Interview zur U18-Wahl - "Wir müssen uns auf mehr Dynamik einstellen"

Die Ergebnisse der U18-Wahl zeigen deutliche Verschiebungen in der Präferenz junger Menschen. Der Politologe Thorsten Faas sieht einen großen Einfluss der sozialen Medien - und erkennt große Beweglichkeit im Wahlverhalten - bei Jung und Alt.
rbb|24: Herr Faas, die Linke liegt bei der U18-Bundestagswahl vorn. In den letzten Jahren hieß es immer wieder, die Jugend würde vermehrt rechts und konservativ wählen. Müssen wir diesen Befund korrigieren?
Thorsten Faas: Wenn man das Wahlverhalten junger Menschen bei Wahlen der jüngeren Vergangenheit in den Blick nimmt, sieht man, dass es immer sehr vielfältig gewesen ist. Diese Gruppe junger Menschen ist kein homogener Block, der immer komplett rechts oder komplett links wählt, sondern es ist sehr bunt - bunter als bei allen anderen Generationen.
Der zweite Punkt ist, dass man bei den jungen Menschen gewisse Trends deutlicher sieht als bei anderen Gruppen. Wenn wir uns die Linke anschauen, die sich in den Umfragen insgesamt hochgearbeitet hat, dann ist es nicht überraschend, dass es gerade auch in der Gruppe junger Menschen besonders sichtbar wird. Das gilt natürlich erst recht, wenn man sich in Erinnerung ruft, wie erfolgreich die Linke auch in bestimmten sozialen Medien ist. Da ist sie sehr sichtbar und erfolgreich und das führt offenkundig zu diesem Muster, was wir jetzt sehen.
Wie groß ist denn der Einfluss sozialer Medien?
Junge Menschen können ja logischerweise noch keine jahrelange Erfahrung haben, sie können noch keine stabilen Präferenzen für oder gegen bestimmte Parteien herausgebildet haben. Das heißt natürlich, dass sie noch viel stärker als andere auf die Situation reagieren, und auf die Informationen, die sie erhalten. Das sind für junge Menschen vor allem Informationen aus sozialen Netzwerken. Wen sie dort sehen, wen sie dort wahrnehmen - der hat erstmal gute Voraussetzungen.
Wenn das so erfolgreich ist, wie aktuell bei der Linken, dann kann man daraus schlließen, dass der Einfluss ganz erheblich ist. Wir sehen das ja auch in anderen gesellschaftlichen Teilgruppen. Dass es junge Menschen in ihren Sichtweisen, in ihren Verhaltensweisen prägt. Und das sehen wir eben auch im politischen Bereich.
Schaut man sich die Reichweiten der Parteien in den sozialen Netzwerken an, so zeigt sich, dass es für die Linke einen kurzfristigen Schub gab - gerade seit der Asyl-Debatte im Bundestag. Wie dynamisch sind also die Wahlpräferenzen unter jungen Menschen?
Generell ist das Wahlverhalten der Menschen in Deutschland beweglicher geworden. Insbesondere gilt das für junge Menschen, die viel stärker als andere auf die Situation reagieren. Das Beispiel der Migrationsdebatte zeigt natürlich, dass so ein Themenfokus, so ein Ereignis auch sehr schnell durchschlägt in soziale Netzwerke, die ja naturgemäß immer sehr zeitpunktbezogen, sehr aktuell sind.
Die Debatte hat die Linke - hat [Spitzenkandidatin] Heidi Recheneck auch ganz konkret - sehr pointiert genutzt, um sich und ihre Positionen, aber auch die der Linken deutlich zu machen. Das ist offenkundig ein großer Erfolg gewesen.
Schauen wir auf Berlin und Brandenburg. In Berlin liegt die Linke deutlich vorn, gefolgt von SPD und Grünen. In Brandenburg ist die AfD mit deutlichem Abstand stärkste Kraft. Wie erklären Sie diesen deutlichen Unterschied?
