Bundestagswahl 2025 - Warum taktisches Wählen mit Erst- und Zweitstimme diesmal anders funktioniert

Wie wirkt sich die Wahlrechtsreform auf die Erst- und Zweitstimme bei der Bundestagswahl 2025 aus? Warum könnte taktisches Wählen riskanter sein als früher? Was jetzt neu ist und was Wählerinnen und Wähler bei der Stimmabgabe beachten sollten.
Was ist der Unterschied zwischen Erststimme und Zweitstimme?
Bei der Erststimme stehen die Wahlkreiskandidaten der Parteien zur Wahl - auch Direktkandidaten genannt. Sie bewerben sich um das Mandat für diesen Wahlkreis. Hier können auch parteilose Kandidatinnen und Kandidaten antreten.
Mit der Zweitstimme auf dem Stimmzettel wählen die Wählerinnen und Wähler die Partei selbst. Die Zweitstimme ist maßgeblich für die Zusammensetzung des Bundestages - nach dem Zweitstimmenergebnis wird die Sitzverteilung berechnet. Hier müssen die Parteien auch über die Fünf-Prozent-Hürde kommen, um überhaupt ins Parlament einzuziehen. Ausnahme: Wenn eine Partei über die Erststimme drei Wahlkreise gewinnt, darf sie dennoch gemäß ihres Zweitstimmenergebnisses in den Bundestag einziehen - das nennt sich Grundmandatsklausel.
Was hat sich durch die Wahlrechtsreform bei Erst- und Zweitstimmen verändert?
Die Erststimme und die Zweitstimme sind bei der Bundestagswahl 2025 deutlich enger verknüpft als bei früheren Wahlen. Das liegt an der sogenannten Zweitstimmendeckung. Damit wurde festgelegt, dass der Gewinner oder die Gewinnerin eines Wahlkreises nur dann das entsprechende Direktmandat bekommt, wenn der Erststimmen-Sieg auch durch die Zweitstimmen gedeckt ist.
Im Großen betrachtet, bedeutet das: Wenn eine Partei in einem Bundesland, in dem es 21 Sitze zu verteilen gibt, sieben Wahlkreise bei den Erststimmen gewinnt, müsste ihr über die Zweitstimmen auch ein Drittel der Plätze in dem Bundesland zustehen, um alle Wahlkreissieger direkt als Abgeordnete in den Bundestag zu bringen. Reicht das Zweitstimmenergebnis aber etwa nur für sechs Sitze, geht jener Direktkandidat leer aus, der im Vergleich der Wahlkreissieger der Partei den niedrigsten Stimmanteil hatte.
Was ist strategisches oder taktisches Wählen?
Schon bei früheren Bundestagswahlen kam immer mal wieder der Begriff des "taktischen Wählens" oder "strategischen Wählens" auf. Das bedeutet, ein Wähler trifft seine Wahlentscheidung nicht nur anhand der Wahlprogramme oder Spitzenkandidaten von Parteien, sondern bezieht auch Faktoren wie die Wahlumfragen und mögliche Koalitionskonstellationen in seine Entscheidung ein.
Bahnt sich beispielsweise an, dass der Wunsch-Koalitionspartner einer großen Partei an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern droht, kann es aus Sicht von Wählerinnen und Wählern Sinn ergeben, dieser Partei zum Einzug in den Bundestag zu verhelfen. Allerdings nur, wenn der große Koalitionspartner so stark bleibt, dass es trotzdem für eine absolute Mehrheit reicht. Auch einer potenziellen Oppositionspartei in den Bundestag helfen zu wollen, kann eine taktische Überlegung sein, wenn man sich eine vielfältigere Opposition wünscht.
In den letzten Umfragen vor dieser Bundestagswahl gibt es mit der Linken, der FDP und dem BSW gleich drei Parteien, die knapp über oder unter der Fünf-Prozent-Hürde liegen - eine für taktische Wähler spannende Konstellation.
Wieso ist Stimmen-Splitting diesmal vielleicht weniger sinnvoll als früher?
Das sogenannte Stimmen-Splitting ist in der Vergangenheit eine beliebte Form des taktischen Wählens gewesen. Dabei geben Wählerinnen und Wähler ihre Erststimme an eine andere Partei als die Zweitstimme. So konnte man einen aussichtsreichen Direktkandidaten von einer Partei A im eigenen Wahlkreis und mit der Zweitstimme gleichzeitig eine andere Partei B unterstützen, die um den Wahlsieg oder das Überspringen der Fünf-Prozent-Hürde kämpft.
