zeit. Denn normalerweise habe ich eine Idee, sitze aber erst mal vor einem leeren weißen Blatt, einer E-Mail, einem Konzept oder einem Förderantrag und müsste mir alles selbst aus den Fingern saugen. Insofern habe ich die Wahl: Ich mache es alleine oder nutze ChatGPT wie einen Assistenten, den ich briefe, worüber und was er schreiben soll."

Auch Albert Heiser vom Creative Game Institut in Berlin sammelt noch Erfahrungen mit ChatGPT. Heiser berät bei der Konzeption von Werbekampagnen. Das Institut forscht, lehrt und berät bei der Gestaltung von Auftragskommunikation. Seine ersten Eindrücke: "Häufig sind die Texte nicht emotional genug. Wie bringe ich der KI bei, dass die Texte spezifischer sein müssen?"

Ein guter Text in der Werbebranche sei immer die Abweichung von der Norm, die KI werde aber mit regelkonformen Informationen gefüttert. "Ein erfolgreicher Slogan wie 'Hier werden sie geholfen' stammt von einem Menschen, nicht von einer KI." Grundsätzlich aber ist er mit den Ergebnissen, die ChatGPT liefert, nicht unzufrieden. Manchmal seien auch "Perlen" darunter wie: "Ein Blau, dass man darin baden möchte".

ChatGPT – schlüssig, aber nicht immer richtig

ChatGPT basiert auf künstlicher Intelligenz (KI) und kann eine ganze Menge: Recherchieren, Texte, Bilder und Videos produzieren, Briefe, Mails und Konzepte schreiben, wissenschaftliche Literatur zusammenfassen, in Unternehmen beim Recruiting eine Vorauswahl treffen und auch mit Bewerbern sprechen. Man kann mit dem Chatbot menschenähnlich kommunizieren und - er lernt aus dieser Kommunikation.

Voraussetzung ist, dass ChatGPT vorher von Menschen mit Daten entsprechend gefüttert wird. Aus ihrem elektronischen Fundus setzt der Chatbot Antworten zusammen, die schlüssig klingen, aber nicht immer "richtig" sind. "ChatGPT vertritt wortgewandt auch Argumente, die falsch sind", schreibt Gerald Dyker von der Ruhr-Universität Bochum.

ChatGPT als Produzent von Kunst?

Seit Anfang des Jahres probieren Samuel Walter von YAP und sein Team die neue Technik aus, testen "was geht". Denn die Konkurrenz mache bereits ganze Kampagnen mithilfe von künstlicher Intelligenz. Im Moment muss Walter ChatGPT noch die basics und das richtige wording beibringen: Der Chatbot soll "urbane Kunst" und nicht "Graffiti" schreiben.

Da ChatGPT aber ein lernendes System ist, könnte sie bald selbst Kunst produzieren und sogar den Künstler ersetzen.

KI kann nicht denken und handeln und Stimmungen erfassen

Anders ist es in der Psychotherapie. Christina Jochim, Vize-Chefin der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung, ist sicher: ChatGPT wird nicht an die Stelle der Therapeutin treten. "Eine KI kann nicht denken und handeln, zum Beispiel Stimmungen im Raum erfassen, Doppeldeutigkeiten im Zusammenhang interpretieren. Ein und derselbe Satz kann bei unterschiedlichen Menschen eine ganz andere Bedeutung haben. Auch bei identischen Äußerungen von Emotionen kann das so sein. All das kann eine KI nicht erfassen."

Nur ein menschlicher Therapeut könne schwer kranke Menschen durch anstrengende Veränderungsprozesse individuell begleiten, sagt Christina Jochim. Sie nennt ein Beispiel, wie es nicht laufen sollte. In den USA gab es eine Hotline für Menschen mit Essstörungen. Der Ratgeber war eine künstliche Intelligenz. Sie empfahl den Hilfesuchenden abzunehmen. Für die Therapeutin Christina Jochim war das ein fataler Rat: "Bei einer Essstörung Menschen zu raten, sie sollen abnehmen, ist potenziell lebensgefährlich. Eigentlich muss ich ja erkennen: Was teilt mir der Patient mit? Und: Wie kann ich ihm im Umgang mit seiner psychischen Erkrankung helfen? Das sind zwei unterschiedliche Dinge."

