Interview | Bundestagswahl 2025 - "Die Jüngeren könnten beim nächsten Mal wieder ganz anders wählen"

Bei der Bundestagswahl 2021 waren FDP und Grüne bei jungen Wählern beliebt, dieses Jahr haben vor allem die Linke und die AfD bei Erstwählern gepunktet. Politikberater Martin Fuchs erklärt, warum sich das bei der nächsten Wahl wieder ändern kann.
Die Parteien der demokratischen Mitte haben bei jungen Wählerinnen und Wählern an Boden verloren, dafür fahren vor allem Linke und die AfD bei jungen Menschen Spitzenwerte ein. Wahlexperte Martin Fuchs erklärt im Interview mit rbb|24, wie es zu der politischen Polarisierung der jungen Wähler:innen kommen konnte und warum der Wahlkampf im Internet nicht die einzige Erklärung dafür ist.
rbb|24: Herr Fuchs, 2021 haben junge Wähler vor allem die Grünen und die FDP gewählt – diesmal waren die Parteien deutlich weniger attraktiv als die AfD, die schon seit den Europawahlen bei jungen Menschen punktet. Andererseits hat die Linke viele Erstwähler:innen überzeugt. Wie erklären Sie sich die Polarisierung nach links und rechts?
Martin Fuchs: Das Wahlverhalten jüngerer Wähler ist tatsächlich sehr sprunghaft und wir können beobachten, dass Parteibindungen massiv abgenommen haben. Bei dieser Wahl haben junge Wählerinnen und Wähler vor allem für Linke und AfD gestimmt. Für die Parteien der demokratischen Mitte heißt das im Umkehrschluss aber nicht, dass sie die jungen Wählerinnen und Wähler dauerhaft an Populisten und Extremisten verlieren, sie können sie zurückgewinnen.
Andererseits ist es extrem schwer, die Zielgruppen zu adressieren und für eine Partei zu begeistern. Die Gruppe der "Jungwähler" ist nicht homogen, die Ansprache muss sehr kleinteilig erfolgen und über neue Formate und Plattformen. Dies kostet im Vergleich zu anderen Zielgruppen viel mehr Ressourcen, die die Parteien eher anderweitig investieren, zum Beispiel in Zielgruppen, die größer sind und eine höhere Wahlbeteiligung haben.
Was haben AfD und Linke im Wahlkampf richtig gemacht? Geht es vor allem um Präsenz in sozialen Netzwerken?
Das ist ein Faktor, aber nicht der einzige. Der Erfolg der Linken basiert vor allem darauf, dass es ihnen gelungen ist, sich mit ihren eigenen klaren Themen zu profilieren, dem Mietendeckel und der sozialen Gerechtigkeit, diese Themen brennen sehr vielen jungen Menschen unter den Nägeln. Das hat junge Leute überzeugt, weil sie sich gesehen gefühlt haben, gerade auch durch Heidi Reichinneck, einer Spitzenkandidatin, die seit über drei Jahren schon eine extreme Größe im digitalen Bereich ist und die es versteht, authentisch aufzutreten.
Hinzu kommt, dass der Mietwucher-Rechner und der Nebenkosten-Rechner der Linken ganz konkrete digitale Angebote sind, die die jungen Menschen erreichen. Andererseits haben linke Kultfiguren, wie Gregor Gysi geholfen, vor der Wahl einen gewissen Hype zu generieren. Das Ganze hat einen selbstverstärkenden Effekt. Du schaffst es digital eine Welle zu erzeugen, dann werden die Säle voll, du kannst Bilder mit langen Schlangen vor dem Eingang produzieren und diesen Erfolg wiederum teilen. Im Ergebnis hat die Linke seit dem Ampel-Aus weit über 30.000 hauptsächlich junge Parteimitglieder hinzugewonnen.
Mieten und soziale Gerechtigkeit zählen andererseits nicht zu den Steckenpferden der AfD. Was macht die Partei bei jüngeren Menschen beliebt?
Bei der AfD ist es der Klassiker, sie spricht Menschen an, die sich von der gesellschaftlichen Transformationen am meisten gebeutelt fühlen und versteht es, dann den Menschen ein klares und deutliches Angebot zu machen: Ihr müsst euch nicht ändern, ihr seid korrekt so wie ihr seid. Stattdessen muss sich nach Auffassung der AfD die Welt ändern, damit es uns allen besser geht. Wenn es weniger Ausländer und queere Menschen gibt und wir den Klimawandel nicht so wichtig nehmen, dann ist das die Lösung unserer Probleme. Das ist eine klare, sehr verständliche Vision, die gerade auch bei jungen Wählenden sehr anschlussfähig ist.
Grob gesagt wurde in Berlin linker gewählt als in Brandenburg. Worin unterscheiden sich die Interessen der jungen Wählerschichten in den beiden Bundesländern?
In der Analyse der Wahlergebnisse können wir schon sehr deutlich sehen, dass wir Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Wählenden haben, aber natürlich auch zwischen Stadt und Land. In der Stadt gibt es mehr Gehör für linke und progressive Themen wie Feminismus, Gleichberechtigung oder Minderheitenschutz, Spitzenkandidatinnen wie Heidi Reichinneck die als Feministin auftritt, kommen da deutlich besser an.
In ländlicheren Regionen, wie in vielen Brandenburger Landkreisen sind die Hauptgegner die Grünen und die Linken, die die Transformationen in diesem Land vorantreiben wollen, während sich die Wählenden selbst dort als Verlierer dieser Transformationen wahrnehmen. Die Angst um den sozialen Abstieg, die Wahrnehmung, dass der Politik der ländliche Raum nicht wichtig ist und die Erfahrung, dass jetzt auch gesellschaftliche Minderheiten mit am Tisch sitzen und mit gleichwertiger Stimme mitdiskutieren, erzeugt ein Gefühl, dass die eigene Relevanz abnimmt und die Politik sie vernachlässigt.
