Galerist über Preise für Kunstwerke - "Ich verstehe, dass man das erstmal nicht versteht"
Kunstpreise wirken meist exorbitant hoch, und es scheint oftmals rätselhaft, wie sie überhaupt zu Stande kommen. Dabei ist es eigentlich ganz einfach, sagt Experte Pay Matthis Karstens - und rät, es selbst einmal mit dem Kunstkauf zu probieren.
rbb|24: Ende November wurde "Comedian" versteigert, ein Werk des italienischen Künstlers Maurizio Cattelan. Der Preis betrug 6,2 Millionen Dollar. Dabei ist "Comedian" keine Marmorskulptur und auch kein Ölgemälde, sondern eine Banane, die mit Klebeband an einer Wand befestigt wurde. Nicht wenige fragten sich da: Wie bitte kommt so ein Preis zustande?
Pay Matthis Karstens: Ich verstehe, dass man das erstmal nicht versteht, finde es aber tatsächlich gar nicht so skandalös, wie es häufig dargestellt wird.
Weil Sie ein sehr großer Bananenliebhaber sind?
Der Materialeinsatz steht natürlich in einem eklatanten Missverhältnis zum Preis, der hier aufgerufen wurde. Man sollte sich aber vor Augen rufen, dass das immer so ist. Wenn Sie vor einem Bild von Claude Monet stehen, dann sind das ein paar Latten, ein wenig Leinwand und ein bisschen Ölfarbe. Ich verstehe, warum sich viele Menschen damit so schwer tun. Aber dass wir einem Namen, einem Konzept, einen Wert zuschreiben, ist in der Kunst üblich.
Die Banane, die bei der Auktion zu sehen war, hat 25 US-Cent gekostet. Und womöglich stört die Menschen ja auch, dass keine richtige Arbeit zu erahnen ist hinter diesem Kunstwerk. Monet soll wenigstens ein paar Stunden an seiner Leinwand gestanden haben.
Natürlich ist das Prinzip bei Maurizio Cattelan auf die Spitze getrieben. Aber eigentlich ist es immer dasselbe: Wir wissen, dass Picasso mit gefundenen Stöckchen und kaputtem Porzellan ganz tolle Kunst gemacht hat, indem er sie zusammengefügte. Und ich würde andersherum sagen: Es entsteht auch schlechte Kunst aus sehr teurem Material. Das Spannende ist doch immer, wenn es ein Spannungsverhältnis gibt. Und genau das ist bei dieser Banane der Fall.
Nun war diese Auktion vor allem ja auch eine Ausnahme. Die meiste Kunst ist doch eher günstiger. Das wirft die Frage auf: Wie entscheidet zum Beispiel ein Galerist, das Werk eines Künstlers für 15.000 Euro statt für 5.000 Euro anzubieten?
Wir müssen zunächst einen Schritt zurücktreten. Bei der Banane reden wir von einem Auktionsergebnis. Das ist am Ende oft gar kein Marktpreis mehr. Sondern der Preis, den eine Person im Wettstreit mit anderen Personen bereit war, zu zahlen. Es ist ganz wichtig, sich bewusst zu machen, dass ein Auktionspreis auch immer nur zu einem gewissen Zeitpunkt von einer ganz gewissen Person unter gewissen Umständen bezahlt wird. Vielleicht am Tag vorher nicht und vielleicht auch nie wieder.
Aber für den Marktpreis gibt es so etwas wie eine Formel?
Grundsätzlich ist der Karrierepunkt eines Künstlers ganz entscheidend. Haben wir es mit einem jungen Künstler zu tun, bei dem man nicht recht weiß, ob das stabil bleibt? Also macht jemand mit 26 gerade erste Schritte, dann spiegelt sich das in einem niedrigen Preis wieder. Wenn diese Person ihre erste institutionelle Ausstellung hatte, wenn da vielleicht noch zwei wichtige, internationale Galerien als Vertretung auf anderen Kontinenten mit hinzukommen, dann wäre das ein guter Grund, um den Preis peu à peu raufzusetzen.
