Feminismus-Festival im HAU - Europas dreckige Wäsche
Mit einer politischen Techno-Party auf einem Kreuzfahrtschiff und einem starken Doku-Theaterabend über Sex und Abtreibung in Kroatien eröffnet das HAU die dritte Ausgabe seines Feminismus-Festivals. Diesmal steht Ost-Europa im Zentrum. Von Barbara Behrendt
Wer hätte gedacht, dass der Feminismus weltweit einmal wieder derart unter Druck geraten würde? Nicht nur in autokratischen Ländern und Diktaturen – sondern auch in den ehemals freiheitsliebenden USA, mit Donald Trump vorneweg und Unternehmern wie Elon Musk und Marc Zuckerberg hinterher – letzterer spricht von mehr "männlicher Energie", die es in Unternehmen brauche. Programme für Diversität und Gleichberechtigung werden in den USA gerade flächendeckend abgeschafft.
Ehemalige Sowjetunion im Fokus
Gleichzeitig treiben weltweit vor allem Frauen gesellschaftliche Veränderungen mit ihren Protesten voran, das sieht man in Südamerika genauso wie in Iran, in Polen und Belarus. Gut, dass das HAU, das Hebbel Theater am Ufer in Berlin, dem Feminismus jetzt erneut ein Festival widmet, mit politischem Theater, Tanz, Film – und allerlei Diskussionen zum Thema.
Ging es in der ersten Ausgabe um Frauenbewegungen im globalen Süden, und in der zweiten (wegen Boykott-Aktionen mehrerer Künstlerinnen eher verunglückten) Ausgabe um den Mittleren Osten, steht jetzt die ehemalige Sowjetunion im Zentrum. "Every Day – Feministische Kämpfe im postsozialistischen Europa" lautet der Titel. "Every Day" zitiert dabei den Slogan, den die Menschen in Minsk 2020 auf der Straße beim Protest gegen ihre Regierung skandiert haben.
Metaphern für Raubtierkapitalismus
Was kann der westeuropäische Feminismus vom osteuropäischen lernen? "Westeuropäischer Feminismus ist eher individualistisch geprägt", sagt die Festivalkuratorin Aenne Quiñones, "in den postsozialistischen Ländern geht es, schon historisch bedingt, mehr um große strukturelle Veränderungen."
Das große Ganze steht denn auch in der Eröffnungsinszenierung "Dirty Laundry. The TrashOpera" von der moldawischen Autorin und Regisseurin Nicoleta Esinencu auf dem Spiel. Die schmutzige Wäsche Europas wird hier auf einem Kreuzfahrtschiff gewaschen – Metapher für den Raubtierkapitalismus unserer Welt.
An Deck fließt der Champagner bis zum Erbrechen, unter Deck müssen die Ausgebeuteten das Erbrochene aus den Laken waschen. Neun Kreise der Hölle werden vorgestellt – die Waschküche symbolisiert den innersten und schlimmsten Kreis.
Eine imaginäre Höllen-Kreuzfahrt
Es ist der dritte Teil von Esinencus Trilogie "Sinfonie des Fortschritts", den sie auch diesmal nicht mit Szenen und Figuren inszeniert, sondern als aggressives, wütendes Techno-Konzert. Drei Elektro-Musiker:innen stehen an allerlei Sound-Equipment zwischen silbernen Wäschetrommeln und nehmen uns über Text und Musik auf die imaginäre Höllen-Kreuzfahrt mit.
Zunächst steht das Ausbeutungsverhältnis im Mikrokosmos des Schiffskörpers im Zentrum, dann aber fahren wir in die Welt. In den USA dürfen die Gäste, nicht aber die Arbeiter:innen von Bord gehen, Einreise verweigert. Bei der Reise durchs Mittelmeer wird mit ätzendem Sarkasmus der leichenbedeckte Traumstrand von Lampedusa gepriesen. Und: Wir treffen einerseits auf den weißen, männlichen Entdecker, der der Welt seine Geschichte aufzwingt – andererseits auf die historischen feministischen Kämpferinnen in der Republik Moldau.
"Dirty Laundry" dreht einen durch die Mangel
Mithilfe des Feminismus wird die kapitalistische und patriarchale Weltordnung infrage gestellt, die mit Ausbeutung, Kolonialismus und Krieg einhergeht. Dass Westeuropa die Demokratie in die Welt trägt – darüber kann man hier nur noch lachen. Zuletzt wird ein Protestbrief von Arbeiterinnen verlesen, der den Krieg als "das Werk von Kapitalisten und Waffenproduzenten" anprangert – er stammt von 1932. Viel hat sich nicht geändert.
"Dirty Laundry" ist ein anstrengender, enervierender, aber auch betörender Abend mit harten Techno-Beats und aggressiven, teils arg verallgemeinernden Parolen, der einen komplett durch die Mangel dreht. Und das ist Absicht. Zum Festivalstart fliegt hier die Weltordnung auseinander.
"Girls": Frauen erzählen von ihrer Entjungferung
Der Kontrast zum Stück "Girls" vom slowenisch-kroatischen Kollektiv Igralke und Tjaša Črnigoj könnte stärker kaum sein. "Girls" ist eine dokumentarische Inszenierung, die mit einfachen Mitteln, unaufgeregt und mit Augenzwinkern von Erfahrungen mit Sexualkunde, Entjungferung, Verhütung und ungewollter Schwangerschaft erzählt.
Vier junge Frauen betreten in weißen Trachtenkleidern die Bühne, ausgelegt mit einem weißen Laken. Interviews werden eingespielt, die die Frauen mit ihren Müttern und Großmüttern zum Thema geführt haben – und auch sie selbst erzählen, welche Erfahrungen sie gemacht haben.
Jedes Fleckchen auf dem weißen Laken wird dabei zum "Tatort" mit Jahreszahlen und Beweismitteln (ein Schal, ein Schuh, blutige Unterwäsche) abgesteckt. Manchmal sind es schöne Erfahrungen von Verliebtheit und Sex, oft aber eben auch nicht. Wenn eine Darstellerin das weiße Laken mit Kunstblut und Gürtelschlägen malträtiert, so wie ihre Großmutter einst vom Vater geschlagen wurde, nachdem sie sich mit einem Mann getroffen hatte, reißt es unter der Gewalt wie empfindliche Haut.
Was hat sich für Frauen zum Guten verändert?
Eindrücklich ist das, in all seiner Einfachheit. Man beginnt in Frage zu stellen, ob sich in den letzten 70 Jahren tatsächlich vieles zum Guten verändert hat für Frauen. 1974 etwa war in die kroatische Verfassung das Recht auf Abtreibung integriert. Nach dem Zerfall Jugoslawiens wurde das gestrichen. Heute sind Abtreibungen dort zwar legal, jedoch hoch tabuisiert und schwer zu bekommen.
Wenn die Frauen aus ihren Teenager-Tagebüchern vorlesen, spricht so deutlich das Patriarchat durch sie hindurch, dass es einem Durch Mark und Bein fährt: wie widerlich sie seien, Huren, weil sie mit mehr als einem Mann schlafen. Waren die Großmütter im Sozialismus da nicht schon weiter?
Zwischen den Zeilen wird vorgeführt, warum eine Politik, die Reproduktion und Familienplanung kontrollieren will, oft Hand in Hand mit Autoritarismus und Faschismus unterwegs ist. Feminismus steht für Gesellschaftsveränderung – auch deshalb ist er in autokratischen Regierungen wohl derart unter Druck.
Sendung: Radio3, 22.03.2025, 7:40 Uhr