Interview zur U18-Wahl - "Wir müssen uns auf mehr Dynamik einstellen"

Mo 17.02.25 | 17:10 Uhr
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Symbolbild: Jugendliche Besucher verfolgen eine Debatte im Deutschen Bundestag. (Quelle: dpa/Schmidt)
Video: rbb24 Abendschau | 17.02.2024 | M. Kell | Bild: dpa/Schmidt

Die Ergebnisse der U18-Wahl zeigen deutliche Verschiebungen in der Präferenz junger Menschen. Der Politologe Thorsten Faas sieht einen großen Einfluss der sozialen Medien - und erkennt große Beweglichkeit im Wahlverhalten - bei Jung und Alt.

rbb|24: Herr Faas, die Linke liegt bei der U18-Bundestagswahl vorn. In den letzten Jahren hieß es immer wieder, die Jugend würde vermehrt rechts und konservativ wählen. Müssen wir diesen Befund korrigieren?

Thorsten Faas: Wenn man das Wahlverhalten junger Menschen bei Wahlen der jüngeren Vergangenheit in den Blick nimmt, sieht man, dass es immer sehr vielfältig gewesen ist. Diese Gruppe junger Menschen ist kein homogener Block, der immer komplett rechts oder komplett links wählt, sondern es ist sehr bunt - bunter als bei allen anderen Generationen.

Der zweite Punkt ist, dass man bei den jungen Menschen gewisse Trends deutlicher sieht als bei anderen Gruppen. Wenn wir uns die Linke anschauen, die sich in den Umfragen insgesamt hochgearbeitet hat, dann ist es nicht überraschend, dass es gerade auch in der Gruppe junger Menschen besonders sichtbar wird. Das gilt natürlich erst recht, wenn man sich in Erinnerung ruft, wie erfolgreich die Linke auch in bestimmten sozialen Medien ist. Da ist sie sehr sichtbar und erfolgreich und das führt offenkundig zu diesem Muster, was wir jetzt sehen.

Zur Person

Der Politloge Thorsten Faas von der FU Berlin
Bernd Wannenmacher

Thorsten Faas ist Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin (FU). Ein Schwerpunkt seiner Forschung ist das Wahlverhalten junger Menschen. Dazu hat er mehrere Jugendwahlstudien durchgeführt, etwa im Kontext der Europawahl 2024.

Wie groß ist denn der Einfluss sozialer Medien?

Junge Menschen können ja logischerweise noch keine jahrelange Erfahrung haben, sie können noch keine stabilen Präferenzen für oder gegen bestimmte Parteien herausgebildet haben. Das heißt natürlich, dass sie noch viel stärker als andere auf die Situation reagieren, und auf die Informationen, die sie erhalten. Das sind für junge Menschen vor allem Informationen aus sozialen Netzwerken. Wen sie dort sehen, wen sie dort wahrnehmen - der hat erstmal gute Voraussetzungen.

Wenn das so erfolgreich ist, wie aktuell bei der Linken, dann kann man daraus schlließen, dass der Einfluss ganz erheblich ist. Wir sehen das ja auch in anderen gesellschaftlichen Teilgruppen. Dass es junge Menschen in ihren Sichtweisen, in ihren Verhaltensweisen prägt. Und das sehen wir eben auch im politischen Bereich.

Schaut man sich die Reichweiten der Parteien in den sozialen Netzwerken an, so zeigt sich, dass es für die Linke einen kurzfristigen Schub gab - gerade seit der Asyl-Debatte im Bundestag. Wie dynamisch sind also die Wahlpräferenzen unter jungen Menschen?

Generell ist das Wahlverhalten der Menschen in Deutschland beweglicher geworden. Insbesondere gilt das für junge Menschen, die viel stärker als andere auf die Situation reagieren. Das Beispiel der Migrationsdebatte zeigt natürlich, dass so ein Themenfokus, so ein Ereignis auch sehr schnell durchschlägt in soziale Netzwerke, die ja naturgemäß immer sehr zeitpunktbezogen, sehr aktuell sind.

Die Debatte hat die Linke - hat [Spitzenkandidatin] Heidi Recheneck auch ganz konkret - sehr pointiert genutzt, um sich und ihre Positionen, aber auch die der Linken deutlich zu machen. Das ist offenkundig ein großer Erfolg gewesen.

Schauen wir auf Berlin und Brandenburg. In Berlin liegt die Linke deutlich vorn, gefolgt von SPD und Grünen. In Brandenburg ist die AfD mit deutlichem Abstand stärkste Kraft. Wie erklären Sie diesen deutlichen Unterschied?

Wir sehen erst einmal, dass die Gruppe junger Menschen, auch wenn sie nicht sehr groß ist und logischerweise auch nicht viele Jahrgänge umfasst, intern sehr unterschiedlich, sehr bunt, sehr differenziert ist. Tatsächlich spielen Herkunftsfragen eine wichtige Rolle. Das haben wir auch in früheren Studien sehen können.

