Kurz und eisig - Keiner klebt allein - Wahlkämpfer in Sorge vor Gewalt
Ab der Nacht von Samstag auf Sonntag dürfen Wahlplakate für die Bundestagswahl aufgehängt werden. In Berlin ist es der fünfte Wahlkampf in drei Jahren. Nicht einfach zu schultern für die Parteien – vor allem bei Winterwetter. Von Tobias Schmutzler
"Darf ich Ihnen einen Kugelschreiber schenken?" Obwohl Mario Rhode auf dem Wittenbergplatz kostenlose Stifte im Angebot hat, laufen viele Passanten wortlos an ihm vorbei. Für den Landesvorsitzenden der Freien Wähler in Berlin ist das ein Vorbote, wie die kommenden Wochen ablaufen werden. "Das Wetter wird es schwierig machen, den Wahlkampf zu bestreiten, und dann ist da der Zeitfaktor: Bis zum 23. Februar ist nicht viel Zeit, Menschen zu überzeugen", sagt Rhode.
Nur wenige bleiben an diesem Nachmittag stehen, um sich kurz über die politischen Forderungen der Freien Wähler zu informieren. Die Partei will unter anderem den Steuerfreibetrag für Erwerbstätige und Rentner fast verdoppeln, die Migration begrenzen und den sozialen Wohnungsbau verstärken. Zwei bis zweieinhalb Prozent der Zweitstimmen wollen die Freien Wähler in Berlin bekommen – und über drei bis vier Direktmandate, die sie in Bayern gewinnen wollen, in den Bundestag einziehen.
Für die kleinen Parteien ist der kurzfristig anberaumte Wahlkampf nochmal schwieriger zu schultern als für die etablierten. Kleinparteien haben meist viel weniger Personal und Budget. Diejenigen, die bisher keine Abgeordneten in Landtagen oder im Bundestag haben, müssen zudem bis zum 20. Januar 2.000 Unterschriften in Berlin sammeln.
Heiße Phase des Bundestagswahlkampfs beginnt
Ab der Nacht von Samstag auf Sonntag dürfen die Parteien Wahlplakate aufhängen. Damit beginnt die heiße Phase des Bundestagswahlkampfs. Direkt nach Mitternacht geht es für alle Parteien darum, sich die besten Plätze an den Laternenmasten zu sichern. In Berlin startet damit bereits der fünfte Wahlkampf in drei Jahren; es gab zuletzt zwei reguläre Wahltermine und zwei Wiederholungswahlen. Der anstehende Wahlkampf ist zudem der dritte in einem Winter in Folge.
"So viele Wahlkämpfe in so kurzer Frist – das ist für die Ehrenamtlichen eine große Herausforderung", sagt Jan-Marco Luczak, der die Berliner CDU in die Bundestagswahl führt. "Es wird früher dunkel. Wir müssen versuchen, die Leute bei Tageslicht zu erreichen. Und wir brauchen dicke Socken und Unterwäsche, wenn wir stundenlang auf den Plätzen stehen." 4.000 Plakate und 8.000 Kabelbinder haben Luczak und sein Team in Tempelhof in einer leerstehenden Wohnung zwischengelagert. Rund 100 Ehrenamtliche werden sie ab der Nacht von Samstag auf Sonntag auf die Straßen zu bringen.
Über 100.000 Wahlplakate in Berlin
Wahlkampf ist, auch in Zeiten von Social Media, immer noch eine Materialschlacht mit Papier und Plastik. Über 100.000 Wahlplakate dürften ab nächster Woche dann in Berlin hängen. Auf rbb-Anfrage teilte die CDU mit, sie werde etwa 40.000 Plakate aufhängen. Die Linke plant 24.000, die Grünen 20.000, die FDP 17.000, die AfD 14.000 und das BSW 7.000. Die SPD machte keine Angabe.
Auf die Frage nach dem Wahlkampfbudget des Berliner Landesverbands antworteten drei Parteien: Die Grünen verfügen über 730.000 Euro, die FDP über 500.000 Euro und Die Linke über 300.000 Euro. CDU, SPD, AfD und BSW machten entweder keine Angabe oder verwiesen darauf, dass die Bundesparteien das Gros des Budgets zur Verfügung stellten.
Sorge vor Gewalt im Wahlkampf
Auch in der Geschäftsstelle des Linken-Bezirksverbands in Spandau stehen meterhohe Stapel mit über 1.000 Plakaten in der Ecke. Die Mitglieder besprechen an diesem Abend die Wahlkampf-Einsätze der nächsten Wochen. Haustürgespräche und Koch-Aktionen sind geplant. "Wir sind geübt, durch die letzten Jahre. Wir haben genug Kaffee, Glühwein und Tee eingekauft. Bei uns wird keiner am Stand frieren", sagt Marc Mattern aus dem Linken-Bezirksvorstand.
Aber auch auf unangenehme Ereignisse werden die Ehrenamtlichen vorbereitet, zum Beispiel auf mögliche Angriffe gegen Plakatierende. "Gewalt ist schon ein großes Thema“, sagt Mattern. "Im Europawahlkampf gab es viele Übergriffe auf Abgeordnete und Ehrenamtliche, auch aus anderen Parteien. Deshalb haben wir klare Regeln aufgestellt: Keiner geht alleine plakatieren. Und zu späten, dunklen Zeiten schaut man, dass man in größeren Gruppen auf jeden Fall unterwegs ist.“ Der kurze, eisige Winterwahlkampf beginnt jetzt – und er wird sicher hart, aber hoffentlich auch fair ablaufen.
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