Interview | Kunst am Bau - "Das baukulturelle Erbe der DDR wird zunehmend verdrängt"
Wenn der Staat als Bauherr auftritt, verpflichtet er sich, einen Teil der Baukosten in Kunst zu investieren. Das galt auch in der DDR. Viele der Werke verfallen aber. Martin Maleschka konserviert sie fotografisch. Im Brandenburger Landtag stellt er sie nun aus.
Martin Maleschka kommt aus Eisenhüttenstadt. Mit dem Baujahr 1982, wie er selbst sagt, hat er die DDR nur als kleines Kind erlebt. Nach dem Abitur hat er an der BTU in Cottbus Architektur studiert. Schon als Student hat er angefangen, Kunst am Bau aus DDR-Zeiten zu fotografieren. Seit zwei Jahren lebt der heute 40-Jährige wieder in seiner Geburtsstadt. Jetzt ist eine Ausstellung seiner Bilder bis zum 8. Dezember im Landtag Brandenburg zu sehen.
rbb: Dass Sie als Architekt einen leidenschaftlichen Blick auf eine von Architekten entworfene Reißbrettstadt haben, ist im Grunde selbstverständlich. Was hat Sie dazu gebracht, sich als Fotograf damit auseinanderzusetzen und den Blick auf die Kunst an den Bauten zu richten?
Martin Maleschka: Das war im August 2005 - ein sterbender Schwan im metaphorischen Sinne. Der Schwan war an der Giebelseite eines Plattenbaus. Genau an dem Tag, an dem ich da war, war die Hälfte des Plattenbaugiebels abgebrochen. Das Federkleid des Schwans, das aus Meißener Porzellankacheln bestand, war nur noch ein Betonschutthaufen. Und der Haufen hatte genau die Kurve und Form vom Rumpf des Schwans.
Das war wirklich dieser 'Moment of Thruth', ein Erweckungserlebnis. An dem Tag habe ich wirklich verstanden, dass ich zwar Architektur studiere und im besten Fall irgendwann etwas bauen soll. Gleichzeitig wurde mir aber bewusst, wie viel Baumasse parallel dazu eigentlich abgebrochen wird. Da habe ich einfach gedacht, du musst diese Dinge, die am Verschwinden sind, aufhalten.
Der Schwan an der Giebelseite des Plattenbaus ist ein Beispiel für Kunst am Bau. Zwei Prozent der Baukosten wurden in der DDR dafür ausgegeben. Wie wichtig war die Kunst für die Zeit?
Das hatte damals zunächst einen ideologischen Zweck. Die DDR, das war ein neuer Staat, eine neue Ideologie mit neuen Gebäuden, die nach sowjetischem Vorbild gestaltet wurden. Gerade in Eisenhüttenstadt konnte man diesen Reißbrettgedanken sehen. Die Summe, die bei den Planstädten aber für Kunst am Bau investiert wurde, hat sich im Laufe der Zeit immer weiter verringert. In den 80er Jahren waren es irgendwann nur noch 0,5 Prozent. Damit schwand später auch die Motivation der Künstlerinnen und Künstlern, noch etwas zu gestalten.
Weshalb wurde letztlich immer weniger Geld für die Kunst ausgegeben?
Das war unter anderem auch dem Baufortschritt und der Bautechnologie geschuldet. In den 50er Jahren baute man noch Stein auf Stein, also eher langsam. In den 60er Jahren war es dann die große und schnellere Blockbauweise. In den 70er und 80er Jahren kam dann die Plattenbauweise. Die Gebäude wurden deutlich schneller gebaut und deswegen musste auch schnell 'bekunstet' werden. Das gefiel nicht jeder Künstlerin oder jedem Künstler.
In den 50er oder 60er Jahren konnten viele noch auf Putz mit Pinseln und verschiedenen Pinselstärken malen. Das war eine feine Arbeit mit viel Aufwand. Da war die Kunst am Bau insgesamt noch figürlicher. In den 70er und 80er Jahren gab es dann vor allem Kacheln, die gesetzt wurden. Das ging schneller, war günstiger, aber für viele Künstlerinnen und Künstler eben nicht mehr so motivierend.
Wie frei war die Kunst am Bau in der DDR generell?
Eigentlich war die Kunst am Bau in einem ideologischen Kontext gedacht. Funktioniert hat das im Laufe der vier Dekaden der DDR aber nicht. Die Künstlerinnen und Künstler wollten auch selbst ihre Ideen verwirklichen. Das war im Grunde also immer ein Aushandlungsprozess. Vor allem ab den 70er Jahren hat sich die Kunst am Bau auch deswegen dann in eine Richtung eher geometrischer, formaler und abstrakter Werke entwickelt.