Inwiefern unterscheidet sich das Wahlverhalten junger Frauen und Männer?
In der Forschung können wir schon seit 2017 beobachten, dass junge Frauen eher linke und progressive Parteien wählen, junge Männer dagegen häufiger konservativ. Dieser Unterschied wird auch "Modern Gender Gap" genannt. Themen wie radikaler Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und Feminismus sprechen viele Frauen stärker an, weil viele dieser Themen Frauen in ihrem Alltag einfach viel direkter betreffen. Männern ist laut Forschung eher wirtschaftliche Vitalität wichtig, was dann oft zu einem anderen Wahlverhalten führt.
Bei der Bundestagswahl waren bei jungen Wählern zwei Parteien beliebt, die inhaltlich sehr unterschiedlich sind. Wie wirkt sich diese starke Polarisierung aus?
Glücklicherweise gibt es auch verbindende Elemente und die Chance, Brücken zu bauen zwischen den verschiedenen Wählergruppen, weil junge Frauen und Männer in vielen Belangen auch ähnliche Interessen haben. Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, gute Bildung und Kinderbetreuung, die Chance sich Wohlstand aufzubauen und Fragen rund um die Rente oder die Sicherung des Friedens in Europa gehören dazu.
Auf Gemeindeebene zum Beispiel kann man dann sagen, dass man gemeinsam in den Jugendbeirat geht, um für die Stadt etwas Gutes rauszuholen. Auf solchen Ebenen kann man oft beobachten, dass man mit dem politischen Gegner, in dem Fall vielleicht von der AfD oder von den Linken oder Grünen durchaus zusammenarbeiten kann. Es gibt ein paar Kulturkämpfe, etwa beim Thema Gendern oder Migration, die täuschen aber darüber hinweg, dass die Menschen in relativ vielen Themen ähnlich denken.
Wie realistisch ist es, dass Parteien wie die Linke, die Grünen oder auch die SPD junge Wählergruppen in Brandenburg wieder stärker auf ihre Seite ziehen?
Ich glaube, dass das ein sehr langer Prozess ist und dass es vor allen Dingen um Präsenz geht. Die Linke war im Osten früher groß, als sie sich als eine Partei der Kümmerer positioniert hat. Das hat sie irgendwann verlernt und ist deshalb auch für jüngere Wählerschichten weniger attraktiv geworden. Die Partei war in vielen Regierungen vertreten und hat da für ihre Wähler und Wählerinnen gekämpft, dabei aber das politische Vorfeld und die Straße vernachlässigt. Vielleicht war da auch eine gewisse Erfolgsbräsigkeit mit im Spiel. Und dann sind viele aktive und engagierte langjährige Mitglieder seit 1990 einfach weggestorben, es fehlte also auch an Personal, die das dann vor Ort leben könnten.
Das müsste wieder mehr geschehen. Konkret müssten Bürgerbüros eröffnet werden, Mitglieder müssten zu den Leuten gehen, die Parteien müssten sich vernetzen und in der Breite auch in Brandenburg stärker aufstellen. Linke Parteien müssten dann auch ganz konkrete soziale Angebote machen. Dann würden sich junge Menschen wieder mehr mit ihnen auseinandersetzen. Für die Linke beispielsweise wäre es wichtig, dass die Mitglieder wirklich Präsenz auf dem Land zeigen. Dass die Partei nicht nur digital unterwegs ist, sondern auch ansprechbar und sichtbar ist, gerade in den Gebieten, die von der AfD stark besetzt sind, auch wenn das sicher keine einfache Aufgabe ist.
Sie haben anfangs erwähnt, dass junge Wähler:innen in ihrem Wahlverhalten recht sprunghaft sind. Wer könnte davon bei der nächsten Wahl profitieren?
Es kann durchaus passieren, dass sich dieselben, die jetzt Linke oder AfD gewählt haben, beim nächsten Mal wieder ganz anders entscheiden. Ob der Erfolg der Linken weiter anhält, würde ich in Frage stellen. Es kann sein, dass dann wieder die Grünen aufholen oder auch die CDU, die übrigens immer sehr beliebt bei jungen Leuten war, wie man unter anderem bei der Europawahl sehen konnte.
Allerdings hält der Erfolg der Rechtspopulisten schon seit Jahren an – nicht nur in Deutschland.
Das ist richtig. Wenn Demokratinnen und Demokraten in den kommenden Jahren allerdings Handlungsfähigkeit beweisen und die Probleme dieses Landes lösen, dann kann sich der Trend wieder ändern. Aus meiner Sicht sind die Schlüsselthemen aus Sicht jüngerer Wählerschichten die Mietpreise, es muss für Aufstiegsversprechen geben, eine gute Infrastruktur, gute Bildung, gute Kinderbetreuung, und natürlich muss der Frieden gesichert werden.
Demokratie muss wieder zeigen, dass die Staatsform die Fähigkeit hat, Probleme gemeinsam zu lösen. Wenn etwa Grüne und Linke, die wahrscheinlich nicht an der nächsten Bundesregierung beteiligt sein werden, die Regierung hier und da kritisch aber konstruktiv begleiten, dann könnte die Attraktivität von Rechtspopulisten abnehmen. Wenn sich die politische Kultur einer Demokratie nicht darin erschöpft, dass man sich täglich aufs Neue verbal die Köpfe einschlägt und jede Idee gleich zerredet wird, weil sie vom politischen Gegner kommt, dann kann das auch die Demokratie an sich stärken.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Roberto Jurkschat
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 25.02.2025, 19:30 Uhr