Wir sehen erst einmal, dass die Gruppe junger Menschen, auch wenn sie nicht sehr groß ist und logischerweise auch nicht viele Jahrgänge umfasst, intern sehr unterschiedlich, sehr bunt, sehr differenziert ist. Tatsächlich spielen Herkunftsfragen eine wichtige Rolle. Das haben wir auch in früheren Studien sehen können.
Städtische Milieus - auch Milieus mit formal höherer Bildung - sind weiterhin sehr progressiv nach links ausgerichtet, Richtung Grüne und Linke. Nicht-städtische Kontexte, oft auch verknüpft mit formal eher niedriger Bildung, sind in diesen Zeiten typische Hochburgen der AfD.
Das, was wir da im Kontrast von Berlin und Brandenburg sehen, passt durchaus auch zu anderen Studien, die wir gemacht haben. Das erinnert uns eben genau daran, wie unterschiedlich diese Gruppe junger Menschen insgesamt ist.
Inwieweit neigen Jugendliche zu den politischen Rändern? Ist eine Polarisierung erkennbar?
Wir sehen, dass sich klassische Volksparteien schwer tun bei jungen Menschen. Hinzu kommt sicherlich, dass die Ampel-Regierung insgesamt natürlich kein gutes Image gehabt hat. Das prägt junge Menschen noch einmal stärker, die in den politischen Betrieb hineinwachsen und sozialisiert werden.
Wir sehen, dass die Parteien der Mitte nicht gut abschneiden, sondern eher die von der schwierigen Regierungszeit unbelasteten Parteien davon profitieren. Das zeigt noch einmal, dass junge Menschen noch stärker auf das reagieren, was sie erleben. Dieses Erleben war eine schwierige Ampel-Regierung. Entsprechend profitiert die Linke einerseits, aber als Protestpartei natürlich auch die AfD andererseits.
Was folgt daraus für die zukünftige politische Landschaft in unserem Land? Immerhin sprechen wir hier über die zukünftigen Wählerinnen und Wähler.
Genau deswegen ist es immer wichtig, junge Menschen in den Blick zu nehmen - nicht nur bezogen auf die Wahl, die jetzt vor uns liegt, sondern eben auch weit über den Tag hinaus, weil das tatsächlich die Wählerinnen und Wähler der kommenden Jahrzehnte sind. Wir sehen in dieser Vielschichtigkeit auch eine Abkehr von den Volksparteien. Dass die politische Landschaft bunter wird und das wahrscheinlich auch so bleiben wird.
Volksparteien genießen noch Ansehen bei eher älteren Menschen, aber das wird sich irgendwann so nicht mehr zeigen. Das wird die Zukunft sein - weniger stabile Volksparteien, mehr Fluktuation. Auch mehr neue Parteien, die daraus Profit schlagen können. Wir müssen uns - und das ist ja auch durchaus eine gute Sache - auf mehr Dynamik einstellen. Denn das heißt ja durchaus auch, dass neue Impulse vielleicht schneller und einfacher im politischen Betrieb landen.
Welche weiteren Trends können Sie bei den jungen Menschen aus Ihrer Forschung ablesen?
Was wirklich spannend ist: die Vielschichtigkeit im Kommunikationsverhalten. Wir reden immer davon, dass junge Menschen Social Media nutzen. Wenn man einmal genauer hinschaut, dann sieht man, dass selbst innerhalb der Gruppe junger Menschen sich da in kürzester Zeit Verschiebungen ergeben. Weg von Instagram, hin zu Tiktok - von Facebook redet überhaupt niemand mehr.
Das heißt aber natürlich auch umgekehrt für die Parteien, für Kandidierende, dass sie auf immer mehr Plattformen präsent sein müssen. Das ist schon ein Dilemma - wo sozusagen ein vielschichtiges Angebot, was Social Media betrifft, auf wirklich begrenzte Möglichkeiten der Parteien trifft. Das ist ein Spannungsverhältnis, was man im Blick behalten muss.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Jonas Wintermantel, rbb|24.
Sendung: rbb24 Inforadio, 17.02.2025, 16:20 Uhr