Martin Maleschka porträtiert "Kunst am Bau" der DDR
Sie haben selbst mit vielen Künstlern von damals gesprochen. Was bedeuteten diese Aufträge für sie und wie sind sie ans Werk gegangen?
In großen Industriezentren wurden Künstlerinnen und Künstler vom "Verband Bildender Künstler in der DDR" damit beauftragt, den Aufbau der Stadt künstlerisch zu begleiten. Wenn man solch einen Auftrag bekommen hat, dann wurden Entwürfe in Zusammenarbeit mit den Architektenkollektiven gemacht.
In den 70er und 80er Jahren entstanden so beispielsweise Typenbauten für Kindergärten. Wenn man in diese reinkam, dann gab es immer eine bestimmte Fläche, die für die Kunst vorgesehen war. Für Kinder gab es in der Zeit meist Motive aus Flora und Fauna. Das war da nicht so ideologisch oder politisch behaftet, wie eine wehende rote Fahne oder das Kommunistische Manifest. Damit konnte ein Kind nichts anfangen. Abgebildet waren also eher Igel, Hasen oder irgendwelche Märchen.
Es gab aber auch funktionsgebundene Kunst, vor allem in den Bereichen Chemie. In Schwedt zum Beispiel ging es vor allem um die Entstehung des Erdöls. Da wurde nah wie unter dem Mikroskop ran gezoomt an Plankton oder Ähnliches. Auf jeden Fall waren die Motive sehr fein und die Betitelung sehr groß.
Wie wichtig ist es, sich diese Kunst zu vergegenwärtigen und sie zu erhalten?
Sehr wichtig. Das aktuelle Interesse ist supergroß. Es gibt nach 1990 Geborene, die mich über Instagram fragen, wo ich einzelne Motive gefunden habe. Manchmal bekomme ich auch noch Hinweise, wo ich selbst etwas finden kann. Bei dem Interesse überrascht es auch nicht, dass es vor allem hier in Potsdam Diskussionen um die Fachhochschule, um das Haus des Reisens oder um das Rechenzentrum gibt. Wir sehen teils verstümmelte Gebäude und die junge Generation, die fragt jetzt natürlich. Es sind die Hinterlassenschaften von einem Land, das es nicht mehr gibt und das lädt zum Fragenstellen ein: nach der Politik, der Ideologie und historischen Bezügen. Das passiert vor allem da, wo der Umgang mit der Kunst am Bau nicht sehr wertschätzend war.
Es gibt ein Bild von Ihnen aus einer Turnhalle in Königs Wusterhausen - einst ein Schwimmbad. Da hat man vor das Kunstwerk eine Sprossenwand gebaut und Matratzen davor gelegt.
Bei diesem Beispiel haben sich die Nachnutzenden wahrscheinlich keine Platte über die Kunst gemacht. Ein Judoverein trainiert da. Für die Sprossenwand wurden Befestigungen in die bemalten Fliesen gebohrt und Matten davorgestellt. Das Bild ist durch die Sprossenwand noch schemenhaft zu sehen.
Wir haben aber auch andere Beispiele dabei, wie mit baubezogener Kunst umgegangen wird. Manche Sachen werden von einem Ort zum anderen gebracht. Manchmal sind es nur wenige Meter, manchmal aber sind es doch größere Distanzen. Das baukulturelle Erbe der DDR wird zunehmend aus dem Stadtzentrum nach außen hin verdrängt. Sehr vieles ist schon sehr schnell weggekommen. Heute braucht es eine kritische Masse, um noch etwas zu erhalten.
Was müsste Ihrer Meinung nach also geschehen mit der Kunst am Bau aus der DDR-Zeit?
Ich wünsche mir, dass eine Art Fonds für baubezogene Kunst aus der DDR im Land Brandenburg eingerichtet wird. Mit diesem sollten flächendeckend alle baubezogenen Kunstwerke erfasst werden. Und mit diesem sollte man sich für den Erhalt und die Sicherung einsetzen. Ein Pilotprojekt gab es bereits in Schwedt. Jetzt gibt es Projekte für Eisenhüttenstadt, Cottbus und für Frankfurt (Oder). Demnächst gibt es das wahrscheinlich auch für Potsdam.
In den 90ern und Anfang der 2000er ist so viel weggekommen. Jetzt muss man von den Resten, die man noch hat, zehren. Nicht alles ist erhaltenswert. Man braucht aber eine gut gesammelte Basis, um dann auswählen zu können. Eigentlich ist nichts dringender, als jetzt damit anzufangen.
Das Interview führte Andreas Hewel. Bei der vorliegenden Form handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Form.
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 25.01.2023, 19:30 Uhr