Europawahl in Polen - "Acht Jahre lang eine europa-skeptische Regierung - wir sind müde davon"
In vielen EU-Ländern sind rechte Parteien auf dem Vormarsch. In Polen wurden die Konservativen bei der Parlamentswahl abgelöst. Dennoch geht das Ringen mit den liberalen Kräften auch bei der Europawahl weiter - so auch in Slubice.
Nicht nur in Deutschland, sondern auch in den anderen EU-Ländern sind die Bürger am Sonntag zur Wahl des Europaparlaments aufgerufen. Im Nachbarland Polen ist der Gang zur Urne mittlerweile fast Routine. Denn erst im April gab es Regionalwahlen, im Herbst vergangenen Jahres die Parlamentswahl. Dennoch wird auch für die nun anstehende Abstimmung mit Spannung auf die Ergebnisse geschaut.
Prognosen zufolge bahnt sich erneut ein Kopf-an-Kopf-Rennen in dem politisch gespaltenen Land zwischen der pro-europäischen Regierungspartei von Donald Tusk und der europa-skeptischen PiS-Partei von Jaroslaw Kaczynski an.
Deutschland und Polen rücken durch EU-Projekte zusammen
Vor allem junge Polen konnten in der Vergangenheit von Fördermaßnahmen der EU profitieren, wie beispielsweise Freizeit-Attraktionen in Frankfurts Nachbarschaft Slubice zeigen. Mit Tretrollern und Boards saust eine Gruppe Kinder dort über die Rampen eines brandneuen Skateparks. Mit dem Begriff "EU" verbinden die jungen Slubicer nur Positives. Die Abkürzung der Staatengemeinschaft ist für sie sofort verständlich. "Ja, das ist schon eine gute Sache, wenn ich an Europa denke", sagt der zehnjährige Bartek.
Neue Sportanlagen, bessere Infrastruktur - die meisten Menschen in Slubice wissen, dass EU- Fonds die Stadtentwicklung vorangetrieben haben. Marzena Slodownik, die neue Bürgermeisterin der Stadt ermutigt zum Wahlgang. Slodownik selbst wurde erst im April als Kopf eines bürgerlichen Bündnisses ohne Unterstützung großer Parteien ins Amt gewählt und sieht sich selbst als Brückenbauerin.
Nun möchte sie, dass Slubice zusammen mit Frankfurt (Oder) durch viele gemeinsame Projekte zu einer europäischen Vorzeige-Stadt wird. "Gemeinsame Verkehrsverbindungen, wie Busse und Bahn, sind sehr wichtig, damit der Autoverkehr insgesamt weniger wird", sagt Slodownik. "Dann vielleicht ein modernes deutsch-polnisches Kulturzentrum und vor allem wollen wir ein neues Schwimmbad bauen - das natürlich auch die Frankfurter nutzen könnten."
Polnische Stimmen mit verschiedenen Motiven
Die meisten Fördermittel aus der EU sind bisher in die Modernisierung des örtlichen Krankenhauses und das Wasserwerk der Stadt geflossen. Doch auch Bildungs- und Betreuungsstätten, wie der deutsch-polnische Kindergarten, haben finanzielle Zuwendungen bekommen. Und das verpflichtet, zur Europawahl zu gehen, sagt Katarzyna Misiura.
Sie ist die Mutter eines Kindes, das im bilingualen Kindergarten betreut wird. "Außerhalb der EU zu sein, das wäre ein Rückschritt. Die EU zu verlassen, hätte keine Vorzüge für uns. Daher denke ich, ist es wichtig, zur Wahl zu gehen und auch diese Pflicht wahrzunehmen."
Auch wenn die Werbekampagne in der Grenzstadt etwas schleppend verläuft, wollen viele Einwohner am Sonntag ihre Stimme abgeben, so der Tenor einer rbb-Straßenumfrage am vergangenen Wochenende. Und jeder hat seine eigenen Gründe, an der Wahl teilzunehmen.
Eine Passantin erklärt: "In Brüssel sitzen jetzt noch die Falschen. Diejenigen, die hier politische Skandale zu verantworten haben, und schnell nach Brüssel umgezogen sind, sollten zurückkommen und sich erstmal ihrer Verantwortung stellen." Auch so mancher Europa-Skeptiker will an die Urne treten. Einer von ihnen ist Pawel Burakowski. "Ich wähle mit der Hoffnung, dass sich gravierend was ändert", sagt der Slubicer. "Dass die Dominanz solcher Staaten wie Deutschland oder Frankreich in der EU beendet wird und dass alle Staaten gleichgestellt werden. So ist es bis jetzt leider nicht."
Brandenburg-nahe Region wählt liberaler
Bei der letzten Europawahl 2019 hatte die konservative PiS polenweit mit 45,4 Prozent der Stimmen den Sieg gegen die Opposition um den ehemaligen EU-Ratspräsident Donald Tusk mit 38,5 Prozent errungen. Bei der Wahl für das polnische Parlament im vergangenen Oktober ist die PiS zwar ebenfalls stärkste Kraft geworden - verfehlte aber die absolute Mehrheit gegen das Bündnis der Oppositionsparteien aus Tusks Bürgerkoalition (KO), dem christdemokratischen Bündnis Dritter Weg und der Linken [tagesschau.de].
Das war mit dem Versprechen angetreten, demokratische Rückschritte der Vorgängerregierung rückgängig zu machen, Rechte von Frauen und Minderheiten zu stärken und die Beziehungen gen Westen zu verbessern. Auch bei der letzten Kommunalwahl hatte das Bündnis dann die Nase knapp vorn. Im Brandenburg-nahen Raum im Westen des Landes war der Zuspruch für die Liberalen dabei besonders deutlich. In der Wojewodschaft Westpommern kam die KO beispielsweise auf 38,9 Prozent, gegenüber der PiS mit 25 Prozent.
Auf die Pro-Europäer zählt nun auch die Slubicer Bürgermeisterin Slodownik am 9. Juni beim Kampf um die 53 polnischen Sitze im Europaparlament. "Acht Jahre lang hatten wir jetzt in Polen eine europa-skeptische Regierung und ich glaube, wir sind einfach müde davon", so Marzena Slodownik. Die Konflikte beiseitelegen, mehr Harmonie zwischen Polen und der EU herstellen – das sei ihr zufolge der große Wunsch in Slubice.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 04.06.2024, 19:30 Uhr
Mit Material von Magdalena Dercz