Städtische Milieus - auch Milieus mit formal höherer Bildung - sind weiterhin sehr progressiv nach links ausgerichtet, Richtung Grüne und Linke. Nicht-städtische Kontexte, oft auch verknüpft mit formal eher niedriger Bildung, sind in diesen Zeiten typische Hochburgen der AfD.

Das, was wir da im Kontrast von Berlin und Brandenburg sehen, passt durchaus auch zu anderen Studien, die wir gemacht haben. Das erinnert uns eben genau daran, wie unterschiedlich diese Gruppe junger Menschen insgesamt ist.

Inwieweit neigen Jugendliche zu den politischen Rändern? Ist eine Polarisierung erkennbar?

Wir sehen, dass sich klassische Volksparteien schwer tun bei jungen Menschen. Hinzu kommt sicherlich, dass die Ampel-Regierung insgesamt natürlich kein gutes Image gehabt hat. Das prägt junge Menschen noch einmal stärker, die in den politischen Betrieb hineinwachsen und sozialisiert werden.

Wir sehen, dass die Parteien der Mitte nicht gut abschneiden, sondern eher die von der schwierigen Regierungszeit unbelasteten Parteien davon profitieren. Das zeigt noch einmal, dass junge Menschen noch stärker auf das reagieren, was sie erleben. Dieses Erleben war eine schwierige Ampel-Regierung. Entsprechend profitiert die Linke einerseits, aber als Protestpartei natürlich auch die AfD andererseits.

Wir sehen in dieser Vielschichtigkeit auch eine Abkehr von den Volksparteien. Dass die politische Landschaft bunter wird und das wahrscheinlich auch so bleiben wird.

Politikwissenschaftler Thorsten Faas

Was folgt daraus für die zukünftige politische Landschaft in unserem Land? Immerhin sprechen wir hier über die zukünftigen Wählerinnen und Wähler.

Genau deswegen ist es immer wichtig, junge Menschen in den Blick zu nehmen - nicht nur bezogen auf die Wahl, die jetzt vor uns liegt, sondern eben auch weit über den Tag hinaus, weil das tatsächlich die Wählerinnen und Wähler der kommenden Jahrzehnte sind. Wir sehen in dieser Vielschichtigkeit auch eine Abkehr von den Volksparteien. Dass die politische Landschaft bunter wird und das wahrscheinlich auch so bleiben wird.

Volksparteien genießen noch Ansehen bei eher älteren Menschen, aber das wird sich irgendwann so nicht mehr zeigen. Das wird die Zukunft sein - weniger stabile Volksparteien, mehr Fluktuation. Auch mehr neue Parteien, die daraus Profit schlagen können. Wir müssen uns - und das ist ja auch durchaus eine gute Sache - auf mehr Dynamik einstellen. Denn das heißt ja durchaus auch, dass neue Impulse vielleicht schneller und einfacher im politischen Betrieb landen.

Welche weiteren Trends können Sie bei den jungen Menschen aus Ihrer Forschung ablesen?

Was wirklich spannend ist: die Vielschichtigkeit im Kommunikationsverhalten. Wir reden immer davon, dass junge Menschen Social Media nutzen. Wenn man einmal genauer hinschaut, dann sieht man, dass selbst innerhalb der Gruppe junger Menschen sich da in kürzester Zeit Verschiebungen ergeben. Weg von Instagram, hin zu Tiktok - von Facebook redet überhaupt niemand mehr.

Das heißt aber natürlich auch umgekehrt für die Parteien, für Kandidierende, dass sie auf immer mehr Plattformen präsent sein müssen. Das ist schon ein Dilemma - wo sozusagen ein vielschichtiges Angebot, was Social Media betrifft, auf wirklich begrenzte Möglichkeiten der Parteien trifft. Das ist ein Spannungsverhältnis, was man im Blick behalten muss.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Jonas Wintermantel, rbb|24.

Sendung: rbb24 Inforadio, 17.02.2025, 16:20 Uhr

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22 Kommentare

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  1. 22.

    Hä? Kein Problem, das holen wir über die Vermögenssteuer wieder locker rein! man muß nur wollen und nicht immer den Kopf in den Sand stecken (German Angst).

  2. 21.

    Ja! Die AfD-Wähler sind doch die Ersten, die für Russland in den Krieg ziehen.

  3. 20.

    Interessant was Sie bei Ihrer Aufzählung alles so bewusst weglassen. Wieviele hunderte Milliarden uns ungefragt die Migration und der Ukraine-Krieg kostet und dieses Geld uns nun überall fehlt und andere Kosten treibt. Selbstlüge holt Sie ein

  4. 19.

    Vielleicht erinnern Sie sich daran wenn nach der Wahl die Wehrpflicht wieder eingeführt wird uns sie für alle Bürger den Hals hinhalten, inkl AfD-Wähler

  5. 16.

    Sie meinen den Erfolg der Linken? Fürwahr, ein Segen für und von unserer Jugend! Die sind taff und lassen sich nicht von dieser braunen Laientruppe veräppeln!

  6. 15.

