Jüdisches Museum in Berlin - Kafka illustrieren streng verboten
Wie kann es gelingen, einen Zugang zu Kafka zu finden? Im Kafka-Jubiläumsjahr sucht die Ausstellung "Access Kafka" im Jüdischen Museum Berlin Antworten in der zeitgenössischen Kunst und zeigt zum ersten Mal originale Zeichnungen von Kafka. Von Marie Kaiser
"Wer Künstler werden will, melde sich!": Dieser Aufruf ist auf der Treppe zum Ausstellungsraum in großen Buchstaben an die Wände plakatiert. Es ist ein Zitat aus Franz Kafkas unvollendeten Roman "Der Verschollene (Amerika)". Doch beim Betreten der Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin stellt sich prompt Ernüchterung ein. Dort ist eine Wand lückenlos mit roten Schildern bedeckt, auf denen die Worte "No positions available" ("Keine Stellen verfügbar") stehen. Diese Installation der pakistanisch-britischen Konzeptkünstlerin Ceal Floyer ist ein bissiger Kommentar zur fehlenden Zugänglichkeit der Kunstwelt, in der nur einige wenige Auserwählte von der Kunst leben können.
Für Shelly Harten, die Kuratorin der Ausstellung, greift die Installation aber auch direkt ein Thema auf, das den Schriftsteller beschäftigt hat. "Für die Ausstellung habe ich selbst einen Zugang gesucht zu Kafka und beim Lesen gemerkt, dass das Thema Zugang und die Verweigerung von Zugang sehr präsent sind in Kafkas Biografie, aber auch in seinen Werken." Es sei ein gegenwärtiges Thema, ob im privaten oder öffentlichen Bereich, im Politischen oder in der Wirtschaft, so Harten. In einem von Kafkas Werken droht seiner Romanfigur Josef K. zum Beispiel der Prozess (im gleichnamigen Roman), ohne dass er wüsste, warum er eigentlich angeklagt wird. Als Gregor Samsa ("Die Verwandlung") sich in ein Ungeziefer verwandelt, wird er von seiner Familie ausgegrenzt.
Originale Kafka-Zeichnungen zum ersten Mal in Deutschland
Eine winzige Zeichnung von Kafka bringt das Paradox gleich zu Beginn der Ausstellung auf den Punkt, die fast wie ein Piktogramm wirkt. Zu sehen ist ein schwarzes Männchen, das vor einer Art Gitter steht und nicht weiter kommt. Mit den Armen hinterm Rücken verschränkt wirkt es wie ein Gefangener. Und doch scheint es, als könne das Männchen sich auch umdrehen und am Gitter vorbeilaufen, das eine kleine Lücke lässt. Diese Zeichnung aus dem Kafka-Archiv in Jerusalem wird zum ersten Mal überhaupt in Deutschland gezeigt.
Ein Gespräch zwischen Wort und Bild
Insgesamt 30 Originale aus den drei großen Archiven des Kafka-Nachlasses aus Jerusalem, Marbach und Oxford wurden für die Ausstellung nach Berlin geholt. Um sie herum gruppieren sich Arbeiten bekannter zeitgenössischer Künstler:innen wie Hito Steyerl, Anne Imhoff, Maria Lassnig oder Yael Bartana. Shelly Harten ist überzeugt: "Kafka und die Gegenwartskunst sprechen oft die gleiche Sprache. Er schreibt in Bildern, er denkt in Bildern. Und die Künstlerinnen und Künstler haben eine ähnliche Art, sich auszudrücken." So entstehe ein Gespräch zwischen Wort und Bild, in das sich auch die Besucher:innen einfügen könnten.
Ein Karussell mit Folterqualitäten
Auch Martin Kippenberger, einer der einflussreichsten deutschen Künstler der Nachkriegszeit, ist mit einer Arbeit vertreten. Eine Art Karussell mit Folterqualitäten, das Teil von Kippenbergers Installation "The Happy End of Franz Kafka's Amerika" war, mit der sich der Künstler direkt auf Kafkas unvollendeten Roman "Der Verschollene (Amerika)" bezog. Auf kunterbunten Holzschienen fährt eine Art Schleudersitz immer im Kreis herum und dreht sich dabei zusätzlich um sich selbst. Gesteuert wird das Konstrukt von einem Pult aus mit einer Kurbel. Wer kurbelt hat die Macht, über Geschwindigkeit und Dauer der Fahrt zu bestimmen. Wer das Pech hat, im Schleudersitz Platz nehmen zu müssen, ist dagegen vollkommen ausgeliefert und fremdbestimmt - ohne zu wissen, wann die wilde Fahrt endet.
Ganz selbstbestimmt angelegt ist hingegen der Weg durch diese Ausstellung, die über die zeitgenössische Kunst einen frischen Blick auf Kafkas Werk wirft. Es gibt keinen vorgegebenen Rundgang. Den Besucherinnen und Besuchern ist es selbst überlassen, Bezüge zwischen Kafka und der Kunst herzustellen und zu entscheiden, welche Themen vertieft werden sollen. Vom großen Hauptraum führen Durchgänge in kleinere Ausstellungsräume, in denen Kafkas Verhältnis zum Wort, zum Gesetz, zum Judentum oder zum Körper beleuchtet werden.
Auf Infografiken wird Kafka-Wissen mit Piktogrammen und in Stichworten ganz kompakt aufbereitet. So erfahren Besucherinnen und Besucher, dass Kafka sehr gern schwamm, extrem lärmempfindlich war und jeden Bissen 32 Mal kaute. Oder, dass der Grundriss der Wohnung von Kafkas Eltern in Prag exakt derselbe war, wie der der Wohnungen von Gregor Samsas Familie in "Die Verwandlung".
Kafkas Illustrationsverbot
Zu sehen ist auch ein Brief aus dem Jahr 1915, den Franz Kafka an seinen Verleger schrieb mit einem entscheidenden Hinweis zum Titelbild von "Die Verwandlung". "Das Insekt selbst kann nicht gezeichnet werden. (....) nicht einmal aus der Ferne", verfügt Kafka. Shelly Harten erklärt das im Interview mit rbb24 so: "Kafka wollte nicht illustriert werden. Er hat ein Illustrationsverbot ausgesprochen. Stattdessen hat er vorgeschlagen, eine leicht geöffnete Tür zu zeigen, die den Blick auf den verwandelten Gregor Samsa nicht preisgibt". Auf einem Holztisch liegen Papier und Bleistifte parat - mit der Aufforderung "Versuchen Sie den Anfang von Kafkas Erzählung 'Die Verwandlung' zu illustrieren. Sie werden scheitern - die besten Bilder bleiben in Ihrer Vorstellung."
Sendung: Radio3, 12.12.2024, 7:40 Uhr