Nach der Wahlrechtsreform ist die Zweitstimme bei dieser Bundestagswahl noch wichtiger, weil die Erststimme von den Zweitstimmen abhängt. So könnte die Erststimme im oben beschriebenen Fall eine verlorene sein. Das Direktmandat kann nämlich nur noch gewonnen werden, wenn der Sieg bei den Erststimmen auch mit einem entsprechenden Zweitstimmenergebnis gedeckt wird. Überhang- und Ausgleichsmandate fallen weg.
Ein Beispiel: Jemand entscheidet sich, den Direktkandidaten einer kleinen Partei mit der Erststimme zu unterstützen und will gleichzeitig mit der Zweitstimme einer großen Parteien zum Wahlsieg verhelfen. Das war früher ein Modell, was gut aufgehen konnte. Der Direktkandidat zog in den Bundestag ein, die Partei gewann und stellte den Kanzler oder die Kanzlerin. Win-Win aus Wählersicht. Mit der neuen Zweitstimmendeckung steigt aber das Risiko, dass der Direktkandidat am Ende nicht in den Bundestag einzieht, weil seine Partei nicht genug Zweitstimmen gewinnt.
Letztlich darf aber jede und jeder Wahlberechtigte selbst entscheiden, ob Stimmen-Splitting dennoch die beste eigene Wahlentscheidung ist.
Ab wie viel Prozent gibt es Parteienfinanzierung für kleine Parteien?
Am Ende jeder Wahl gibt es in den Wahlergebnissen einen Balken mit dem Namen "Andere" oder "Sonstige". Darunter fallen die Parteien, die deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert sind. Man könnte meinen, dass Stimmen für diese Parteien verschwendet sind, das ist aber nicht so. Natürlich können sie ihre Wählerinnen und Wähler nicht in der Legislaturperiode im Parlament vertreten, da ihnen keine Sitze im Bundestag zustehen. Für die Parteien können die Stimmen aber finanzielle Unterstützung und Wachstumschancen bieten.
Ab einem bestimmten Wahlergebnis haben die kleinen Parteien nämlich Anspruch auf staatliche Gelder, die sogenannte Parteienfinanzierung. Schon ab 0,5 Prozent der Zweitstimmen können die Parteien anschließend diese Form der Finanzierung erhalten. Nach der Bundestagswahl 2021 wurden unter den zwölf nicht im Bundestag vertretenen Parteien insgesamt knapp 7,4 Millionen Euro Parteienfinanzierung aufgeteilt. Am meisten erhielten die Freien Wähler (rund 2,3 Millionen Euro), die Tierschutzpartei (fast 1,4 Millionen Euro) und die Ökologisch-Demokratische Partei (knapp über 1,2 Millionen Euro).
Wie ist das, wenn ich einem parteilosen Kandidaten meine Erststimme gebe?
Auch wer nicht Mitglied einer Partei ist oder von keiner unterstützt wird, kann sich in einem der 299 Wahlkreise zur Bundestagswahl als Kandidat aufstellen. Dafür muss sie oder er vorher eine Hürde nehmen: Die Person benötigt die Unterstützung von 200 Wahlberechtigten aus demselben Wahlkreis, es müssen also 200 Unterschriften nachgewiesen werden. Um aufgestellt zu werden, muss der unabhängige Kandidat am Ende auf einem Kreiswahlvorschlag als sogenannter Einzelbewerber erscheinen.
Schafft es ein solcher parteiloser Kandidat bei der Wahl, die meisten Erststimmen zu holen, zieht er direkt in den Bundestag ein. Fakt ist aber, dass Einzelkandidaten es schon immer schwer hatten, einen Sitz im Parlament zu bekommen. Zum einen hat die Bewerberin oder der Bewerber keine Organisation und Logistik einer Partei im Rücken, die im Wahlkampf beträchtlich hilft. Zum anderen ist er oder sie auch nicht über eine Landesliste abgesichert, da die Person eben zu keiner Partei gehört und somit auf keiner Parteienliste stehen kann. Es gibt also nur einen (direkten) Weg in den Bundestag. Vermutlich hat deshalb auch seit 1953 kein parteiloser Einzelbewerber mehr einen Wahlkreis gewonnen.
Was muss ich beachten, wenn ich einen parteilosen Erststimmen-Kandidaten wähle?
Tatsächlich sieht das Bundeswahlgesetz vor, dass die Zweitstimmen derjenigen Wählerinnen und Wähler, die ihre Erststimme für einen erfolgreichen Einzelbewerber abgegeben haben, nicht berücksichtigt werden. Das gilt aber eben nur im Fall eines erfolgreichen Einzelbewerbers. Der Grund dafür ist, dass das Verfahren der Zweitstimmendeckung bei Einzelbewerbern – anders als bei Wahlkreisbewerbern einer Partei – nicht greift.
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Sendung: rbb24 Inforadio, 21.02.2025, 7:45 Uhr
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