Dass ChatGPT die Psychotherapeuten ersetzen kann, sei heute nicht möglich. "Der Chatbot hat keinerlei Krankheitskonzept und hat auch keine Idee davon, wie man eine Therapie strukturieren kann", sagte etwa der Psychologe Kevin Hilbert vom Institut für Psychologie der HU Berlin in einem Interview mit der "Zeit" [Bezahlschanke].

Das ist der Stand heute - ob auch das in Zukunft so bleibt? Trotz ihrer Skepsis ist Psychologin Christina Jochim neugierig, welche Veränderungsprozesse durch ChatGPT und KI angestoßen werden. Aber sie sieht die Gefahr, dass KI irgendwann doch in der Therapie zum Einsatz kommen wird – um Kosten zu sparen.

Die umstrittene Hotline für Essstörungen in den USA wurde übrigens inzwischen eingestellt.

Sendung: rbb24 Inforadio, 06.06.2023, 07:55 Uhr

Beitrag von Wolf Siebert

17 Kommentare

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  1. 17.

    Ob das ein Fortschritt ist, wenn ich demnächst irgendeinen "Kundenservice" kontaktiere und mein Gegenüber nicht mehr ein Mitarbeiter in einem türkischen oder indischen Callcenter ist, sondern eine superschlaue KI? Der ist mein Problem dann doch ziemlich wurscht, Hauptsache sie findet ein paar Sätze, die zum Thema passsen und toll klingen, mit denen Sie mir dann antwortet. Gelöst wird damit kein Problem. Tolle Zukunft voraus!

  2. 16.

    Grundsätzlich werden computergestützte Technologien im sozialen Bereich daran scheitern, dass Soziales mit Emotion, also Gefühl zu tun hat und Gefühle eben nur authentisch Lebewesen mit Fleisch & Blut aufbringen können. Bei allem anderen ist es der Anschein eines "ob".

    Gefühlsmäßig angesprochen durch ChatGPT können nur recht gefühlskalte bzw. gefühlsmäßig "eingefrorene" Menschen werden, mithin solche, die sich mit oberflächlichen Worten locken lassen.

    Sprache war und ist schon immer mehr als eine bloße Mitteilung.

  3. 15.

    Langfristig bleibt nur die Hoffnung, dass Roger Penrose richtig liegt:
    Dem maschinellen Bewußtsein stellt Penrose den Gödelschen Satz in den Weg. Wie das Kind im Märchen weist er auf den Computer und ruft: Er ist ja nackt. Denn der Gödelsche Satz beweise: Es gibt eine Wahrheit, die sich dem Zugriff der Mathematik entzieht. Mit seiner Intuition könne sie der Mensch sofort erfassen. Den Transistoren hingegen werde sie ewig verschlossen bleiben. Selbst der aufwendigste Computer werde immer in dumpfer Bewußtlosigkeit seine gewaltigen Rechenkunststücke vollbringen.
    Und er meint weiter, des Menschen spezielle Fähigkeiten, lassen sich nur mit einer Physik erklären, die noch gar nicht entdeckt ist.
    Wir werden alle bald sehen ob die Biologie mehr ist als die Summe einfacher Schaltkreise. So oder so entscheiden sich damit auch alle göttlichen Fragen.

  4. 14.

    "ChatGPT vertritt wortgewandt auch Argumente, die falsch sind"

    Loriot würde sagen: "wie ein Politiker"

  5. 12.

    Wie hat für ihn die Menschheit in der Vergangenheit gearbeitet, es überlebt und bis hier geschafft?

  6. 10.

