Olympia 2024 - Psychologen-Team um Brit Wilsdorf steht Athleten in Paris zur Seite
Bei Olympia ist eine gesunde Seele erforderlich, um perfekte Leistung abliefern zu können. Daher verfügt das "Team D" über eigene Psychologinnen und Psychologen, die den Athletinnen und Athleten mit Rat und Tat zur Seite stehen. Von Jette John
- psychologische Unterstützung ist auch bei Olympia Gold wert
- "Team D" hat eine eigene Gruppe von "Welfare-Officern" im Olympischen Dorf dabei
- sie sehen sich als Ansprechpartner: in Krisensituationen, bei Schlafproblemen, wenn Belastungsfaktoren zu Ängsten und Panik führen
Brit Wilsdorf arbeitet bei den Olympischen Sommerspielen in Paris dort, wo die Athleten auf jeden Fall vorbeikommen. Direkt neben der Mensa im Olympischen Dorf. Unweit von Salatbar, Grillstation, und Baguette-Theke hat der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) seine Gesundheitszentrale eingerichtet. Mit Räumen für Sportmedizin, Physiotherapie sowie psychische Gesundheit und "Safe Sport".
Wilsdorf ist als eine von vier sogenannten "Welfare Officern" des deutschen Teams in Paris vor Ort - als Sportpsychologin und Psychotherapeutin. "Da sind wir erstmalig dabei und haben vom Internationalen Olympischen Komitee eine extra Akkreditierung erhalten", sagt die Berlinerin. "Es ist schön, dass der Bereich mentale Gesundheit und Safe Sport inzwischen vom IOC mitbedacht wird."
Wilsdorf kennt als ehemalige Leistungssportlerin den Druck
Brit Wilsdorf war früher selber Leistungssportlerin, Kanu-Rennsportlerin, mehrfache deutsche Meisterin, Junioren-Europameisterin. Eine Verletzung stoppte sie 2007. Sie kennt die Leistungssportwelt von innen und sie hat Erfahrung darin, sie von außen zu betrachten. Normalerweise arbeitet Wilsdorf an den Olympiastützpunkten in Berlin und Brandenburg als Sportpsychologin und Psychotherapeutin, in eigener Praxis und dazu beim Deutschen Kanu-Verband sowie beim Deutschen Wellenreitverband jeweils als Verbandspsychologin.
"Für Paris haben sich etwa 30 Athleten qualifiziert, mit denen ich sowieso zusammenarbeite", sagt die 37-Jährige. Zusammen mit dem Kollegen Christian Heiss, ebenfalls Sportpsychologe und Psychotherapeut vom Olympiastützpunkt Stuttgart, sowie Annika Bruhn und Birte Steven-Vitense ist Wilsdorf bei Olympia für alle Mitglieder des "Team D" zuständig, wie sich das deutsche Olympia-Team nennt.
Olympia ist das Größte, was es in der Wettkampfszene gibt
Die meisten Athleten bei den Sommerspielen haben schon Europa- oder Weltmeisterschaften erlebt. Aber: "Olympia ist einfach sehr, sehr viel größer. Bei vielen Sportarten ist die mediale Aufmerksamkeit anders als sonst. Plötzlich gilt: spot on. Es kommt vor, dass Sportler von diesen ganzen Reizen überflutet sind", erläutert Wilsdorf.
Sie sieht sich als Ansprechpartnerin in Krisensituationen, bei Schlafproblemen, wenn Belastungsfaktoren für Ängste, ja manchmal auch Panik bei Athleten sorgen. Der Berliner Rückenschwimmer Ole Braunschweig etwa, der eigentlich über enormes Selbstbewusstsein verfügt, erzählte kürzlich, er habe sich bei seinen ersten Olympischen Spielen in Tokio vor drei Jahren im Vorstartzelt vor Aufregung beinah in die Hose gemacht.
Nicht nur der Körper wird bei Olympia strapaziert
Seine Teamkollegin bei der SG Neukölln, Schmetterling-Weltmeisterin Angelina Köhler, hat sich mit Wilsdorfs Berliner Stützpunkt-Kollegin Monika Liesenfeld auf die Sommerspiele vorbereitet, auf den Druck, plötzlich von vielen zu den Favoritinnen gezählt zu werden. In Form sei sie, sagt Köhler: "Ich hoffe, dass mich meine ersten Spiele nicht erschlagen werden."
Nicht nur Bänder und Sehnen können unter Druck reißen, auch die Seele wird immens strapaziert. Auf die Sportler wirken viele Reize ein, neue Situationen, die sie belasten, ablenken oder verunsichern können. So begann die Zeit in Paris etwa für die deutschen Bogenschützinnen Katharina Bauer und Michelle Kroppen mit einem Schreck. Ihre Sportbögen wurden am Münchner Flughafen nicht in die Maschine eingeladen. Sie saßen erst mal ohne ihre Sportgeräte im Olympischen Dorf.