Klingt trotzdem so, als würden sich Künstler und Galerist zunächst einmal hinsetzen und zusammen einen Preis auswürfeln.
Der Markt ist da viel transparenter, als man das von außen vielleicht wahrnimmt. Das funktioniert über den sogenannten Faktor.
Wie berechnet man den?
Nehmen wir an, wir sind bei jemandem, der zeichnet und malt. Dann addiert man Höhe und Breite des Bildes und multipliziert das mit dem Faktor. Der Absolvent einer Kunstakademie zum Beispiel hat vielleicht einen Faktor von zehn oder fünfzehn. Bei einem Bild von 1x1 Meter kommen wir damit bei 3.000 Euro raus. Und dieser Faktor bleibt so lange stabil, bis sich etwas Gravierendes ändert.
Was könnte das zum Beispiel sein?
Sollte der junge Künstler, den wir uns hier vorstellen, nun eine wichtige Ausstellung in einem wichtigen deutschen oder europäischen Museum haben oder auf der Biennale vertreten sein, sollte er vielleicht noch eine internationale Galerie hinzubekommen und auf Auktionen auftauchen, weil der Primärmarkt die Nachfrage gar nicht bedienen kann, dann kann man für jeden dieser Punkte zehn bis fünfzehn Prozent draufschlagen.
Wenn wir bei Prozentpunkten sind: Wie teilt sich der Erlös eigentlich auf? Was bleibt beim Künstler hängen?
Wenn wir bei den klassischen Medien bleiben - zum Beispiel bei einem Gemälde - dann gehen 50 Prozent an den Künstler und 50 Prozent an die Galerie. Bei Skulpturen, zumindest sobald es eklatante Produktionskosten sind, ist es oft eine Drittellösung: Künstler, Galerie, Herstellung.
Was würden Sie jemandem raten, der noch nie Kunst gekauft, aber Interesse daran hat? Wie und wo fängt man das an? Was muss man mindestens investieren?
Zunächst sollte man vor allem schauen, wo der eigene Geschmack liegt. Man muss diesen Schritt wagen, er tut nicht weh, und möglichst viel sehen - in Museen und Galerien. Und dann gibt es zwei ideale Einfallsschneisen: Die erste, und deutlich günstigere, sind die Rundgänge der Kunsthochschulen.
Auf denen die Studierenden zum Abschluss eines Jahrgangs oder einer Klasse ausgewählte Arbeiten ausstellen? Zum Beispiel der Kunsthochschule Weißensee oder der Universität der Künste.
Dort kommt man wunderbar mit den Künstlern ins Gespräch. Und wenn einem etwas gefällt, kostet das meistens ein paar hundert Euro, teilweise sogar weniger.
Und die zweite Einfallsschneise?
Wäre, in den Austausch mit Galerien zu treten. Nach Künstlern und Preisen fragen und nur keine Hemmung!
Schaut man auf die internationalen Umsatzzahlen, werden 80 Prozent aller Erlöse in China, den USA und Großbritannien erzielt. Deutschland macht drei Prozent aus. Berlin hat sich immer als kreative Stadt verstanden. Überträgt sich das auf den Kunstmarkt? Welchen Stellenwert hat Berlin da?
Berlin war immer die Stadt der Produktion. Auch die Stadt toller Museen und Galerien. Aber nicht unbedingt die des Marktes.
Ihr Plädoyer für den Besitz von Kunst?
Es lebt sich mit einfach besser als ohne. Kunst ist ein ganz spannender Seismograph für die eigene Haltung, das eigene Empfinden. Dabei muss sie gar nicht teuer oder Teil des Kanons sein. Es kann etwas sein, wozu man sich warum auch immer hingezogen fühlt. Ich kann es nur empfehlen.
Mit Pay Matthis Karstens sprach Ilja Behnisch für rbb|24.