    Das entspricht auch meiner Erfahrung. Als Werkzeug eingesetzt ist ChatGPT für mich hilfreich. Aber man sollte sich nicht blind darauf verlassen. Die KI hilft mir zum Beispiel bei der Recherche, kann aber meine eigene Arbeit nicht ersetzen, wenn es seriös bleiben soll. Mit Texten habe ich die gleichen Erfahrungen wie im Artikel beschrieben gemacht. ChatGPT liefert ein Gerüst, das jedoch unbedingt überprüft und bearbeitet werden muss, bevor man es guten Gewissens veröffentlichen kann. Ohne eigene Kenntnis der Materie geht es eben (noch) nicht.

  7. 9.

    „Wir sparen viel Zeit. Denn normalerweise habe ich eine Idee, sitze aber erst mal vor einem leeren weißen Blatt, einer E-Mail, einem Konzept oder einem Förderantrag und müsste mir alles selbst aus den Fingern saugen.“
    So eine Aussage macht mich einfach nur fassungslos. Eventuell den Beruf verfehlt? Ich wünsche Herrn Walter, dass einige potenziellen Förderer diesen Artikel lesen …

  8. 8.

    KI ist ein Werkzeug. Ich setze seit Jahren DeepL zum Übersetzen ein. Englisch, Französisch, Italienisch. Ich kann die Sprachen aber auch selbst ganz brauchbar. Praktisch immer ändere ich die Übersetzung an einigen Stellen. Das beschleunigt trotzdem den Prozess um ein Vielfaches. Wer keine Ahnung hat, was das Übersetzte bedeutet, der läuft Gefahr völligen Blödsinn abzuliefern.

    ChatGPT hilft mir beim Programmieren, beim Texten, beim Verstehen von Zusammenhängen, bei der Kreativität. Vertrauen tue ich dem Ding nicht, alles muss verifiziert werden. Aber die Vorgänge werden enorm beschleunigt. Insofern ist es wie mit einem Presslufthammer: Wer ihn bedienen kann, der kann ihn hilfreich einsetzen. Der andere macht nur viel kaputt.

  9. 7.

    Das können Politiker auch.

  10. 6.

    Wobei KI in der Medizin auf jeden Fall eine Bereicherung sein kann, wenn sie entsprechend dirigiert bleibt.

  11. 5.

    KI wird schneller unser Leben beeinflussen als Politiker dafür entsprechende Regelungen treffen können.
    Schön jetzt merkt man, dass allerorten Menschlichkeit verloren geht und das selbstständige Denken zu anstrengend ist.
    Profitieren werden mal wieder die Wirtschaft und die Stellen, die Macht und Geld haben, um KI nach ihren Wünschen einzusetzen.
    Der weitere Möglichkeit, "richtige" Menschen einzusparen und die Bürger zu "betreuen".
    Ich bin nicht gegen Technik, aber KI macht mir Angst.

  12. 4.

    Ich spreche lieber mit Menschen und lasse mir auch lieber von Menschen helfen. Oder ich nutze Nachschlagewerke, es darf auch gerne ein Wiki sein.

  13. 3.

    ChatGPT ist bekannt dafür, zu "lügen" und dann entsprechende "Quellen" zu erfinden.

  14. 2.

    Braucht man sowas wirklich?

  15. 1.

    KI ist, wenn sie nicht endlich reglementiert wird, keine zukunftsweisende Technik sondern gefährlich. Siehe auch die Fiktion aus dem Film "I Robot". Keine Ahnung, was die Mehrheit der technikaffinen Leute antreibt, diese sich so entwickelnde KI ungehindert schalten und walten zu lassen. Fehlt nur noch, dass KI Rechte bekommt, die von den UN festgeschrieben werden - dann geht´s der MEnschheit wirklich bald schlecht - abgesehen vom Klimawandel. Ich hätte keine Lust, mich von irgendeinem Haufen Schaltkreisen reglementieren zu lassen.

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