    >"Im Moment arbeiten wir ausschließlich 7 Monate für den Staat bis unser Geld in unserem Portmonee bleibt."
    Werte Anja, der Staat ist das Drumherum, in dem Sie leben und von dem Sie leben. Das sind die Straßen, die Gehwege, die Versorgungen, das kulturelle und verwaltungstechnische Leben, das ist die gesamte Infrastruktur in ihrem Leben, das ist solidarische Teilhabe von Menschen, denen es nicht so gut geht wie Ihnen und vieles mehr. Staat halt. Es ist durchaus sinnvoll, dafür Geld auszugeben und Steuern zu zahlen. Die politischen Wertigkeiten der Geldausgaben dafür sind entscheidend. Und natürlich auch die Sinnhaftigkeit einiger der Ausgaben. Hier unterscheiden sich die Parteiprogramme in Feinheiten wie auch einige in Grundsätzlichem. Sie werden aber nicht leben können, ohne für die Staatsstruktur Geld auszugeben.

  7. 14.

    Bei dem Wahlergebnis kann man doch sehen, daß unsere Jugend keinen Bock mehr auf die Altparteien haben da sie ja sehen was dabei rauskommt wenn diese regieren.

  8. 13.

    Natürlich korreliert der Bildungsstand mit dem Wahlverhalten: je bildungsferner, je rechtsradikaler bis rechtsextremer.

  9. 12.

    Der überbordende Sozial- und Wohlfahrtsstaat muss schließlich finanziert werden.

  10. 11.

    Im Moment arbeiten wir ausschließlich 7 Monate für den Staat bis unser Geld in unserem Portmonee bleibt. Und die Wähler wollen das mit „weiter so“ in immer der selben Koalition mit wechselnden Köpfen, nicht Parteien.

  11. 10.

    Meine Tochter fragte mich vor der U18-Wahl nach den Linken - meine Antwort als in der DDR aufgewachsene - nein, wir haben eigentlich 1989 überwunden, hoffte ich.
    Aber das Programm ist „brotlose Kunst“, es wird was versprochen was man in der Realität nicht umsetzen kann. Idealversprechen wie bei den Grünen, wieder 3 Jahre bis zum vorzeitigen Totalausfall?

  12. 9.

    Was für ein toller Experte. Dass Studien zeigen dass bei der Bildung beide Bundesländer gleich auf sind, ist ihm leider entgangen.

    „Städtische Milieus - auch Milieus mit formal höherer Bildung - sind weiterhin sehr progressiv nach links ausgerichtet, Richtung Grüne und Linke. Nicht-städtische Kontexte, oft auch verknüpft mit formal eher niedriger Bildung, sind in diesen Zeiten typische Hochburgen der AfD.“

  13. 8.

    Wie sollten die Jugend nicht voreilig abschreiben...

  14. 7.

    Parteien des rechten Spektrums (CDU, FDP, AfD) habe ich kürzlich in einer Schulveranstaltung zum Thema Politik für die Jugend allen Ernstes Reformen in der Rentenpolitik nennen gehört. Angesichts dessen, dass heute niemand seriöse Aussagen über Renten in 50 und mehr Jahren treffen kann, ist das albern (Jugendpolitik?) und dumm.

    Apropos dumm. Auch dieser Wissenschaftler verweist auf den Zusammenhang von Bildungsniveau und Parteienpräferenz. Danke dafür.

  15. 6.

    Als Jugend kann man noch Ideale haben, da wohnt man zu Hause, Eltern sorgen für Wohnraum, Nahrung usw. Ideale schaffen aber keine Arbeitsplätze und bringen mir kein Essen nach Hause und versorgen mich sorgenfrei. Spätestens dann zieht die Realität mit ein und es gibt Parteien die nur Losungen verkaufen statt Wirklichkeit

  16. 5.

    Na endlich mal wieder Grund zur Hoffnung!

  17. 4.

    Gleich sind die Wahlprogramme insofern in der Tat, als dass weichgespülte Worte niemand Außenstehenden in Aufruhr versetzen, aber die "eigenen Truppen" zum Unterstützen ermuntern sollen. Außerhalb von absoluten Mehrheiten, die glücklicherweise der Vergangenheit angehören, ist bislang kein einziges Parteiprogramm genau so umgesetzt worden, wie es bei allen Hin & Her, bei allem Für & Wider auf den Parteitagen in zäher Diskussion beschlossen wurde.

    Und das liegt nicht an irgendeinem "Verrat", der begangen wurde, sondern daran, dass Kompromisse erzielt werden müssen und dass m. W. keinem Parteiprogramm anzusehen ist, welche Passagen unabdingbar, welche Passagen wichtig und welche Passagen da nur der Artigkeit wegen hineingeraten sind, die in Koalitionsverhandlungen natürlich als Erste geopfert werden.

  18. 3.

    In den jungen Wählern liegt auch eine Chance: wenn Politik begreift, dass sie an
    ihren Taten gemessen werden, tut sich auch mehr.
    Mich frustrieren die ewig gleichen Wahlprogramme, die unausgereift sind und sich dann ja auch nicht umsetzen lassen.