Auch online können Athleten beraten werden
"Großartiger Start", schrieb Bauer in den sozialen Medien. Nach der Qualifikation auf der imposanten Grünfläche der Esplanade des Invalides am Donnerstag, die für Einzel- und Mixed-Europameisterin Bauer nicht zufriedenstellend verlief, stellte sie fest: "Das Olympia-Debüt war aufregend. Ich habe es mir oft vorgestellt und immer versucht, cool zu bleiben. Aber als ich die ersten Pfeile geschossen habe, habe ich gemerkt, dass es vom Nervositätslevel etwas anderes ist."
"Es ist gut, dass die Athleten wissen, dass sie um Rat fragen können, wenn was ist", sagt Brit Wilsdorf. Ihre Beratung kann auch online stattfinden. "Wir bieten Vorbesprechungen, aber auch Nachbesprechung von Wettkämpfen an. Die Athleten nutzen das unterschiedlich."
Manchmal seien es ganz alltagspraktische Dinge, die weiterhelfen: "Koffer markieren, Whatsapp-Gruppe eröffnen, um Informationen zu bündeln. Wenn die Zimmer spartanisch sind, kann man sie netter einrichten. Ohropax helfen beim Schlafen, wenn andere Athleten noch spät feiern", zählt Wilsdorf auf.
"It’s okay to be not okay"
Da nur sechs deutsche Verbandspsychologen in Paris vor Ort sind, kontaktierten Wilsdorf und ihr Welfare-Officer-Kollege alle Verbände und Olympiastützpunkte vorab, machten Übergaben oder Kennenlerntermine aus. Außerdem stehen sie für die Kollegen zur Zweitmeinung und Intervision zur Verfügung. "Unsere Kontaktdaten sind in der Team-D-App integriert. Es geht darum ein Zeichen zu setzen, dass im Medical Team auch die mentale Ebene mitrepräsentiert ist", sagt Wilsdorf. "Es ist außerdem unsere Aufgabe, zu entstigmatisieren, auch zwischen den Olympischen Spielen.“
Seit dem Jahr 2019 ist viel passiert. Auch durch die Offenheit des amerikanischen Schwimm-Rekord-Olympiasiegers Michael Phelps, der von seinen psychischen Problemen, seinen Depressionen erzählte. Die japanische Tennisspielerin Naomi Osaka oder die amerikanische Turnerin Simone Biles setzten sich mit Kampagnen wie "It’s okay to be not okay" für mehr Beachtung der mentalen Gesundheit ein.
Umfrage: Jeder fünfte Athlet litt unter schlechter psychischer Gesundheit
Seither gab es IOC-Fortbildungen zum Thema. Die Athleten-Kommission des IOC stellte vorigen Oktober eine Hotline für psychische Gesundheit vor, die rund um die Uhr in 70 Sprachen und während einer vollständigen Olympiade zur Verfügung stehen soll. Die Ankündigung war ein Teilergebnis des Athletenforums 2023 in Lausanne. Dort wurde eine im Jahr zuvor erstellte Umfrage innerhalb der "Athlete-365-Community", der 130.000 Profisportler und Mitarbeiter angehören, vorgestellt. Demnach litt jeder fünfte Athlet unter einer schlechten psychischen Gesundheit.
Untersuchungen aus dem Jahr 2021 ergaben, dass nach eigenen Angaben etwa 45 Prozent der aktuellen und 26 Prozent der ehemaligen Spitzensportler von Angstzuständen und depressiven Symptomen betroffen sind. Etwa 35 Prozent der Spitzensportler erlitten psychische Krisen, die sich in Stress, Essstörungen, Angstzuständen, Depressionen oder Drogenkonsum äußern können.
"Jedes Land managt das anders"
Wilsdorf engagiert sich auch in der Prävention, der Früherkennung von Erkrankungen wie Essstörungen. Am Olympiastützpunkt Berlin und Brandenburg wird interdisziplinär und ganzheitlich an der sportpsychologischen Performance, Regeneration und Persönlichkeitsentwicklung aber auch der psychischen Gesundheit der Athleten gearbeitet. In der Charité gibt es mittlerweile ein interdisziplinäres Netzwerk Sportgynäkologie unter der Leitung von Bernd Wolfarth, in dem Kollegen aus der Endokrinologie, Gynäkologie, Sportmedizin, Ernährungs- und Trainingswissenschaft sowie Psychologie zusammen unterstützen.
Vor zwei Jahren erstellte Wilsdorf mit der früheren Olympia-Schwimmerin Petra Dallmann die Homepage "Athletes in Mind" mit Informationen zu psychischer Gesundheit im Leistungssport und Unterstützungsmöglichkeiten. In Paris will sie sich mit Kollegen aus verschiedenen Ländern austauschen, wie das Thema ausgebaut werden kann.
"Jedes Land managt das anders. Da gibt es gerade viel Austausch. Wir freuen uns total, dass die mentale Gesundheit mehr Aufmerksamkeit bekommt und dies auch unseren Berliner und Brandenburger Sportlern zugutekommt, weil sie sonst keine Betreuung vor Ort hätten", sagt Wilsdorf. "Die Hürde, sich Hilfe zu holen, ist ja oft noch sehr hoch. Wenn man das Gesicht dazu kennt, ist es einfacher."